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Ratten! (2.Rezi)
Bewertung:
(4.0)
Von: Carsten Bockelmann
Alias: Tzelzix
Am: 17.11.2008
Autor:David Grashoff, Daniel Mayer, Fabian Mauruschat.
Typ:Grundregelwerk & Abenteuer
System:Ratten!
Setting:Die Rattenburg
VerlagPrometheus Games
ISBN/ASIN:978-3-941077-01-0
Inhalt:56 Seiten Regelwerk, 14 Seiten Abenteuer, Softcover
Preis:11 EUR
Sprache:Deutsch

Erster Eindruck

Wahrhaftig ansprechend, anders kann man es nicht sagen. Die äußere Präsentation macht viel Laune auf den Inhalt und auch die vollfarbige Seitengestaltung wirkt ansprechend. Die Illustrationen sind durchgängig sehr gelungen und setzen sofort einen Akzent für die Stimmung, die man mit diesem Rollenspiel verknüpft. Viel versprechend ist er also, der erste Eindruck.

 

Inhalt

Das Grundregelwerk von „Ratten!“ gliedert sich im Wesentlichen in drei Teile: Grundlegende Regeln inklusive Charaktererschaffung, eine Beschreibung der Spielwelt und ein Einstiegsabenteuer.

 

Die Regeln

Nach einer anfänglichen Kurzgeschichte, die in die Welt von Ratten einführt und das Thema des Settings gut einfängt, folgt sogleich ohne große Umschweife die Charaktererschaffung, die sich in wenige simple Schritte gliedert. Es müssen Punkte auf die Grundattribute einer jeden Ratte verteilt, ein paar erlernte Talente gewählt und ein Trick ausgesucht werden. Fehlen darf aber natürlich auch nicht die Wahl einer geeigneten Rotte, in welche sich die kleinen Nager aufteilen lassen. Deren Beschreibung ist etwas vom Rest der Charaktererschaffung entfernt, so dass man ein kleines bisschen blättern muss, um sich eine Rotte für seine neugeborene Ratte auszusuchen. Die Beschreibung der Rotten orientiert sich stark an den Fraktionseinträgen in den World of Darkness Bücher inklusive der plakativen Meinung einer bestimmten Rotte über ihre Artgenossen. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rotten sind nicht nur kultureller Natur, da es für jede Rotte zwei Sonderregeln, in Form eines Nachteils und eines Vorteils, gibt. Dazu passend sind auch Empfehlungen für die Charaktererschaffung aufgeführt, die helfen, einen „typischen“ Vertreter einer Rattenrotte zu erschaffen. Mit 13 Talenten und 20 Tricks fallen die Wahlmöglichkeiten eher begrenzt aus, für eine Charakterratte sollte das aber allemal reichen.

 

Direkt nach der Charaktererschaffung folgen dann die allgemeinen Regeln zur Abhandlung von sog. Prüfungen, also Proben auf die Fähigkeiten einer Ratte. Das System stützt sich auf die vier Attribute der Ratten - „clever“, „sozial“, „schnell“ und „stark“. Es werden jeweils zwei kombiniert und eine Anzahl von Würfeln, die der Summe der Attribute entspricht, gewürfelt. Die Summe der höchsten zwei Würfel gibt das Ergebnis an, mit dem man gegen eine Schwierigkeit bestehen muss. An dieser Stelle gibt es nur eine grobe Richtlinie, welche Schwierigkeit sich in etwa in welchen Wert umsetzt, es fehlen aber Beispiele, die über die simpelsten Anwendungen hinausgehen. Ergänzt wird diese einfache Mechanik noch durch einen Abschnitt über Patzer und Glücksgriff (besonders gute Probe) und die Handhabung von konkurrierenden Proben. Etwas verloren wirkt allerdings der kleine Absatz zur Regelauswirkung von Steigerungen, welcher mit der Legendenbildung der Ratten zusammenhängt, die zwei Kapitel später folgt (und da wohl auch wesentlich besser aufgehoben wäre). Im Anschluss an die allgemeinen Regeln zur Abhandlung von Proben folgt ein kurzes Kapitel über den Kampf, welcher im Prinzip nur die konkurrierende Proben um Initiative und die Kampfoptionen „Festbeißen“ (genau dies) und „Überwältigen“ (ohne physischen Schaden) erweitert. Ein kleiner Absatz zur Heilung von Wunden rundet das ganze ab.

