Sharner Kobold Sharner Kobold

 

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Forgotten Realms Campaign GuideForgotten Realms Campaign Guide
Bewertung:
(3.5)
Von: Alexander Heppe
Alias: Alexander Heppe
Am: 13.09.2008
Autor:Bruce R. Cordell, Ed Greenwood, Philip Athans, Richard Baker, Rob Heinsoo u.v.m.
Typ:Kampagnen-Setting
System:D&D 4E
Setting:Forgotten Realms
VerlagWizards of the Coast
ISBN/ASIN:978-0-7869-4924-3
Inhalt:287 Seiten, Hardcover + Postermap
Sprache:Englisch

Vorbemerkung

Als Rezensent möchte ich die Vorbemerkung vorausschicken, dass ich mir mit der Besprechung dieses Produktes absichtlich etwas mehr Zeit gelassen habe. Ich tat dies, da ich nach der ersten Lektüre einige Kapitel erst einmal „sacken“ lassen musste, um dann erneut einzelne Textauszüge ein weiteres Mal durchzuarbeiten. Ich habe versucht, den Text des Produktes gewissenhaft und lückenlos zu lesen, obgleich mir dies – soviel sei bereits angedeutet - als langjähriger Fan des Settings nicht immer leicht fiel. Letztlich sehe ich - nach der Abfassung der Rezension - der weiteren Entwicklung des Settings immer noch mit deutlich gemischten Gefühlen, aber auch einer gewissen Spannung entgegen. Das besprochene Produkt selbst richtet sich ausschließlich an Spielleiter und wird daher mit der noch zu veröffentlichenden Rezension des „Forgotten Realms Players Guide“ in einer Gesamtschau zu betrachten sein, da ich den Eindruck hatte, dass stellenweise Informationen des Players Guide vorausgesetzt werden, insbesondere, was Kulturen und spielbare Völker angeht. Aber nun genug des Vorgeplänkels und hinein in das eigentliche Produkt…

 

Aufmachung und Layout

Beim ersten Betrachten des Buches fällt auf, dass kein eigenes „Forgotten Realms“ Logo verwendet wurde und es sich durch das bekannte und neue Dungeons & Dragons Logo nahtlos in das Design der 4E einfügt. Das Cover zeigt einen drachenreitenden weiblichen Shade, das bläulich schimmernde Schwert zum Schlag erhoben, während sich ihr Reittier mit kräftigen Flügelschlägen in den Himmel oberhalb einer hoch aufragenden Burg inmitten eines großen Gewässers hinauf schwingt. Rostbraune und grünliche Farben dominieren das Bild und zeichnen eine düstere, gefahrvolle Atmosphäre, die durchaus gefällt und Anreiz bietet, das Buch einmal aus dem Regal zu nehmen. Das Backcover zeigt einen Kartenausschnitt der Schwertküste und – siehe da – am oberen Rand dann doch noch das aus 3E-Zeiten bekannte Forgotten Realms Logo. Das Buch selbst ist ein solides, gut gebundenes Hardcover mit hochwertigem, griffigem Papier.

 

Das Innenlayout ist deutlich schlichter als man es von FR-Produkten vergangener Editionen gewöhnt ist, was jedoch, wenn ich ehrlich sein soll, der Lesbarkeit eher förderlich ist. Schriftgröße und Abstände fallen etwas großzügiger aus, zahlreiche Absätze und Zwischenüberschriften gliedern den Text sehr gut, ergänzt durch gelegentlichen Fettdruck und farbig hinterlegte Textboxen.

 

Die Illustrationen sind überwiegend gut gewählt und leserfreundlich platziert, so dass der Lesefluss selten getrübt wird. Insbesondere die Kapiteltitelbilder sind hier zu erwähnen, die wirklich allesamt sehr stimmungsvoll ausgefallen sind und mich sofort begeistern konnten. Gleiches gilt für die zahlreichen Illustrationen von Charakteren, Monstern und Orten. Diese sind im Vergleich zu den jüngeren 3E FR-Produkten deutlich düsterer ausgefallen und weniger bunt und comicartig, auch wenn einige wenige Illustrationen von dieser Regel abweichen. Insgesamt sind die Illustrationen jedoch einen Tick fantastischer geworden, etwas – wenn man so will – übertriebener, was jedoch im Einklang mit der leicht veränderten Weltenbeschreibung steht.

