Arcana UnearthedSeit dem Erscheinen der dritten Edition von D&D ist der Stern Monte Cooks mehr und mehr aufgegangen. Schon seine ersten Gehversuche abseits von Wizards of the Coast sorgten für Furore, und heute ist es der vielleicht einflussreichste unabhängige Designer für D&D. Nun hat er sich an ein eigenes Spielerhandbuch gewagt, an eine Alternative zu D&D selbst. Hat er sich damit überschätzt?
Arcana Unearthed heißt Cooks Eigenwerk, ein Titel in Anlehnung an Unearthed Arcana, ein Buch voller Optionen aus Zeiten des ursprünglichen D&D, und bald auch für D&D 3.5 von Wizards im Handel. Und als Buch voller Optionen will Cook das Buch auch verstanden wissen, obwohl es sehr viel besser funktioniert, wenn man es eigenständig behandelt und nicht freizügig mit den originalen D&D-Regeln mischt.
Erste EindrückeDer Umschlag des Buches ist sehr gut gelungen; auf schwarzem Grund stellt sich einem ein Planetensystem dar, das Teile des Buches ins Auge ruft. Cook wählt damit bewusst einen Gegenpfad zu der üblichen "Zauberbuch-Optik" der Grundregelwerke. Die Schrift des Buches ist klein, aber gut lesbar, und in einfachem schwarz auf weiß gehalten. Auch die mehr oder weniger gelungenen Illustrationen - sie reichen von hervorragend bis grauenvoll - sind schwarzweiß. Insgesamt ist das Layout des Buches zwar nicht hässlich, aber doch unscheinbar und funktional. Da längst nicht alle künstlerisch gestalteten Bücher die Klasse der Forgotten-Realms-Bücher haben, ist dies ein erfreulicher Zug, der die Lektüre zu einem die Augen schonenden Erlebnis macht. Arcana Unearthed (AU) ist ein OGL-Buch, das bedeutet, es fehlt die d20-Lizenz und das bekannte Zeichen auf dem Cover. Die Entscheidung für OGL fiel, damit Monte Cook eigene Basisregeln im Buch abdrucken konnte. Einerseits wird dadurch manche Information für D&D-Spieler doppelt abgedruckt, andererseits ist das Buch so als Spielerhandbuch eigenständig; man benötigt das Buch von WotC nicht.
Blick aufs DetailDas Buch ist in ein Vorwort, neun Kapitel und einen Anhang aufgeteilt. Jedes Kapitel beginnt mit einem kleinen Einführungssatz, der die Stimmung der zugrunde liegenden Welt wachrufen soll.
Die "Introduction" stellt das Buch und seine Ursprünge vor. Grundsätzlich geht es Monte Cook darum, wieder Leben und Auswahlmöglichkeiten in das D&D-Spiel zu bringen und gleichzeitig von allzu vielen und allzu exakten Regelinterpretationen abzurücken, zugunsten von Erzählstärke und bewussten Entscheidungen des Spielleiters. Das Buch ist laut Cook ein Regelwerk für erfahrene Spieler, ein hochtrabender Anspruch, dem er allerdings gerecht wird. So gibt es zum Beispiel keine Gesinnungen in AU, sondern Cook erwartet von jedem Spieler, seinen Charakter auf eigene moralische Füße zu stellen.
"Chapter 1: Abilities" kann kaum eine Neuerung oder Veränderung aufweisen. Cook druckt hier die Tabelle zur Veränderung von NSC-Haltungen ab, die auch im Spielleiterhandbuch zu finden ist, und er führt eine Intelligenzprobe ein, um sich an Dinge zu erinnern. Ansonsten fällt nur auf, dass die Bonuszauber aufgrund hoher Attribute nun sowohl auf die verfügbaren Zauber als auch die verfügbaren Zauberslots angewandt werden; ein intelligenter Magister (siehe Chapter 3) kann also mehr Zauber wirken, sich aber auch mehr Zauber merken.
