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Wraith Recon - Special Forces in a World of High Fantasy
Bewertung:
(3.5)
Von: Nico Bracht
Alias: Cut
Am: 15.03.2009
Autor:Bryan Steele
Typ:Kampagnenwelt
System:D&D 4E - 3rd Party Campaign Setting
Setting:Nuera
VerlagMongoose Publishing
ISBN/ASIN:978-1-90610-92-7
Inhalt:144 Seiten, Hardcover
Sprache:Englisch

Die Idee:

Mit Wraith Recon (im Nachfolgenden abgekürzt mit „WR“) bringt Mongoose Publishing („MGP“) wohl eines der ungewöhnlichsten Rollenspiel-Settings auf den Markt. WR trägt den Untertitel „Special Forces in a World of High Fantasy“ und befasst sich im Kern mit den Aufträgen und Missionen eines Spezial-Einsatz-Kommandos des extra für dieses Kampagnen-Set erdachten Königreichs Dardarrick.

Dabei vereint WR Teile von verschiedenen Rollenspielgenres in sich: etwa klassische Fantasy- sowie Agenten- bzw. Militärszenarien. All das wird unter dem Regelsystem der aktuellen vierten Edition von Dungeons & Dragons gespielt.

 

Die Welt Nuera, auf der WR angesiedelt ist, teilt sich in verschiedene Königreiche auf, von denen Dardarrick militärisch und politisch am mächtigsten ist. Doch diese Vormachtstellung wird von all den anderen kleineren Reichen bedroht, die sonst noch auf Nuera angesiedelt sind. Da sich Dardarrick seinen Vorsprung nicht nehmen lassen möchte, ist man hinter den Kulissen bereit, alles dafür zu tun, was nötig ist, um diese Vormachtstellung zu zementieren. In Anbetracht stetig wachsender Gefahren, wurden heimlich die Wraith-Recon-Spezialeinheiten ins Leben gerufen. Streng geheime, top ausgebildete Spezialisten formen kleine Teams, deren Aufgabenbereiche, Spionage, Gegenspionage, Erkundungsmissionen aber auch Attentate und vieles weitere umfassen. Dabei steht den Mitgliedern der einzelnen WR-Teams das Nonplusultra an dardarrickscher Technologie zur Verfügung. Die Spieler übernehmen nun die Rolle der Mitglieder eines dieser Teams. Wraith Recon 4 ist das Team der Spieler. Von nun an müssen die Spieler alles dafür tun, dass Dardarrick seinen Feinden immer einen Schritt voraus bleibt.

 

Die Optik:

Das Cover zeigt schon an, in welche Spielrichtung sich das Buch orientiert.

Vor einer Kampfszene im Hintergrund sehen wir einen einzelnen Wraith in voller Ausrüstung und mit gespannter Armbrust im Anschlag. Hier wird schnell klar, dass wir ein kampf- und actionorientiertes Setting in die Hand bekommen haben, welches deutlich martialische Einschläge zeigt.

 

Das Buch:

Die Probleme, die MGP mit seiner Buchqualität hatte, sind vorbei. WR kommt nicht mehr aus der Hausproduktionsanlage des Verlags, sondern wurde wieder extern produziert. Wie so oft bei Büchern aus dem Hause MGP wird auf Farbe weitestgehend verzichtet. Einzig die auf den inneren Umschlagseiten enthaltenen Karten von Nuera sind voll vollfarbig.

Der Druck ist wie so oft klar und gut lesbar. Leider haben sich wieder einmal eine Menge Tipp- und Satzfehler in das fertige Produkt geschlichen. Eine Unart, die Mongoose schon einmal besser in den Griff bekommen hatte. Auch der Schreibstil des Mongoose-Autoren Bryan Steele, dessen Arbeit für den Verlag ich eigentlich als qualitativ hochwertig zu schätzen gelernt habe, fällt in diesem Falle leider etwas ab. Viele der Inhalte und Hintergründe wirken schnell erdacht und Steele erreicht nicht den Tiefgang und die Stimmigkeit, die ich sonst bei ihm schätze.

