Wer kennt es nicht, zumindest vom Namen her, das Warhammer Fantasy-Rollenspiel? Ursprünglich von Games Workshop als Rollenspiel vor dem Warhammer-Hintergrund aus der Taufe gehoben, ist es inzwischen durch eine Reihe von Inkarnationen und verschiedene Verlage gewandert. Nun liegt es in einer von Feder & Schwert herausgegebenen deutschen Übersetzung vor. Wer mehr über die Geschichte des WFRSP erfahren möchte, dem sei die Wikipedia-Seite (http://de.wikipedia.org/wiki/WFRSP) ans Herz gelegt.
Das vorliegende Buch „Reiche der Magie“ ist nun die deutsche Version des Magie-Quellenbuchs „Realms of Sorcery“, genauer gesagt der zweiten (offiziellen) Auflage desselben. Nach anderer Zählung ist es sogar schon die dritte Auflage, denn die allererste Version wurde zwar nie gedruckt, kursierte aber lange Zeit als inoffizieller Download und fand breite Verwendung. Die verschiedenen Auflagen sind jeweils komplette Neuauflagen mit verschiedenen Inhalten und keineswegs einfache Überarbeitungen des alten Materials.
Erster Eindruck
Stabiles Hardcover, Vollfarbdruck, schweres Papier, prächtiges Titelbild, sehr gute Illustrationen, 254 Seiten – die „Reiche der Magie“ kommen wirklich beeindruckend daher. Trotz leicht gemusterten Hintergrunds ist der Text sehr gut lesbar und die Bindung sieht aus, als würde sie die nächsten zwanzig Jahre gut überstehen. Alles in allem ist „Reiche der Magie“ auf den ersten Blick einfach ein schönes Buch. Das Ganze hat natürlich seinen Preis: 40 Euro ist nicht gerade billig für ein Quellenbuch. Da reicht ein schönes Äußeres kaum aus, um die Investition zu rechtfertigen; also werfen wir einen gründlichen Blick auf den Inhalt. Bekommt man etwas für sein Geld?
Der Einstieg – Einführung und Hintergrund
Das Buch beginnt mit etwas, dem ich normalerweise eher skeptisch gegenüberstehe: Einer Kurzgeschichte. Nicht dass ich grundsätzlich etwas gegen Kurzgeschichten hätte, aber in Rollenspielpublikationen dienen sie meiner Erfahrung nach zu häufig als Füllmaterial und sind von zweifelhafter Qualität. Um so überraschter war ich, als sich diese als spannend und gut geschrieben herausstellte. Sie war nicht wie erwartet eine Darstellung einer Spielsituation in erzählerischer Form, sondern eher ein interessanter Blick darauf, wie die Magie in der Welt gesehen wird und welche katastrophalen Auswirkungen sie haben kann.
Die Welt und die Rolle der Magie darin sind dann auch das Thema der ersten beiden Kapitel des Buches: „Ursprünge und Geschichte der Magie“ und „Vom Wesen der Magie“. Hier wird – gänzlich ohne regeltechnische Bezüge – die Einbettung der Zauberkunst in die Hintergrundwelt beschrieben. Es wird klar, dass es hier nicht um ein Magiesystem geht, das sich für verschiedene Settings anwenden lässt. In Warhammer sind die Regeln aufs engste mit der vorhandenen Spielwelt verwoben. Die Beschreibungen sind denn auch stimmig und lassen sich gut lesen. Ein Fest für diejenigen, denen „Fluff“ wichtiger ist als Regelwerke.
Der Mittelteil – Magie und das Imperium
Auch die Kapitel 3 bis 5, im Einzelnen „Magie und die Gesellschaft des Imperium“, „Die Imperialen Magierakademien“ und „Von Hexen und Hexenjägern“, bestehen ausschließlich aus Hintergrundmaterial, aber sie wenden sich schon konkreter an die Spieler und die direkte Rolle der Magie im Spiel. Schließlich ist das „Imperium“ das bevorzugte Setting für Abenteuer und Kampagnen in der Warhammer-Welt. Insbesondere die Beschreibung der Magierakademien ist für jeden Spieler, der einen Magier vor diesem Hintergrund spielen möchte, unerlässlich, denn ihre verschiedenen Spielarten der Zauberei unterscheiden sich sehr stark voneinander und definieren den Typus des Magiers, den man spielt. So ist zum Beispiel ein Magier des Goldordens (Metalle, Alchemie, Magische Konstrukte) etwas sehr anderes als ein Jademagier (Leben, Pflanzen, Wachstum, Heilung).
Besonders gut gefallen haben mir in diesen Kapiteln die hervorragenden Zeichnungen der verschiedenen Zauberertypen. Sie illustrieren wunderschön, wie unterschiedlich die Akademien sind und welche typischen Merkmale ihre Angehörigen haben. Aber auch sonst gibt es hier eine Fülle von Material, das man sowohl als Spieler wie auch als Spielleiter in der Ausgestaltung von Zauberern - seien es SC oder NSC - verwenden kann. Für Abenteuerideen besonders wertvoll ist das Kapitel 5, denn es behandelt die außerhalb der Gesellschaft stehenden, illegalen Zauberer und ihre Jäger und Henker: Hexen und Hexenjäger.
