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Middle Earth Quest
Bewertung:
(4.2)
Von: Ralf Schemmann
Alias: Uthoroc
Am: 17.01.2010
Autor:Corey Conieczka, Christian T. Petersen, Tim Uren
Typ:Brettspiel
VerlagFantasy Flight Games
ISBN/ASIN:
Inhalt:Spielplan, 10 Plastikfiguren, zahlreiche Karten und Marker, Regelheft (40 S.)
Sprache:Englisch

Übersicht

Anmerkung: Bei diesem Spiel handelt es sich um die englische Originalausgabe des beim Kosmos Verlag erschienenen „Abenteuer in Mittelerde“.

 

2009 erschien bei Fantasy Flight Games das mit Spannung erwartete Abenteuer-Brettspiel „Middle-Earth Quest“, und ich hatte das Vergnügen, auf derm GenCon'09 eines der ersten Exemplare ergattern zu können. Seitdem hat es schon mehrere Male den Weg auf unseren Spieltisch gefunden, so dass ich denke, einen guten Überblick über das Spiel geben zu können.

 

Middle-Earth Quest hat eine bisher wenig beachtete Zeitspanne aus Tolkiens Werken zum Thema: dDie siebzehn Jahre zwischen Bilbos Verlassen des Auenlandes und Frodos Aufbruch nach Bruchtal (ja, im Film kam einem das kürzer vor). In dieser Zeit suchen sowohl der Dunkle Herrscher als auch Saruman nach dem Ring, Aragorn jagt Gollum, und Gandalf versucht, mehr über Frodos Ring herauszufinden. Es ist eine Zeit, in der der Schatten den letzten Krieg gegen die Freien Völker vorbereitet, während diese verzweifelt versuchen, Saurons Intrigen und Pläne zu durchkreuzen.

 

Die Bezeichnung „Abenteuer-Spiel“ deutet schon an, dass Middle-Earth Quest in der Tradition von Klassikern wie Talisman, Prophecy und Runebound stehen soll, in der einzelne Charaktere verschiedene Orte auf dem Spielbrett ansteuern, dort Kämpfe bestehen oder Aufgaben erfüllen, um Erfahrung und Schätze anzuhäufen. Auf der anderen Seite unterscheidet sich das Spiel von diesen Vorbildern stark, da die Helden nicht konkurrieren, sondern gemeinsam gegen einen Spieler, der die Rolle des großen Gegenspielers Sauron übernimmt, kämpfen.

 

Wie diese Mischung aus verschiedenen Konzepten funktioniert, und ob sie ein spannendes Spielerlebnis produziert, will ich im Folgenden beleuchten.

 

Die Ausstattung

Middle-Earth Quest kommt in der üblichen opulenten Gewandung eines Spieles von Fantasy Flight Games daher. Der zweiteilige Spielplan ist riesig – genau so groß wie das Brett von „Der Ringkrieg“ - und ist grafisch schön gestaltet. Er zeigt eine Karte des nordwestlichen Mittelerdes, aufgeteilt in verschiedene Regionen und Orte, plus zahlreiche Ablagebereiche für Karten und Marker, die bei Spielvorbereitung und -ablauf nützlich sind. Die Übersichtlichkeit könnte etwas besser sein. Zwar kann man die farbcodierten Regionen (z.B. Mordor und Düsterwald) gut auseinander halten, aber die Namen der einzelnen Orte sind nicht immer auf den ersten Blick gut zu lesen. Daher muss man manchmal eine Weile nach einem auf einer Spielkarte genannten Feld suchen. Es hilft, wenn man sich in der Geographie Mittelerdes auskennt.

 

Spielplan

Das Schmuckstück des Spiels sind die sehr detailreich gestalteten Plastikminiaturen der fünf Helden und der fünf Schergen Saurons. Die Figur der Ringgeister (drei unheimliche Reiter auf einer gemeinsamen Basis) ist vielleicht die schönste, die ich im Rahmen eines Brettspiels je gesehen habe.

 

Heldenfiguren

Leider hatte sich in die erste Charge des Spiels ein Produktionsfehler eingeschlichen: Die Figuren wurden bei der Herstellung zu stark erhitzt, was sie sehr spröde machte. Bei mir hat sich das durch zwei abgebrochene Teile bemerkbar gemacht, von denen ich nur eines angemessen reparieren konnte. FFG bietet aber kostenlosen Ersatz für Figuren dieser Charge an, und sowohl spätere Exemplare als auch die deutsche Ausgabe sollten das Problem nicht haben.

