WolfsklingenDie auf drei Teile angelegte Reihe „Runenklingen“ ist ein weiterer Versuch, ein gelungenes Rollenspiel Starter-Set an den Markt zu bringen. Dieses mal für das Midgard Rollenspiel System. Mit Wolfswinter geht die auf drei Bände angelegte „Runenklingen“-Reihe in die zweite Runde.
Das Buch: Wie auch sein Vorgänger ist Wolfswinter ein kleines, fest gebundenes Hardcover Buch mit 175 Seiten. Das Buch ist in Schwarz-Weiß gedruckt und hat ein ansprechendes, zum Namen passendes Cover. Es ist außerdem sehr handlich. Das Buch ist nicht viel größer als das DIN A 5 Format. Aufgrund der guten Verarbeitung und der hochwertigen Materialien wirkt das Produkt angenehm edel. Der innere Aufbau ist optisch gut gemacht: Man kann klar nach Regeleinschub, Vorlesetext und Spielleiterhintergrund-Informationen unterscheiden. Im Vergleich zu Band Eins der Reihe wartet Wolfswinter nicht mehr mit einem Comic zum Einstieg auf, eine Entscheidung, die ich begrüße, da mich der Comic in Band Eins nicht überzeugen konnte.
Die Idee: Die Idee hinter der Runenklingen-Reihe ist folgende: Man möchte einen Einstieg ins Rollenspiel ermöglichen, ohne dass weiteres Hintergrundmaterial vorhanden sein muss. Die Regeln sollen direkt dort vermittelt werden, wo sie das erste Mal gebraucht werden. Dieser Ansatz ist gut. Da man die Regeln an der Stelle lernt, an der man sie auch gleich einsetzen muss, bringt das System eine sofortige Einübung der Spielmechanik (Prüfwürde, Erfolgswürfe, Kampf etc.) mit sich. Dies waren die Schwerpunkte in Band Eins. In Band Zwei der Reihe steht die Weiterentwicklung der Charaktere (und natürlich der Spielwerte) im Fokus. Neben den eigentlichen Spielregeln und dem Ablauf des Abenteuerplots, stehen auch Tipps und Tricks für den Spielleiter an passender Stelle, denn bei Runenklingen soll auch ein unerfahrener Spielleiter erste Leiter-Erfahrung sammeln können. Dies ist auch für den zweiten Band beibehalten worden.
Das Abenteuer: Wer das Abenteuer als Spieler noch spielen will, sollte hier aufhören zu lesen und bei der nächsten Überschrift wieder einsteigen. Die in den drei Bände der Reihe enthaltenen Abenteuer werden auf die drei typischen Rollenspiel-Szenarien ausgerichtet: Dungeon, Wildnis und Stadt. Wolfswinter ist wie der Name schon vermuten lässt, der Rubrik Wildnis zuzuordnen. Nach den überstandenen Ereignissen des ersten Bandes, steigt die Geschichte erst zu dem Zeitpunkt wieder ein, an dem die Abenteurer sicher die Burg Ihres Auftraggebers Nervan erreicht haben. Dieser braucht Zeit, den versteinerten Folianten, den die Freunde geborgen haben, zu untersuchen. Diese Spanne wird aber nicht sinnlos verplempert: Nein, vielmehr erhalten die Gefährten ein Empfehlungsschreiben Nervans und den Auftrag, sich und ihre Fertigkeiten weiter auszubilden. An dieser Stelle finden sich die Regeln zur Verbesserung oder gar den Neuerwerb von Fähigkeiten. Im Umland der Burg Nervans und auch auf der Feste selbst gibt es einige Lehrmeister, die gegen stimmige Bezahlung bereit sind, den Helden neue Kenntnisse zu vermitteln. Allerdings (und das gefällt mir gut) gibt es ähnlich wie bei Videospielen auch manchmal, die Möglichkeit, durch das Lösen kleinerer Begegnungen besondere Lehrmeister „freizuspielen“. So kommen die Figuren in Kontakt mit Nervans Untertanen und man kann mit etwas Rollenspiel am Ende seine Figur verbessern. So macht