Historische Romane zur Zeit des Mittelalters gibt es wie Sand am Meer. Auch die Antike – das Römische Reich oder das antike Griechenland – ist literarisch längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Aber geht man noch weiter zurück in der Menschheitsgeschichte, so wird die Auswahl immer kleiner, und zur Bronzezeit schließlich fällt zumindest mir kein einziger Roman ein.
Viola Alvarez widmet nun diesem Zeitalter nicht nur einen Roman, sondern gleich einen ganzen Romanzyklus aus drei Bänden: „Der Himmel aus Bronze“. In dieser Rezension soll der erste Band der Trilogie, „Die Steine des Gorr“, besprochen werden. Erster Eindruck; Aufmachung und GestaltungDie vorliegende Ausgabe von „Die Steine des Gorr“ ist eine Hardcover-Ausgabe – die einzig verfügbare, denn eine Taschenbuch-Ausgabe ist derzeit noch nicht geplant. In einem stabilen Leinen-Einband findet man 446 nicht wirklich eng bedruckte Seiten.
Das Cover zeigt im Hintergrund die relativ berühmte Himmelsscheibe von Nebra – die, soviel darf verraten werden, im Roman auch eine zentrale Rolle einnimmt – und ein Büschel roter Haare. Interessanterweise reichen diese beiden Dinge in Kombination bei mir völlig aus, um die Assoziation „Bronzezeit!“ hervorzurufen. Was mir persönlich dagegen nicht gefällt, ist, dass sich der Schutzumschlag anfühlt, als wäre er aus recycelter Wellpappe. Irgendwie billig. Da erwarte ich mir von einem (teuren) Hardcover eigentlich eine haptisch gefälligere Ausführung.
Innen findet man aber glücklicherweise eine ordentliche Papierqualität vor. Die gedruckte Schrift ist gut lesbar und verwischt auch beim Blättern nicht. Das Layout ist schlicht und klar: Die Kapitel werden durch die Kapitelnummer und eine kurze Überschrift eingeleitet. Mehr gestalterische Merkmale gibt es nicht, aber es müssen ja auch nicht immer opulente doppelseitige Bilder sein. Natürlich ist dem Buch auch ein Lesebändchen beigefügt. InhaltWie gewohnt gebe ich an dieser Stelle zur Handlung des Romans nur den Klappentext wieder, um potentiellen Lesern nicht den Lesespaß zu nehmen.
Eine Goldscheibe mit rätselhaften Zeichen. Ein Junge mit einem gefährlichen Auftrag. Ein spannender Roman um das größte Geheimnis der Bronzezeit.
Als im kältesten aller Winter in den Wäldern des Gorr fünfzehn tote Männer gefunden werden, geraten die Dorfbewohner in Panik. Die Toten, aufgereiht wie zerbrochene Zweige, sind mit Eis überzogen, ihre Augen fehlen. Um mögliches Unheil abzuwenden, schickt der grausame Rinn ausgerechnet den sechzehnjährigen Hayso, Wasser von der Quelle bei „den Steinen“ zu holen, einer geheimnisvollen Kultstätte.
Ohne Hoffnung lebend zurückzukehren, macht sich Hayso auf den Weg. Er ist ein Außenseiter, elternlos und durch seine schlechten Augen beeinträchtigt. Durch ein ausgeklügeltes Zählsystem kommt er unversehrt bei „den Steinen“ an. Doch was er dort findet ist weitaus rätselhafter als die fünfzehn toten Männer. Bald schon wird Hayso klar, dass er nicht zufällig hier ist: Er muss „Das Geheimnis des Himmels“ finden, um es vor den Mächten des Bösen zu schützen.
Es scheint sich also hier um eine Neuauflage des altbekannten Themas „Krasser Außenseiter wird urplötzlich in die Handlung geworfen, folgt einer unbekannten Prophezeiung und wird zur Schlüsselfigur im Kampf Gut gegen Böse“, was an sich natürlich kein Kritikpunkt ist, denn die Ausführung des Themas entscheidet ja. Und die ist hier zwar nicht herausragend innovativ, aber durchaus solide. Hayso, die Hauptfigur, aus deren Perspektive der ganze Roman erzählt wird, ist erstmal ein absolut a-typischer Protagonist: dick, ungeschickt, fast blind – in der Bronzezeit hat so einer eigentlich kaum eine Überlebenschance, und das wird anfangs auch immer wieder deutlich gemacht. Natürlich will man sich als Leser aber auch irgendwie mit dem Protagonisten identifizieren (und wer will sich schon mit so jemandem wie Hayso identifizieren?), und so wird nach einer Weile aus Hayso dem Nichtsnutz zwar nicht Hayso der Held, aber doch wenigstens Hayso der (Bronzezeit-)Normalo mit Potential zum Helden. Mir ist der von der Autorin verwendete Kunstgriff dazu allerdings etwas zu künstlich und abrupt, das hätte man meiner Meinung nach etwas besser lösen können. Was Viola Alvarez allerdings sehr gut gelungen ist, ist die Charakterisierung der auftretenden Personen, insbesondere des Protagonisten Hayso – was natürlich durch die gewählte Ich-Perspektive etwas erleichtert wird –, aber auch der Vielzahl der auftretenden Neben-Personen, denen die Autorin durchaus Leben einzuhauchen vermag, so dass man sich in jeden hineinversetzen kann. Dies ist auch deshalb gut, da es sich bei „Die Steine des Gorr“ um den ersten Band einer Trilogie handelt, und in diesen muss naturgemäß erst einmal viel Zeit bzw. Platz aufgewendet werden, um die auftretenden Personen ordentlich einzuführen – hier ist das gut gelungen.