"Chapter 2: Races" ist die erste Gelegenheit für Cook, seine Kreationen zu präsentieren. Es gibt keine der altbekannten Fantasyrassen, sondern sieben neue Rassen - und die Menschen:
In diesem Kapitel stellt Cook zum ersten Mal vor, was er unter "freier Entscheidung" versteht. Jede dieser Rassen mit Ausnahme der Menschen besitzt drei Rassenstufen, die man anstelle von Klassen nehmen kann. Tatsächlich könnte man die Mojh als Rassenstufen der Menschen verstehen. Diese Stufen bringen für die Rasse passende Vorteile mit sich, müssen aber nicht genommen werden. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Konzept, Rassen stärker zu beschreiben und regeltechnisch über ECL +0 zu heben, ohne ihre Spielbarkeit anzugreifen.
"Chapter 3: Classes" ist eines der Prunkstücke von AU. Cook schafft die üblichen Grundklassen ebenso ab wie die Grundrassen und stellt elf neue Konzepte vor, denen man folgen kann.
Auch hier steht die Entscheidung des Spielers im Vordergrund. Nahezu jede Klasse besitzt Fähigkeiten, die man aus einer Reihe von verfügbaren Fähigkeiten auswählen kann. Welche Fähigkeiten der Akashic bekommt, welchen Fokus der Champion, usw. Zusätzlich sind drei der Klassen dazu abgestimmt, noch weiter erweitert zu werden; Cook gibt klare Hinweise, wie man neue Champions, Totem Warriors und Witches erschaffen kann, ebenso wie neue Runen für den Runethane z.B. Grundsätzlich neigen die Klassen dazu, wesentlich gleichmäßiger aufzusteigen als D&D-Klassen, die oft schwach beginnen und dann stark ansteigen. Die ersten Stufen der AU-Klassen sind oft recht stark; später würde ich sie gleichwertig zu normalen Klassen sehen, und am Ende ihrer Karriere leicht unterlegen. Allerdings scheinen mir die Zauberklassen nicht so davonzuziehen wie es ihre Gegenstücke in D&D tun, was auch am Zaubersystem liegt (siehe dort).
"Chapter 4: Skills" kommt den meisten wieder sehr bekannt vor. Cook nutzt ein Mischmasch aus 3.0, 3.5 und seinen eigenen Interpretationen. So ist z.B. der SG für Turnen und Konzentration abhängig vom Gegner, und Leise bewegen und Verstecken sind in Sneak zusammengefasst wurden. Im Grunde aber Altbekanntes.
"Chapter 5: Feats" ist vom Konzept her bekannt, in der Umsetzung aber neu. Cook unterteilt die Talente in drei Kategorien: General, Ceremonial und Talents. General Feats stehen jedem zu, der die Voraussetzungen erfüllt. Talents kann man nur auf der ersten Stufe erwerben, und zwar nur eines, in Sonderfällen zwei. Ceremonial Feats benötigen einen Truename, den Wahren Namen, um genommen zu werden. Jeder Spieler entscheidet selbst, ob er einen Wahren Namen hat oder zu den Unbound gehört, die eben keinen haben. Neben dem Vorteil, dass Unbound zwei Talente besitzen können, äußert sich der Unterschied vor allem in der Magie (siehe dort). Auch gibt Cook jedem Charakter zwei Talente zu Beginn, Menschen somit sogar drei.
"Chapter 6: Equipment" bietet neue Waffen und Rüstungen sowie zwei Schablonen, die man aufsetzen kann. Devanian bedeutet, dass der Gegenstand aus einem besonders leichten Stahl gefertigt wurde und mit Waffenfinesse genutzt werden kann, Dire wiederum bezeichnet viele gemeine Haken und Spitzen, die zusätzlichen Schaden verursachen können. Es gibt auch viele neue Rüstungen, die nun bis zu einem Rüstungsschutz von bis zu +12 aufsteigen können.