 

Als katastrophal empfinde ich jedoch das, was ich an den bisherigen FR-Produkten eigentlich immer besonders gemocht habe: Die Karten! Die beigefügte Posterkarte, die sich an der Mikroperforation sehr gut und schadlos aus dem Band trennen ließ, sieht aus wie ein Haufen zufällig ineinander geronnener Erdtöne. Sie ist - aus einigen Metern Entfernung betrachtet - zwar durchaus hübsch, dafür aber für das Spielen völlig unbrauchbar. Selbst die Legende vermag mir nicht aufzuzeigen, ob ich nun den Landschaftstyp „mesa“, „hills“, „desert“ oder „plains“ habe, da die gewählten Farben hierfür hellbeige, mittelbeige, beige-beige und zartgrün-beige sind. Der sich somit zwangsläufig ergebende völlige Kontrastverlust auf der Karte lässt das gezielte Suchen von Landschaftsmerkmalen auf der Posterkarte zu einem lustigen Spiel verkommen: „Mustersuche in hochverdünntem Rahmspinat“. Die Kartenausschnitte bei den jeweiligen Regionalbeschreibungen sind daher – weil sie keinen höheren Detailgrad aufweisen und nur aus der Posterkarte herauskopiert wurden - ebenfalls größtenteils unbrauchbar. Hinzu kommt, dass die Verortung der Städte und Geländemerkmale teilweise nicht mit deren Beschriftung übereinstimmt. Als populäres und nachvollziehbares Beispiel sei hier Waterdeep genannt, welches sich laut Karte mehrere Meilen landeinwärts an einem Fluss befinden müsste, laut Regionalbeschreibung jedoch nach wie vor direkt an der Schwertküste liegt. Ich werde das Produkt daher so zu bewerten haben, als habe es gar keine Posterkarte enthalten.

 

Inhalt

Das Werk beginnt mit einem knapp gehaltenen Vorwort, welches jedoch in wenigen Sätzen die Atmosphäre des Settings einzufangen vermag und die wichtigsten Änderungen gegenüber der Vorgänger-Edition zusammenfasst. Für den alten und den neuen FR-Spielleiter eine sinnvolle und stimmungsvolle, allerdings auch etwas knappe Lektüre.

 

Im Folgenden werde ich das Buch nach Kapiteln geordnet rezensieren.

 

Loudwater

Nach dem Vorwort wird man als Spielleiter gleich ins kalte Wasser geworfen: nach einer großartigen Kapitelillustration, die eine verschneite Landschaft zeigt, folgt sogleich ein Kampfencounter, in dem Goblins in die Stadt Loudwater eindringen, um ein Totem zu stehlen. Erst danach folgt die eigentliche Stadtbeschreibung Loudwaters, welche als abenteuerliche Wildnisregion eine erste Heimat für Abenteurer darstellen soll. Die Stadt bietet jede Menge rollenspielerisches Potential, nette Ideen und NSC. Leider unterwirft sich die Stadtarchitektur meiner Auffassung nach zu sehr dem Diktat des rechten Winkels und vermag es daher nicht, eine mittelalterliche oder von der frühen Renaissance angehauchte Fantasystadt darstellen zu können. Vielmehr gleicht sie einer Frontiertown im Wilden Westen, was natürlich gewollt sein kann, mir jedoch nicht wirklich gefällt. Die Beschreibung des Ortes ist jedenfalls sehr detailreich und die enthaltenen Abenteuerschnippsel eignen sich hervorragend, um neue Spieler in die Reiche zu befördern und auch gleich mit typischem FR-Flair zu verwöhnen. Um Spoiler hinsichtlich der Abenteuer zu vermeiden, ist es an dieser Stelle geboten, sich zurückzuhalten. Die Abenteuer und deren Encounter sind jedoch durchweg spannend und bieten auch viele rollenspielerische Momente. Dieses Kapitel ist vielleicht am Anfang des Buches etwas deplatziert, bietet für neue Spieler jedoch einen hervorragenden Einstieg in die Reiche. Für alte Spieler, die den Editionswechsel wagen wollen, stellt es einen schönen Tapetenwechsel dar, mit zahlreichen rollenspielerischen Möglichkeiten und Chancen.

