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Cthulhu: Expeditionen – Ins Herz der Finsternis
Bewertung:
(4.3)
Von: Ingo Schulze
Alias: Greifenklaue
Am: 16.11.2006
Autor:Matthias Oden, Ingo Ahrens, Michael Cisco, Frank Heller, Peer Kröger, Stefan Sch
Typ:Abenteuersammlung mit Quellenteil
System:Cthulhu
Setting:1920‘s, ein Abenteuer für Gaslight (1890‘s)
VerlagPegasus Spiele
ISBN/ASIN:3937826866
Inhalt:174 Seiten Hardcover
Sprache:Deutsch

Cthulhu: Expeditionen - Ins Herz der Finsternis

Spätestens seit H.P. Lovecrafts Band "Berge des Wahnsinns" haben Expeditionen zu den weißen Flecken der Erde Einzug ins cthulhoide Universum gehalten. Mit dem Band "Expeditionen", mit dem passenden Untertitel "Ins Herz der Finsternis", können nun auch die Spielercharaktere unbekannte Orte weitab der Zivilisation erkunden.

 

Knapp sechzehn Seiten umfasst der Quellenteil des Bandes, die restlichen des insgesamt 174 Seiten umfassenden Hardcovers sind fünf Abenteuern gewidmet.

 

Stefan Schütte, u.a. bekannt durch seine "Pimp my campaign"-Vorträge, stellt in "Wege ins Unbekannte" grundsätzliche Überlegungen zu Expeditionen an: Motivation und Charakter der Expedition, typische Verläufe und ein kleiner Regelteil bzgl. Ausrüstung und Vorräten, welcher von Peer Kröger stammt. Neben der typischen Forschungsexpedition sind grundsätzlich auch ganz andere Typen vorstellbar: Rettungsexpeditionen, Wettrennen oder vielleicht Grabräuberei!?! Das Kapitel eignet sich gut, um eigene Expeditionen zu planen, aber auch, um die vorhandenen Abenteuer noch mehr zu würzen, und erfrischt durch die Bandbreite an Ideen.

 

Sebastian Weitkamp entführt in "Ewiges Eis"die Spieler gen Norden auf eine Rettungsexpedition. Der deutsche Forschungzeppelin Windhund ist seit kurzem über Grönland verschollen, nun konnte ein Funkspruch aufgefangen werden. Doch schon im Vorfeld geschehen mysteriöse Ereignisse. Der schwedische Forscher Prof. Skosnörsen wird im Zug überfallen und die Charaktere können ihm gerade noch so zu Hilfe eilen, bevor die Verbrecher ihr Ziel erreichen können. Scheinbar geht es ihnen um vier Phonographenwalzen, die auch die Neugier der Spieler erwecken sollen. Zurück in Stockholm können diese nun in Augenschein genommen werden. Prof. Skosnörsen gibt an, die Walzen von seinem Kollegen Hans Hubert Haupt aus Dresden geerbt zu haben und gerade auf dem Rückweg gewesen zu sein. Zwar hatten zwei Fraktionen versucht, ihm diese Walzen abzukaufen, er wollte sie sich jedoch erst einmal anhören. Darauf scheint sich eine Vorlesung des Liber Ivonis auf französisch zu befinden und wenn sich die Charaktere bereit erklären, mit dem Prof. gemeinsam der Spur zu verfolgen, führt diese zurück nach Berlin und schon bald in das Rettungsteam der Windhund. Doch spätestens in Grönland zeigt sich, dass einige Fraktionen ganz andere Interessen haben, als den Zeppelin zu retten.

 

Das Abenteuer bietet neben der reinen Expedition mit cthulhoidem Abschluss schon im Vorfeld reichlich Recherche und Spurensuche. Die NSC sind ordentlich ausgearbeitet, die verschiedenen Fraktionen haben nachvollziehbare Motive und auch die Atmosphäre im "exotischen" Grönland wird gut getroffen.

 

Das "Herz der Finsternis" von Ingo Ahrens ist eine Forschungsexpedition ins Belgisch-Kongo des Jahres 1925. An der Seite von Prof. Dr. Duval macht sich das Team auf, um sich an die Spuren des legendären Mokele-Mbembe ("Der den Flusslauf stoppt") zu heften, einer Art Brontosaurus, der im Kongo bis in die Gegenwart überlebt haben soll. Bewaffnet mit reichlich Kupferdraht - zum Bezahlen der einheimischen Träger, die diesen zu Ohrringen und Schmuck verarbeiten - geht es ab Leopoldville den Kongo hinauf mit einem Raddampfer - Tom Sawyer läßt grüßen. Zum Glück helfen die schwarzen Einheimischen bei dem Knochenjob, das Dampfschiff am Laufen zu halten. Fast täglich ist neuer Brennstoff aus den großen Lagern entlang des Flusses zu holen oder selbst zu schlagen. Dazu kommt die Suche nach Hinweisen auf Mokele-Mbembe, wozu Eingeborenen-Dörfer angelaufen werden, die nach und nach immer wilder werden. Und endlich werden in einem der Nebenarme des Flusses sich verdichtende Hinweise gefunden, allerdings dünnt die Zivilisation immer mehr aus: Wilde Eingeborene, verlassene Handelsstationen und ein Militärposten, bei dem die Soldaten sich die Augen verbunden haben, um gegen den unsichtbaren Feind aus dem Dschungel zu kämpfen...

