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InhaltWir befinden uns in einer postapokalyptischen Welt. Die Menschheit wurde zum größten Teil Opfer einer Epidemie, welche die einzelnen Menschen in willenlose Zombies verwandelt. Wer einmal befallen ist, kann nicht gerettet werden. Er ist dazu verurteilt, unter seinesgleichen vor sich hin zu vegetieren, immer auf der Suche nach frischem Fleisch, von dem er sich ernähren kann.
Mitten in einem Wald – dem Wald der tausend Augen – liegt die letzte Bastion der Menschheit: ein Dorf, welches sich um ein ehemaliges Weingut herum gegründet hat. Ständig durch die Ungeweihten bedroht und nur durch einen Maschendrahtzaun von ihnen getrennt, leben hier die letzten überlebenden Menschen. Das Leben ist hart und geprägt von Traditionen und Ritualen, welche notwendig sind, um das Überleben der kleinen Gesellschaft zu garantieren. Heiraten aus Liebe gibt es schon lange nicht mehr, denn die Ehe dient nur einem Zweck, nämlich den Fortbestand der Menschheit durch die Zeugung von Nachkommen zu sichern.
Beherrscht wird das Dorf durch die Schwesternschaft, einen Bund straff organisierter und religiöser, an Nonnen erinnernder Frauen, welche mit strenger Hand von ihrem Münster aus das Regiment über die Menschen des Dorfes und auch die Wächter führen. Sie interpretieren die heilige Schrift, legen aus Zeichen den Willen Gottes aus und treffen alle Entscheidungen, die für das Dorf überlebensnotwendig sind. Die Wächter wiederum unterstehen der Schwesternschaft. Sie sind der bewaffnete Arm des Dorfes, verantwortlich für Sicherheit und Ordnung und dafür, dass die Zäune ständig instand gehalten werden – ein Amt, welches jeder junge Mann des Dorfes anstrebt.
Hier lebt auch Mary, ein junges Mädchen um die 17 Jahre, die im Dorf geboren und aufgewachsen ist. Dass ihr Vater früh ein Opfer der Ungeweihten wurde, ist ihr eine Mahnung. Zwar hört sie die Geschichten ihrer Mutter von früher – vom Meer und einer Welt, die ganz und gar von Menschen bevölkert war – doch liebt sie ihr wohlbehütetes Leben in ihrem Dorf. Sie träumt wovon alle jungen Mädchen träumen: nach dem Vorbild ihrer Mutter an der Seite eines liebenden Mannes ihr Leben im Dorf zu führen, Kinder zu bekommen und diese großzuziehen.
Doch es kommt alles anders. Nicht nur, dass zunächst keiner der jungen Männer für Mary sprechen möchte, so dass ihr ein Leben in der Schwesternschaft droht. Nein, auch ihre Mutter wird, als sie dem Zaun zu nahe kommt, von einem Ungeweihten verletzt und angesteckt, so dass sie aus dem Dorf hinaus zu den Ungeweihten geworfen wird. Mary, von ihrem Bruder verstoßen, weil sie dies nicht verhindert hat, droht nun – wie allen unverheirateten jungen Frauen – ein Leben in der Schwesternschaft. Als wäre dies nicht Unglück genug, muss sie mit ansehen, wie auch der Mann, in den sie sich unsterblich verliebt hat, mit einer schweren Verletzung und dem Tode nahe ins Münster gebracht wird. Und während sie ihn mit den Geschichten ihrer Mutter von einer besseren aber auch vergangenen Welt wieder gesund pflegt, geschieht etwas völlig unerwartetes: Mary wird Zeugin, wie eines Nachts eine junge Frau – kaum älter als Mary selbst – von außerhalb ins Dorf kommt und sofort von den Schwestern unter Verschluss gehalten wird. Gibt es also doch eine Welt außerhalb des Dorfes? Haben die Schwestern vielleicht ein viel dunkleres Geheimnis als Mary bisher angenommen hatte? Sie muss nicht lange warten, bis sie dies herausfinden kann, denn als die Ungeweihten nur wenige Wochen später die Zäune durchbrechen und das Dorf überrennen, bleiben Mary, ihrem Bruder, ihrem Geliebten und wenigen anderen nur noch die Flucht in den Wald der tausend Augen.