 

Adventuring

Die doppelseitige Illustration eines Greifenreiters vor einem herrschaftlichen Schloss eröffnet dieses Kapitel. Sodann wird die Welt im Jahre 1479 Taliser Zeitrechnung kurz umrissen und es wird dargestellt, wie man diese Welt bereisen kann. Ein sehr, sehr knapp gehaltener Abschnitt über die Geschichte der Welt folgt, und der bekannte Kalender des Harptos wird – ähnlich illustriert wie in der 3E - erläutert. Der Versuch, den knappen geschichtlichen Abriss durch einen Hinweis auf die bereits erschienene „Grand History of the Realms“ und den „DnD-Insider“ zu rechtfertigen, überzeugt jedoch nicht. Hier hätte man mehr in die Tiefe gehen können und auch der Platz hätte hierzu ausreichen müssen. So hätte man beispielsweise andere, überflüssige Informationen (s. u. Kapitel „Faerûn and Beyond“, dort insbesondere das erwähnte „Beyond“) für die Zahlungswilligen in den „DnD-Insider“ verschieben können.

 

Danach widmet sich das Kapitel den „Tresaures“. Dieser Teil kommt wiederum recht gelungen daher, da nicht nur simple „Gold Pieces“ oder „Pieces of Art“ erläutert werden, sondern detaillierte Beschreibungen von Kunstgegenständen, die ihre Wurzel direkt im Setting selbst haben, dominieren. Diese sollen dazu anregen hierzu weitere Geschichten zu erfinden, um die Suche nach den Werken oder gar ganze Abenteuer auszuschmücken.

 

Sodann folgt ein Glossar, in dem einige Termini der Realms-Sprache erläutert werden, zu denen es auch kurze Anekdötchen gibt.

 

Insgesamt überzeugt das zweite Kapitel deutlich weniger als das erste. „Treasures“ und Glossar gefallen zwar außerordentlich gut und sind geeignet, jegliche Kampagne auszu“fluff“en. In dem für die „forgotten“ Realms jedoch wichtigsten Punkt, der Geschichte, patzt das Kapitel grandios. Eine Zusammenfassung der jüngsten Ereignisse, also derjenigen Ereignisse, die das Leben der im Jahr 1479 startenden Charaktere maßgeblich geprägt haben dürften, fehlt völlig. Dieser Umstand wirkt sich negativ auf die zu vergebende Note aus.

 

Magic

Das Kapitel widmet sich einem der Kernelemente der FR, der Magie. Als erstes wird die Spellplague geschildert, bzw. deren katastrophalen Auswirkungen auf die Magie, die Landschaft und die Kreaturen. Durch den Mord an der alten Göttin der Magie, Mystra, haben die bösen Götter Shar und Cyric das Gefüge der Welt völlig aus der Bahn geworfen. Die Magie funktionierte urplötzlich ganz anders als gewohnt, und Teile einer Parallelwelt, Abeir, wurden gewaltsam von der einen Realität in die andere gerissen. Ganze Teile der beiden Welten Toril und Abeir wurden geradezu ausgetauscht, da sich die Parallelwelten in einer ungünstigen Konstellation zueinender befanden und einander „überlappten“ als die Spellplague ausbrach. In der Folge stürzten ganze Landmassen in die Fluten, andere türmten sich auf und überall tauchten schwebende, aber ortsgebundene und immobile, Landbrocken auf, die eine fantastische Ergänzung des Landschaftsbildes darstellen. Diese weisen in der Regel eine normale Vegetation auf, die jedoch äußerst üppig zu sein scheint. So können sich aus einem mit Wäldern und Flüssen versehenen „Landbrocken“ unendliche Wasserfälle ergießen, um nur ein Beispiel zu nennen. Es wird angedeutet, dass bei manchen Kreaturen die Spellplague so genannte „Plaguechanged“ und „Spellscarred“ hervorgerufen hat, diese werden jedoch erst im FRPG erläutert werden.

 

Weitere Besonderheiten faerûnischer Magie werden ebenfalls kurz angerissen. So findet man Ausführungen zu Erdmagieknoten und Mythalen, zu Portalen und Fey Sites sowie zu den Plaguelands.