"Chapter 7: Playing the Game" enthält die bekannten Kampfregeln sowie einige Informationen aus dem Spielleiterhandbuch, z.B. die Begegnungsentfernung oder Informationen über Flugfähigkeiten. Cook hat den Zweiwaffenkampf etwas verbessert, indem er ihn in seiner besten Form ohne Abzüge funktionieren lässt. Hier zeigt er uns auch seine Regeln zum Sterben. Cook hat die Grenze, bei der man außer Gefecht gesetzt wird oder stirbt, an den Konstitutionswert des Charakters geknüpft, wodurch besonders harte Charaktere auch länger kampftauglich bleiben. Zu guter Letzt noch hat er Heldenpunkte eingeführt. Diese Punkte, die für besonders heldenhafte Aktionen verliehen werden sollen, können einem Spieler erlauben, außer der Reihe zu handeln, tödliche Angriffe zu überleben oder Proben zu bestehen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Regeln außer Gefecht zu setzen, was explizit der Bewertung des Spielleiters überlassen wird. Vielleicht bedeutet dies, dass der Charakter mit dem brennenden Arm eines Zombies kämpfen kann, dass er vom Dach eines Hauses auf sein Pferd springt, dass er an einem Kerzenleuchter schwingend fechtet; der Spielleiter muss es nur zulassen.
"Chapter 8: Magic" ist das zweite Highlight des Buches. Monte Cook hat das komplette Zaubersystem überarbeitet, und herausgekommen ist ein Prachtstück an einfacher Eleganz, dass dennoch erkennbar D&D ist. Grundsätzlich gibt es keine Zauberlisten mehr; jeder Zauberwirker hat Zugriff auf dieselben Zauber. Diese Zauber sind allerdings unterteilt in simple, complex und exotic, je nach ihrer Macht. Die meisten Zauberwirker haben nur Zugriff auf simple spells, können aber mittels Talenten weitere Zauber "freischalten". Jeder Zauberwirker hat nun eine Anzahl von Zaubern, die er sich merken kann, und eine Anzahl von Zauberslots, die er am Tag verbrauchen kann. Mittels einer Stunde Konzentration und Forschens kann man die Zauber, die man sich merkt, ändern. Aus diesen Zaubern kann man dann frei wählbar zaubern, solange man noch Slots frei hat. Zusätzlich hat jeder Zauber eine Version, die schwächer und damit einen Grad niedriger, und eine Version, die stärker und einen Grad höher ist. Welche Version man zaubert, lässt sich ebenfalls spontan entscheiden. Hinzu kommt, dass man noch die Wirkung bestimmter Talente spontan auf die Zauber aufsetzen kann. Zu guter Letzt kann man noch Slots niedriger Grade in einen Slot eines höheren Grades umwandeln, solange man diesen Grad beherrscht (beispielsweise 3 Slots des zweiten Grades in einen des dritten), oder aus einem höheren Slot mehrere niedrige machen (im Verhältnis 1:2). Der Effekt ist, dass man nie gekannte Flexibilität besitzt, was man wann und wie zaubern kann und möchte. Ein wirkliches Schmuckstück, das dem Grundsystem aus dem Spielerhandbuch um Längen überlegen ist.
