Links zur Rezension Inhalt:Der erste Band der Reihe endete mit einer großen Überraschung für Patricia Endicott – ihre Mutter Maggie Endicott ist zur Freude (und auch zum Erstaunen) aller nicht gestorben, sondern täuschte ihren Tod nur vor, um in Ruhe ihren Ermittlungen in einem ziemlich komplizierten Fall nachzukommen, in dessen Verlauf sie ebenfalls auf den mysteriösen „Meister“ stieß. Durch die Erzählungen von Patricia, Wallace und den anderen bestärkt, dass sich großes Unheil unter der Stadt zusammenbraut, machen sie sich auf den Weg in den Untergrund.Nicht zuletzt um nach der seltsamen Maschine des „Meisters“ zu suchen und die bevorstehende Revolution der „Vergessenen“ zu verhindern. Und auch hier gibt es noch ein seltsames Erlebnis, da sich der elegante Ganove Quilby als „Hüter der Pforten“ herausstellt, der über die tief im Keller seines Versteckes verborgenen zahllosen Eingänge wacht, die nicht nur in die Welt der „Vergessenen“ führen, sondern auch zu anderen zahllosen unerforschten Orten.
Doch die Bemühungen der Gruppe um Maggie Endicott werden bei ihrem Weg durch die Pforte in Richtung der Stadt der Vergessenen vereitelt – scheinbar gibt es einen Verräter in den eigenen Reihen! Der Verräter ist aber niemand anderes als Patricia Endicott, die als Gouvernante für den kleinen Kevin verantwortlich ist, der entführt wurde. In einem Brief wird ihr angedroht, sämtliche Ermittlungen zu unterlassen und sich auf ein nächtliches Treffen außerhalb von London einzulassen. Um das Leben von Kevin nicht zu gefährden, kommt Patricia dieser Forderung nach, vertraut sich aber vor ihrer Fahrt zum vereinbarten Treffpunkt mit den Entführern dem Diener Konrad an.
Während sich um Mitternacht die Massen der „Vergessenen“ auf die nächtlichen Straßen von London begeben und ihre vermeintliche „Revolution“ feiern wollen, die ihnen der „Meister“ als Belohnung für den Bau seiner Maschine versprochen hat (und nicht eingehalten hat), kommt es zum entscheidenden Kampf von Maggie Endicott mit dem „Meister“ und seiner teuflischen Maschine, die sich anschickt nicht nur die Straßen Londons, sondern auch alle seine Einwohner zu vernichten.
Patricia Endicott gelingt es derweil, Kevin aus den Klauen der Entführer zu retten, bei denen es sich um die Schergen des „Meisters“ handelt- Sie erscheint gerade rechtzeitig in London um dem ungleichen Kampf ihrer Mutter gegen den Meister beizustehen. Doch hier stellt sich heraus, dass es sich bei dem „Meister“ um den verschollenen Großvater von Kevin handelt (dessen Verschwinden eher beiläufig im ersten Band geschildert wurde). Dieser hat vor Jahren die zahllosen Pforten unterhalb der Stadt entdeckt und erforscht. Bei seinen Expeditionen hat er unfassbare Dinge gesehen und erlebt. Nun versucht er in seinem Wahnsinn die Stadt zu zerstören, um die Welt von „Schmutz und Abschaum“ zu reinigen.
Der Kampf in den engen Gassen und Höfen von London nimmt eine unerwartete und zugleich tragische Wendung, die ich an dieser Stelle nicht verraten will. Zumindest endet die Geschichte anders als man sich das vielleicht vorstellt und ein Happyend ist es mit Sicherheit nicht.
Schreibstil & Artwork:Der Autor Jean-Christophe Derrien (Jahrgang 1971) schreib seine Examensarbeit über die Fernsehserie „Twin Peaks“. Parallel zu seinem Studium in Aix-en-Provence wurde er Chefredakteur von „Rainbow Warrior“, einem französischen Fanzine für Comics und arbeitete als Drehbuchautor für verschiedene Zeichentrickfilme (z.B. Adaptionen von „Blake und Mortimer“, „Spirou und Fantasio“ sowie „Bob Morane“). So war es für den Franzosen nur ein logischer Schritt, auch Szenarien für Comics zu verfassen: Im Jahr 2002 erschien sein erstes Album „Le continent premier“. In den Jahren darauf folgten „Incantations“, „R.I.P. Limited“ sowie „Vacances virtuelles“.
2007 kreierte er zusammen mit dem Zeichner Xavier Fourquemin die zweibändige Reihe „Miss Endicott“ (die als einzige seiner Comicserien auf Deutsch im Piredda Verlag erhältlich ist) und die Reihe „Time Twins“. Neben seiner Tätigkeit als Szenarist war Derrien auch als Filmkritiker tätig und führte Interviews für das Online-Magazin „Moniseurcinema.com“, welches allerdings im Sommer 2009 eingestellt wurde.
So wie Mary Poppins ein mit magischen Fähigkeiten ausgestattetes Kindermädchen ist, so hat Jean-Christophe Derrien mit Miss Endicott einen durchaus liebenswerten und selbstbewussten Charakter erschaffen, der sich mit Stricknadeln bewaffnet durchaus seiner Haut zu wehren weiß, doch im ersten Band leider etwas farblos blieb.
Eingebettet wird die Geschichte der Protagonistin in das durchaus realistisch dargestellte London der viktorianischen Zeit, angereichert mit einigen phantastischen Elementen, die sich in den skurrilen Figuren der „Vergessenen“ und der Technologie des „Meisters“ bemerkbar machen. Doch auch die Nebencharaktere können sich durchaus behaupten, sei es nun der überaus korrekte Diener Konrad oder die eher für Slapstickmomente sorgenden „Halunken“ Charles und Darren.