 

Bei der Beschreibung von magischen Gegenständen hingegen wird eine weitere Besonderheit des FR-Settings beschrieben: „Storied“ Items. Der SL wird angehalten, selbst einfachste magische Gegenstände durch Hintergrundgeschichten in der Spielwelt zu verankern und bietet hierfür einige gut ausgearbeitete und im Machtgefüge der 4E gut ausbalancierte Beispiele. Den Schluss des Kapitels bilden zwei Rituale, die eher für NSC gedacht sind.

 

Dieses Kapitel konnte mich wieder überwiegend überzeugen und machte mir Appetit auf die zu erwartenden Veränderungen. Lediglich die Wirkungsweise der Spellplague hätte mich noch etwas mehr interessiert, anstatt hier nur die Ergebnise und den gegenwärtigen Status präsentiert zu bekommen. Hier gilt das zur Auslassung der Geschichte der letzten 100 Jahre bereits Gesagte entsprechend.

 

Cosmology

Auch die Kosmologie der Reiche hat sich – wieder einmal - dramatisch gewandelt. Ich selbst bin eigentlich während der 3E weiterhin bekennender Anhänger des Great Wheels aus 2E-Zeiten geblieben und konnte sich mit dem „Baumsystem“ der Ebenen der 3E-FR nie richtig anfreunden. Jetzt gliedert sich die Kosmologie der FR genau so wie die Kosmologie des Core-Settings aus den Grundregelwerken, in „Astral Sea“, „Elemental Chaos“, „Feywild“ und „Shadowfell“.

 

Ich muss sagen, dass mich dieses Konzept sehr überzeugt, da die darin innewohnenden Konfliktpotentiale geeignet sind, die Geschichten und Abenteuer, die man auf Faerûn erlebt, mythisch zu untermauern. Der uralte Konflikt zwischen den Göttern, deren Domänen in der „Astral Sea“ treiben, und den Primordials, die zusammen mit Dämonen im „Elemental Chaos“ hausen, gefällt mir sehr gut. Besonders schön ist, dass mit dem Feywild, der Heimstatt der Naturgeister und Feenwesen, der Ursprungsort der Elfen auf Faerûn wieder näher an die materielle Ebene gerückt ist. Die Weiterentwicklung der in 3E-Zeiten immer populärer gewordenen Schattenebene zur Shadowfell, die nun auch die ehemals ätherische Heimat der Geister beherbergt, ist in meinen Augen nur konsequent.

 

Das Kapitel führt in die jeweiligen Ebenen ein und erläutert auch einzelne Domänen und Heimstätten der Götter und ihrer Diener. Auch hier hätte eine etwas detaillierte Schilderung sicherlich Wunder gewirkt, jedoch ist das Kapitel hinreichend beschrieben, so dass sich kreative SL problemlos an den gebotenen Abenteuerideen und Infos entlang hangeln können. Mir gefällt dieses Kapitel sehr gut.

 

Pantheon

Dies ist nun das Kapitel, welches im Vorfeld bereits bei vielen FR-Fans zu heftigen Diskussionen geführt hat, denn in der Tat wurde das Gesamt-Pantheon der Reiche doch arg gekürzt. Näher beschrieben werden nur noch 18 der größeren Götter, hierarchisch darunter befinden sich die „einfachen“ Götter und darunter wiederum die Exarchs oder Halbgötter. Die Primordials hingegen stellen die ehemaligen Elementargötter dar, dazu kommen noch sieben „verlorene Götter“ und Archdevils. In einer doppelseitigen Tabelle werden im Anschluss alle genannten nebst Gesinnung, Einflusssphäre, Domäne innerhalb der Ebenen, Bezeichnungen der Priester und dem zugehörigen Adjektiv benannt. Wer die zahlreichen Götterinformationen noch aus der 2E kennt, wird hier zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, dass auch in diesem Kapitel die Informationen - verglichen mit dem, was man bereits kennt - eher spärlich sind,. Dafür dürften Neulinge auch nicht mit unnötigen Infos überhäuft werden, und in der Tat beschränkt man sich bei den Beschreibungen auf das Wesentliche. Die Kürzung der Götterliste ist in meinen Augen ein richtiger Schritt gewesen und es verbleiben ja immer noch fast 90 übergeordnete Wesenheiten, die man in sein Spiel einbauen kann, so dass für jeden etwas dabei sein sollte. Dieses Kapitel stellt in meinen Augen eine überfällige Konzentration auf das Wesentliche dar und ist mit dem Vorgänger-Kapitel „Cosmology“ zusammen diejenige Änderung an den Reichen, die bei mir auf ungeteilte Zustimmung stößt. Bei anderen Änderungen ist das nicht der Fall, wie die Besprechung des folgenden Kapitels zeigen wird.

