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Inhalt:Nicht zuletzt durch mehrere schlechte Ernten war die Familie Jobson gezwungen, das ländliche Idyll ihrer Heimat von Dartmoor zu verlassen, um ihr Glück in London zu suchen. Mit gemischten Gefühlen machte sich die Familie auf in den viktorianischen Moloch Londons, wo Scrubbys Eltern glücklicherweise auch rasch Arbeit fanden. Doch Scrubbys Vater, Thomas Jobson, war entsetzt über die Arbeits- und Lebensbedingungen in London und engagierte sich für die Armen und Unterdrückten. Wie einige andere Demonstranten wurde er allerdings bei den Unruhen am berühmt-berüchtigten „Blutigen Sonntag“, dem 13.11. des Jahres 1887, von königlichen Soldaten erschossen.
An diese Geschehnisse des ersten Bandes knüpft die Geschichte des zweiten Bandes unmittelbar an: Entsetzt über den Tod ihres geliebten Mannes bringt sich Scrubbys Mutter um – sie ertränkt sich in der Themse. Ein brutaler Einschnitt für die Kinder, wobei Scrubby keine Zeit zum Trauern bleibt. Während er noch entsetzt am Ufer der Themse steht, wo seine Mutter noch vor wenigen Augenblicken ertrunken ist, sieht er erneut seinen „dunklen Schatten“, der als Abschiedsgruß für seine Mutter eine Blume auf die Wasseroberfläche wirft. Kurzerhand nimmt Scrubby in einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd durch die Stadt und über die Dächer Londons die Fährte des Unbekannten auf, die sich allerdings verliert. Und so findet sich Scrubby unversehens nach Ende einer wilden Hatz auf dem Dachboden eines Theaters wieder, von dem aus er – wie passend – verfolgen kann, wie im Theaterraum gerade das Bühnenstück „Peter Pan“ aufgeführt wird. Doch auch hier scheint sich mehr hinter der Fassade des Schauspielensembles zu verstecken: Die kleine Elfe auf der Bühne ist real und auch der Darsteller des Peter Pan erweckt nicht den Eindruck, als handele es sich um einen geschminkten Schauspieler. Nachdem Scrubby durch einen lauten Ausruf das Publikum dazu animieren kann, laut zu skandieren, sie glauben an Elfen, hat er scheinbar seine „erste Prüfung“ bestanden, da der Leser mitverfolgen kann, wie sich die kleine Elfe von der Bühne anschickt von London zurück zu dem Steinkreis zu fliegen, um hier den Wesenheiten der anderen Welt von den Geschehnissen zu berichten.
Scrubby zieht – nunmehr mittellos – mit seiner Schwester Sheila in einen schäbigen und dunklen Keller, der beiden nunmehr als Bleibe dient, doch bleibt das Gemüt des Protagonisten auch hier ungetrübt. Allem Übel zum Trotz entdeckt er doch auch in den finstersten und übelsten Winkeln der Stadt viel Schönes und freundet sich sogar mit Ratten an. Während seine Schwester in einer Schankwirtschaft als Bedienung arbeitet, kommt Scrubby als „Schlepper“ in einem nahegelegenen Bergwerk unter, um die bescheidenen Mittel ihres kleinen Haushalts aufzubessern.
Doch sind es nicht unbedingt Zufälle, die Scrubby in die dunklen Schächte des Bergwerkes treiben. Vielmehr scheint es, als hänge sein Schicksal mit mysteriösen Prüfungen – die in diesem Band vom Autor auch nicht näher erklärt werden – zusammen, bei denen er scheinbar alle Elemente der verborgenen Wesenheiten kennen lernen soll. Und so trifft er in einem der Schächte auf einen „Knocker“ (eine Art von Bergwerkskobold), der ihn in die Geheimnisse, die tief unter der Erde schlummern, einweiht. Doch das Bergwerk ist in Gefahr, möchte doch der „Schwarze Mann“, der dem Leser mit seinen Schandtaten bereits schon aus dem ersten Teil bekannt ist, nicht viel weniger als den Untergang von Scrubby, und beschwört hierzu die uralten Mächte unter der Erde, die das Bergwerk zum Einstürzen bringen sollen.
Schreibstil & Artwork::Autor Pierre Dubois wurde 1945 in den Ardennen geboren und bringt seit vielen Jahrzehnten seinen Hang zum Fantastischen in diversen Medien zum Ausdruck, sei es als Chronist im Fernsehen, als Autor von Romanen oder als Szenarist von Comics. Im Bereich Comics arbeitete er in der Vergangenheit u.a. mit dem Zeichner René Hausmann an „Laiyna“, mit Joann Sfar an „Petrus Grumbart“, mit Stéphane Duval an „Die Kobolde“ und „Rotkappen - In ferner Zeit“, mit Jérôme Lereculey an „Cairn“ sowie mit Luc Rollin an „Der Gezeichnete“ und „Die schwarze Saskia“ zusammen.
Als Autor von Büchern wie „Die große Enzyklopädie der Kobolde“, „Die große Enzyklopädie der Feen“ und „Die große Enzyklopädie der Elfen“ hat er sich im Laufe der Zeit zum Spezialisten für die „kleinen Völker" entwickelt und gilt darüber hinaus als Kenner unzähliger Legenden, regionaler Überlieferungen und traditioneller Lieder.
