Book of Vile DarknessDas Book of "Vile Darkness" (im Folgenden BoVD) ist ein D&D-Quellenband von Wizards of the Coast für den Spielleiter.
Das BoVD ist ein 196-seitiges Hardcover mit angemessen gruseliger Aufmachung: Der plastische Look der Grundregelwerke findet hier wiederum stilvoll Anwendung, allerdings herrschen tiefschwarz und blutrot vor, und auch der ein oder andere Totenschädel fehlt nicht. Ein Aufkleber weist darauf hin, daß sich das BoVD an ein erwachsenes Publikum richtet. Preislich kostet das BoVD nur unwesentlich weniger als das fast doppelt so dicke "Epic-Level Handbook" - ein starkes Stück. Auch im inneren wird der Layout-Stil der Grundregel- und Erweiterungsbände beibehalten. Die Illustrationen sind überwiegend qualitativ ganz fantastisch und setzen im Vergleich zum Epic-Level Handbook oder dem Manual of the Planes nochmal einen drauf; insbesondere das Bild des Dämonenprinzen Orcus hätte als Poster eine große Zukunft vor sich.
Bevor ich mich dem Inhalt des Werkes zuwende:
Selten war ein D&D-Produkt bereits vor seiner Veröffentlichung so umstritten wie das BoVD. Ein Quellenband, der sich mit dem Bösen beschäftigt? In dem Folter, Menschenopfer und Drogen behandelt werden? Binnen kürzester Zeit kochte die Hysterie über: Einige befürchteten, das BoVD liefere Munition für einen neuen Feldzug der "Allianz der Dummheit" gegen D&D, wie es in den USA schon vor Jahrzehnten einmal geschah. Andere (darunter "Drachenlanze"-Autor Tracy Hickman) fanden den Grundgedanken dieses Buches so widerwärtig, daß sie sich bereits vor Erscheinen des BoVD in Haßtiraden ergossen. Hinzu kam die nicht allzu gelungene Werbung: Im Dragon Magazine Nr. 300 kam ein Special, in dem ein anderer Autor vom BoVD inspirierte Zauber und Prestigeklassen vorstellte. Dieses Special ließ an Qualität arg zu wünschen übrig. Das mittelmäßige Abenteuer im Dungeon Magazine Nr. 95 war zu Werbezwecken auch nicht gerade hilfreich.
Fakt ist: Dieses Buch gehört nur in die Hände von Spielleitern, die eine gewisse geistige und sittliche Reife aufweisen können. Fakt ist aber auch, daß bereits in ganz normalen D&D-Runden Mord und Totschlag betrieben wird. Es ist jeder D&D-Runde selbst überlassen, wie weit sie mit den Themen, die in diesem Buch angerissen werden, gehen will. Und wie schlimm ist es wirklich? Das BoVD beschäftigt sich auf einer eher oberflächlichen Ebene mit garstigen Dingen wie Folter und Vergewaltigung. Hier trägt der intelligente und besonnene Schreibstil von Monte Cook dafür Sorge, daß das BoVD nicht zur Horrorshow wird. Im weiteren Verlauf finden wir z.B. Talente, für die man Sex mit einem Untoten haben muß oder Zauber, für die man ein Gehirn verspeisen soll. Nicht lecker, wahrlich, aber diese Dinge machen maximal 10% des Buches aus. Die Bilder sind etwas blutrünstiger als gewohnt, aber nicht schlimmer als das, was man in einem normalen Comicladen vorfinden wird. Letztendlich wird hier nur das einmal explizit gezeigt, was bei D&D ohnehin stattfindet: Auch ein Paladin richtet mit seinem Schwert eine ziemliche Schweinerei an. Jedermanns Geschmack ist das BoVD somit also nicht. Im Folgenden möchte ich mich auf einer rein inhaltlichen Ebene mit dem Nutzen dieses Buches für den Spielleiter einer D&D-Runde beschäftigen. Das BoVD ist in eine Einführung, acht Kapitel und einen Appendix unterteilt.
EinführungIn der Einführung stellt Monte Cook klar, daß dieses Buch ein Werk der Fiktion ist und nicht etwa das Böse glorifizieren soll. Desweiteren weist er den Spielleiter an, seinen Spielern keinen Zugriff auf dieses Buch zu ermöglichen. Außerdem warnt er davor, dieses Buch übermäßig zu benutzen, da ansonsten ein gewisser Sättigungseffekt bei Spielern und SL eintreten könne. Schließlich stellt er noch klar, daß er in Wirklichkeit ein netter Kerl ist. Natürlich weiß jeder, der schon einmal "Return to the Temple of Elemental Evil" gespielt hat, daß Letzteres eine klare Lüge ist.