 

Der Inhalt:

Die 144 Seiten des Szenariobandes enthalten folgende Abschnitte:

Credits & Contents

Introduction

Wraith Recon: The Strike Teams

Wraith Recon 4: Creating the Team

The World of Nuera

The Millitary of Dardarrick

The Kingdom of Lorn

The Kingdom of Torres

The Wildlands

The Cult of Tomarsson

Minor Threats

Wraith Recon Missions

Campaign 0: The Lorn Initiative

Index

 

Den kleinsten Teil des Buches nehmen die Beschreibungen der Welt Nuera und ihrer Königreiche ein. Bei WR handelt es sich nicht um ein Kampagnen-Set im eigentlichen Sinne. Vielmehr stehen die neuen Technologien und die Strukturen der Wraith Recon Teams im Mittelpunkt der Darstellung. Ausführungen zur Welt liefern nur einen Hintergrund, vor dem die WR-Teams dann agieren.

Insbesondere die Entwicklung eines Spielerteams (Wraith Recon 4), die Erläuterungen, welche Arten von Missionen denkbar sind, Ausführungen über SpellCommand („SpellCom“) und besondere Technologien, die den Wraiths zur Verfügung stehen, und natürlich der Beginn der ersten WR-Kampagne sind von zentraler Bedeutung für das Buch und erhalten den meisten Platz.

 

In Hinblick auf die Brauchbarkeit als reine Weltbeschreibung von Nuera ist WR sicherlich unterdurchschnittlich gut geschrieben. Allerdings sind die Ideen und Ausführungen zur Erstellung eines eigenen WR-Teams, die diversen Ausrüstungsgegenstände und Hintergründe sowie die Einrichtungen (etwa „SpellCom“) absolut innovativ und gut erdacht.

 

Es macht viel Spaß, ein Team zusammen zu stellen und es auf die erste, im Buch enthaltene Mission, zu schicken. Hier kann das Produkt überzeugen und damit auch im Rahmen der Bewertung punkten. Man bekommt ein ausgefallenes, schnelles, aktisch orientiertes Spielsetting an die Hand, wenngleich mir persönlich der sehr actionslastige Spielstil auf Dauer zu eintönig werden würde und mir klassische Handlungselemente fehlen würden. Fehlende rollenspielerische Elemente kann ein motivierter Spielleiter sicherlich noch selber beibringen, allerdings beraubt man WR damit einer seiner Stärken: der schnellen Spielbarkeit und der guten Unterstützung mit vorgefertigten Missionspaketen.

Positiv fällt noch auf, dass die erste enthaltene Kampagne die neue Regelmechanik der „Skill Challenges“ intensiv nutzt, wenngleich auch das Errata zur Skill Challenge noch nicht eingearbeitet wurde.

 

Pro und Contra:

Es fällt mir sehr schwer, WR zu bewerten. Dieses Setting ist definitiv Geschmackssache. Wie weiter oben schon vermerkt, ist das schriftstellerische Element etwas zu kurz gekommen. Die Beschreibungen der Welt und ihrer Bewohner sind eher zurückhalten und plakativ, denn besonders tiefgründig und weitschweifend, wie man es aus anderen Kampagnen-Sets gewohnt ist.

Im Vordergrund des Buches stehen definitiv nicht die Erläuterungen zur Welt, sondern die Regelungen zur Erstellung seines eigenen WR-Teams und die Darstellung der verschiedenen technologischen Möglichkeiten, die den Wraiths (dank SpellCom) zur Verfügung stehen. Die Beschreibung des Königreiches Dardarrick (und damit auch die Ausrichtung der WR-Teams) ist mir viel zu „patriotisch“ (in Ermangelung eines besseren Wortes dafür) verfasst; der Blick auf die anderen Länder und ihre Bewohner wirkt von oben herab und zu elitär. Doch natürlich ist für diese Art von Spiel der unbedingte Wille, „sein“ Land und „sein“ Volk zu schützen extrem wichtig. Dennoch gefällt mir die Ausformulierung und Darstellung von Bryan Steele in diesem Falle nicht, obgleich ich andere seiner Rollenspielbücher sehr schätze.

 

Da WR aber einen Spieltypus ermöglicht, der sicherlich vielen so in einem Fantasy-Rollenspiel noch nicht begegnet ist, stelle ich einfach einmal die Pro und Contra Seiten gegenüber, so dass man sich ein Bild machen kann, wie ich zu meinen Einschätzungen gelangt bin.

 

Diese Art des Spiels hat sicherlich ein paar Vorteile, die auf der Hand liegen: So sind extrem kurze Spielsessions möglich. Man kann als Spielleiter die Missionen so gestalten, dass sie zum verfügbaren Zeitrahmen passen. Man muss auch nicht mehr groß ein Team künstlich in der nächsten Kneipe zusammenführen. Diese Leute sind ein Team und fertig.