dann auch das Lernen Spaß. Es gibt für die verschiedensten Fertigkeiten Zwischenspiele. Diese Vermitteln nicht nur Spielfertigkeiten, sondern hin und wieder auch noch Hintergrundwissen, was später, im weiteren Verlauf der Kampagne noch wichtig werden kann. So tauchen etwa der Barde aus Band Eins wieder und einige interessante Figuren neu auf. Teilweise können diese auch von Spielern als SCs übernommen werden, für den Fall, dass ein SC gestorben ist (diesem Phänomen und seinen Folgen für das Spiel wird sich in einem Extraabschnitt in Wolfswinter gewidmet) oder ein Spieler einfach etwas Neues ausprobieren möchte. Nach dem man einige Zeit mit Zwischenspielen und Lernwürfen verbracht hat, ruft Nervan die Abenteurer zu sich und teilt ihnen mit, er habe nun erkannt, welche Magie den Folianten der Zwergenbinge schützt und was er an magischen Zutaten braucht, um einen Bannspruch zu wirken. Er schickt die SC auf einen Wettlauf gegen die Zeit in den nahen verwunschenen Wald und das ebenso benachbarte Moor. Dort sollen die SC für ihn vor dem nächsten Vollmond diverse Zutaten finden, die unablässig sind, um den Bannspruch zu wirken mit dem der Foliant entsteinert werden kann. Um die Gruppe des Zeitdrucks gewahr werden zu lassen, unter dem die Mission steht, wird ein relativ einfach gestricktes Zeitsystem eingeführt. Die Gruppe bekommt ein Zeitkonto und muss die Reise, die Suche und die Rückreise abgeschlossen haben, ehe dieses Konto auf Null fällt. Jeder Tag besteht aus 10 Zeiteinheiten, das Konto der Gruppe startet mit 40 Einheiten. Jeder verpatzte Wurf (z.B. wenn nach Zutaten gesucht wird) jedes Verlaufen, jede ungeplante Begegnung usw. werden mit zeitlichen Abzügen geahndet. Nur in den seltensten Fällen gelingt es den SC, auch mal ein Bonusguthaben zu sichern, etwa bei kritischen Erfolgen auf Würfen die zur Orientierung oder Wegbestimmung dienen. Richtig angewandt kann das System sicherlich zu einem passenden Stimmungsmacher werden, es kann aber sicherlich auch (und das grade in den Händen eines unerfahrenen SL) zu chaotischen Zuständen führen. Die sog. „Hatz“ ist grob in zwei Teile auf gespalten. Einen im an die Ländereien Nervan angrenzenden Wald und einen im nahegelegenen Moor. Für beide Abschnitte sind einige Begegnungen ausgearbeitet, von denen man unterschiedlich viele spielen lassen kann, je nach dem wie geschickt sich die SC-Gruppe eben anstellt und wie sehr man das Zeitkonto noch strapazieren kann. Die zu findenden Zutaten sind allesamt beschrieben und mit Orten versehen, an denen sie vorkommen. Die Abenteuer im Moor sind dabei etwas gefährlicher und auch die Beschreibungen sind dort allesamt etwas unappetitlicher. Nachdem die Abenteurer den Herausforderungen von Wald und Moor getrotzt haben und zur Burg von Nervan zurückgekehrt sind, steht eine weitere Runde von Lernen und Weiterentwicklungen ins Haus. In der Zwischenzeit wird die magische Öffnung des Folianten vorbereitet. Zu dieser werden die Helden dann auch als Zeugen eingeladen. Nervan gelingt das Kunststück, dennoch wirft der geöffnete Foliant zunächst mehr Fragen auf als er beantwortet. Es kommt zur Zusammenarbeit mit Experten eines nahegelegenen Zwergenreiches. Nach einiger Überzeugungsarbeit geben diese Ihre Zustimmung, dass Nervan sich eine Abschrift des Buches anfertigen lässt, bevor er Ihnen den Folianten zurückgibt. Die Zwerge bringen im