Kapitel 1: Die Natur des BösenIn diesem Kapitel beschäftigt sich Monte mit der Natur und den Erscheinungsformen des Bösen im D&D-Spiel. Gleich zu Anfang findet sich eine sehr geistreiche Abhandlung über das Gesinnungssystem bei D&D, das ja oft im Kreuzfeuer der Kritik steht. Monte erklärt dort noch einmal, warum das Böse bei D&D so absolut definiert ist (im Vergleich zur "relativen" Definition, die in der wirklichen Welt zum Tragen kommt) und welchen Sinn diese Schwarz-Weiß-Malerei im Spiel erfüllt. Einige Beispielsituationen für böses und nicht-böses Verhalten werden aufgezeigt.
Im weiteren Verlauf finden sich Beispiele für böse Handlungen (von Diebstahl bis Mord) und Fetische (von Masochismus bis Nekrophilie), teilweise mit Ideen, wie diese regeltechnisch umgesetzt werden könnten. Einige neue und besonders finstere Götter werden vorgestellt; außerdem zwei neue böse Rassen (eine menschenähnliche Rasse und ein Volk degenerierter Halblinge), die mit interessanten Hintergrundgeschichten versehen sind.
Schlußendlich finden sich Tipps und Beispiele zum Erschaffen von Bösewichten und bösen Orten in diesem Kapitel wieder.
Kapitel 2: Regelvariationen.In diesem Kapitel stellt Monte Cook die regeltechnische Abhandlung von unangenehmen Dingen wie Besessenheit, Menschenopfern und Flüchen vor. Hier muß jeder SL selbst entscheiden, ob und wie er diese Dinge nutzen will. Regeln für Menschenopfer braucht nicht jeder, aber wenn man denn unbedingt welche haben möchte, ist man mit diesen nicht schlecht beraten. Andere Dinge, wie etwa der Todesfluch, sind dagegen sehr atmosphärisch und wirklich eine interessante Angelegenheit.
Kapitel 3: Böse AusrüstungHier gibt es Folterwerkzeuge, Hinrichtungsgeräte, Fallen, Gifte, Drogen und makabre Materialkomponenten. Auch hier gilt wieder: Regeln für Folter und Hinrichtung erscheinen so manchem überflüssig (mir auch), sind jedoch dadurch nicht per se schlecht. Die Regeln für Drogen könnten da schon eher Anwendung finden.
Bei den Materialkomponenten (Menschenherz u.ä.) fällt der geringe Preis ins Auge. Da diese Komponenten jedoch unabdingliche Voraussetzung für einige der später vorgestellten Zauber sind, mag das balancetechnisch in Ordnung gehen. Etwas seltsam erscheint es trotzdem; wird im Spiel jedoch für gewöhnlich kaum relevant sein.
Kapitel 4: TalenteCa. 20 Talente gibt es hier zu bestaunen. Die meisten davon gehören einem neuen Talente-Typ an: den "Vile Feats", für die man böser Gesinnung sein muß. Die Talente selbst sind nicht allzu spektakulär; so gibt es etwa ein Selbstverstümmelungs-Talent, daß dem Nutzer einen Bonus auf Einschüchtern-Würfe gewährt. Zwei interessante Metamagie-Talente fallen auf, die den Schaden eines Zaubers teilweise in unheiligen Schaden oder in sogenannte "Vile Damage" (kann nur auf geweihtem Boden geheilt werden) umwandeln.
Kapitel 5: Prestigeklassen18 Prestigeklassen, die ihrer Natur nach in den meisten Kampagnen nur für Nichtspielercharaktere in Frage kommen dürften. Die meisten dieser Klassen sind Diener eines Erzteufels oder Dämonenprinzen; außerdem gibt es Klassen wie den nicht ganz geschmackssicheren "Cancer Mage" (hat ein intelligentes Krebsgeschwür als Vertrauten), den "Vermin Lord" (umgibt sich mit einer wimmelnden Insektenrüstung) und den "Warrior of Darkness" (benutzt magische Salben, um seine böse Macht zu verstärken).
Einige dieser Prestigeklassen erscheinen extrem stark (guter BAB, drei gute Rettungswürfe, hohe Trefferwürfel, viele Fertigkeitspunkte - und das teilweise alles auf einmal!). Wenn man beabsichtigt, diese PKs für Spieler zuzulassen, sollte man sich dessen bewußt sein. Bei PKs für Nichtspielercharaktere spielt die Balance jedoch erfahrungsgemäß keine allzu große Rolle.
Kapitel 6: MagieHier legt das BoVD erst richtig los. Monte Cook hat nach seinen "Books of Eldritch Might" offenbar immer noch genug kreative Energien übrig: 120 Zaubersprüche schüttelt er hier mal ganz locker aus dem Ärmel. Die meisten davon haben den [Evil]-Descriptor. Viele dieser Zauber drehen sich vor allem darum, wie man anderen Schmerz zufügt ? mit kreativen Ergebnissen: Zauber, die einen Herzanfall verursachen, Knochenbrüche, Wasser in den Lungen - alles da. Auch sonst beeindruckt die Zauberliste durch ihre schiere Gemeinheit, zum Beispiel mit Zaubern, die andere moralisch erschüttern und schlimmstenfalls böse werden lassen. Einige dieser Zauber haben jedoch besondere Voraussetzungen, zum Beispiel, daß man eine bestimmte Droge nehmen muß oder daß der Zauber nur von einem Dämon gewirkt werden kann..