 

Saurons Schergen

Der Rest des Spiels besteht aus einer großen Anzahl grafisch gut gestalteter Marker und Spielkarten, an denen nichts auszusetzen ist. Sie sind in einem durchgehend ansprechenden und einheitlichen Stil gehalten, der vielleicht nicht ganz die Qualität von John Howes Arbeit in „Der Ringkrieg“ erreicht, aber stimmig und unaufdringlich ist und die Übersichtlichkeit nicht beeinträchtigt.

 

Die Spielkarten sind zum großen Teil textbasiert und manche enthalten auch etwas längere Beschreibungen. Das heißt, man sollte für die Originalausgabe über einigermaßen gute Englischkenntnisse verfügen. Es ist nicht mit dem Download der deutschen Regeln getan.

 

Spielprinzip

Ich werde nicht auf die Spielregeln im Detail eingehen, aber ein kurzer Überblick über die Prinzipien des Designs und die Kernmechanismen ist wichtig für die Bewertung des Spiels.

 

Der grundlegende Kniff des Designs ist die Aufteilung in zwei asymmetrische Seiten: Ein Spieler übernimmt den Dunklen Herrscher, der durch seine Plots, Monster und Schergen das Spiel zu gewinnen versucht. Damit gibt er gleichzeitig die Ziele der anderen Seite vor: Eein bis drei Helden der Freien Völker (es stehen fünf zur Auswahl) versuchen, Saurons Pläne zu durchkreuzen und so seinen Sieg zu verhindern.

 

Direkt gewinnen kann nämlich nur, wer einen seiner Fortschrittsmarker auf der Zeitleiste des Spiels als Eerster ins Finale bringt. Die Helden haben nur einen davon, der regelmäßig und meistens unbeeinflusst voranschreitet und so Rhythmus und Dauer des Spiels vorgibt. Sauron hat dagegen drei dieser Marker, die nur gezogen werden, wenn bestimmte Plots im Spiel sind. Die Helden können diese Plots durchkreuzen (abwerfen) und so Sauron am Erreichen des Finales hindern.

 

Wenn eine Seite dann als Eerste das Finale erreicht, muss sie auch noch eine zu Beginn des Spiels geheim festgelegte Siegbedingung (Mission) erfüllt haben. Ist das der Fall, hat sie gewonnen. Konnte sie das nicht, oder haben beide Seiten gleichzeitig das Finale erreicht und ihre Mission erfüllt, kommt es zu einem abschließenden Kampf zwischen einem Champion der Helden und den Ringgeistern. Der Sieger dieses Gefechts gewinnt das Spiel.

 

Grundsätzlich ist der Spielablauf einfach. Beginnend mit dem Sauron-Spieler macht jeder reihum seinen Zug. Dabei sind die Züge der Helden jeweils gleich, aber Saurons sehr anders. In seinem Zug werden die Fortschrittsmarker auf der Zeitleiste bewegt, verschiedene Ereignisse treten ein und er kann Plots ins Spiel bringen. Außerdem kann er Monster erscheinen lassen, seine Schergen bewegen , neue Karten ziehen und seinen Einfluss auf die Regionen und Orte Mittelerdes erweitern. Dabei hat er aber nur eine begrenzte Anzahl von Aktionen zur Verfügung, so dass er sich immer gut überlegen muss, welche der zahlreichen Möglichkeiten denn jetzt die wichtigsten sind.

 

Die Helden können sich in ihren Zügen von Ort zu Ort bewegen, haben Begegnungen, müssen gegen Monster kämpfen und können Aufgaben oder Quests lösen, die Saurons Plots verhindern oder ihre eigenen Fertigkeiten stärken.

 

Hier kommt ein Kernmechanismus ins Spiel, der das taktische Spiel der Helden bestimmt: Jeder Held besitzt einen Satz Karten, die verschiedene Funktionen erfüllen. Ungespielt sind sie seine verbleibenden Lebenspunkte, und wenn er durch ein Monster oder Ereignis Schaden erleidet, muss er entsprechend viele Karten in seinen „Schadenspool“ abwerfen. Er braucht die Karten aber auch, um von Ort zu Ort zu reisen und zu kämpfen, und wenn er sie für diese Zwecke spielt, kommen sie in seinen „Regenerationspool“. Dieser ist wesentlich leichter – durch Ausruhen – wieder zurück zu bekommen als der Schadenspool, für den man sich in einer der wenigen Zufluchten der Freien Völker (wie Bruchtal oder Minas Tirith) heilen lassen muss.