Austausch etwas Licht ins Dunkel um die im Buch enthaltenen Geheimnisse. Häppchenweise erfahren die Abenteurer mehr über die Geschichte der Runenklingen. Um die gebrochene Klinge, die sich ja schon im Besitz der Abenteurer befindet, neu zu schmieden, muss die Drachenschmiede gefunden werden. Die Suche nach der Drachenschmiede gestaltet sich aber schwieriger als erwartet, da die Zwerge über ihren Standort keine Auskunft geben können (oder wollen). Sie willigen aber ein, den SC die Erlaubnis (und eine Wegbeschreibung) für eine Expedition zum Schrein von Agrim, eines ihrer größten Helden zu geben. Der Schrein heißt Baramzigli. Dort liegt mit Agrim, einer der größten Zwergenkrieger der Vorzeit, begraben. Zu seinen Lebzeiten war Angrim der Krieger, der als der Hüter der Drachenschmiede bekannt gewesen ist. Die SC Gruppe begibt sich also auf eine neue, gefährliche Abenteuerreise von mehr als 350 Kilometern Länge, die im besten Fall alles zu bieten hat, was man sich nur vorstellen kann: Von Hinterhalten, Verfolgungsjagden, einer Kanufahrt (mit der Bewältigung von Stromschnellen), Regeln für das Spiel mit Fuhrwerken, Kletterpartien über antike Treppen unter Beschuss und einer Begegnung mit einem Höhlentroll, bevor der Schrein Baramzigli überhaupt erreicht wurde. Regeln über den Einsatz von Brandpfeilen runden diese bei weitem nicht erschöpfende Aufzählung ab.
Die Erkundung des Schreins stellt letztlich den Höhepunkt und den Abschluss der im zweiten Band der Runenklingen-Reihe enthaltenen Abenteuer dar. So müssen eisige Seen durchtaucht und sich gegen Verfolger erwehrt werden, ehe noch die Chance besteht, unglaubliche Reichtümer und eine weitere der fünf sagenumwobenen Runenklingen zu finden. Die Begegnung die zur Inbesitznahme einer weiteren Runenklinge führt, ist ungewöhnlich und nicht unbedingt überzeugend zu spielen. Wie im Buch für den Optimalfall vorgesehen, dürfte es nur mit einer halbwegs guten Truppe klappen, die die nötige Mischung aus Ernst und Unernst auf Kommando an den Tag legen kann. Die vorgelagerte Szene, die zur Neuschmiedung des geborstenen Erd-Schwertes führt („die Klinge die geborsten ward, ist neu geschmiedet!“ ... Der Herr Der Ringe lässt schön grüßen....), ist da schon einfallsreicher geschrieben und für jede Gruppe lösbar.
Der Stil des Autors: Mir persönlich liegt der Schreib- und Erzählstil von Dirk Richter immer noch nicht so richtig, aber er hat sich in meinen Augen gebessert. Der vulgäre Ausdruck trat etwas zurück. Einzig die hingebungsvoll ausgeschmückten widerlichen Szenen im Sumpf haben mir in Wolfswinter nicht so gut gefallen. Die Beschreibung des Zwergenschreins Baramzigli hingegen fand ich richtig gut, auch wenn ich allgemein das Gefühl habe, dass wie so oft bei solchen Geschichten und Abenteuern zum Beispiel in Bezug auf die Namensvergabe (der Dunkle Meister, der gegen Ende von Wolfswinter erste Erwähnung findet, hört auf den Namen Saron) und die Erstellung mancher Hintergründe der Runenklingen-Geschichte, munter bei großen Werken des Genres geklaut wurde. Bleibt abzuwarten, ob Sarons rechte Hand im dritten Band der Reihe „Finstermal“ auf einen ähnlich einfallsreichen Namen hört wie sein Meister. Ich tippe ja vorab schon einmal auf den Namen „Vildamart“. Ein Schelm, der böses dabei denkt... Etwas mehr Einfallsreichtum von Seiten des Autoren hätte hier sicher nicht geschadet...