 

Faerûn and beyond

Viele der beschriebenen Länder sind in Folge der Spellplague gewaltigen Veränderungen unterworfen worden. Mulhorand, Unther und Chondath hat es am schlimmsten erwischt - es existieren nur noch Teile davon. Die Küsten der Sea of Fallen Stars sind stellenweise verdörrt, da das Wasserniveau gesunken ist, die Shaar ist nur noch bruchstückhaft vorhanden. Bei soviel Umwälzungen in den bekannten Reichen interessiert es einen doch, wohin die Reise geht.

 

In diesem Kapitel werden die einzelnen Reiche in alphabetischer Reihenfolge abgehandelt. Das Layout ist leider extrem großzügig ausgefallen, was zwar die Übersicht sehr erleichtert und für späteres Nachschlagen ideal ist, aber leider wird man aufgrund des vergeudeten Platzes nicht annähernd mit so umfassenden Infos gefüttert, wie man dies aus der Vorgänger-Edition gewohnt war.

 

Allerdings geht dieser Aneinanderreihung eine regionale Übersicht voraus, die die einzelnen Regionen zusammenfasst und es schafft, das jeweilige Flair der entsprechenden Gegenden gut einzufangen. Auf 4 Seiten hat man so einmal „Faerûn kompakt“, eine wirklich genial geschriebene Zusammenfassung, wie ich sie mir schon in früheren Bänden gewünscht hätte. Also die Einleitung des Kapitels überzeugt somit auf ganzer Linie.

 

Die sich anschließende Beschreibung der einzelnen Reiche überzeugt dagegen nur teilweise. Viele Regionen haben ein erfrischendes „Streamlining“ und „facelift“ erhalten (man verzeihe mir den Gebrauch von Anglizismen in diesem Zusammenhang): mancher Staat kommt ganz frisch daher, ohne den Reiz des Altbekannten jedoch zu verspielen. Die Ereignisse, die in den Romanen seit Erscheinen der 3E beschrieben worden sind, sind zum größten Teil in die politische und gesellschaftliche Geschichte der beschriebenen Reiche eingeflossen. Den Anfang einer Beschreibung macht dabei – nach einer denkbar knappen Einführung – immer ein so genannter Lore-Eintrag, aus dem sich ergibt, was SC wissen, wenn sie über entsprechende History oder Streetwise Werte verfügen. Die gewählten Schwierigkeitsgrade erscheinen mir dabei aber im Wesentlichen mehr als nur willkürlich. Die Regionalbeschreibungen sind nur spärlich illustriert, und die Kartenausschnitte, die ohnehin nicht mehr Informationen bieten als die Posterkarte, aus der sie kopiert worden sind, hätte man sich demzufolge auch gleich sparen können.

 

