»Du denkst, das Reich benutzt die besten Paradigmen? Das tut es nicht. Es unterdrückt die besten Paradigmen, weil sie so gut sind, dass man sie nicht abwehren kann. Was man uns lehrt und was wir entwickeln sollen, sind Techniken, die gerade gut genug sind, um bewerkstelligen zu können, was gerade getan werden muss, ohne das etablierte Gefüge der Macht infrage zu stellen.«
Anmerkung: Diese Rezension beruht auf einem Freiexemplar
Man merkt es schon, in der Welt von Drachensaat ist Paranoia eine gesunde Einstellung. Holly Lisle liefert mit diesem Buch angeblich einen Vorläufer zu einer früheren Trilogie, die ich allerdings nicht kenne und, nach diesem Buch, auch nicht kennen will. Die Gründe dafür werde ich in den nächsten Absätzen darlegen.
Der Plot Wraith schloss die Augen. Er hatte schon bei anderen Gelegenheiten gesehen, wie die Tore funktionierten. Und das alles nur wegen seiner Dummheit. Weil er geglaubt hatte, wenn er durch die Tore gehen könne, könne jeder andere es ebenfalls tun.
Wraith ist der Held der Geschichte, ein Junge, der gegen Magie immun ist. Darum wird er auch nicht von dem drogengetränkten Nährschlamm verdummt, der in den Kavernen ausgegeben wird. Die Menschen in den Kavernen sind Zuchtvieh, entweder dort geboren oder dorthin verdammt, um den großen fliegenden Städten ihre magische Energie zu geben. Ihr Sterben ermöglicht den Stolti, der herrschenden Kaste (oder Rasse, so genau ist das nicht erklärt), ihre Magie zu weben und ein Leben zu führen, das an Science-Fiction erinnert: Fliegende Autos, Fernsehkameras, usw. usf.
Wraith nun kann mit einer Freundin aus den Kavernen fliehen und bekommt Hilfe von einem jungen Magier. Gemeinsam werden sie die dekadente Gesellschaft zu Fall bringen. Und dekadent ist sie. Um genau zu sein, sind vielleicht mit Ausnahme des jungen Solander (eben der erwähnte Magier) alle Bewohner der fliegenden Städte dekadent und statusbesessen. Natürlich gibt es auch ein einwöchiges Sexfest. Die normale Bevölkerung ist natürlich ahnungslos (siehe Eingangszitat), und die Herrscher stecken alle mit drin. Seit dreitausend Jahren hat niemand geplaudert, auf dem Totenbett Geheimnisse verraten, niemand dagegen aufbegehrt, dass manchmal mitten in der Nacht ganze Stadtviertel entvölkert werden, um Nachschub für die Kavernen zu schaffen. Es ergibt einfach keinen Sinn.
Genausowenig wie die kleineren Geschehnisse. Da ist der böse und mächtige Kinderschänder, der ein Auge auf Wraiths Freundin wirft und sie seiner „Sammlung“ einverleiben möchte. Aber in den weiteren fünf oder mehr Jahren, die das Buch beschreibt, unternimmt er keinen definitiven Versuch, sie zu schnappen – ganz davon abgesehen, dass er sie begehrt, obwohl sie inzwischen erwachsen wurde und damit nicht mehr seiner „Zielgruppe“ entspricht.
Wraith schafft es schließlich, eine Revolution dadurch anzuzetteln, dass er subtil aufrührerische Theaterstücke schreibt, und dann greift plötzlich ein Gott ein und hilft, und – am Ende ist es ein ziemliches Chaos, dem man nur mühsam Sinn entreißen kann.
Der Schreibstil In diesem Augenblick kam Jess zu dem Schluss, dass sie Velyn hasste. (...) »Ein Einzelner kann die Welt bewegen, aber um das zu tun, braucht er einen langen Hebel und viel Zeit. Warte es einfach ab. Der heutige Abend ist nur der erste Regentropfen. Morgen fällt der zweite. Der Regen höhlt Flüsse aus und trägt Berge ab. Deine Veränderungen werden kommen; du hast den Sturm entfacht.« (...) Die Stille Inquisition versammelte sich im Goldhaus, das seinen Namen weder seiner Farbe noch seinen Baumaterialien verdankte, sondern seinem mutmaßlichen Erbauer, Camus Gold, der angeblich der größte Architekt des Dritten Zeitalters gewesen war. Das Goldhaus hüllte sich in einen Mantel von Macht wie eine altertümliche Göttin.
