Links zur Rezension Inhalt:Der Held der Geschichte kommt am 22.09.1746 zur Welt, doch seine Mutter verstirbt noch im Wochenbett. Der Vater des Kindes ist bereits vor einigen Wochen an Fieber gestorben und so ist Jack, kaum drei Tage alt, bereits Waise. Dennoch scheint es, als hätte der Neugeborene einen anderen leiblichen Vater – ein Geheimnis, das seine Mutter allerdings mit ins Grab nimmt. Einzig ein Medaillon bleibt Jack als Erinnerungsstück.
Seine Kindheit verbringt Jack im Waisenhaus, doch die Vertreibung französisch-stämmiger Siedler durch englische Truppen verschlägt ihn letztlich als Schiffsjungen für die britische Handelsmarine an Bord des Segelschiffes „Virginia“ und so entgeht er zunächst einem schlimmeren Schicksal. An Bord des Schiffes freundet er sich mit Andrew Socks an, der hier ebenfalls als Schiffsjunge seinen Dienst verrichtet. Nur mit knapper Not kann er Andrew vor der Vergewaltigung durch den Matrosen Williamson retten, wobei in das Geschehen auch John Place eingreift, den alle an Bord des Schiffes nur „Lucky Roberts“ nennen, da er bislang alle Gefahren ohne Verletzungen überstanden hat. Er dürfte auch seine Finger im Spiel haben, als man einen Tag später Williamson erhängt in der Takelage des Schiffes findet.
Seine erste Fahrt bringt Jack nach Plymouth, wo die „Virginia“ Waffen und Munition für die Truppen in den Kolonien aufnimmt. Auf ihrer Rückreise in die Kolonien begleiten sie den Dreimaster „Saint George“, der allerdings an der „Getreideküste“ von Afrika seine Fracht erst noch aufnehmen muss: Sklaven für die Neue Welt! Noch in der Nacht, in der die Sklaven auf die „Saint George“ gebracht werden, zettelt „Lucky Roberts“ eine Meuterei an und bringt beide Schiffe in die Gewalt der Mannschaft. Kurzerhand werden die Sklaven freigelassen, Kapitän Lord Princelton und seine Offiziere auf dem Meer ausgesetzt und die verbliebene Mannschaft beschließt nunmehr ihr Glück als Piraten zu suchen. Einen Trumpf hat „Lucky Roberts“ in der Hand, um sich vor möglichen Nachstellungen durch Kapitän Princelton zu schützen: Er nimmt kurzerhand dessen Tochter Angela, die sich ebenfalls an Bord des Schiffes befindet, als Geisel, um später für ihre Freilassung Lösegeld zu verlangen.
Die Schiffe der Piraten nehmen Kurs in portugiesische Gewässer, wo die Männer allerdings rasch feststellen müssen, dass Kapitän Princelton ein Lösegeld auf die Ergreifung der Piraten ausgesetzt hat und sie nunmehr zu Gejagten werden. Und nicht nur das – während „Lucky Roberts“ sich für Lösegeldverhandlungen mit einigen Männern abgesetzt hat, wird der Stützpunkt der verbleibenden Piraten von der britischen Armee unter der Führung von Kapitän Princelton gestürmt und alles niedergemacht. Um den Nachstellungen von Princelton zu entgehen und um an Geld zu kommen, beschließt „Lucky Roberts“ die Waffen und die Munition, die an Bord der „Virginia“ transportiert wurden, an die französischen Truppen in Neu-Frankreich zu verkaufen.