Über die Autorin Carrie Ryan stammt aus Greenville, South Carolina. Bereits in der Schule begann sie in Kursen für kreatives Schreiben Kurzgeschichten zu verfassen und sah in der Schriftstellerei ihre berufliche Zukunft. Während ihrer Zeit auf dem College entstand ihr erstes Buch, welches sie leider nie publizieren konnte. Die Arbeiten an einem zweiten Buch stellte sie ein, nachdem sie sich mit ihrem potentiellen Verleger über den Inhalt und die Struktur der Geschichte nicht einig werden konnte.
Ryan entschloss sich daraufhin, einen etwas bodenständigeren Beruf zu ergreifen und schrieb sich aus diesem Grunde an der Duke Law School – wo sie auch ihren heutigen Freund kennen lernte – für ein Jurastudium ein. Ihr Freund war es auch, der sie in ihren ersten Zombiefilm schleppte und so mehr oder weniger zufällig ihre Faszination für dieses Genre weckte.
Nach ihrem Abschluss arbeitete Ryan zunächst einige Jahre als Staatsanwältin, bevor sie zusammen mit ihrem Freund eine eigene Anwaltskanzlei eröffnete. Das Schreiben jedoch gab Ryan nie vollkommen auf. Wald der tausend Augen – Ryans erster veröffentlichter Roman – ist ursprünglich ein Freizeitprojekt.
Heute lebt Ryan mit ihrem Freund und zwei Katzen in Charlotte, North Carolina, hat den Beruf der Anwältin an den Nagel gehängt und beschäftigt sich als Vollzeit-Schriftstellerin mit ihrem zweiten Roman.
Fazit:Wir haben es bei Wald der tausend Augen mit dem Debütwerk einer jungen Schriftstellerin zu tun, noch dazu mit einem Roman, der vom Verlag als Jugendbuch klassifiziert wurde. Dies gilt es bei einer Bewertung im Hinterkopf zu behalten.
Der Schreibstil der Autorin ist flüssig, die Wortwahl ist modern und dem Sprachgebrauch angemessen (soweit man das in der – sehr gelungenen – Übersetzung beurteilen kann), alles in allem kann man sprachlich an diesem Roman überhaupt nichts aussetzen. Obwohl ich ein noch nicht zu Ende lektoriertes, unkorrigiertes Leseexemplar hatte, konnte ich keine störenden Fehler entdecken.
Wenn man das Buch in die Hand nimmt und die ersten Seiten liest, fühlt man sich unwillkürlich an Filme wie 28 Days Later und The Village und die Romanreihe Bis(s) zum … erinnert. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Ryan ganz bewusst an eine Mischung aus eben diesen Filmen und den Romanen gedacht hat. Nun ist gut geklaut ja bekanntlich besser als schlecht selbst ausgedacht. Und ich möchte auch nicht soweit gehen, zu sagen, dass die Autorin zu wenig Eigenleistung gebracht hat. Sie hat altbekannte Motive aus der modernen Horrorliteratur – das isolierte Dorf, die Plage, deren Ursprung man nicht kennt und die fast die gesamte Menschheit ausgelöscht hat, Monster, welche die Überlebenden ständig bedrohen und die Aussicht auf eine Hoffnung – genommen, variiert und neu arrangiert. Das Ganze wurde zu einem runden Bild, welches die Welt, in der sich die Romanfiguren bewegen – von einigen Ungereimtheiten abgesehen – plastisch erscheinen lässt, geformt.
Und doch, je weiter man in diesem Buch liest, desto mehr verfestigt sich der Eindruck, dass nahezu alles in irgendeiner Form schon einmal da gewesen ist und dadurch durchgekaut und ausgelutscht wirkt. Zu keinem Zeitpunkt während der Lektüre hatte ich das Gefühl, unbedingt weiter lesen zu müssen, da ich sonst möglicherweise etwas verpasse. Hinzu kommen einige nie aufgeklärte Ungereimtheiten in der Handlung und der Hintergrundwelt des Romans, die bei manchen Lesern dafür sorgen könnten, dass er das Geschehen und das Setting als unglaubwürdig empfindet. So werden die Ungeweihten, um nur ein Beispiel zu nennen, als ungewöhnlich kräftig geschildert. Dennoch gelingt es offenbar, sie mit einem simplen Maschendrahtzaun, der noch dazu als chronisch baufällig und stellenweise als am Verrosten beschrieben wird, daran zu hindern, das Dorf zu überrennen – und das, obwohl die Autorin andeutet, dass die Ungeweihten durch eine starke Gier nach lebendem Fleisch getrieben werden.