Die Schwächen im Plot würde man verschmerzen können, wenn das Ganze gut geschrieben wäre. Ist es leider überhaupt nicht; es war eine Qual, die gesamten 650 Seiten zu lesen, unerträglich langweilig. Die Zitate oben illustrieren hoffentlich, woran das lag.
Normalerweise sollte man in einem Buch möglichst viel Charakterisierung und Handlung zeigen und nicht erzählen oder erklären. Holly Lisle macht es genau umgekehrt. Wie man am dritten Zitat sieht, erfahren wir etwas über den Erbauer eines Hauses und von solcher Art sind oft Beschreibungen und Dialoge in Drachensaat. Leider erfahren wir sonst nichts, keinerlei wichtige Details. Wie unterdrücken die herrschenden Drachen Nachrichten von der wirklichen Situation, wie fälschen sie die Nachrichten? Sie tun es einfach. Wie funktionieren die Zauberentwicklungen? Was passiert da am Ende mit dem Gott? Das erfahren wir nicht, wohl aber von dem größten Kartographen in der Geschichte und ähnlichen Murks.
Zweitens, und auch da hält dieses Zitat gut her (gemeinsam mit dem ersten), hat Holly Lisle eine ungenaue und unsichere Wortwahl. Kommt man wirklich (rational) zu dem Schluss, jemanden zu hassen? Wie hüllt sich ein Haus in einen Mantel aus Macht, und (wie) tut das eine altertümliche Göttin? Lisle schreibt zudem fast immer in erklärendem Stil und ihre Dialoge klingen entweder wie Lehrbücher, wie gruppentherapeutische Selbsteinschätzungen (damit wir auch ja verstehen, was in der Figur vorgeht) oder wie Kalendersprüche (siehe zweites Zitat).
Die Todsünde allerdings ist, worüber Lisle schreibt. Wenn es zehn zentrale Ereignisse in Drachensaat gibt (diese Zahl ist geraten), dann ist der Leser bei einem direkt dabei, die anderen erfährt er aus der Rückschau. Und das ist strunzenlangweilig, weil ja alles schon passiert ist. Wraith z.B. flieht also mit Jess aus den Kavernen und kommt dank Solander in einem Motel unter (mit Minibar). Solander besorgt falsche Pässe und will die beiden ins Haus seiner adeligen Familie schmuggeln. In zwei Absätzen lernen wir, dass die beiden drei Monate damit zubringen, sich darauf vorzubereiten, in die Gesellschaft eingeführt zu werden, damit ihre Tarnung nicht direkt auffliegt. Endlich können sie das kleine Hotelzimmer verlassen. Im nächsten Satz sind sechs Jahre vergangen, die beiden längst Teil der Gesellschaft, usw.
Bis kurz vor Schluss gibt es keine Momente, an denen sich ein Leser festbeißen könnte, in denen er wirklich sieht, wie diese Welt funktioniert, wie die Figuren ticken. Klar, das Letztere hören wir ständig indirekt, aber wir sehen sie nie danach handeln. Die beiden Superschurken, der Kinderschänder und ein Rivale Solanders, richten zusammen keinerlei Schaden an. Das „Böse“ in dieser Welt ist erschreckend handzahm – weil wir nur aus Nebensätzen darüber erfahren und es nicht sehen.
Zu guter Letzt ist das Buch voller Magiebegriffe und Anachronismen gleichermaßen, da gibt es Kameras, aber der Fernseher ist eine Sichtkugel. Zauber haben Notschalter und Abschaltmechanismen, aber auch unkontrollierbare (und unerklärte) „Rewhah“.
Der einzige Lichtblick des Buches betrifft einen Gastauftritt unseres Oberkobolds, der einen Schauspieler mimt:
Es war eine schwere Männerstimme, die sang, daneben das schwere Dröhnen einer Trommel und dann eine Stimme, die sagte: »Du hast deinen Einsatz verpasst, Talamar. Also noch einmal, angefangen beim … ah, beim dritten Vers. Und diesmal möchte ich, dass du deinen Worten mehr … mehr Nachdruck verleihst.«
Fazit: Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn dies Holly Lisles erstes Buch gewesen wäre und sie gerade vierzehn geworden. Drachensaat ist ein langweiliges Buch, schlecht geschrieben und mit uninteressanten Charakteren in einem Öko– und Politthriller–Plot, von dem außer gut gemeint nicht viel zu berichten ist. Die Umwälzung einer ganzen Zivilisation war auch schon spannender.
Freut Euch, dass ich die 650 Seiten für Euch gelesen habe. Vertane Zeit, die ich nicht zurück bekommen werde. |
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