Ein Kampagnen-Spiel über mehrere Missionen hin scheint das Ziel von MGP zu sein. Die Missionen sind gut ausgearbeitet und quasi aus dem Buch heraus spielbar. Den Anfang einer ersten Kampagne findet man in WR am Ende. Diese Kampagne wird dann direkt in weiteren Produkten aufgegriffen und fortgesetzt.

Der Spielstil, den WR propagiert, passt extrem gut zum neuen, taktisch orientierteren, auf Begegnungen („Encountern“) basierenden D&D der 4. Edition. Die einzelnen Missionen oder ihre Teile sind immer jeweils einzelne Encounter.

Zum Einstieg ins WR-Setting braucht man als Gruppe nicht viel Material. Der Spielleiter muss gerade mal das WR-Buch besitzen sowie das Monster Manual und vielleicht noch ein Starter Set der 4E. Monsterwerte sind (zumindest im WR-Basisbuch keine enthalten!).

Die Gruppe braucht im Prinzip von den drei 4E-Grundregelwerken nur ein PHB. Ein Neueinstieg eines Charakters oder ein Ausscheiden einer der Figuren ist jederzeit möglich. Es gibt nie wieder seltsame Konstruktionen um die Abwesenheit einer Figur zu erklären. Dem Team werden einfach neue Mitglieder zugeteilt oder eben abberufen. Spielt man das Spiel mit einer Mischung aus Ernst und Augenzwinkern, hat man ein kurzweiliges, wenngleich an ein Brettspiel erinnerndes Spielerlebnis.

 

Als Nachteile sind sicherlich zu nennen, dass das Buch mit weniger als 160 Seiten Umfang eher dünn und dafür recht teuer ist (34,95 $). Zur Umsetzung dieser Art des Spiels ist sehr wenig eigentliches Rollenspiel von Nöten. Hier kommt eher das Gefühl auf, ein taktisches Brettspiel oder ein Tabletop-Spiel zu spielen.

Der Schreibstil, den Bryan Steele benutzt, ist ähnlich dem in den 4E Grundregelwerken, also eher spartanisch. Das Buch besticht sicherlich auch nicht gerade durch sein etwas langweiliges schwarz-weißes Layout und es haben sich einige Tippfehler mehr als selbst von MGP zu erwarten waren eingeschlichen. Des weiteren dürften die „patriotischen“ Darstellungen und Erläuterungen nicht unbedingt jedermanns Sache sein.

 

Aus diesen Ausführungen und dem Wissen um die Präferenzen der eigenen Gruppe, muss sich nun jeder 4E Spielleiter Gedanken machen, ob er in das WR-Buch investieren möchte oder eher nicht.

 

Fazit:

Wraith Recon ist sicherlich ein interessanter Ansatz, eine auf die Regeln der 4E D&D perfekt zugeschnittene D&D-Kampagne an den Start zu bringen.

Die Idee einer Spezialeinheit auf Fantasy-Rollenspiel-Ebene ist meines Wissens nach auch so noch nie da gewesen und durchaus lohnenswert. Das Spiel selber dürfte ein El Dorado für alle Power Gamer sein, da den Mitgliedern von WR4 natürlich nur das beste Material und Personal zur Verfügung steht und die Helden aufgewertet sind. Leider rückt das Rollenspiel schnell in den Hintergrund und weicht einer actionreichen Umsetzung quasi-militärischen Szenarien.

Ich könnte mir vorstellen, WR als eine Kampagne mit meiner Gruppe zu spielen, die als Lückenfüller oder als taktisches Gegenstück zu einer rollenspiellastigeren und damit in meinen Augen „anspruchsvolleren“ Kampagne dient, nicht jedoch als die Kernkampagne meiner Gruppe.

Ein großer Vorteil von WR ist, dass man schnell wieder in die Szenarien hinein findet und die Reihe von MGP mit fertigen Missionspacks unterstützt wird, so dass ein Spiel ohne lange Vorbereitungszeit möglich wird. Als Haupt-Setting kann ich mir WR persönlich wie gesagt nicht vorstellen, aber es mag sicherlich Gruppen geben, die nur auf einen Kampagnenband gewartet haben, der ihnen diese oben beschriebenen Spiel-Möglichkeiten bietet.

 

Aufgrund der innovativen Ideen und der perfekten Angepasstheit an die 4E Regeln, bewerte ich das Buch, trotz einiger handwerklicher und schriftstellerischer Schwächen, mit guten 3,5 Punkten.