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Miss Endicott 1 - Die Vergessenen
Bewertung:
(3.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 02.12.2009
Autor:Autor: Jean-Christophe Derrien; Zeichner: Xavier Fourquemin
Übersetzer:Martin Surmann
Typ:Graphic Novel – Adventure
VerlagPiredda Verlag
ISBN/ASIN:978-3-941279-32-2
Inhalt:80 Seiten, Hardcover
Preis:19,50 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Nach einer langen Reise kehrt die junge Miss Endicott nach London zurück, um an der Beerdigung ihrer Mutter Maggie Endicott teilzunehmen. Dort händigt ihr der Pfarrer nach der Beerdigung einen Schlüssel aus, mit dessen Annahme sie in die Fußstapfen ihrer Mutter treten soll – sie wüsste, was zu tun wäre.

Patricia Endicott tritt zunächst ihren Dienst als Gouvernante im Haus der wohlhabenden Familie Folsey an, in dem sie sich an der Seite von Diener Konrad um deren Sohn Kevin kümmern soll (der bereits unzählige Gouvernanten verschließen hat!). Doch von Feindschaft zwischen den beiden ist nichts zu spüren und die Dinge entwickeln sich positiv.

Bereits in der ersten Nacht macht sich Patricia auf den Weg durch die nebligen Straßen Londons, um in einem alten und fast schon baufällig anmutenden Haus ihr eigentliches Erbe anzutreten: Schlichterin von London zu sein und die Probleme der armen Leute regeln. Bei dieser Aufgabe ist sie allerdings nicht alleine. Ihr zur Seite steht ihr künftiger Privatsekretär Wallace, der bereits ihrer Mutter diente. Bereits ihr erster „Fall“ in der Nachbarschaft führt sie zu der Welt der „Vergessenen“, einem Volk von Missgestalteten und Zerlumpten, die die Leute „von Oben“ nicht sehen möchten und nur in der Nacht dulden, wenn sie sich in den Schatten verbergen und im Untergrund in einer eigenen Stadt leben. Bei ihren Nachforschungen macht Patricia die Bekanntschaft mit dem großen und bekannten Ganoven Quilby, der bereits ihrer verstorbenen Mutter zutiefst verbunden war, und dem ungleichen Halunkenpaar Charles Hyde und Darren, die fortan nicht mehr von Patricias Seite weichen.

Der erste Fall scheint schnell gelöst, doch im weiteren Verlauf der Geschichte muss sie feststellen, dass die „Vergessenen“ kurz vor einer Revolution stehen, die von einem unbekannten „Meister“ angezettelt wird und die „Vergessenen“ wieder an die Oberfläche bringen soll. Nicht nur dass sich die neue Schlichterin anstrengen muss, um den sich anbahnenden Krieg zu verhindern, zu allem Unglück auch noch wird Kevin entführt und der unbekannte „Meister“ scheint alles daran zu setzen, Patricia aus dem Weg zu räumen.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Autor Jean-Christophe Derrien (Jahrgang 1971) schrieb seine Examensarbeit über die Fernsehserie „Twin Peaks“. Parallel zu seinem Studium in Aix-en-Provence wurde er Chefredakteur von „Rainbow Warrior“, einem französischen Fanzine für Comics, und Drehbuchautor für verschiedene Zeichentrickfilme (z.B. Adaptionen von „Blake und Mortimer“, „Spirou und Fantasio“ sowie „Bob Morane“).

So war es für den Franzosen nur ein logischer Schritt auch Szenarios für Comics zu verfassen: Im Jahr 2002 erschien sein erstes Album „Le continent premier“. In den Jahren darauf folgten „Incantations“, „R.I.P. Limited“ sowie „Vacances virtuelles“.

2007 kreierte er zusammen mit dem Zeichner Xavier Fourquemin die zweibändige Reihe „Miss Endicott“, die als Einzige seiner Comicserien auch auf Deutsch erhältlich ist. Ebenfalls in 2007 startete zudem die Reihe „Time Twins“. Neben seiner Tätigkeit als Szenarist ist Derrien auch Filmkritiker und führt Interviews für „Moniseur-Cinema.com“.

 

So wie Mary Poppins ein mit magischen Fähigkeiten ausgestattetes Kindermädchen ist, so hat Jean-Christophe Derrien mit Miss Endicott einen durchaus liebenswerten und selbstbewussten Charakter erschaffen, der sich (mit Stricknadeln bewaffnet) durchaus seiner Haut zu wehren weiß. Eingebettet wird die Geschichte dieses Charakters in das realistisch dargestellte London des viktorianischen Zeitalters, und wird angereichert mit einigen phantastischen Elementen, die sich in den Figuren der „Vergessenen“ bemerkbar machen. Doch auch die Nebencharaktere können sich durchaus behaupten, sei es nun der überaus korrekte Diener Konrad oder die eher für Slapstickmomente sorgenden „Halunken“ Charles und Darren.

