Links zur Rezension Mysteries of the Moonsea"Mysteries of the Moonsea" (im Folgenden "MoMs", weil das cooler klingt als "MotM") ist ein Quellenband für die Vergessenen Reiche, der sich mit der Mondsee-Region beschäftigt. Von den Autoren dürfte vor allem Sean K. Reynolds als anerkannter Realms-Guru mit kontroversen Ansichten berühmt und berüchtigt sein.
Erster Eindruck MoMs ist ein 158-Seiten-Hardcover im mittlerweile vertrauten Realms-Look. Das Titelbild geht wie üblich über Front und Rücken des Buches und zeigt eine Abenteurergruppe, die sich an die Zitadelle des Raben heranschleicht. Mir persönlich gefällt es recht gut. Auch im Inneren des Buches ist das Artwork zufriedenstellend; insbesondere die Bilder der Städte wissen zu überzeugen. Allerdings ist quantitativ relativ wenig an Bildern vorhanden; dafür gibt es umso mehr Karten, die qualitativ eher mittelmäßig sind. Auf der Rückseite des Buches findet sich auch der Passus, der MoMS von den bisher erschienenen Regionalbänden unterscheidet: MoMs versteht sich selbst als "Campaign Arc for characters of level 1-18". Der Gedanke hinter diesem Band ergibt sich aus dem Vorwort: "Instead of you having to read an entire regional book and then come up with your own campaign based on that region, this book gives you the basic background information you need to run a campaign in the area and provides you with a large number of completed adventures from which to pick and choose." Was das heißt und ob das klappt, wird im Verlauf dieser Rezension zu ergründen sein.
Inhalt und Aufbau MoMs enthält nach einer kurzen Einleitung, in der die Mondsee-Region insgesamt noch einmal kurz vorgestellt wird, vier große Kapitel: Kapitel Eins beschäftigt sich mit Melvaunt und dem Norden, Kapitel Zwei mit Hillsfar (Fernberg) und dem Süden. In Kapitel Drei geht es dann um Mulmaster und den Osten, bevor sich das vierte und letzte Kapitel mit Zhentil Keep (Zhentilfeste) und dem Westen befasst. Jeder der vier Teile von MoMs wurde von einem anderen der vier Autoren geschrieben. Crunch in Form von Prestigeklassen, Talenten etc. fehlt völlig. Gelegentlich wird auf Elemente aus anderen Realms-Büchern verwiesen; ein Ersatz für Spielleiter, die diese Werke nicht besitzen, wird leider nicht angeboten. Jedes der vier Kapitel beginnt wiederum mit einer Beschreibung der Stadt. Diese Beschreibungen umfassen jeweils acht bis zehn Seiten und geben einen guten Eindruck von der Geographie, den politischen Verhältnissen und der allgemeinen Stimmung der Stadt. Maalthiirs Machtspiele in Hillsfar werden ebenso erwähnt wie der gegenwärtige Stand des Wiederaufbaus von Zhentil Keep.
Allerdings wird schon hier viel Platz mit mehr oder weniger interessanten Nichtspielercharakteren verschwendet, deren Werte mit den neuen Statblocks jeweils locker zwei Seiten der jeweiligen Stadtbeschreibung auffressen. Viele dieser NSCs kommen in den nachfolgenden Abenteuern gar nicht vor. Zudem hätte man sich für die hier vorgestellten Städte, die allesamt zu den interessanteren Örtlichkeiten der Reiche gehören, einen etwas ausführlicheren Rahmen gewünscht. Zhentil Keep ist seit locker zwanzig Jahren die ikonische "Böse Stadt" in den Realms. Und alles, was in der 3E (abgesehen vom Kampagnenset) dazu geschrieben wird, sind zehn Seiten!? Auch nicht schön: Die Ereignisse aus dem ebenso aktuellen wie offiziellen Realms-Abenteuer "Sons of Gruumsh", welches teilweise in Melvaunt spielt, finden keinerlei Beachtung.
Andererseits muss man fast dankbar sein: Bis auf diese vier Städte und einige Örtlichkeiten, an denen die Abenteuer stattfinden, wird nämlich ansonsten gar nichts beschrieben. Ganz recht: Wer mehr über die mysteriöse Ironfang Keep erfahren möchte oder wer als Computerspieleveteran gerne wüsste, was in Phlan so los ist, wird auf den nächsten Mondsee-Quellenband (der in dieser Edition sicherlich nicht mehr kommt) warten müssen. Bis auf kurze Erwähnungen wird auch die Mondsee (das Gewässer) selbst völlig übergangen. Die Autoren haben allerdings auf candlekeep.com inoffiziell ein Web Enhancement angekündigt, dass sich evtl. mit Phlan beschäftigen könnte. Trotzdem hätte man so was gerne im Buch selbst gehabt. "Ja", höre ich den geneigten Leser nun sagen, "aber MoMs versteht sich doch nicht als Regionalband, sondern als Kampagnenband!" Ganz recht, und daran wird sich MoMs im weiteren Verlauf messen lassen müssen.
Nach den Stadtbeschreibungen kommen in jedem der vier Kapitel die "Quests". Dies sind Miniabenteuer und/oder abenteuertaugliche Schauplätze, die in den jeweiligen Gegenden spielen. Diese sind wiederum in jedem Kapitel in "City Quests" und "Area Quests" unterteilt, die also jeweils in der Stadt oder in den umliegenden Gefilden spielen. MoMs enthält 38 dieser Mini-Quests, von denen jede so um die zwei bis vier Seiten umfasst. Diese Quests folgen zum Teil einem verbindenden Handlungsstrang, etwa der Suche nach der Gruft eines Kriegsfürsten oder der Rettung von Sklaven. Allerdings sind sie so locker verbunden, dass man immer mal ein Abenteuer aus einem anderen Handlungsstrang einfügen kann. Der Spielleiter soll so größtmögliche Flexibilität genießen.