 

Im Anschluss an die Basisregeln folgt ein Kapitel über die Lieder, die Ratten sammeln können, um sich neue Namen zu verdienen. Neue Namen sind gleichbedeutend mit Steigerungsmöglichkeiten, wie sie im Regelteil zuvor dargelegt wurden. Die drei Kategorien Fang, Herz und Auge bilden die Basis für diesen Mechanismus. Jede bedeutsame Tat kann in eine Steigerung oder Senkung einer dieser Lieder-Werte umgesetzt werden, so dass besonders heroische, aber dumme Taten z.B. zu einer Steigerung der Fang-Lieder, aber zu einer Senkung der Auge-Lieder führen können. Zusätzlich dazu sind den Rotten, die im Anschluss detailliert beschrieben werden, Hauptlieder zugeordnet, welche für die jeweilige Rotte bei der Vergabe von neuen Namen am wichtigsten sind. Einen neuen Namen erhält man allerdings nur, wenn innerhalb eines Abenteuers viele Punkte gesammelt wurden. Ein paar zusätzliche Regelungen, wie eine Ratte versuchen kann, den Ahnenrat, welchem die Erlebnisse vorgetragen werden und der die Namen vergibt, ein wenig zu manipulieren (Ausschmücken nennt sich das z.B.) runden diesen Vorgang ab. Im Spiel lässt sich dieser Mechanismus z.B. sehr stimmungsvoll als ein Bericht vor dem versammelten Rottenrat einer jeden Ratte integrieren, so dass die Vergabe von Liederwerten und Namen nicht nur ein Regelkonstrukt ist, sonder auch spielerische Relevanz hat. Da man nur über neue Namen zu Verbesserungen seiner Rattenwerte kommt, scheinen die Werte in den Liedern zunächst nutzlos, doch erfüllen sie weiterhin den Zweck, eine Rangfolge unter den Ratten herzustellen. Innerhalb einer Gruppe von Ratten hat nämlich die Ratten mit den meisten Punkten in einer Kategorie die Entscheidungshoheit in derartigen Angelegenheiten und je höher der Lied-Wert, desto bekannter ist eine Ratte, so dass sich andere evtl. respektvoll verhalten oder gern helfen.

 

Das finale Kapitel des Regelteils von „Ratten!“ ist die Beschreibung der Rotten, die in der Rattenburg hausen. Genau genommen ist dieser Abschnitt ebenso Teil der Spielwelt wie der Regeln, da die Rattenfraktionen stark zur Gestaltung der Rattenburg beitragen. Jeder Eintrag besteht aus einem einführenden Text, ein paar kurzen Sätzen zum gemeinsamen Äußeren der Rotte, einem Abschnitt über die Sitten und das Revier, Tipps zur Charaktererschaffung, ein paar Beispielen für bekannte Persönlichkeiten (ihre Namen und die dazugehörigen Taten) und schließlich ein Kommentar zu den anderen Rotten. Jeder der sieben Rotten wird in etwa drei Seiten Text Leben eingehaucht. Trotz der Kürze werden die wesentlichen Unterschiede klar und man bekommt sofort ein paar Ideen mitgeliefert, wie man eine Ratte der entsprechenden Rotte gestalten könnte.

 

Die Rattenburg und das Drumherum

Nahtlos auf die Beschreibung der Rotten und ihrer Reviere aufbauend wird die Rattenburg, ein altes verlassenes Kaufhaus, in aller Kürze detailliert. Hier findet man keine endlosen Beschreibungen interessanter oder wichtiger Orte, vielmehr wird kurz aufgezeigt, wie die Welt der Rattenburg beschaffen ist, welche Rotte ungefähr wo haust und welche Gefahren teils in den Etagen lauern. Die Beschreibung ist trotzdem sehr effektiv und stimmungsvoll, weil jeder Mensch sich unter einem Kaufhaus bereits viel vorstellen kann und damit kleine Hinweise auf die Veränderungen und den Blickwinkel der Ratten bereits ein fabelhaftes Bild der Spielwelt herbeizaubern.