Xavier Fourquemin wurde 1970 in Neuilly-sur-Seine in Frankreich geboren. Seine Schulzeit verbrachte er zunächst im Pariser Vorort Bagneux, später in Toulouse, wo er 1990 sein Abitur machte. Nachdem er vier Jahre die von Antonio Cossu geleiteten Kurse an der Akademie der Schönen Künste im belgischen Tournai besucht hatte, erhielt er dort 1995 sein Diplom. Im Februar 1996 wurde seine erste Comic-Geschichte „L'immonde Bête" (eine vierseitige Kurzgeschichte) im Magazin „Gotham" veröffentlicht. Im Juni 1997 begann der Vorabdruck der Serie „Alban“ in dem französischen Magazin „Golem“, das dann im Januar 1998 erschien und im Januar 2001 folgte die Reihe „Outlaw“. Beide Serien entstanden gemeinsam mit dem Autor und Szenaristen Dieter. Im Jahre 2007 kreierte er mit Autor Jean-Christophe Derrien „Miss Endicott“, bevor er dann 2008 gemeinsam mit Pierre Dubois „Die Legende vom Changeling“ (ebenfalls im Piredda Verlag erschienen) begann.
Xavier Fourquemin überzeugt auch im zweiten Band mit einem absolut eleganten und ausnahmslos klaren Stil, der sich dennoch immer wieder Zeit lässt, zahlreiche Details in den Bildern herauszuarbeiten. Seine Figuren sind zwar von den Proportionen durchgehend realistisch gehalten, doch letztlich ein Stück weit überzeichnet und rutschen dadurch stark ins cartoonhafte ab. Wer sich unter Umständen bereits bei „Changeling“ nicht unbedingt mit diesem Stil anfreunden konnte, der sei an dieser Stelle zumindest darauf hingewiesen!
Die Darstellung des viktorianischen Londons ist Fourquemin mit all seinen Facetten und unterschiedlichen Erscheinungsformen ebenso gut gelungen wie die Welt der „Vergessenen“, die sich verborgen unterhalb von London befindet. Im zweiten Teil scheint es, als könne Fourquemin endlich aus dem Vollen schöpfen, da nicht zuletzt die Geschichte erheblich an Tempo zunimmt. Anstelle der einfach gestalteten nächtlichen Straßenszenen des ersten Bandes rauscht der Zeichner nun zu den unterschiedlichsten Schauplätzen um sich kreativ auszutoben. Insbesondere die zerstörerische Maschine des „Meisters“, die Teile Londons in Schutt und Asche legt, ist eindrucksvoll gelungen und vermittelt schon fast etwas von „Steampunk“. Die bereits im ersten Band hervorragende Kolorierung von Scarlett Smulkowski steuert mit ihren erdigen und dunklen Tönen die nötige Atmosphäre bei und ergänzt die Zeichnungen Fourquemins vortrefflich, insbesondere was die aufwendig gearbeiteten Schattierungen angeht.
Qualität & ÜbersetzungIn Sachen Qualität braucht sich der noch junge Piredda Verlag auf keinen Fall vor den Großen der Branche zu verstecken: Auch der zweite Band erscheint als solide gebundene Hardcover-Ausgabe mit ansprechendem Titel und einem Umfang von 80 Seiten. im zweiten Band gibt es noch einmal das kurze Autoren- und Zeichnerporträt von Jean-Christophe Derrien und Xavier Fourquemin, wie man es bereits aus dem ersten Band kennt – nicht unbedingt nötig, sich zu wiederholen, aber auch nicht schlimm. So wie es auch sonst insgesamt keinen Grund zur Klage in Sachen Qualität gibt: Die Papierqualität ist gut, das Druckbild hervorragend und damit natürlich auch die Farben brillant. Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Martin Surmann, das Lettering besorgte wieder Mirko Piredda.
Fazit:War ich nach der Lektüre des ersten Bandes noch geneigt, die Figur von Patricia Endicott mit ihrem stets zur Schau getragenen perfekten Verhalten und Vorgehen als etwas farblos und nervend zu bezeichnen, so hat mich der zweite Band eines Besseren belehrt. Scheinbar brauchte die Geschichte doch etwas länger, um dem Charakter von Patricia Endicott mehr Tiefgang zu verleihen, selbst wenn vielleicht noch einige Fragen zu Patricia offen bleiben müssen (insbesondere über ihren Aufenthalt in Indien!).
Was diesem Band sicherlich etwas mehr Schwung verleiht, dürfte das Auftauchen von Maggie Endicott sein, die als „langjährige Schlichterin“ die seltsamen Geheimnisse der Stadt wesentlich besser kennt und mit ihrer rauen aber dennoch liebenswürdigen Art der ganzen Geschichte ein höheres Maß an Tempo gibt. Gemeinsam mit den anderen Nebencharakteren aus dem ersten Band, - Sekretär Wallace, Diener Konrad oder das tollpatschige Duo Charles Hyde und Darren (die sich längst nicht mehr als „Halunken“ hervortun, sondern vielmehr zu willigen Helfern werden) - gibt es hier ein spannendes und lesenswertes Abenteuer. Zwar sind vielleicht einige Handlungsfäden absehbar und hier und da hätte man sich vielleicht etwas mehr Tiefgang gewünscht, doch unterm Strich bleibt es ein Comic, der zu unterhalten weiß und mit einem gänzlich unerwarteten Schluss aufwarten kann. Die Geschichte findet in diesem zweiten Band ihren Abschluss und eigentlich ist es Schade um den schön ausgestalteten Hintergrund und die gelungenen Charaktere, von denen ich durchaus gerne noch mehr sehen und lesen würde. Aber wer weiß? Vielleicht gibt es ja irgendwann doch noch einen 2. Zyklus?
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