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Dementophobia
Bewertung:
(4.4)
Von: Alexander Heppe
Alias: Alexander Heppe
Am: 23.11.2007
Autor:Heiko Gill (Redaktion) u.v.a.
Übersetzer:für das Szenario „Das Sanatorium“: Jens Kaufmann
Typ:Quellen- und Abenteuerband
System:Cthulhu
Setting:1920er Cthulhu
VerlagPegasus Press
ISBN/ASIN:978-3-939726-77-6
Inhalt:240 Seiten Hardcover
Sprache:Deutsch

Dementophobia – Wahn und geistiger Verfall

Erneut hatte ich die Gelegenheit, für das DnD-Gate ein Cthulhu-Produkt rezensieren zu dürfen. Dementophobia soll die Reihe der Quellenbücher zum Cthulhu Grundregelwerk ergänzen. Nachdem bereits die Themen Monster und Kreaturen (Malleus Monstrorum), Magie (Arcana Cthulhiana) und Mythoswerke (Necronmicon) behandelt worden sind, beschäftigt sich Dementophobia mit einem der Kernthemen des Cthulhu-Rollenspiels: Dem Wahnsinn!

 

Aufmachung und Layout

Ich weiß nicht, ob es inzwischen zur Gewohnheit wird, aber auch bei dem zu rezensierenden Band stellt sich bereits beim ersten Durchblättern der gewohnte ‚Wow-Effekt’ ein. Es handelt sich um ein stabiles Hardcover mit hervorragend gestaltetem Einband von Manfred Escher. Dieses Buch ist sicherlich auch in einem „normalen“ Bücherregal, ohne in Nachbarschaft von weiterem Rollenspielmaterial zu stehen, ein wahres Schmuckstück. Im Innenteil befinden sich 240 schwarzweiß Seiten auf hochwertigem Papier, ein Lesebändchen rundet den positiven Ersteindruck ab. Auch beim zweiten Durchblättern vermag das Produkt durch ein stimmungsvolles Layout und eine ausgezeichnete Bebilderung zu überzeugen. Neben zeitgenössischen Fotografien der zwanziger Jahre finden sich auch Zeichnungen und Karten von guter bis sehr guter Qualität. Trotz des inzwischen bei mir eingetretenen Gewohnheitseffektes, in dieser Reihe von Pegasus nur eine hervorragende Produktgestaltung zu erwarten, kann ich keinen Anlass finden, für den Bereich Aufmachung und Layout einen Punktabzug vorzunehmen. Hätte das Buch auch Szenarien für Cthulhu NOW aufgegriffen, hätte ich mir unter Umständen eine etwas farbenfrohere Aufmachung gewünscht. Zu dem Thema „Wahnsinn in den Zwanzigern“ hingegen passt das Layout zum Inhalt wie die Faust aufs Auge.

 

Inhalt Teil 1, die Kapitel „Der große Überblick“, „Geistige Störungen“ und „Die Heilung“

Die gute Aufmachung kennen wir ja schon aus zahlreichen Pegasus Produkten, aber: Kann das Buch auch inhaltlich halten, was die Aufmachung verspricht?

 

Dazu werfe ich zunächst einen Blick auf das gut gegliederte Inhaltsverzeichnis, welches einem beim Nachschlagen sicherlich gute Dienste leistet. Allerdings hätte einem Buch von diesem Umfang und mit dieser doch komplizierten Thematik vielleicht auch ein Index spendiert werden dürfen.

 