 

In diesem Sinne bemühen sich die Autoren dann auch im nächsten kurzen Abschnitt den passenden Blickwinkel (auch aus Sicht der biologischen Voraussetzungen einer Ratte) zu erklären und die Ratten der Rattenburg im richtigen Licht dastehen zu lassen - nämlich als vermenschlichte Nager, die aber dennoch allen Einschränkungen einer Ratte unterliegen (z.B. keine Daumen). Hätte man diesen Text evtl. als Einleitung noch ein wenig erweitert, wäre daraus sicher eine gute Einführung in die generelle Thematik geworden. So bleibt es allerdings ein guter Hinweis, der aber eigentlich nur leicht erweitert erklärt, was vorher schon gut indirekt vermittelt wurde.

 

Die nächsten beiden Kapitel des Buches reihen sich dann ein, den Blickwinkel der Ratten noch etwas zu vertiefen und beschreiben zunächst einige Legenden und Sagen der Ratten, die im wesentlichen mit den Erbauern (so nennen die Ratten die Menschen) und den Ratten selbst zu tun haben. Hier kann man durchaus bereits Anregungen für Abenteuer oder auch kleine Einstreuungen zur Vertiefung der Stimmung finden. Gleich darauf folgt die Beschreibung einiger „Artefakte“ aus der Sicht der Ratten, zu der z.B. auch die klassische Rattenfalle gehört. Im Wesentlichen lebt auch dieses Kapitel von der stimmungsvollen Beschreibung bekannter Gegenstände und entsprechend gibt es auch ein paar Tipps, wie man weitere „Artefakte“ leicht in die Welt von „Ratten!“ integrieren kann.

 

Natürlich dürfen auch potentielle Gegner nicht fehlen, so dass im Abschnitt „Zähne und Klauen“ einige Tiere mit Werten versehen werden. Da finden sich Katzen, Hunde und Krähen, aber auch Kröten. Das eine oder andere Tier hat besondere Tricks, wie z.B. Schlangen den Trick „Gift“. In aller Kürze gibt es einen Einblick, wie man leicht Kreaturen unserer Welt mit Werten versehen und gegen die Ratten der Rattenburg antreten lassen kann.

 

Schließlich werden noch ein paar Anregungen für Abenteuer gegeben bis dann endlich das Abenteuer „Der Kasten des Lebens“ den interessierten Spieler gleich ein ganzes ausgearbeitetes Szenario an die Hand gibt.

 

Das Einführungsabenteuer

„Der Kasten des Lebens“ ist ein kurzes Einführungsszenario, welches schnell vorbereitet ist und genutzt werden kann, um gleich ohne viel Aufhebens einen Einstieg in die Welt von „Ratten!“ zu finden. In aller Kürze wird die Grundidee dargelegt, wobei es keinen Gesamtüberblick über das Abenteuer gibt, sondern die Geschichte auch für den Rattenmeister erst vollständig klar wird, wenn das Abenteuer komplett gelesen wurde. Einige Tipps für den Einstieg sollen das Zusammenbringen der Rattengruppe erleichtern und gleich darauf wird die erste Begegnung geschildert. Die gesamte Geschichte wird im Prinzip in Form von Begegnungen dargelegt, so dass viel Freiraum für kreative Aktionen der Spieler bleibt und auch Abweichungen vom gedachten Weg gut denkbar sind. Dabei zeigt sich allerdings auch, dass wie schon zuvor ein Rollenspieleinstieg mit „Ratten!“ nicht unbedingt beachtet wurde, da einem eher unerfahrenen Rattenmeister praktisch keine Hilfen zur Ausgestaltung an die Hand gegeben werden. Die Beschreibung der Ratten, auf welche die Spieler treffen können, sind stets komplett mit allen Regeln inbegriffen, was zwar das Szenario etwas aufbläht, aber den praktischen Aspekt hat, dass man nicht blättern muss. Angesichts des geringen Regelumfangs wäre dies aber nicht unbedingt notwendig gewesen.

