Chaos Magic - Wild SorceryViel wurde über dieses Buch im Vorfeld gesagt und spekuliert, stellt es doch in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes dar. Während es sich bei den meisten d20-Veröffentlichungen bislang um Quellenbände oder Abenteuer handelte, fällt Chaos Magic vielmehr in den Bereich der Regelbücher. Sicherlich gab es in einigen Veröffentlichungen bislang auch kleinere Regelerweiterungen, jedoch nicht zu diesem Thema und in dieser Ausführlichkeit.
Eine weitere Besonderheit ist das ungewöhnliche Thema des Buches, denn auch wenn neue Zaubersprüche oder die eine oder andere Prestige Klasse mittlerweile in fast jedem Band auftauchen, hat sich bislang niemand getraut, an den Grundfesten der Magie zu rütteln. Und genau dies tut das vorliegende Regelwerk - es bietet eine gänzlich neue Form der Magie, die weder mit den Künsten der Zauberer noch denen der Hexenmeister verglichen werden kann.
Dem ganzen Buch liegt eine neue Philosophie der Magie zu Grunde - die sogenannte Chaosmagie. Diese ursprünglichste und unbändige Form der Magie stellt die urtümliche Kraft der wahren Existenz aller Dinge dar. Das Chaos ist der Lebensfunke der Welt und gleichzeitig seine größte Bedrohung. Diese Kraft, deren bloße Berührung ein jedes Lebewesen für immer verändern kann, ist die Quelle der Macht für die Chaosmagier. Auch wenn das Chaos große Gefahren in sich birgt, verspricht seine große Macht jedoch unglaubliche Kräfte, die weit über das hinausgehen, was die sogenannten statischen Zauberer, wie Hexenmeister und Magier, als arkane Kunst bezeichnen.
Das Buch selbst beginnt mit einem Abriss über diese neue Magiephilosophie, die die Basis für das komplette Werk darstellt. Die Quelle der Macht, die Rolle der Chaosmagier und auch die lauernden Gefahren werden zunächst stimmungsvoll beschrieben, bevor die eigentlichen Regeln vorgestellt werden.
Hier wird dann zunächst mit den sogenannten "Wantons" begonnen - klassischen Zauberern, die die Macht des Chaos benutzen, um ihre eigene Magie zu verstärken. Sie selbst trauen sich jedoch nicht, den Weg des Chaos gänzlich zu umarmen und so wahre Macht zu erfahren. Durch alte Rituale, das Studium vergilbter Schriften oder die Berührung des Chaos sind sie in der Lage, ihre eigene Magie mit niederen Chaoseffekten zu verbessern. Dies kann zum Beispiel eine Erhöhung des Schadens oder eine Substituierung von Zauberkomponenten sein. Der Einsatz eines solchen Effektes birgt jedoch immer gewisse Gefahren, wie den Verlust von Lebensenergie, wobei diese Effekte für den Zauberer im Vorfeld relativ gut abgeschätzt werden können. Die meisten Effekte werden durch körperliche Gefahren und Beeinträchtigungen erzielt, so dass ein jeder Anwender der Chaoszauberei guter Gesundheit sein sollte, wenn er seine Künste anzuwenden gedenkt.
Nach den "Wantons" folgen dann die wahren Chaosmagier, die eine eigene, vollständig neue Core-Klasse darstellen. Gleichwohl die Klasse physisch den Zauberern ähnelt (in Zähigkeit, Rettungswürfen und Waffenwahl), verfügt sie jedoch ansonsten über gänzlich neue Fähigkeiten. Die zentrale Fähigkeit des Chaosmagiers ist jene, Chaosmagie zu wirken - diese Form der Magie ist mit keiner anderen zu vergleichen und entspricht am ehesten von ihrer Aufmachung noch der spontanen Zauberei der Hexenmeister. So beherrschen die Chaosmagier die unglaublichen Kräfte des Chaos durch ihr Charisma, und auch sie müssen keine Zauber im Vorfeld memorieren. Der zentrale Unterschied jedoch ist, dass die Chaosmagier gar keine Zauber besitzen - vielmehr bietet Mongoose im Hauptkapitel des Werkes ein vollkommen neues Magiesystem, welches auf Zaubereffekten basiert.