Den Anfang macht ein kurz gehaltenes Vorwort, welches die einzelnen Teile des Quellenbandes den jeweiligen Autoren zuordnet. Dem folgt ein relativ detaillierter Abriss über „Wahnsinn im Wandel der Zeit“, der die Behandlung und Akzeptanz von Geisteskrankheiten von der vorgeschichtlichen Zeit bis in die Gegenwart hinein beleuchtet. In diesem Kapitel fällt erstmals auf, dass der Text - wie auch an anderen Stellen im Buch - immer wieder durch kleinere Informationskästen unterbrochen und ergänzt wird. Überdies werden auch die Spielwerte von Persönlichkeiten (Ja, auch die von Freud!) nebst Kurzbiographie und Spielleitertipps angegeben. Gute Idee und super umgesetzt. Anschließend folgt unter der Überschrift „Der Wahnsinn und der Spielleiter“ ein Überblick darüber, wie man den Wahnsinn und die Stabilität ins Spiel einbauen kann, bzw. wie man seine Mitspieler bei der Umsetzung anleiten und unterstützen kann. Im Anschluss an diese allgemeine Abhandlung wird noch einmal speziell dargelegt, wie sich der durch den Cthulhu-Mythos verursachte Wahnsinn von dem „normalen“ Wahnsinn abgrenzen lässt. Nach einer darauf folgenden Liste über Filme, die sich mit dem Thema „Wahnsinn“ beschäftigen, ist die Einleitung nach 22 Seiten beendet und es beginnt das Kapitel „Geistige Störungen“.

 

Dieses Kapitel beginnt mit Regelerläuterungen und Erweiterungen zum Thema „Geistesstörungen im Spiel“. Neben einer Erläuterung der Spielmechanik findet sich hier vor allem eine sehr gelungene Tabelle, die bestimmte Anblicke und Erlebnisse den Auswirkungen im Spiel gegenüber stellt und je nach Intensität des Stabilitätsverlusts bestimmte, „passende“ Folgen vorschlägt. Diese Tabelle ist äußerst gelungen und hilft dem Laien sicherlich dabei, eine in sich schlüssigere Reaktion auf bestimmte Schrecknisse darzustellen, anstatt einfach den Zufall entscheiden zu lassen, welche Störung und Phobie man sich denn „eingefangen“ hat. Es folgt ein umfangreiches Kapitel über Geisteskrankheiten, die eine Kurzbeschreibung typischer Krankheitsbilder enthält und mit der schönen Tabelle „Zwölf Dutzend Ängste“ abschließt. In diesem Kapitel folgt dann abschließend die Behandlung von „Besessenheit und religiösem Wahn“.

 

In „Die Heilung“ erfährt der Spielleiter alles für das Spiel Wichtige über das Gesundheitssystem im Deutschen Reich, den USA und Großbritannien. Der Beruf des ‚Irrenpflegers’ wird kurz vorgestellt, bevor dann die Psychotherapie und Heilmethoden systematisch angegangen werden. Zu den einzelnen Therapien gibt es wieder Ergänzungsregeln, um zu sehen, wie sehr diese bei den betroffenen Charakteren anschlagen. Zum Abschluss des Kapitels werden noch einige Sanatorien und Heilanstalten vorgestellt, die der Spielleiter mit wenig Aufwand in sein Spiel wird übernehmen können.

 

Inhalt Teil 2, die Abenteuer „Das verlorene Gestern“, „In Scherben“ und „Das Sanatorium“

Ich werde auf die Abenteuer nur äußerst kurz eingehen, dennoch gilt in diesem Falle wie immer: Wer noch vorhat, diese Abenteuer als Spieler zu „genießen“, sollte jetzt bitte zum Fazit nach unten scrollen und diesen Abschnitt überspringen. (Oder neudeutsch: Spoilergefahr!)

 

Das erste Abenteuer, „Das verlorene Gestern“ von Stefan Franck, hat bereits einiges zu bieten. Die Charaktere erwachen in einem Sanatorium und erfahren nach und nach (in selbst ausgespielten Rückblenden), wie sie es dorthin „geschafft“ haben. Neben den zahlreichen Rückblenden, ausgelöst durch Schlüsselereignisse und Funde, der spannenden Flucht, verwirrten Professoren und Inka-Mythen vermag dieses Abenteuer vor allem durch die Wendungen und interessanten Figuren zu bestechen.