 

So muss der Held mit jedem Zug ständig abwägen, ob er weite Reisen unternimmt oder sich die Karten für einen Kampf spart und ob er mit stetig sinkenden Lebenspunkten in gefährliche Gebiete vordringt oder lieber einen Zwischenstopp in einer sicheren Zuflucht einlegt.So ist der Zug des Helden ein stetiges Abwägen zwischen weiten Reisen oder Karten für einen Kampf sparen, und mit stetig sinkenden Lebenspunkten in gefährliche Gebiete vorzudringen oder lieber eine Zwischenstopp in einer sicheren Zuflucht einzulegen.

 

Es gibt noch einige weitere „kleinere“ Regeln, die alle geschickt ineinander greifen und ein stimmiges Ganzes bilden. Der Kampf wird mit Hilfe der oben genannten Karten ausgefochten und ist ein schnelles, aber durchaus taktisches Spiel im Spiel, das beiden Seiten Cleverness und Anpassungsfähigkeit abverlangt. Die Regeln sind gut organisiert und verständlich geschrieben. Es gibt bei FFG zwar inzwischen auch ein FAQ, aber das ist wesentlich kürzer als die Erläuterungen vergleichbarer Spiele (ich sage nur „Ringkrieg“), und die meisten Antworten lassen sich auch gut aus dem Regelheft selbst erschließen.

 

Spielerlebnis und Balance

Die Regeln sind also eingängig und interessant, aber wie spielt sich das Ganze im Endeffekt? Hebelt die Asymmetrie des Designs eine der beiden Seiten aus?

 

Erstmal muss man sagen, dass sich die beiden Seiten – Helden und Sauron – wirklich sehr unterschiedlich spielen. Eigentlich sind es zwei völlig unterschiedliche Spiele, die parallel gespielt werden. Sauron hat viel zu tun, muss sowohl seine Plots als auch die Taten der Helden im Auge behalten, seinen Einfluss über Mittelerde ausbreiten und darf darüber auch nicht seine Monster und Schergen aus dem Auge verlieren. Außerdem gibt es da noch die übergreifende Mission, die am Spielende erfüllt sein muss.

 

Spielplan Detail

Der einzelne Held hat es da leichter, da seine Optionen eingeschränkter (aber durchaus vorhanden) sind. Dafür kann es leicht passieren, dass ein Held über seinen persönlichen Questen und der Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu verbessern, das übergeordnete Ziel aus den Augen verliert, nämlich Sauron an der Durchführung seiner Pläne zu hindern. Dafür ist eine gute Kooperation unter den Helden notwendig, und sie müssen entscheiden, wann sie getrennte Wege gehen können und wann sie sich eher für eine schwierige Aufgabe zusammen tun.

 

Insgesamt haben die Helden in unseren Spielen bisher häufiger gewonnen als Sauron, aber es war fast immer knapp. Nur ein Spiel ging deutlich an die gute Seite. Es ist sicherlich vorteilhaft, wenn ein einigermaßen versierter Spieler Sauron übernimmt, da dieser im Gegensatz zu den Helden auch schon mal mehrere Runden vorausplanen muss. Ein Anfänger kann leicht von der Vielfalt an Optionen überwältigt werden.

 

Zu einem Problem des Spiels kann sich entwickeln, dass ein einzelner Spielerzug eine Weile dauern kann. Sauron hat immer viel zu tun, was aber dadurch gelindert wird, dass viele Elemente seines Zuges (z.B. Ereignisse) alle Spieler direkt betreffen. Aber auch ein Heldenzug kann sich über einige Minuten hinziehen, insbesondere wenn es zu mehreren Kämpfen kommt. Mehr als ein Kampf pro Zug ist zwar selten, kommt aber vor. Insgesamt erschien es mir bisher, dass sich das Spieler daher besser zu dritt (zwei Helden und Sauron) spielt als zu viert (drei Helden und Sauron), weil die Pausen zwischen den eigenen Zügen dann nicht so lang sind. Es gibt auch Regeln für zwei Spieler, die nach Kommentaren im Netz gar nicht schlecht sind, aber wir haben sie noch nicht ausprobieren können.