Der Roman ist schwer einzuordnen. Wahrscheinlich möchte er einfach zu viel auf einmal sein. Er möchte ein Zombieroman sein, schafft es aber nie so ganz, die Bedrohung, die von den Ungeweihten ausgeht, akut zu machen. Zu oft gelingt den Figuren im letzten Moment die Rettung vor den Zombies, welche dem Hörensagen nach fürchterlich bedrohlich sein sollen und ja auch in einer Nacht das Dorf fast komplett vernichten. Eine Verletzung durch einen Ungeweihten kann angeblich schon ausreichen, um die Krankheit zu übertragen, und dennoch kommen derartige Verletzungen viel zu oft – folgenlos – vor. Er möchte eine Romanze sein, schafft es aber nicht, diese in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. Die Beziehung zwischen Mary und Travis scheint im Gegenteil völlig bedeutungslos für die Handlung zu sein. Ob sie zusammenkommen oder nicht, hat scheinbar keinen Einfluss auf den Fortgang der Dinge oder auf die Entscheidungen, welche Mary treffen muss. Sie ist viel zu sehr von den Visionen ihrer Mutter getrieben, als dass sie ihren eigenen Visionen folgen könnte. Er möchte ein postapokalyptischer Roman sein, schafft es aber nicht, diese Stimmung glaubwürdig einzufangen. Moderne Technologie gibt es im Dorf kaum noch. Die Wächter sind mit Äxten und Schwertern bewaffnet und mit Metall gerüstet, Schusswaffen gibt es nicht. Lediglich der Maschendrahtzaun und das in ein Münster umgebaute Weingut erinnern daran, dass die Handlung in einer nicht allzu fernen Zukunft spielt. Leider stellt sich beim Lesen dennoch keine postapokalyptische Stimmung ein, obwohl alle Zutaten für dieses Rezept – eine archaische Gesellschaft, welche mit den Überresten früherer Zeiten durchsetzt ist und einige Hinweise darauf, wie es gewesen war, bevor das Unheil über die Menschheit hineingebrochen ist – vorhanden sind. Vielleicht liegt es an der angedeuteten Teenager-Romanze, die sich zwischen Mary und dem „nicht ganz“-Ehemann ihrer besten Freundin anbahnt, und die nicht so ganz in dieses Bild passen möchte. Vielleicht liegt es auch daran, dass Carrie Ryan für einen postapokalyptischen Roman einen zu sauberen, zu niedlichen Erzählstil hat. Zu einem postapokalyptischen Roman, und als dieser wird Wald der tausend Augen vom Verlag angepriesen, gehört eine gute Portion Verzweiflung, da jeder Versuch, aus dem Schicksal auszubrechen, bereits von Beginn an zum Scheitern verurteilt zu sein scheint. Schlimmer noch, Carrie Ryan versucht, an verschiedenen Stellen ein solches Gefühl aufzubauen, dies gelingt ihr jedoch nie wirklich.
Als Schriftsteller muss man sich wahrscheinlich gerade bei seinem ersten Werk furchtbar zurückhalten, da es viel zu viele Handlungsstränge oder auch Topoi gibt, welche man gerne mit aufnehmen würde. Man muss sich entscheiden, was man nun wirklich schreiben möchte. Stephenie Meyer wurde für ihre Romanreihe Bis(s) zum … von einigen Kritikern gescholten, weil sie das Vampirthema nicht den Erwartungen entsprechend behandelt hat. Ihr Hauptanliegen war es jedoch, eine Teenager-Romanze und erst in zweiter Linie einen Vampir-Roman zu verfassen. Im Grunde hat sie damit, nicht beides in einem Roman zum Hauptthema zu machen, genau das richtig gemacht, was Carrie Ryan falsch gemacht hat. Ryan hat versucht, zu viele Hauptthemen in einem Roman zu verarbeiten, anstatt sich darauf zu konzentrieren entweder einen Zombieroman, einen postapokalyptische Roman oder eine Teenager-Romanze mit einem leichten Einschlag der jeweils anderen Themen zu verfassen. Vor diesem Hintergrund kann ich diesen Roman leider nur bedingt empfehlen.
Zu guter Letzt noch ein kurzes Wort zur Altersempfehlung. Der Verlag hat Wald der tausend Augen als Jugendbuch für ein Publikum ab 14 Jahren klassifiziert. Diese Klassifizierung ist vielerorts kritisiert worden. Ja, es gibt in dem Roman einige Stellen mit expliziter Gewaltdarstellung, die aber nie über das Niveau jedes gängigen Fantasyromans hinausgehen. Ich kann mich dieser Kritik daher nicht anschließen. Für meine Einschätzung ist die Altersempfehlung „ab 14 Jahren“ durchaus angemessen.
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