 

Xavier Fourquemin wurde 1970 in Neuilly-sur-Seine in Frankreich geboren. Seine Schulzeit verbrachte er zunächst im Pariser Vorort Bagneux, später in Toulouse, wo er 1990 sein Abitur machte. Nachdem er vier Jahre die von Antonio Cossu geleiteten Kurse an der Akademie der Schönen Künste im belgischen Tournai besucht hatte, erhielt er dort 1995 sein Diplom.

Im Februar 1996 wurde seine erste Comic-Geschichte „L'immonde Bête" (eine vierseitige Kurzgeschichte) im Magazin „Gotham" veröffentlicht. Im Juni 1997 begann der Vorabdruck der Serie „Alban“ in dem französischen Magazin „Golem“, das dann im Januar 1998 erschien, und im Januar 2001 folgte die Reihe „Outlaw“. Beide Serien entstanden gemeinsam mit dem Autor und Szenaristen Dieter.

Im Jahre 2007 kreierte er mit Autor Jean-Christophe Derrien den ersten Band von „Miss Endicott“, bevor er dann 2008 gemeinsam mit Pierre Dubois „Die Legende vom Changeling“ (ebenfalls bei Piredda erschienen) begann.

 

Xavier Fourquemin arbeitet – wie bei der Reihe „Changeling“ - absolut elegant mit einem ausnahmslos klaren und detailreichen Stil. Seine Figuren sind zwar von den Proportionen durchaus realistisch gehalten, doch letztlich ein Stück weit überzeichnet und rutschen dadurch stark ins Cartoonhafte ab. Wer sich unter Umständen bereits bei „Changeling“ nicht unbedingt mit diesem Stil anfreunden konnte, der sei an dieser Stelle zumindest darauf hingewiesen!

 

Die Darstellung des viktorianischen Londons ist Fourquemin in all seinen Facetten und unterschiedlichen Erscheinungsformen ebenso gut gelungen wie die Welt der „Vergessenen“, die sich verborgen unterhalb von London befindet. Zwar schweift Fourquemin nicht fortwährend in einem Reigen von eindrucksvollen Bildern und man hat das Gefühl, bei den nächtlichen Straßenszenen habe er sich stark „beeilt“, doch insgesamt liefert er ein durchaus ausdrucksstarkes Werk ab. Die Kolorierung von Scarlett Smulkowski steuert mit ihren erdigen und dunklen Tönen das Ihrige hinzu und ergänzt Fourquemins Zeichnungen vortrefflich, insbesondere was die Schattierungen angeht.

 

Qualität & Übersetzung

In Sachen Qualität braucht sich der noch junge Piredda Verlag auf keinen Fall zu verstecken: Der erste Band erscheint als gebundene Hardcover-Ausgabe mit einem Umfang von 80 Seiten, wobei es als „kleines“ Extra im Vorsatz ein – wenn auch recht kurzes - Autoren- und Zeichnerporträt gibt. Die Papierqualität ist gut, das Druckbild gestochen scharf und die Farben brillant – was möchte man also noch mehr?

Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Martin Surmann, das Lettering von Mirko Piredda (hier arbeitet der Chef noch persönlich mit...).

 

Fazit:

Wenn man dem eigenen Bekunden von Autor Jean-Christophe Derrien folgen darf, so hatte dieser bei der Schöpfung der Figur von Miss Endicott nicht viel weniger im Sinn, als eine Mischung aus „Mary Poppins“ und Amelie Poulain (der Protagonistin aus dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“) zu schaffen. Ein hoch gestecktes Ziel, welches allerdings die Umsetzung im Comic meines Erachtens nach nicht zur vollen Gänze erreichen kann.

Die Figur von Miss Endicott bleibt leider streckenweise irgendwie immer wieder farblos und wirkt durch ihr geradezu immer perfektes Verhalten und Vorgehen auf Dauer etwas nervend. Alles scheint ihr zu gelingen (insbesondere das absolut problemlose Bändigen von Kevin) und stets kommt sie ohne Blessuren davon, allein die Müdigkeit durch ihre Doppelbelastung als Gouvernante und Schlichterin wird thematisiert. Hier hätte ich mir gerne etwas mehr Ecken und Kanten bei dem Charakter von Miss Endicott gewünscht, insbesondere wenn man sich die zahlreichen hervorragend in Szene gesetzten Nebencharaktere betrachtet.

Dabei hat die Handlung des von Fourquemin stilistisch hervorragend gezeichneten Comics eigentlich alles, was man sich als Leser nur wünschen kann – ein ausgefallener Hintergrund mit einer gehörigen Portion Fantastik, die unvermittelt auf den Leser hereinbricht, und eine Protagonistin, die versuchen muss, eine ganze Stadt zu retten. Vielleicht ist mein Urteil auch etwas zu vorschnell, da sich unter Umständen die Dinge im zweiten Band „Der Aufstand“ vielleicht noch in eine andere Richtung entwickeln.