 

Das wahrscheinlich Bbeste an Middle-Earth Quest ist, dass es erstaunlich gut als Abenteuer-Spiel funktioniert – besser als Talisman, besser als Prophecy und auch besser als Runebound. Es gibt zwar weniger Möglichkeiten den eigenen Charakter auszugestalten, und auch die Auswahl an Gegenständen ist sehr beschränkt, dafür haben die Helden aber immer echte Ziele und stehen unter Zeitdruck, der von Saurons Plot vorgegeben wird. In Spielen wie Talisman ist das Feld, auf das man sich bewegt oder die Queste, die man jetzt versucht, meistens recht beliebig, solange es der momentanen Stärke des Charakters angemessen ist. Das ist in Middle-Earth Quest anders. Man hat immer ein thematisch stimmiges Ziel vor Augen, das auch konkreten Einfluss auf die Siegbedingungen hat.

 

Im Gegensatz zu den meisten anderen Brettspielen mit Tolkien-Thema, sind die Helden hier keine der Charaktere aus den Büchern. Stattdessen sind sie eher generische Vertreter verschiedener Rassen (Menschen, Zwerge, Elben). Das hat dem Spiel die eine oder andere Kritik eingebracht, uns hat es aber überhaupt nicht gestört. Die Fähigkeiten, Eigenschaften und Karten der Helden sind durchaus unterschiedlich, so dass sie sich sehr anders spielen. Zum Beispiel hat der Zwerg sehr gute Kampfkarten, seine Karten sind aber in ihrenm Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt. Monster stören den Zwerg wenig, aber seine geringe Weisheit macht ihn anfällig gegen andere Gefahren. Die (menschliche) Waldläuferin ist sehr ausgeglichen, was ihre Bewegungskarten angeht, ist aber nicht so gut im Kampf, usw.

 

Die Spieldauer einer Partie ist nicht ganz kurz. Nach dem ersten Kennenlernen, haben die 3-Spieler -Runden etwa zweieinhalb Stunden gebraucht, während die eine 4er-Partie eher dreieinhalb gedauert hat. Mit mehr Erfahrung kann das wohl noch etwas weniger werden, aber wahrscheinlich nicht viel.

 

Fazit

Die vier Partien Middle-Earth Quest, die wir bisher gespielt haben, haben alle viel Spaß gemacht, wobei die 4er-Runde leicht abfiel. Alle Spieler konnten sich gut vorstellen, weitere Partien zu spielen. Das Spiel hat ein sehr interessantes Gesamtkonzept (Abenteuer-Spiel kombiniert mit kooperativen Aspekten und einem asymmetrischen Gegenspieler) und mehrere clevere Mechanismen, die elegant ineinander greifen (Lebenspunktesystem, Bewegung und Kampf, Saurons Plots und die Aufgabe der Helden diese zu durchkreuzen).

 

Es ist ein längeres Spiel, das sicherlich nicht für den Gelegenheitsspieler aus der Familie geeignet ist, aber auch (besonders auf der Seite der Helden) keine Profi-Strategiespieler braucht, die Pläne für die siebzehnte Runde im Voraus planenschmieden. Durch die Vielzahl an Karten kommt ein begrenztes Glückselement ins Spiel, Würfel gibt es aber keine. Die relativ geringe Spieleranzahl (2-4) ist einerseits ein Vorteil, weil man es auch in kleinen Runden anbieten kann, anderseits ist es schwierig, es bei der Größe einer typischen Rollenspielrunde (4-7) auf den Tisch zu bringen.

 

Für mich aAls großenr „Herr -der -Ringe“-Fan erreicht Middle-Earth Quest für mich nicht ganz die Qualität meines Lieblingsstrategiespiels „Der Ringkrieg“ oder des brilliant kooperativen „Der Herr der Ringe“ von Reiner Knizia, aber es bedient auch eine andere Zielgruppe. Es ist kein reines 2er-Spiel und nicht ganz so kopflastig wie „Der Ringkrieg“, und es nichtist eben nicht ausschließlich kooperativ wie „Der Herr der Ringe“ (ohne Sauron-Erweiterung), was auch nicht unbedingt jedermanns Sache ist.

 

Leichte Produktionsmängel scheint es nur in der allerersten englischen Auflage zu geben, deshalb werde ich sie nicht in die Bewertung einfließen lassen. Middle-Earth Quest bekommt von mir eine glatte 4.0 für ein wirklich gelungenes Spielkonzept, plus 0.2 Punkte für ein sehr ansprechendes grafisches Design.