Der Ausgang des Szenarios ist schlussendlich auch sehr offen gestaltetet, so dass die Spieler mehrere Wahloptionen haben und bei geschicktem Vorgehen und entsprechenden Entscheidungen im Prinzip nicht einmal kämpfen müssten. Insgesamt eine schöne Idee, deren Ausgestaltung hier und da noch etwas mehr Liebe vertragen könnte.

 

 

Qualität und Verarbeitung

Die Qualität des Buches ist ausnahmslos gut, was den Druck und die Bindung (soweit man das nach ein paar Tagen beurteilen kann) angeht. Der Vollfarbdruck macht einen guten Eindruck und bringt das Layout und die überall eingestreuten Illustrationen voll zur Geltung. Bis auf einige Blocksatzschwächen wirkt der Text insgesamt gut gesetzt und die Illustrationen sind alle in einem einheitlichen Stil gehalten. Ärgerlich hingegen sind einige Fehler im Text, die offenbar beim Lektorat/Korrektorat übersehen wurden. Im Wesentlichen sind dies Wörter, die offenbar bei Veränderungen des Textes gegenüber der vorigen Version versehentlich nicht gelöscht wurden und damit deplatziert mitten in einem Satz stehen. Innerhalb der knapp 70 Seiten sind ca. 4 solcher Fehler ins Auge gesprungen, was bezogen auf die Textmenge auffällig viel ist. In der frei herunterladbaren Online-Fassung wäre das vielleicht noch entschuldbar, aber bei einer Druckfassung erwartet man doch einen höheren Qualitätsstandard.

 

Fazit:

„Ratten!“ ist wirklich ein gelungenes Werk, welches einfache Regeln und ein griffiges Setting mit einer tollen Aufmachung vereint. Der Preis der Regelwerke motiviert ebenso zum Kauf wie das Äußere, so dass kaum ein Sammler widerstehen dürfte, dieses schnuckelige kleine Buch seinem Regal zuzuführen. Ein paar kleine Flecken der Dunkelheit gibt es allerdings schon: die erwähnten Lektoratsschwächen müssen einfach nicht sein, gerade bei einem eher kurzen Werk wie dem „Ratten!“ Grundregelwerk sind mehrfache Fehler der aufgezeigten Art eigentlich nicht verzeihlich. Inhaltlich bleiben allerdings auch noch ein paar Wünsche offen, die wohl der Kürze des Buches geschuldet sind. Am schmerzlichsten ist dabei, dass keinerlei Einführung stattfindet – weder für Spieler noch Spielleiter – so dass im Prinzip verspielt wurde, gerade Hobby-Einsteigern zusammen mit den sehr einfachen Regeln ein rundes Einstiegspaket abseits der großen Fantasy oder SciFi-RPGs zu geben. Ferner stören mich persönlich Ungenauigkeiten im Regelteil, insbesondere z.B. bei den Talenten, die nicht immer ganz klar werden lassen, ob man mit dem entsprechenden Talent jetzt einfach alles über das Thema weiß oder doch nur einen Bonus auf einen „clever“ Wurf bekommt. Dahingehend wären, wie bereits erwähnt, einige Kurzbeispiele sicher hilfreich gewesen.

 

Alles in allem ist „Ratten!“ aber sehr empfehlenswert, wenn man diese Art von stark fokussierten Rollenspielen mag. Meine persönliche Hoffnung ist, dass dies im Bereich der deutschen Rollenspiele vielleicht ein Aufstreben des Independent-Bereichs einläutet, für den es im Vergleich zur englischsprachigen Szene kein echtes Äquivalent gibt. Typische für Indi-RPGs ist jedenfalls diese Art der thematischen Fokussierung und die eher schlanken Regeln, welche dem Zweck dienen, die Intention des Spiels zu unterstützen und nicht unbedingt zum Selbstzweck werden.