 

Wie beim ersten ist jede Phase des Abenteuers detailliert ausgearbeitet, bei den folgenden drei konzentriert man sich dann im Wesentlichen auf die eigentliche Expedition. Entsprechende Zeit braucht das Abenteuer auch, um sich zu entwickeln. Die möglichen Enden bieten spannende Ausgänge des Abenteuers und sorgen sicherlich für die ein oder andere ethische Diskussion miteinander. Von einer Flussdampferfahrt hat sicherlich der ein oder andere seine eigenen romantischen Vorstellungen und der Dschungel bietet einen guten Kontrast zum ersten Abenteuer.

 

Weiter geht es mit "Curso Cannibale" von Matthias Odem, "eine kleine Geschichte vom großen Fressen", so der Untertitel. Der reiche Erbonkel aus Übersee eines Charakters ist verstorben. Und so kommt der Charakter in den Genuss von viel, viel Geld, wenn, ja wenn Daniel Foster nicht einen kleinen Tick hätte. Sein Erbe vergibt der Multimillionär, Großwildjäger und Industrielle nur an einen gestandenen Burschen, der aus seinem Holz geschnitzt ist. Und da es insgesamt nur noch zwei Verwandte gibt, lässt er sie in einem Wettrennen gegeneinander antreten. Wer schneller den Weg durch den brasilianischen Regenwald zurücklegt, bekommt alles. Und damit das Ganze fair verläuft, werden die Expeditionen von einem Anwalt der Firma Thompson & Blunt begleitet. Aber auch der Charakter wird vermutlich alles tun, um ein schlagkräftiges Team zusammenzusetzen und hoffentlich sowohl die SC als auch ein paar kompetente NSC anheuern, um den unliebsamen Konkurrenten zu schlagen. Dieser ist auch schon eine Woche (die Zeit ab dem jeweiligen Startzeitpunkt zählt) unterwegs, als dann auch die SC von Macapá aus aufbrechen. Erst den Fluss hinauf, dann über Land zum Zielort. Was einem dabei wohl über den Weg laufen könnte, deutet schon der Titel an - wobei hier nicht das Klischee des kannibalistischen Eingeborenen aufgewärmt wird, soviel sei noch verraten.

 

Der Einstieg ins Abenteuer gestaltet sich diesmal nicht als typische Expedition, die Charaktere müssen nicht zwangsläufig Experten sein in irgendeinem Gebiet, das für eine Forschungsexpedition nützlich sein könnte. Eine enge Freundschaft zum Erben qualifiziert schon. Das Ambiente des Abenteuers - Fluss und Regenwald - hat schon Ähnlichkeit mit dem Vorgänger, "Herz der Finsternis", trotzdem ist der Plot grundverschieden. Und auch hier bieten sich einige Lösungsmöglichkeiten an, wo es durchaus spannend wird, wie sich die SC dem Konflikt entziehen und auch hier die eine oder andere moralische Fragestellung zu bedenken sein wird. Positiv fällt hier auch der ausführliche Spieltest auf, der die Erfahrungen des Probespiels zusammenfasst und sich auch nicht schämt, daraus resultierende Änderungen einzuräumen - dazu sind Testspiele ja da. Trotzdem ist Cthulhu mit das einzige System, welches so etwas in offiziellen Publikationen abdruckt.

 

"Die vergessene Stadt" von Michael Cisco mit Ergänzungen von Frank Heller führt dann auf die Spuren der legendären Inkastadt Paititi. Vermutlich kennt jeder noch den Untergang der Inkas und die Eroberung des Gebietes durch Pizarro aus dem Geschichtsunterricht. Nachdem die Spanier Atahualpa ermordet und einen eigenen Herrscher installiert hatten, zerbröckelte das Inkareich. Immer mehr Stämme erkannten Manco Capac II. an. Doch ein Großteil der Herrscherschicht verschwand auf mysteriöse Weise, so die Legende. Sie sollen sich nach Paititi zurückgezogen haben mit all ihrem Gold und den Edelsteinen. Dr. Tregellis hat diese vor kurzem entdeckt und ist nun mit seinem Bruder - Archäologe wie er - mit einer bescheidenen Expedition seit einigen Wochen unterwegs, hat aber seitdem nichts mehr von sich hören lassen. Daher ist die Universität bereit, ein Rettungsteam auszusenden, welches dem auf den Grund gehen soll. Also macht man sich ebenfalls auf den Weg gen Südamerika...