Insgesamt soll man mit den Abenteuern aus MoMs in der Lage sein, eine Gruppe komplett von Stufe 1-18 zu bringen. Hierbei sind die Abenteuer in und um Melvaunt (Kapitel 1) für niedrigstufige Charaktere gedacht; danach folgen die Abenteuer in Kapitel 2 und so weiter. Jedes dieser Mini-Abenteuer enthält einen Hintergrund, mehrere Adventure Hooks und eine "Adventure Synopsis", die einen kurzen Abriß über die Ereignisse der Quest geben soll. Und mit "Jedes" meine ich "Jedes in Kapitel 1 und Kapitel 4". In den Kapiteln dazwischen fehlen grundsätzlich eines oder mehrere dieser Elemente. Schön, wenn das mit den "Vier Autoren für vier Kapitel" so gut funktioniert. Genug gefrotzelt: Taugen die Quests, oder Mini-Abenteuer, denn was? Nein.
Man kann es nicht freundlicher formulieren. Das taugt nichts. Die 38 Quests in MoMs bestechen zum größten Teil durch einen profunden Mangel an Ideen und Ausarbeitung. Sie machen eher den Eindruck von hingeschluderten Skizzen für Abenteuer und Locations. Da gibt es haufenweise generische Dungeons, öde Diebesgilden und ähnlich inspirierte Örtlichkeiten (Kanalisation! Ogerfeste! Grabkammern!) Gelegentlich wird es aber auch etwas origineller. Allerdings nicht da, wo man es erwartet: So ist etwa die „Bell in the Depths“ ein Mini-Dungeon unter Wasser mit vier (vier!) Räumen, in denen man aquatische Elfen und Trolle platthauen darf. Auch ist zu bemängeln, dass ein großer Teil der hier präsentierten Quests nicht wirklich typisch für die Region sind. Natürlich ist Sklavenhandel typisch für Mulmaster, aber nichts an dieser Quest ließe sich nicht auch prima in, sagen wir mal, Calimhafen einbauen. Wer ein Abenteuer im eigentlichen Sinne erwartet, ist bei MoMs sowieso falsch: Es gibt kaum echte Handlungsstränge, Ereignisse oder Begegnungen mit interessanten NSCs. Das ist wohl so gewollt; stattdessen werden dem SL kleine Hinweise gegeben, wie er denn nun diese oder jene Örtlichkeit in die Kampagne einbauen könnte. Außer in Zhentil Keep (ausgerechnet!); da hatte Thomas M. Reid wohl keine Lust. Stattdessen präsentiert er pure Örtlichkeiten von einem Tempel des Bane bis hin zur Citadel of the Raven selbst. Ohne Handlung. Ohne einen Funken von Hilfe für den SL, wie denn nun hier ein spannendes Abenteuer stattfinden könnte. Und, ich sage es noch mal: Ohne auch nur eine gute Idee, die das Ganze lohnenswert macht.
Im Gegenteil wird der SL eher Probleme bekommen, wenn er die vorgegebenen Örtlichkeiten ausspielt: So findet sich auch in Kapitel Vier ein Gasthaus mit eingebautem Kidnappingbetrieb. Ruckzuck könnten sich die Spielercharaktere auf dem Sklavenmarkt von Zhentil Keep wiederfinden. Der SL wird mit dieser potenziell desaströsen Situation mehr oder weniger alleine gelassen. Einen etwas besseren Eindruck macht Kapitel Drei: Hier wird tatsächlich etwas mehr Wert auf eine stringente Verknüpfung der einzelnen Quests gelegt. Zumindest bei den Stadt-Quests. Die Wildnis-Abenteuer werden durch „die SC finden eine Karte mit dem nächsten Hinweis“-Hooks verbunden. Jedes. Einzelne. Mal. Und ohne wirklichen Anreiz für die Spielercharaktere, sich das anzutun. Viel Spaß damit, lieber Spielleiter. Natürlich ist bei einem Vorhaben dieser Art ein etwas weniger geradliniger Ablauf gewünscht als bei einem durchschnittlichen Kaufabenteuer. Aber insgesamt muss sich MoMs die Frage gefallen lassen, wem es eigentlich nützen soll. Und damit wären wir auch schon beim...
Fazit: MoMs ist, man kann es nicht anders sagen, ein in Ehren gescheitertes Experiment. Der Ansatz hinter diesem Werk ist so verkehrt nicht, und selbst aus diesem Ergebnis könnte ein sehr engagierter Spielleiter mit viel Zeit und Mühe sicherlich eine Top-Kampagne stricken. Genau diese Leute sind es jedoch, die einen solchen Band am allerwenigsten brauchen; die schreiben ihre eigenen Kampagnen und wären für eine ordentliche Regionalbeschreibung im Zweifel wesentlich dankbarer als für mittelmäßige Mini-Dungeons ohne Handlung. Für den arbeitsscheuen SL, der (wie ich) gerne mit fix-und-fertigen Abenteuern arbeitet, ist MoMs ebenfalls ungeeignet; dafür sind die "Abenteuer" einfach nicht annähernd detailliert genug ausgearbeitet und überwiegend auch nicht gut genug. Was bleibt, sind vier knappe Stadtbeschreibungen sowie 38 Miniquests, die keiner so richtig braucht. Hier und da gibt es allerdings ein paar brauchbare Ideen und die Aufmachung überzeugt wie immer. Am traurigsten an MoMs jedoch ist, dass eine der interessantesten Regionen der Realms für dieses Experiment verheizt wurde. Einen weiteren Band über die Moonsea-Region wird es in dieser Edition wohl nicht mehr geben.
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