Es fällt auf, dass man beim Lesen hin-, und hergerissen ist. Vieles gefällt auf Anhieb, manches erstaunt, anderes entsetzt. Während die Kernreiche im Wesentlichen unangetastet bleiben, oder sinnvoll ergänzt werden (Cormyr, The Dales, Waterdeep, Baldur’s Gate), ist die Entwicklung weiterer Reiche nur konsequent und für Leser der FR-Romane wenig überraschend. Das Auftauchen neuer Spieler im Nationengefüge, etwa Netheril und High Imaskar gefallen mir sehr. Dass den Reichen Mulhorand und Unther hingegen neue Reiche auf den Kopf gefallen sind, fand ich hingegen reichlich unangemessen. Na, was soll’s, irgendwo muss man Tieflinge und Dragonborn ja im wahrsten Sinne des Wortes hinklatschen. Die Umwälzungen im Süden sind enorm, Halruua ist geradezu explodiert und von der Spelplague verseuchte Lande findet man im Süden allenorten, während sich mit dem Underchasm eine riesige Öffnung zum Unterreich darbietet, wo früher nur das vergleichbar kleine Great Rift gewesen ist. Chult ist nun eine Insel, Cormyr hat Teile Sembias erobert und sieht sich in eine Politik imperialer Expansion gezwungen, um gemeinsam mit den Dalelands, dem wieder erstarkten Myth Drannor, Evereska und Luruar (ehemals Silver Marches) einen Gegenpol zu Netheril und dessen Vasallenstaat Sembia zu bilden. Diese politischen Komponenten machen das Spielen in den neuen Reichen sicherlich sehr interessant. Cormyr und die Dalelands haben auch deutlich mehr Platz als die anderen - vergleichbar großen - Reiche, und man merkt deutlich, dass hier Ed Greenwood die Finger mit im Spiel hatte, so dass die Herzlande der Reiche wieder als solche erkennbar bleiben, allerdings politisch wesentlich brisanter und interessanter geworden sind.

 

Es finden sich darüber hinaus zahlreiche Neuzugänge im Staatengefüge, so etwa das kirchenstaatliche Elturgard, welches in unmittelbarer Nähe zu Najara, dem Reich der Yuan-Ti liegt. Evermeet liegt nunmehr im „Feenreich“ (Feywild) - Avalon und der Herr der Ringe lassen schön grüßen. Während die Anauroch durch Netherils Einfluss immer weniger Wüste ist, liegt Zhentil Keep nach wie vor in Trümmern, der Mondsee und seine Stadtstaaten sind jedoch so wild und böse wie eh und je. Die Reiche unter der See werden ebenfalls besprochen. Eine neue Bedrohung scheinen die Abolethen zu sein, die mit ihrer unaussprechlichen versunkenen und schwebenden Stadt Xxiphu und der Verbindung zu dem sagenumwobenen „Far Realm“ eine lovecraft’sche Komponente in das FR-Setting bringen.

 

Rashemen hingegen bleibt Rashemen, wie es zaubert und berserkt, nur die Nachbarn in Thay sind jetzt endgültig dank Szass Tam zu einer Untoten-Nation geworden, die den ganzen Unapproachable East bedroht. Im äußersten Südwesten hingegen schlagen sich dank ihrer befreiten Gebieter in Calimshan die Anhänger des Efreet Memnon und des Djinn Calim auch nach Jahrhunderten wieder die Köpfe ein. Im Norden haben sich die Zwerge von Luruar losgesagt, weil die ehemaligen Silver Marches die Grenzziehung des orkischen Kingdom of Many-Arrows akzeptiert haben. An der Schwertküste ist jetzt Baldur’s Gate die größte Stadt, und auch Waterdeep hat einige neue Viertel hinzugewonnen.

 

Ich kann jetzt nicht alle Nationen und Stadtstaaten benennen, aber es fällt auf, dass die Beschreibungen im Vergleich zur 3E allesamt etwas düsterer und bedrohlicher ausfallen. Viele mächtige NSC sind von der Bühne verschwunden und die bisher geschilderten Reiche eignen sich besser als je zuvor für ein reichhaltiges Intrigenspiel verschiedenster Nationen, Stadtstaaten, Kirchen, Rassen, Handelshäuser und anderer Machtgruppen. Das Kapitel hält mich also bis jetzt gefangen, auch wenn aufgrund des gewählten Layouts sicherlich einige Detailinformationen gekürzt werden mussten. Leider.

 

Aber dann kommt’s: Returned Abeir! Was sich die Designer hierbei gedacht haben, will mir einfach beim besten Willen nicht einleuchten. Hier wird Platz vergeudet, den man auf das „Kerngeschäft“ der Forgotten Realms, nämlich Faerûn, hätte verwenden sollen, nein: müssen! Stattdessen wird ein niegelnagelneuer, supertoller Kontinent voller Drachen und deren Sklaven sowie wilden Gegenden präsentiert, der rein zufällig den Platz mit Maztika getauscht hat. In den zugehörigen Regionenbeschreibungen sucht man vergebens nach einem „warum“, denn wirklich innovativ und neu sind die dargebotenen Nationen kaum. Es wird nicht mit einem einzigen Wort erwähnt, ob und ggf. wie bereits Wechselbeziehungen zwischen Returned Abeir’s Nationen und denen auf Faerûn bestehen. Die Amnier werden sich jedenfalls wundern, wo ihre Kolonien hin sind, sollte man meinen. Hier hat WotC 18 Seiten verschwendet, die einen anderen - besseren - Inhalt verdient hätten.