Doch der Plan der Piraten, ihre Ware zu verkaufen, geht nicht auf, ganz im Gegenteil: Die französischen Truppen nehmen sie gefangen und setzen sie als „Freiwillige“ im Kampf gegen die Engländer ein. Während die Männer in ihrer Gefängniszelle auf ihr weiteres Schicksal warten, hält die Geschichte hier eine überraschende Wendung bereit, da sich im Medaillon von Jack ein Brief befindet, der über das Versteck eines Schatzes an einem Ort namens Grand Portage am Lake Superior berichtet. Aber das ist noch nicht alles. Scheinbar kannte „Lucky Roberts“ die Mutter von Jack. Und so erzählt er davon, dass Jacks Mutter vor Jahren eine Lebensgefährtin des Piraten Jack Rackham war, besser bekannt als Calio Jack, und dass dieser tatsächlich irgendwo ein Vermögen versteckt haben muss.
Der erste Fluchtversuch der Piraten, die sich auf die Suche nach dem Schatz machen wollen, scheitert kläglich und so müssen sie ihren Dienst als „Freiwillige“ antreten. Ihr erster Einsatz soll sie als Begleitschutz für einen Konvoi in die nächstgrößere Ansiedlung führen, von wo aus man Kontakt mit Kapitän Princelton aufnehmen will, da man ihm seine Tochter übergeben möchte. Doch gerät der Konvoi in ein Gefecht mit englischen Truppen, die von Indianern unterstützt werden. Viele Männer sterben, doch ein Teil der Mannschaft überlebt, darunter auch Jack, Andrew und Angela.
Gemeinsam macht sich der Tross der überlebenden Piraten auf den Weg zum Schatz, doch Kapitän Princelton ist ihnen dicht auf den Fersen und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis er die Flüchtigen erreicht hat, um Rache zu nehmen und um seine Tochter zu befreien.
Schreibstil & Artwork:Der französische Autor und Zeichner Patrick Prugne hat in den Ateliers von Loisel („Peter Pan“) sein Handwerk meisterlich gelernt und nicht umsonst wurde er bereits 1990 in Angoulême mit dem Comic-Oscar „Prix Alph' Art“ als bester Nachwuchszeichner geehrt. Als Zeichner konnte Patrick Prugne sein Talent durch die vierbändige, grelle Humorreihe „Nelson und Trafalgar“ (Ehapa) unter Beweis stellen, bei der sich Goupil als Szenarist verantwortlich zeigte. Bedauerlicherweise erschienen hier nur die beiden ersten Bände auf Deutsch. 1999 begann er mit der Serie „FOL“, bei der er sowohl für Artwork als auch für das Szenario verantwortlich war. „FOL“ ist eine Fantasy-Saga, die mit prächtigen Bildern und einer schaurig-schönen Geschichte in ein magisches Reich entführt. Dabei plündert Prugne ungeniert Figuren aus gänzlich unterschiedlichen Märchen und Geschichten – von Pinocchio, den Zwergen aus der Zeichentrickverfilmung von Walt Disney, Schneewittchen bis hin zu dem kleinen, braven Zinnsoldaten, die er allesamt in seinem Comic vereinigt. In 2004 begann er gemeinsam mit dem Szenarist Tiburce Oger mit der Arbeit an „L'Auberge au Bout du Monde“ für Castermann.
Mit meist aquarellartigen Farben und einer feinen Linienführung in Bleistift oder Tusche sind es atemberaubende Bilder voller Schönheit und Eleganz, die der Zeichner Prugne dem Leser präsentiert. Egal wo er sich gerade befindet, sei es an Bord des Schiffes „Saint Georges“, auf der Insel Tortuga, Neuengland oder aber in der Wildnis bei den Indianern, immer wieder gelingt es Prugne die Orte, Landschaften oder aber auch Stimmungen einzufangen und mit seiner Kolorierung überzeugende farbliche Akzente zu setzen. Die Figuren und Akteure sind realistisch gehalten und bestechen durch ein hohes Maß an Details in Mimik und Gestik und nie wirken sie hölzern oder statisch.
Der klassische Seitenaufbau erfolgt – wie sollte es anders sein bei solchen Bildern – oftmals in großformatigen Panels und nicht umsonst kommt somit die eigentliche Geschichte in diesem Band auf 78 Seiten. Auf Experimente lässt sich Prugne beim Seitenaufbau nicht ein und verzichtet weitestgehend auf extravagante Sonderformen bei seinen Panels. Das Lettering der Texte ist elegant und passt sich absolut harmonisch in die Bilder ein.