"Chapter 9: Spells" macht schließlich alle Befürchtungen zunichte, das Zaubersystem würde AU-Zauberer übermächtig machen. Cook hat die meisten mächtigen Zauber entfernt oder entschärft; so gibt es keine magischen Geschosse, keine "save or die"-Zauber, und Fliegen oder Auflösung sind deutlich schwächer geworden. Zudem fällt auf, dass kein Zauber Komponenten benötigt. Tatsächlich hat Cook die Komponenten, die man zum Zaubern benötigt, den Klassen aufgebürdet. So benötigen Magister ihren Stecken, sowie Worte und Gesten; Witches brauchen Worte, Gesten und ihren Komponentenbeutel; Mage Blades brauchen Worte und ihre Waffe; Greenbonds zaubern nur mit verbalen Komponenten. Ob man also Fehlschlagchance in Rüstung besitzt, hängt nun von der Klasse ab, die man besitzt. Nur einige wenige Zauber benötigen zusätzliche besondere Komponenten, die dann alle Klassen einsetzen müssen. Auch manche Schablonen, die man durch bestimmte Talente bekommt, fordern eine solche Komponente. Im Zaubersystem wird das Konzept des Wahren Namens auch besonders deutlich. Nahezu alle Flüche sowie einige andere Zauber erfordern, dass man den Wahren Namen des Opfers kennt. Wenn man also einen solchen hat, kann man zwar Ceremonial Feats erlangen, wird aber auch verwundbar gegenüber bestimmter Zauber. Weitere Zauber, die einen Wahren Namen benötigen, sind allerdings auch Wiederbelebungszauber; ohne einen solchen kehrt man nicht von den Toten zurück, außer als Untoter. Weitere Auffälligkeiten sind die Schablonen, die Cook für Untote bereitstellt; es gibt keine einfachen Skelette, Zombies oder Geister mehr, sondern stattdessen körperliche oder körperlose Untote. Eine nette, aber keine grandiose Änderung. Zudem sind Heilzauber rar gesät und leicht entschärft: Entweder wandelt man Schaden in Betäubungsschaden um (und ist so nicht sofort geheilt), oder die Zauber können Narben u.ä. hinterlassen. Alles in allem ist die Allmacht Magie zwar immer noch sehr mächtig, aber auch auf höheren Stufen anscheinend nicht mehr so überwältigend und dominant wie bei D&D, eine mir willkommene Änderung.
FazitIch war kein Fan von Monte Cook; während mir Teile seiner "Books of Eldritch Might" gefielen, fand ich z.B. seinen viel zitierten Waldläufer nicht sehr gelungen. Deshalb war ich zunächst recht skeptisch, was AU betrifft, wurde jedoch schnell zu einem Anhänger dieses Buches. Haben mich die Rassen nicht vom Hocker gehauen, so sind die Klassen und das Magiesystem eine unglaubliche Verbesserung der Grundregeln; sie bringen eine ungeahnte Frische und Freiheit in das D&D-Erlebnis. Überhaupt habe ich seit langem endlich mal wieder begeistert ein Regelbuch von vorne bis hinten durchgelesen. Manche behaupten, die Regeln seien untrennbar mit der ebenfalls erschienenen Kampagnenwelt "Diamond Throne" verbunden, das finde ich jedoch nicht. Zwar sind die Rassen und Klassen voller Stimmung und Flair, aber die Menge an kampagnenspezifisichem Material ist ähnlich dem Spielerhandbuch ohne das Götterkapitel, also kaum vorhanden und leicht trennbar. Es ist natürlich so, dass die Spielwelt die Rassen enthalten sollte, und die Klassen; in welcher Beziehung sie zueinander stehen oder wie sie genau auf die Welt passen, ist jedoch leicht zu ändern. Etwas anders sieht es mit der Kompatibilität zu normalem D&D aus. Grundsätzlich sind die Regeln voll kompatibel und können auch parallel benutzt werden; man kann jedoch nicht einfach so Teile in seine bestehende Kampagne übernehmen, sondern muss genau überlegen, welche Teile man adaptiert, was man vielleicht dafür raus nimmt und wie sich alles auswirkt. Können übernommene AU-Klassen auch das AU-Magiesystem nutzen, oder AU-Talente? Und wenn nicht, wie ändert man dann darauf bestehende Fähigkeiten? Wenn man wirklich eine Mixtur schaffen will, gehört dazu auf jeden Fall einige Arbeit und wohlbedachte Überlegung. Wenn man allerdings bereit ist, AU in Gänze zu übernehmen (vielleicht mit einigen Hausregeln, vor allem bei den Fertigkeiten), dann hat man eine hervorragende Wahl getroffen, die neuen Spielspaß garantiert und auch den Spielleiter wieder ein wenig an die Macht zurück bringt. |
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