 

Weitere 18 Seiten beschäftigen sich anschließend mit den Reichen im Underdark und bieten somit mehr Informationen über diese Gebiete, als man dies je zuvor in einem Grundregelwerk hatte. Hier gefallen die beschriebenen Regionen ausgesprochen gut und auch die bestehenden Wechselwirkungen zwischen diesen Reichen und den geographisch nahen Oberflächenreichen (oder auch den unterseeischen) werden gut und ausreichend erläutert.

 

Dieses Kapitel besticht im Ergebnis durch teilweise grandiose Ideen - altbekanntes mit neuem, frischem Anstrich, aber leider auch durch haarsträubendes und vor allem durch viel verschenkten Platz. Der Aufbau und das übersichtliche Layout hingegen sind erfrischend, jedoch hätte ich mir statt der ohnehin unpraktischen Kartenausschnitte und den 18 Seiten Returned Abeir mehr Inhalt zu den „klassischen“ Reichen gewünscht. Ein neuer SL würde aber ohnehin so oder so von dem Inhalt erschlagen werden, und wird so wesentlich besser an die Reiche herangeführt.

 

Threats

Jetzt kommt das Kapitel, das neben den oben erwähnten Encounters im Eingangskapitel sowie den wenigen (8) magischen Gegenständen und den zwei Ritualen aus dem Magic-Kapitel am meisten „Crunch“ enthält. Das Kapitel führt mehrere Machtgruppen ein, die sich als potentielle Gegner eignen, erläutert in äußerst knapper Form deren Motivation und gibt dann die Werte von Monstern und NSC an. Neben alten Bekannten, z. B. den Kirchen von Bane und Shar, natürlich den Zhentarim und dem Cult of the Dragon finden sich auch Neuzugänge wie The Cort of Rorn und Eminence of Araunt, die ausschließlich auf Returned Abeir tätig sind und damit folgerichtig ebenfalls verschenkten Platz bedeuten. Alles in allem sind die Beschreibungen der Bedrohungen, seien es nun Thay, Netheril oder die Drow, jedoch sehr gelungen und führen den unerfahrenen SL mit zahlreichen Beispielen an die Aufgabe heran, komplexe Gegnergruppen zusammenzustellen, die intelligent reagieren und nicht nur in Kampfbegegnungen enden müssen. Die Statblocks sind allesamt übersichtlich und ermöglichen einen zeitlich unverzögerten Einsatz direkt im Spiel. Es fällt auf, dass die Gegner durchaus mächtige Powers einsetzen können und teilweise echt harte Brocken darstellen. Negativ fällt auf, dass die beschriebenen NSC auch nur im Statblock/Monsterformat daherkommen. Ein komplett ausgearbeiteter Statblock wäre sehr begrüßenswert gewesen, insbesondere bei Manshoon, Fzoul Chembryl, Szass Tam und Jarlaxle. Aber da man dafür vermutlich das „Returned Abeir“ Material hätte opfern müssen…

 

Obwohl die meisten Organisationen gut ausgearbeitet sind und insbesondere den Neu-SL entlasten, erreicht dieses Kapitel leider nicht das volle Potential, das es normalerweise gehabt hätte.

 

 

Fazit:

