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The Man on the Ceiling
Bewertung:
(4.1)
Von: Alex Heppe
Alias: Alex Heppe
Am: 09.04.2008
Autor:Steve Rasnic Tem & Melanie Tem
Typ:Roman (vielleicht)
VerlagWizards of the Coast Discoveries
ISBN/ASIN:978-0-7869-4858-1
Inhalt:366 Seiten, Softcover
Sprache:Englisch

The Man on the Ceiling

Wer von meinen Rezensionen eine gewisse Gliederung gewohnt ist und Zwischenüberschriften mag, der sei vorgewarnt. Die Rezension dieses grandiosen Romans (?) verbietet dem Rezensenten jegliche erkennbare Form, denn man würde dem Werk sonst nicht gerecht werden.

 

Der Übersichtlichkeit halber dennoch einige Vorbemerkungen zu diesem Roman. Äußerlich ist er sehr schön aufgemacht und zeigt eine surreale Collage aus Bildern: einen Mond, Glühbirnen und ein Bettgestell, gehalten in Gold und blau, träumerisch wie an eine Rohbauwand geworfen. Die Softcoverbindung ist – ewige Schwachstelle bei WotC Softcovers - zu leicht brüchig, das Papier jedoch angenehm griffig und die Schrift gut lesbar.

 

Der Roman (?) baut auf einer Novelle auf, die die beiden Autoren im Jahre 2000 geschrieben und mit der sie zahlreiche Preise abgeräumt haben. Diese Novelle haben sie grundlegend überarbeitet und auf Romanlänge gebracht, als Publisher fand sich Wizards of the Coast DISCOVERIES. Diese neue Veröffentlichungsreihe stellt an sich selbst den folgenden Anspruch: Wizards of the Coast Discoveries is a fantasy-tinged speculative fiction imprint that discovers new worlds, new talent, and new voices for adult fiction readers

 

Und mit der Entdeckung des von mir rezensierten Werks haben sie tatsächlich eine geniale Entdeckung gemacht. Das Werk entzieht sich der regulären, eingeschliffenen Leseweise, die man sich als Vielleser in jahrelangem Training angeeignet hat. Obwohl der Roman Kapitel aufweist, sind es doch eher Abschnitte, stets unterbrochen von Zwischenspielen und Dialogen. Die Form des Textes, die leicht antiquierte, an eine Zeitungstype erinnerndee Schriftart, der große Zeilenabstand, die plötzlichen und unerwarteten Zwischenüberschriften sowie eine Reihe von Sternen als –wörtlich zu verstehende - Gedankenstriche leiten den Leser durch die spannende Gedankenwelt dieses experimentellen Werks.

 

Steve Rasnic Tem und Melanie Tem erzählen die Geschichte von Steve und Melanie: zwei Schriftsteller, die ein altes Haus in Colorado bewohnen und nach und nach Adoptivkinder aufnehmen. Die Story, sofern vorhanden, ist nicht linear und wird stets unterbrochen. Die Autoren schreiben ihre Anteile an der Geschichte als aufeinanderfolgende Abschnitte. So entsteht ein Dialog der Autoren, der sich abschließend zu einem Ganzen zusammenfügt. Während Melanie klar darstellt und ihre Liebe zur Familie in den Vordergrund schreibt, zeigt Steve – nach und nach - seine dunkle Seite. Er hat eine andere Wahrnehmung, für ihn erscheint das Haus größer, er sieht Räume, wo keine sind, und erst später erfährt der Leser, dass es sich bei dem Haus bisweilen um Steves Gedankengebilde handelt. Man taucht als Leser in die – teilweise erfundene, teilweise autobiographische - Realität und Phantasiewelt der Tems ein und wird durch den Wechsel der Erzählweisen vom Ich-Erzähler zum Beobachter so eng mit den Autoren vertraut, dass er jede nacherzählte Sekunde ihres Lebens nachzuempfinden bereit ist.

 

Wann immer es dem Erzählfluss nützt, erzählen die Beiden – typisch Schriftsteller - Geschichten, unterbrechen ihre Gedankengänge, fallen dem Vorschreiber ins Wort. Und die Themen, die den Weg der Familie begleiten, sind universell so dass sie jeden Einzelnen von uns berühren dürften: Es geht um Familie und um tiefste, dunkle Angst und Verlust, um Liebe, Vertrauen und Enttäuschung, um Lebensglück und Trauer. Wie geht eine Familie mit Verlusten um? Was ist das Leben? Ist die Kindheit so prägend? Was wäre wenn? Hast auch DU Angst?

 

Es handelt sich um eine Biographie der Vorstellungskraft. Erst das durch traumhafte Sequenzen erzeugte Vermischen von Realität und Phantasie erzeugt in der Zusammenschau das, was weder Realität und Phantasie alleine bewerkstelligen können: Einen Blick auf die „Wahrheit“, hervorgerufen durch – nur scheinbar – wirre Aneinanderreihungen von Episoden einer Familiengeschichte. Einer Familiengeschichte, die – teils sehr traurig, teils heiter - von Sorgenkindern erzählt, die in den Autoren neue Adoptiveltern gefunden haben. Diese Eltern-Kind-Beziehungen bilden dann auch den Hauptfokus der Erzählung, deren verbindende Konstante die Angst ist. Angst der Eltern, ihr Kind –egal auf welche Weise – zu verlieren. Für Steve manifestiert sich diese Angst in seinem gedanklichen Fantasiehaus und nimmt die Form eines Mannes an der Decke an, der an der Schwelle zum Schlaf darauf lauert, in unsere Geschicke einzugreifen und unsere Sorgen und Ängste zu nähren.

 

Das Buch ist hervorragend konstruiert und nimmt den Leser mit auf die Traumreise der Autoren. Jeder wird das Buch sicherlich anders lesen, denn für jeden manifestiert sich Angst in einer anderen Form. Dennoch, „The Man on The Ceiling“ ist eine Lektüre, die ich sicherlich so schnell nicht werde vergessen können. Es war ein faszinierender Ausflug. Danke, Steve und Melanie! Danke auch für den Zitatenschatz, den ihr in diesem Werk hinterlassen habt, und aus dem ich mir erlaube, zu zitieren, allen voran der Satz, der alle paar Seiten von Euch wiederholt wird…

 

Remember, everything we’re about to tell you here is true

 

If you love someone, they leave you. But if you don’t love someone, they leave you, too. So your choice isn’t between loving and losing but only between loving and not loving

 

Stories are masks of god.

 

Not knowing what else he could do, he grabbed his lack of understanding and took it for a walk outside

 

 

 

Fazit:

Wer von einem Buch normalerweise eine geradlinige Story, glaubhafte Charaktere, einen Anfang und ein Ende erwartet, der wird von diesem Roman enttäuscht sein. Wer sich auf ein Buch und seine Charaktere auch in experimenteller Weise einlassen kann, wer auch in der Lage ist, die teilweise recht starken Gefühle, die dieses Buch auszulösen vermag, zu verkraften, für den dürfte es sich um einen Pflichtkauf handeln. Ich selbst bin begeistert, finde es jedoch teilweise so speziell und – in einer Teilstory – für mich extrem verstörend, dass ich über eine ausgesprochen gute 4.1 nicht hinausgehen möchte.