Die Puristen unter den Lesern Historischer Romane werden sich wahrscheinlich an einigen Elementen stören, die auf den ersten Blick fantasyartig (und interessanterweise ist der Roman auf der Verlagshomepage auch mit dem zusätzlichen Label „Fantasy-Roman“ versehen, eine Kategorisierung, die ich so nicht unterschreiben würde) wirken, doch jenen sei versichert, dass fast alle vermeintlich fantastischen Elemente eine sinnige und glaubwürdige Erklärung finden, auch die mysteriösen Toten, von denen weiter oben die Rede ist. Und in der Tat sind es meiner Meinung nach gerade diese vermeintlich fantasy-artigen Elemente, die die Bronzezeit am Besten charakterisieren, handelt es sich doch um eine Zeit voll von Glauben an Magie, Prophezeiungen und die Götter, in denen genau dieser (Aber-?)Glaube jede einzelne Handlung bis ins Letzte hinein bestimmt (das merkt man im Roman auch an den verwendeten mystisch angehauchten Beschreibungen für die alltäglichsten Dinge, z.B. Schnee). Und da der Roman aus der Perspektive eines Bronzezeitlers erzählt wird, ist es nur natürlich, dass alles auch so beschrieben wird, wie er es wahrnimmt. Eine nüchternere, aufgeklärtere, weniger mystische Perspektive wäre dem Lesespaß eher abträglich gewesen, insofern hat Viola Alvarez eine gute Entscheidung getroffen. Wer sich sein eigenes Bild machen möchte, der hat durch die Leseprobe auf der Verlags-Homepage die Gelegenheit dazu – der Link befindet sich neben dem Rezensions-Text.
Insgesamt gesehen fängt der Roman die Atmosphäre der Bronzezeit ganz gut ein. Ich gebe aber auch zu, ich bin kein Historiker, und insofern kann ich mir eigentlich kein tieferes Urteil über die historische Korrektheit des Romans erlauben – da es sich hier aber sowieso nur um einen Roman handelt, der primär unterhalten will, ist das wohl nebensächlich.
Es sollte an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden, dass „Die Steine des Gorr“ genau jenes Problem besitzt, das bei so vielen ersten Bänden von mehrbändigen Reihen auftritt: Das Ende kommt abrupt. Ziemlich abrupt, in der Film-Branche würde man wohl „Cliffhanger“ sagen. Den ganzen Roman über wurde der Konflikt Gut gegen Böse mühsam aufgebaut, am Ende kommt die große Enthüllung des Bösen (eigentlich mehrere Enthüllungen sogar, denn das Geheimnis des Himmels wird auch gelüftet) und dann? Nichts. Ende des ersten Bandes. Das lässt mich recht unbefriedigt zurück. Ich finde, da hätte man durchaus einen vernünftigen Abschluss finden können, damit der erste Band zumindest in sich geschlossen ist. Dies ist wohl aber genauso Geschmackssache wie inhärentes Problem von Mehrteilern, insofern lasse ich diesen Punkt in die Bewertung nicht so stark einfließen. Fazit:Unterm Strich würde ich „Die Steine des Gorr“ als soliden, gut gemachten Roman bezeichnen. Die Handlung ist durchdacht und spannend geschrieben, allerdings stellenweise etwas zäh. Die Geschichte hat durchaus Potential und macht Lust auf mehr, allerdings wird sie für meine Begriffe zu abrupt beendet – etwas weniger Cliffhanger wäre schön gewesen. Auch das schreiberische Können von Viola Alvarez wird in diesem Roman deutlich, die Charakterisierung der einzelnen Akteure ist durchaus gut gelungen, und die Wortwahl sowie die sehr oft mystisch angehauchten Beschreibungen fangen die Atmosphäre der Bronzezeit – zumindest so, wie man sie sie sich als Laie heutzutage vorstellt – sehr schön ein.
Aufmachung und Gestaltung hinterlassen einen gemischten Eindruck. Innen ist das Buch handwerklich ordentlich ausgeführt, die Gestaltung ist zwar schlicht, aber zweckmäßig, auch das Cover sieht gefällig aus – die Ausführung in haptisch unangenehmem „Wellpapier“ gefällt mir aber überhaupt nicht.
Insgesamt vergebe ich für „Die Steine des Gorr“ daher eine Gesamtnote von 3,9 – was in Schulnoten einem „gut“ entspricht. Der Roman ist mit seinem für ein Hardcover recht günstigen Preis von 19,95 EUR sicherlich kein Fehlkauf für an der Bronzezeit interessierte Leser. Ich bin gespannt, wie die Reihe weitergeht, denn der zweite Band „Das Auge des Himmels“ ist ja bereits für den 14.11.2009 angekündigt. |
||||||||||||||||||