Aber es geht noch gemeiner: Ein neuer Typus von Zauber, der "Corrupt Spell" wird eingeführt. Diese knapp 20 Zauber sind noch bösartiger als der Rest und können von allen Klassen gelernt werden, die Zauber vorbereiten. Corrupt Spells haben jedoch ihren Preis: sie verursachen beim Anwender beträchtliche Attributsschäden.
Beispiele? "Seething Eyebane", ein Zauber des ersten Grades, läßt die Augen des Opfers explodieren und verursacht zusätzlich Säureschaden. Noch fieser? Kommt sofort: "Love´s Pain" fügt dem Opfer überhaupt keinen Schaden zu, der Person, die ihm emotional am nächsten steht (egal, wo sie sich befindet) jedoch jede Menge.
Als nächstes erwarten uns böse magische Gegenstände: Von Waffen, die das Ziel verfluchen, über Halsketten, die Dämonen beschwören, bis hin zu Artefakten wie dem Stab des Orkus oder dem Despoiler of Flesh (ein Stab, der aus zusammengenähten Zungen gemacht ist und der die Gestalt anderer pervertieren kann).
Kapitel 7: Fürsten des BösenHier findet man das, was man im Manual of the Planes und im Epic-Level Handbook vergeblich gesucht hat: die offiziellen D&D-Statistiken (und ein paar überwiegend sehr gute Bilder) für die neun Höllenfürsten (Asmodeus, Mephistopheles & Co.) und einige Dämonenprinzen (Orkus, Demogorgon, Graz´zt und Konsorten). Im Gegensatz zu den doch eher fragwürdigen Statistiken für Götter, die es in letzter Zeit immer mal zu sehen gab, sind diese Herrschaften für eine Gruppe von epischen Charakteren eine durchaus denkbare Aufgabe. Für alle anderen gibt es Informationen über die Diener der Fürsten des Bösen, so daß dieses Kapitel auch für nicht ganz so hochstufige Gruppen nutzbar ist.
Kapitel 8: Böse MonsterImmer noch nicht genug Monster? Kein Problem: Wer immer noch den ein oder anderen Dämon oder Teufel aus vergangenen Planescape-Zeiten vermißt, wird hier vielleicht fündig. Dazu gibt es weitere alte Bekannte wie das "Eye of Fear and Flame" und (zumindest für mich) neue Monster wie die Kythons.
Außerdem gibt es neben den siebzehn Monstern drei Templates: Das "Bone Creature" und das "Corpse Creature"-Template beschreiben im Endeffekt Skelette und Zombies, die ihre Fähigkeiten behalten. Das "Corrupted Creature"-Template ist für Leute, denen das ganz ähnliche "Fiendish"-Template nicht böse genug war.
Anhang: Böse CharaktereDa das BoVD sich primär an Spielleiter richtet, nimmt dieser Anhang wenig Platz ein. Der Autor gibt Tipps, wie man einen bösen Charakter in eine normale D&D-Gruppe einbindet und natürlich auch Ratschläge für die Handhabung komplett böser Gruppen. Auch hier redet Monte dem Leser noch einmal eindringlich ins Gewissen und weist darauf hin, daß man gut nachdenken sollte, ob diese Art des Spieles allen Beteiligten zusagt bzw. ob die Spieler die erforderliche geistige Reife dafür besitzen.
Fazit:In den Händen eines anderen Autors hätte dieses Buch schnell entgleisen können; Monte Cook jedoch beweist einmal mehr, daß er den Kultstatus, den er bei 3E-Spielern weltweit genießt, verdient hat. Das BoVD ist objektiv gesehen einer der qualitativ hochwertigsten Quellenbände, die seit Beginn der 3. Edition erschienen sind: Hier sind Dinge, die man sofort benutzen kann und die ?richtig eingesetzt- eine Kampagne ungemein bereichern können.
Der Nutzwert liegt natürlich beim SL: Wer eher locker-fröhliches Rollenspiel schätzt, in dem die entflohene Kröte des Gnomischen Illusionisten für die meiste Aufregung sorgt, der sollte sich anderweitig umsehen. Ich selbst leite zur Zeit jedoch eine "Return to the Temple of Elemental Evil"-Kampagne, und das BoVD ist mir dort von größerem Nutzen als das Psi-Handbook, die Klassenbücher, das Manual of the Planes und das Epic-Level Handbook zusammen! Noch einmal: Jedermanns Geschmack trifft dieses Buch bestimmt nicht, aber: Das BoVD sieht nur böse aus. In Wirklichkeit ist es richtig, richtig gut. |
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