Regeltechnisches am Ende – Zauber, Hilfsmittel und Runen
In den letzten drei eigentlichen Kapiteln kommen wir dann zum Eingemachten, zumindest was die Regeln angeht. „Magische Lehren“ enthält die Zaubersprüche der verschiedenen Akademien, d.h. Listen aller möglichen Zauber und vollständige Beschreibungen einiger zusätzlicher Sprüche zu denen aus dem Grundregelwerk. Die Magie in Warhammer ist stark, aber gefährlich für den Zaubernden, so dass so manchem Spieler angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, einem oder gar mehreren Gegner auf magische Weise das Lebenslicht auszublasen, das Herz aufgehen wird. Es gibt aber auch viele Sprüche eher allgemein-nützlicher Natur und immer ist zu bedenken, dass die freizügige Anwendung mächtiger Magie den Zaubernden als sabbernden, mit Chaosmutationen verseuchten Idioten enden lassen kann. Auch dazu enthält das Kapitel Regeln.
Das Kapitel „Magische Hilfsmittel“ befasst sich mit der Beschwörung bzw. Erschaffung von Vertrauten, Elixieren und magischen Artefakten, die sicherlich alle eine Bereicherung für jeden Magiercharakter darstellen. „Runenmagie“ stellt dann noch eine spezielle Magieform dar, und zwar die Magie der Zwerge, die eine enge Beziehung zum Imperium pflegen und Zauberei nur durch die Erschaffung verzauberter Gegenstände mit Hilfe von Runen betreiben.
Als jemand, der selber nicht das WFRSP als Spielsystem verwendet, fällt es mir etwas schwer die regeltechnische Anwendbarkeit dieser Kapitel in einer Kampagne zu beurteilen. Sie sind aber ebenso klar und stimmungsvoll geschrieben wie die Hintergrundkapitel und laden geradezu ein, einen Magier zu spielen, um diese verschiedenen Möglichkeiten auszuprobieren.
Der Ausklang – Ein feuriger Abgang
Das Ende des Buches, abgesehen von Referenztabellen und Index, bildet ein Gruppenabenteuer, das passenderweise die Magie zum Thema hat. Ich werde hier nicht näher darauf eingehen, um potentiellen Spielern den Inhalt nicht zu verraten. Es sei nur soviel gesagt, dass es sich um ein detektivisches Stadtabenteuer handelt, und meiner Meinung nach zum oberen Mittelfeld solcher Szenarien gehört. Es ist natürlich bei 27 Seiten nicht übermäßig detailliert ausgearbeitet, aber schöner dargestellt und intelligenter durchdacht als viele andere „Beispielabenteuer“ in Regelwerken. Es hat auch den ganz eigenen WFRSP-Flair mit starken Bezügen zur Spielwelt und einem gewissen schwarzen Humor.
Wermutstropfen
Ich muss schon ziemlich suchen, um etwas zu finden, das sich wirklich bemängeln lässt, aber die Kapitelüberschriften sind misslungen. So gut Satz, Layout und Illustration sonst sind, die Hauptüberschriften der Kapitel kann man kaum lesen, weil die schwarze Schrift in dem Hintergrundbildchen fast verschwindet. Der Preis von 40 Euro kann natürlich ein Loch in die Börse des einen oder anderen Spielleiters reißen, aber man kann nicht sagen, dass er bei der Qualität des Buches nicht angemessen wäre.
Fazit:
Insgesamt kann ich nur sagen, dass mir „Reiche der Magie“ sehr gut gefallen hat und Lust darauf macht, selber einmal das Warhammer Fantasy-Rollenspiel auszuprobieren. Produktion und Übersetzung sind von ausgezeichneter Qualität – was sich natürlich im Preis widerspiegelt. Inhaltlich trägt das Ganze von oben bis unten die Handschrift der Warhammer-Publikationen: Ein stimmungsvoller, einzigartiger Hintergrund, in den sich die Regeln einbetten und ihn unterstützen.
Letzteres hat natürlich den Nachteil, dass sich das Material nicht so einfach in andere Welten und Spielsystem übernehmen lässt. Wenn man nicht in der Warhammer-Welt spielen möchte, kann man mit dem Buch – außer für allgemeine Inspiration – nicht so viel anfangen. Selbst das Abenteuer ist recht spezifisch. Aber man kann eben nicht beides haben: Es geht nur ein stimmungsvoller Hintergrund ODER allgemeine Anwendbarkeit.
Ich vergebe eine Note von 4,2: 4,0 für ein hervorragendes Produkt, das in der Anwendbarkeit aber etwas limitiert ist, plus 0,2 für besonders gutes Design, mit nur einem kleinen Makel. |
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