So kann der Chaosmagier zunächst einen Effekt, wie zum Beispiel Bewegung, Schaden oder Wandlung, wählen. Je nach Macht des Effektes ist hier jeweils eine bestimmte Schwierigkeit vorgegeben, die dann noch durch Situationsmodifikatoren verändert wird. So kann ein Effekt mit einer Reichweite versehen werden oder eine Rettungswurf-Erschwernis erhalten. Auf diese Weise lassen sich baukastenartig unzählige Zauber zusammenstellen, die der Chaosmagier spontan, ohne Vorbereitung, wirken kann. Die Möglichkeiten und die Flexibilität des Charakters, was seine Zauber angeht, sind somit vollkommen unvergleichbar mit allen anderen zaubernden Klassen. Ein Chaosmagier hat immer den richtigen Zauber zur Hand und kann ihn auch praktisch immer wirken. Im Gegensatz zu klassischen Zaubern ist der Erfolg jedoch keineswegs gewiss und Misserfolg birgt große Gefahren. Wurde die Gesamtschwierigkeit eines Zaubers bestimmt, wird anschließend mit einem Zauberwurf geprüft, ob der Zauber gelingt. Hierbei ist der Charakter keinen Spruchstufen unterworfen, so dass selbst ein sehr unerfahrener Zauberer sich an mächtiger Magie versuchen kann, was ihm natürlich nur selten gelingen wird und ihn unter Umständen sogar das Leben kosten kann. Für jeden Zauber, den ein Chaosmagier wirkt, nimmt er Schaden hin, wobei ein erfolgreicher Zauber nur temporären Schaden nach sich zieht, der sich schnell regeneriert. Anders sieht es bei misslungenen Zaubern aus, die bleibende Wunden hinterlassen, die durch Rast oder Magie geheilt werden müssen. Somit kann ein Chaosmagier solange zaubern, wie es seine Lebensenergie zulässt - was bei Multiklassencharakteren mitunter extrem lange sein kann - vor allem, wenn ein Priester in der Gruppe sich um die schlimmsten Wunden kümmern kann. All dies macht den Chaosmagier ungeheuer mächtig, auch wenn sich seine Magie in erster Linie für spontane Effekte eignet - das Chaos lässt sich nicht über lange Zeiten stabil binden.
Der Preis für diese Macht ist jedoch nicht zu unterschätzen und dürfte in mancher Kampagne sicherlich den Rahmen des Zumutbaren sprengen. Die Berührung des Chaos verändert die Zauberer mit der Zeit und zieht sie immer tiefer in den Abgrund. Verkrüppelungen, Wahnsinn und Deformationen sind der Preis der Macht. Jedes Mal, wenn ein Charakter bei einem Zauberwurf eine 1 würfelt, läuft er Gefahr, weiter in den Schlund des Chaos hinabgezogen zu werden. Bei der ersten gewürfelten 1 kann für ihn bestimmt werden, welchen Pfad des Chaos er einschlagen wird. Eine ganze Reihe möglicher Pfade sind im Regelwerk vorhanden, wobei es ohne weiteres möglich ist, neue Pfade zu entwickeln. Alle Pfade besitzen 10 Stufen, die der Charakter in seinem Fall schrittweise beschreitet. Die Veränderungen sind hierbei mit jedem Schritt recht extrem und führen zu einer körperlichen und teilweise auch geistigen Wandlung. Je nach Pfad wird der Chaosmagier so von unbändigem Zorn ergriffen oder gleitet schrittweise in den Wahnsinn ab. Auch die körperlichen Metamorphosen sind massiv und für jeden anderen sofort ersichtlich. Der Spielleiter sollte sich gut überlegen, ob er die Chaosmagie in seiner Welt erlauben will, denn die Nebeneffekte machen den Spieler im geringsten Fall zum Außenseiter - im schlimmsten Fall zum Freak, der kaum eine Stadt lebend betreten können wird. Zwar ist es in späteren Stufen möglich, die Effekte der Chaosmagie rückgängig zu machen und zu begrenzen - ganz eliminieren lassen sie sich jedoch nie.