 

Das zweite Abenteuer, „In Scherben“ von Christoph Maser, verlangt Spielleiter und Spielern einiges ab und ist als One-Shot mit vorgefertigten Charakteren konzipiert. Die Charaktere sind Ziehkinder eines reichen Fabrikanten und dessen Erben. Nach dem Ableben des Ziehvaters kommt ein mysteriöses Testament zum Vorschein, dessen Anweisungen sich nicht auf den ersten Blick erschließen wollen. In der Folgezeit wird die Bestattung zur Tragödie, es kommt zu einer Massenpanik, die Firma macht Probleme, eine neue Leiche taucht auf und plötzlich erscheint es, als lauere hinter der bestehenden Realität noch eine weitere…

 

Das dritte und letzte Abenteuer ist „Das Sanatorium“ von Keith Herber. Die Charaktere gelangen auf Einladung eines Bekannten auf eine Insel mit einer Heilanstalt. Im Sanatorium angekommen, stellen sie fest, dass das gesamte Pflegepersonal auf grausame Weise ermordet wurde, und auch ihr Rückweg versperrt ist. Zwischen den Insassen und einem Wahnsinnigen, der auf der Insel herumstreift, heißt es jetzt nur noch: Überleben!

 

Fazit:

Der Band kann auf ganzer Linie überzeugen. Während die Hintergründe sehr gut und für einen medizinischen Laien hervorragend verständlich geschrieben worden sind, wurde auch nicht vergessen, immer auf die Einzelheiten einzugehen, die das Ganze für die Darstellung im Rollenspiel interessant machen. Zahlreiche Tabellen, Beispiele und Infokästen lockern den reinen Fließtext stets auf und erläutern und ergänzen die für den Spielleiter wichtigen Infos. Die Hintergrundkapitel über den Wahnsinn und seine möglichen Auswirkungen auf das Spiel ließen sich auch problemlos in Spielerhände übergeben, wären da nicht die Abenteuer, die immerhin gut die Hälfte des Bandes ausmachen.

 

Positiv findet Berücksichtigung, dass viele Elemente aus dem Buch direkt ins Spiel übertragen werden können, und das Ganze nicht zu sehr „verwissenschaftlicht“ daherkommt. So sind die Tabellen, die NSC und die Anstalten wirklich solide gemacht. Auch ein neuer Beruf erweitert das Regelwerk. Sicherlich wird man von dem Hintergrundteil nicht alles gebrauchen können, dennoch ist der Wahnsinn der Charaktere im fortgeschrittenen Spiel bei Cthulhu ein so zentraler Bestandteil, dass man dieses Buch uneingeschränkt empfehlen kann, wenngleich es auch kein unabdingbares „Muss“ ist.

 

Zwei der Szenarien, insbesondere das zweite, richten sich erkennbar an sehr erfahrene Spielleiter und Spieler. Anfänger könnten hier aufgrund der Spieltiefe überfordert sein. Dennoch bestechen gerade diese Szenarien durch einen sehr gut ausgearbeiteten Hintergrund sowie hervorragende NSC und SC. Das letzte Szenario ist zwar relativ einfach gestrickt, lässt sich aber mit relativ wenig Vorbereitung sehr stimmungsvoll und spannend umsetzen und ist überdies auch sehr einsteigerfreundlich.

 

Wermutstropfen des ganzen Bandes ist der relativ hohe Umfang, der in dieser Tiefe kaum vollständig wird ausgeschöpft werden können. Hier wäre eine Umsetzung schön gewesen, die noch „näher am Spiel“ ist. Auch der fehlende Index wirkt sich leicht negativ auf das Gesamtbild aus. Volle Punktzahl jedoch erhält das Produkt für sein Layout, und auch die Szenarien überzeugen mich vollauf, wenngleich diese teilweise ein wenig zu lang geraten sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Szenario bei Horror-Rollenspielen wesentlich stimmungsvoller ist, wenn man es an einem Abend leiten kann. Außerdem wäre es schön, wenn man die (von Marc Maiburg und Alexander Schmidt wunderbar gestalteten und detailverliebten) Handouts auch in elektronischer Form bekäme, sei es durch einen Download-Code im Buch o. ä. Bei einem so schön gestalteten Hardcover habe ich immer größte Bedenken, dieses auf den Kopierer zu legen und so die Bindung zu strapazieren. Wie immer überzeugt Pegasus auch in diesem Band durch Detailliebe und unglaubliche Fleiß-, und Recherchearbeit, so dass – auch wenn die Szenarios teilweise zu lang sind und das Buch generell den fortgeschrittenen Spielleiter als potenziellen Käufer anspricht – hier in jedem Fall eine Wertung deutlich oberhalb von 4 Punkten abzugeben war.