Die Materialien: Nach dem Abschluss der Abenteuerbeschreibung schliessen sich noch einige Übersichten an: Eine Auflistung der besondere Schätze, ein Leitfaden zum Lernen und Steigern, das Kapitel „Neue Künste“ und eine Liste neuer Fertigkeiten, ein magischer Almanach, eine kurze Abhandlung, wie mit dem Tod einer Spielerfigur umgegangen werden kann, sowie einige neue Figuren, die entweder als Ersatz SCs herhalten oder als NSCs eingesetzt werden können.
Die Online-Unterstützung: Erneut vorbildlich ist die Online-Unterstützung des Produktes. Die Einsteiger-Reihe Runenklingen hat auf der Website von Midgard-Online eine eigene Rubrik bekommen. Unter der Unter-Rubrik Wolfswinter steht dort praktisch das gesamte Kartenmaterial des Buches zum kostenlosen Download bereit. Was ein wenig überrascht: Das Material sieht dort teilweise besser aus als im Buch! Ich denke dabei etwa an die Beschreibung des Monsters „Oger“ (mit Zeichnung) oder die im Band gänzlich fehlende Darstellung der Erd- und Wasserklingen, die in den Materialien ansehnlich abgebildet sind. Auf jeden Fall sollte der Spielleiter hier zugreifen. Daneben gibt es Spielerbögen - bereits ausgefüllte und blanko - und noch mehr an Material, etwa unbearbeitete Karten, also ohne Spielleiterhinweise, die der Gruppe ohne viele Worte ausgeteilt werden können.
Auch ein erneuter Blick in die übergeordnete „Runenklingen“-Rubrik lohnt sich. Dort stehen noch mal neue Daten bereit, die im Rahmen der Veröffentlichung von Wolfswinter online gestellt wurden, etwa die Zusammenfassungen der Lern- und Steigerungsregeln, die in Wolfswinter eingeführt werden und Ausführungen, wie mit dem Tode einer Spielerfigur umgegangen werden kann. Es ist in jedem Fall zu empfehlen, dass nur der SL der Gruppe das Material auf Midgard-online.de sichten und herunterladen sollte, um es dann zur richtigen Zeit an seine Spieler zu verteilen. Sonst verrät sich schnell zu viel. Wenn auch „Finstermal“, der dritte und letzte Band der Reihe, in dieser Form unterstützt werden wird, wäre das phantastisch.
Das Fazit: Auch Wolfswinter ist ein gelungenes Produkt. Es führt die in Band Eins der „Runenklingen-“Reihe begonnene interessante Handlung fort und bringt den Spieler (und auch dem Spielleiter) Häppchenweise immer mehr an Regeln aus dem Midgard-Rollenspiel bei. In diesem Produkt stehen das Erlernen neuer Fähigkeiten, die Steigerung bereits bekannter Fertigkeiten und das Erreichen eines neuen Grades mit den Spielfiguren im Mittelpunkt. Zwei „Lernrunden“ auf der Burg des Auftraggebers Nervan bieten hierfür im Spiel Raum und Platz, doch auch die beiden actionreichen Abenteuersegmente machen das Durchspielen des Buches zu einem lohnenden Unterfangen. Die Ausarbeitung ist gewohnt übersichtlich, die Geschichte in sich halbwegs schlüssig. Es macht Spaß, dem Rätsel um die Runenklingen Stück für Stück näher zu kommen. Die Spieler werden dabei immer sicherer im Umgang mit ihren Figuren, dem System und den Spielregeln und haben nach einem längeren Dungeon-Crawl aus Band Eins die Palette ihrer Erfahrungen nach Band Zwei Wolfswinter nun um diverse Wildnis-Trips und Begegnungen erweitern können. Wolfswinter ist eine gelungene Fortsetzung der Reihe und macht Appetit auf den Abschlussband der Serie: Finstermal.
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