Nach der Erläuterung der neuen Zauberregeln folgen noch weitere Kapitel, die sich konsequent mit den üblichen Aspekten eines Magierdaseins befassen - und ihrer Erscheinungsform in der Chaosmagie. So gibt es Regeln für spezielle Chaos-Familiars (die weitaus mächtiger und nützlicher als normale Familiars sind) oder auch für die Herstellung spezieller magischer Gegenstände mit der Macht der Chaosmagie - auch hier werden Wege gewählt, die mit der normalen Magie nicht kompatibel sind. Bedingt durch die Instabilität des Chaos sind die magischen Gegenstände nur begrenzt haltbar und müssen auf ihren Träger geeicht werden - so ist es nicht möglich, ein Chaosschwert, welches einfach gefunden wird, ohne weiteres einzusetzen. Neue Talente und Prestigeklassen gehören natürlich zum Umfang jeder neuen d20-Publikation und dürfen auch hier nicht fehlen - wobei die Prestigeklassen eher als Ideengeber und Vorschlag gesehen werden sollten, eigene Chaosmagier zu entwickeln.
Das letzte Kapitel widmet sich dann der Rolle der Chaosmagie in der Kampagne und richtet sich in erster Linie an den Spielleiter.
Fazit:Das Buch ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich und bietet Material, das eine Kampagnenwelt grundlegend verändern kann. Die präsentierte Magie ist in sich schlüssig und bietet einen gänzlich neuen Ansatz, der dem klassischen Verständnis der spontanen Zauberei (wie man es aus Büchern kennt) wesentlich eher entspricht, als die normale d20-Magie. Die große Macht der fast unbegrenzten Flexibilität wird jedoch durch massive Hindernisse erkauft, die das Ganze in jedem Fall ausgewogen gestalten - wenn der Spielleiter genug Rückgrat hat, die negativen Effekte der Zauberei auch anzuwenden. Da sich die Auswirkungen mit der Dauer immer weiter verstärken, wird dies die Spielweise des Charakters maßgeblich mitbestimmen, da ein Chaosmagier, der bereits einen guten Teil des Chaospfades beschritten hat, kaum noch "gesellschaftsfähig" zu nennen sein dürfte. Auch für die Mitspieler dürfte dieser Effekt einige Einschränkungen mit sich bringen, so dass sich ein Spielleiter vorher gut überlegen sollte, ob er diese Form der Magie ins Spiel einbringen will. Bis auf einige kleinere Erklärungsschwächen macht das Buch einen rundum runden und gelungenen Eindruck. Für jeden Spielleiter, der bereit ist, den Weg des Chaos zu beschreiten, ist das Buch eine hervorragende Erweiterung der bestehenden Magie. Gerade die leichte Anwendbarkeit und die Verständlichkeit der Regeln ist erstaunlich, bedenkt man, welche Möglichkeiten und welche Flexibilität sie auf der anderen Seite bieten. Die Aufmachung des Buches ist angemessen, wobei sich hier dennoch das eine oder andere Verbesserungspotential bietet - vor allem an den Innen- und Coverillustrationen sollte gearbeitet werden.
Für Spieler und Meister, die einer neuen Magie gegenüber aufgeschlossen sind, gehört das Buch sicherlich zu den besten und interessantesten d20 Publikationen bislang und ist einen Kauf in jedem Fall wert. |
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