 

Diesmal geht es nur durch den Urwald, bis man ins Hochgebirge kommt. Aber erneut gelingt auch inhaltlich ein anderer Fokus, diesmal das archäologische Interesse an der Inkakultur, so dass das Abenteuer an einem festen Ort, eben Paititi, spielt. Der Plot selbst ist schwer zu beurteilen, aus eigener Erfahrung weiß ich, dass eine solche Auflösung für viele Spieler unbefriedigend sein dürfte. Trotzdem und gerade für eine Gruppe, die vermeintlich schon alles gesehen hat (oder eingedenk der Cthulhu nachgesagten hohen Sterblichkeitsrate: deren Spieler schon alles gesehen haben...), könnte das ein denkwürdiges i-Tüpfelchen in ihrer Investigatorenkarriere sein.

 

Peer Kröger bildet dann mit "Die letzte Reise der Minna B." den Abschluss. Das Frachtschiff Minna B. ist verschwunden, letzte bekannte Position: vor der Küste Norwegens. Doch wenige Tage später ist ein Überlebender aufgetaucht - in Neuguinea, am anderen Ende der Welt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, heuert die Reederei Blohm & Behrens die Charaktere an. Kaum in Finschhafen angekommen, müssen sie feststellen, dass der Überlebende sich an kaum etwas erinnern kann. Aber vielleicht hilft es ja, den Fundort aufzusuchen, welcher mysteriöserweise an einem Fluß im Inland liegt. Gefunden wurde er vom Stamm der Sampan Suku, welche von einem christlichen Missionar, Martens, betreut werden. Doch dort bieten sich den SC noch mehr Ungereimtheiten.

 

Das letzte Abenteuer bildet in der Tat einen erfrischenden Abschluß. Keine Expedition, eher ein Investigationsauftrag, der an einen fremden Ort führt und daher auch einen abgewandelten Abenteueraufbau bildet. Dazu spielt es eigentlich in dem 1890's-Setting, da zu dieser Zeit ein Teil Neuguineas noch deutsche Kolonie war, bevor sie schon zu Beginn des ersten Weltkriegs 1914 Australien zufiel. Insofern spielen auch das Wilhelminische Kaiserreich und der Kolonialismus eine gewisse Rolle, die einfach eine andere Akzentuierung gegenüber den restlichen vier Abenteuern bieten. Die Abenteurer werden einiges zu rätseln haben und sicherlich noch ins Staunen geraten, bevor sie alle Puzzleteile zu einem befriedigenden Ganzen zusammensetzen können.

 

Das Äußere und das Drumherum sind - wie fast nicht anders zu erwarten war - wieder sehr gelungen. Stimmiges Cover mit (südamerikanischer) Pyramide und aztekischer Sonnenscheibe und weiteren Stilelementen. Im Inneren reichlich passende Fotos zu den Abenteuern im typischen schwarz-weiß-Stil, ein paar Anzeigen und zeitgenössische Fotos für jeden NSC. Zeichnungen gibt es keine, mit Ausnahme des Kartenmaterials, darüberhinaus wurde aber auch hier auf Zeitgenössisches zugegriffen. Handouts gibt es genügend, bis zu vier pro Abenteuer, manchmal aber auch gar nix bzw. eine reine Spielerkarte. Ansonsten halt handschriftliche Tagebuchauszüge, Zeitungsartikel, aber nichts zu überfrachtet, so dass ein Charakter nicht mehr ein noch aus weiß, wohin mit dem ganzen Papier. Die Spieltestberichte gibt es nicht zu allen Abenteuern, aber da, wo sie stehen, gibt es noch wertvolle Hinweise für den Hausgebrauch. Auch das Hervorheben von Zusatzinformationen, alternativen Verläufen und Spielleitertipps macht sich zum Zwecke der Übersicht sehr bezahlt.

 

Fazit

Ein hervorragender, hochqualitativer Band mit fünf guten Abenteuern und einem Quellenteil, der hilft, weiteres in der Richtung zu planen. Braucht man allerdings fünf Expeditionsabenteuer? Positiv ausgedrückt, kann man sich die besten ein, zwei Abenteuer rauspflücken, um sie zu spielen. Negativ ausgedrückt heißt das aber auch, dass vermutlich nur die wenigsten je dazu kommen werden, alle fünf zu erleben. Hier macht sich auch bemerkbar, dass dreieinhalb Abenteuer in ähnlichen Regionen spielen und eigentlich andere Regionen mit ganz anderem Ambiente fehlen, z.B. Wüste oder Tiefsee. 25 Euro sind bei dieser Ausstattung im Hardcover und 174 Seiten Umfang mehr als angemessen, um nicht zu sagen fair.