Ich bin wirklich sehr zwiegespalten. Vieles an den klassischen Reichen hat – auch wenn das Plot Device Spellplague sehr umstritten ist - einen erfrischend neuen Anstrich bekommen. Viele der Reiche zeigen sich von einer neuen, düsteren, aber zugleich wesentlich fantastischeren Seite. Das politische Gefüge ist wesentlich interessanter geworden und bietet sehr viel Konfliktmaterial, das der FR-Spielleiter nutzen kann. Vieles, was das Spielen in den Reichen früher bisweilen verkompliziert oder unheroisch gemacht hat, ist weggefallen. Die mächtigsten (guten) NSC sind von der Bildfläche verschwunden, das Augenmerk liegt auf der Heldengruppe des SL. Die Götter haben eine überfällige Entschlackung erfahren und die neue Kosmologie passt zu der neuen, fantastischeren Welt der FR wesentlich besser als das Modell der direkten Vorgänger-Edition. Das Layout ist sehr übersichtlich, die Bebilderung (bis auf wenige Ausnahmen und einige „recyclete“ Bilder älterer Produkte) ist sehr gut gelungen. Die Beschreibungen sind stimmig und die Atmosphäre von Faerûn wird hervorragend transportiert. Zudem bildet es eine sinnvolle Weiterentwicklung der Welt ab, die in den vergangenen hundert Jahren große Umwälzungen erleben und sich den neuen Aufgaben stellen musste, zugleich aber große Teile der Tradition wahren konnte. Neue SL bekommen eine facettenreiche, frische Welt voller Gefahren und Abenteuerideen geboten, die sich wunderbar am Spieltisch umsetzen und erleben lässt. Die Designer lassen auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass die 4E, wie sie in den Reichen gespielt werden sollte, ein "echtes" Rollenspiel ist: immer wieder wird auf die vielen Möglichkeiten eines intrigenreichen Spiels hingewiesen, das sich an dem reichhaltigen Hintergrund der Spielwelt orientiert, und der SL wird sehr häufig ermuntert, die Welt und deren Geschichte, Machtgruppen und Facetten in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen.

 

Für den erfahrenen FR-Fan könnte dieses Buch jedoch – aber nur teilweise - einen kleinen Schock darstellen. So wie ich mich über den verschenkten Platz durch das Returned Abeir geärgert habe, mag manch einer der Reduktion des Götterpantheons kritisch gegenüberstehen. Der Fan sei jedoch dahingehend beruhigt, dass die FR die FR bleiben, wenngleich mit einigen kosmetischen und einigen größeren Korrekturen. Misst man den Inhalt des Buches daran, dass angekündigt worden ist, keine Regionalbände zu veröffentlichen, so ist der vergeudete Platz umso ärgerlicher. Die miserable Posterkarte tut das Übrige, um den eigentlich guten Gesamteindruck massiv zu stören. Der FRCG hat leider zu viel verschenktes Potential. Auch wenn die Regionalbeschreibungen den Großteil des Buches ausmachen, so ist doch gerade hier der Platz verschenkt worden, der nötig gewesen wäre, um den alten FR-Fan noch mehr zu überzeugen. Allerdings bekommt auch der „Alt-Fan“ mit dem Loudwater-Kapitel einen wunderschönen detailliert und liebevoll ausgearbeiteten Kampagnenstart geboten, der in dieser Form wirklich als durchaus gelungen bezeichnet werden kann.

 

 

Alles in allem komme ich zu einer Gesamtwertung von 3.5 Punkten. Neu-SL, die eine Kampagne starten, oder zum ersten Mal überhaupt ein Setting kaufen, sollten zu dieser Wertung gut und gerne 0,5 Punkte hinzuzählen. Alten Hasen hingegen mögen manche Veränderungen so sauer aufstoßen, dass ein noch deutlicherer Abzug gerechtfertigt wäre. Für mich hingegen ist es ein solides FR-Produkt, welches sein eigentliches Potential etwas verspielt hat, dass mich aber insbesondere durch die aufgeräumte NSC- und Götterwelt, die Kosmologie, aber vor allem durch die politische Kleinstaaterei und die zahlreichen Interessengruppen in den Bann gezogen hat. Ich verfolge mit Spannung die Veränderungen, die die Spellplague über „meine“ Reiche gebracht hat, und sehe bis auf wenige Ausnahmen (Returned Abeir, weg mit Mulhorand und Unther) eine sinnvolle und spannende Weiterentwicklung einer dynamischen „Shared World“. Man hat alte Zöpfe abgeschnitten, Bewährtes erhalten und konsequent in Richtung Konfliktfreudigkeit weiterentwickelt, neue Spieler auf die Bühne geholt. All das, so muss ich zugeben, gefällt mir sehr. Lediglich Umfang, Präsentation und die Aufnahme unnötiger Inhalte halten mich von einer besseren Wertung ab.