Zusammen mit dem Zeichner Xavier Fourquemin hat Dubois „Die Legende vom Changeling“ kreiert, die auf den englischen Legenden um Feenwesen und Kobolden basiert, aber während der Industrialisierungszeit am Ende des 19. Jahrhunderts spielt. Ausgehend von einem menschlichen Säugling, der gegen ein Feenkind ausgetauscht wurde, vermischt Dubois in seiner Geschichte elegant Fiktion und Realität miteinander und sorgt nicht zuletzt durch sein fundiertes Hintergrundwissen für eine phantastische Geschichte voller Träume und Magie, die er der ländlichen Idylle des industriell geprägten und schmutzigen Londons des 19. Jahrhunderts gegenüberstellt.
Mit Peter bzw. „Scrubby“ präsentiert uns Dubois einen Protagonisten, der als Wanderer zwischen den Welten sowohl die realen Gassen und Plätze in London erlebt, als auch die phantastischen Welten der Feen, in der sich allerlei sagenhafte Gestalten tummeln. Ließ sich Dubois im ersten Band fast schon beschaulich Zeit um seine unterschiedlichen Charaktere einzuführen und aufzubauen, scheint der zweite Band nunmehr zumindest ein wenig an Geschwindigkeit zuzunehmen, wobei allerdings auch weiterhin weniger die Spannung, als das Erleben einer realen und zugleich phantastischen Welt aus dem Blickwinkel eines sympathischen „Wechselbalgs“ im Vordergrund steht.
Xavier Fourquemin wurde 1970 in Frankreich geboren und zog 1991 nach Belgien, wo er sich an der Akademie der Schönen Künste in Tournai einschrieb. Dort besuchte er die Kurse von Antonio Cossu und machte vier Jahre später seinen Diplom-Abschluss. Im Februar 1996 wurde seine erste Comic-Geschichte „L'immonde Bête" im Magazin „Gotham" veröffentlicht. In der Folgezeit arbeitete er mit dem Szenaristen Dieter zusammen und es entstanden die Serien „Alban“ (1997) und „Outlaw“ (2001). Im Jahre 2007 kreierte er mit Autor Jean-Christophe Derrien „Miss Endicott“, bevor er dann 2008 gemeinsam mit Pierre Dubois „Die Legende vom Changeling“ begann.
Den beständigen Wechsel zwischen den Erzähl-Welten der Geschichte zu bewerkstelligen, gelingt Xavier Fourquemin absolut elegant, so wie auch sein klarer und detailreicher Stil beeindrucken kann, der sich optisch insgesamt nur als typisch franko-belgisch bezeichnen lässt. Allerdings dürfte dies vielleicht auch nicht unbedingt jedermanns Geschmack sein, da insbesondere die Gesichter der Figuren manchmal etwas stark in Richtung „Funny“ tendieren.
An dieser Stelle sei auf jeden Fall die Kolorierung von Scarlett Mulkowski mehr als lobend hervorgehoben, da bei dem steten Wechsel von fantastischen und realistischen Elementen gerade diese zu einem wichtigen gestalterischen Element wird, selbst wenn die vorherrschende Farbgebung eher etwas gedeckt und zurückhaltend ist. So erscheint dem Betrachter der Wechsel zwischen den Welten wirklich als fließend und die Komposition dieser Übergänge (die man zum Teil überhaupt nicht bemerkt) sucht seinesgleichen, ohne dass es irgendwelche extravaganten Seitenaufbauten in den Panels gibt.
Qualität & ÜbersetzungIn Sachen Qualität und Verarbeitung gibt es beim noch jungen Piredda-Verlag insgesamt nichts zu bemängeln: 56 Seiten im Format A 4 als Hardcover mit robuster Fadenheftung und Farbcover lassen eigentlich keine Wünsche offen, ebenso wie sich die Übersetzung durch Martin Surmann flüssig lesen lässt und gut gelungen ist. Auch der Klappentext auf der Rückseite, der mit einem kurzen Porträt von Autor und Zeichner aufwarten kann, sei hier positiv hervorgehoben.
Fazit:Während der erste Band der Reihe nicht unbedingt zur vollen Gänze überzeugen konnte, zeigt sich „Der Schwarze Mann“ schon wesentlich sicherer in seiner Erzählung. Während Dubois einige offene Fragen des ersten Bandes beantwortet, werden zugleich für den Leser neue Fragen aufgeworfen, insbesondere, welche Rolle der „Schwarze Mann“ spielt, der scheinbar viel mehr mit der Welt der Elfen, Feen und alten Wesenheiten zu tun hat, als man dies im ersten Band annahm. Leider ist das Tempo der ersten beiden Bände bislang nicht gut aufeinander abgestimmt. So gibt es zwar am Ende des zweiten Bandes erneut einen fulminanten Cliffhanger, dennoch vermochte sich hierbei nicht die richtige Spannung einzustellen, da man seinen Protagonisten wohl kaum am Ende des zweiten Bandes sterben lässt. Insgesamt präsentiert sich die Reihe „Die Legende vom Changeling“ als wunderbar in Szene gesetztes Märchen (mit einem gehörigen Schuss Fantasy), das auf jeder Seite von Neuem mit etlichen schönen Ideen und einem durchdachten Hintergrund überzeugen kann. Aber auch dem zweiten Band fehlt – ähnlich wie seinem Vorgänger – noch etwas. Vielleicht sind 56 Seiten einfach viel zu wenig, um die scheinbar recht umfassende und eigentümliche Geschichte von „Changeling“ zu erzählen? Ich freue mich auf jeden Fall bereits auf den dritten Band, der hoffentlich einige weitere Hintergründe enthüllen und mich mit seinem Protagonisten wieder in seinen Bann ziehen wird. Wobei ich mir die Zeit bis dahin vielleicht mit einigen Büchern von Pierre Dubois vertreiben werde, um mehr über die fantastisch-mystische „andere Welt“ zu erfahren.
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