Tiburce Oger wurde 1967 in Frankreich geboren. Nach seinem Studium an der Kunsthochschule in Angoulême arbeitete er von 1991 bis 1994 zunächst in verschiedenen Animations-Studios an Zeichentrickfilmen wie „Teenage Mutant Ninja Turtles“ oder „Denver the last Dinosaur“ mit. 1992 startete er nebenbei seine heroische Fantasy-Reihe „Gorn“ für den französischen Verlag „Vents d'Ouest“, die auf Deutsch zunächst im Splitter Verlag erschien. Für den Zeichner Christian Paty schrieb er 1997 zwei Szenarios für den Nebencharakter „Damoiselle Gorge“ (deutsch: „Lady Gorgel“), die dieser dann umsetzte. Ein Jahr später schrieb er „9 Têtes“ für den Zeichner Igor David (Humanoïdes Associés) und zeichnete „Orull“ mit dem Szenaristen Denis-Pierre Filippi (Delcourt). Zwischen 2000 bis 2004 entstand für den Verlag „Vents d'Ouest“ die Fantasy-Western-Trilogie „La Piste des Ombres“, von denen die beiden ersten Bände unter dem Titel „Die Fährte der Dämonen“ im Verlag Schreiber + Leser erschienen. Die Gorn-Reihe ließ er 2004 wieder auferstehen und legte im gleichen Jahr das 8. Album der Reihe vor. Gemeinsam mit Patrick Prugne arbeitete er an „L'Auberge au Bout du Monde“, für welche er das Skript schrieb. Doch auch in den Folgejahren zeigte sich Oger recht umtriebig und arbeitete noch an einigen anderen Projekten. Ebenso wie Prugne ist Oger Gewinner des „Prix Alph' Art“, den er allerdings bereits unmittelbar nach Abschluss seines Studiums erhielt!
Die Gattung des Historien-Comic ist sicherlich nichts mehr Neues und Bahnbrechendes, doch ist dieses Genre immer wieder für einige Überraschungen gut. So entwirft Tiburce Oger vor dem Hintergrund des Siebenjähriges Krieges, der im alten Europa in den Jahren zwischen 1754 bis 1763 tobte, fast beiläufig eine packende Abenteuergeschichte, die sich vor den kriegerischen Auseinandersetzungen der Kolonialmächte England und Frankreich zunächst in dem Landstrich Akadien abspielt und den Leser mit auf eine spannende Reise nimmt. Die Gegend Akadien beinhaltet die Provinzen der späteren East Coast, Québec und Teile der nordöstlichen USA, z.B. Maine. Die Akadier stammen wohl von den frühen Hugenotten ab bzw. von den 300 Siedlern, die zwischen 1632 und 1635 von Frankreich nach Port Royal gebracht wurden. 1710 fiel das Gebiet wiederholt in britische Hände und Frankreich musste Akadien im Jahr 1713 endgültig an die Briten abgeben. Trotzdem bauten die Franzosen um 1720 eine Seefestung auf Cape Breton Island im nördlichen Nova Scotia, das Fortress Louisbourg. Ein Loyalitätseid auf die britische Krone wurde seitens der Akadier allerdings abgelehnt. 1755 brach der Krieg zwischen Frankreich und England auch hier offen aus. Der englische Gouverneur verlangte nun kategorisch den Loyalitätseid. Unerbittlich wurden in manchen Gegenden Familien, Männer von Frauen und Kindern, getrennt und auf die neuenglischen Kolonien verteilt. Innerhalb von acht Jahren wurden zwischen 6.000 und 10.000 Akadier von ihren Wohnstätten vertrieben. Nur an der Nordküste New Brunswicks konnten sich Bevölkerungsteile der Akadier halten, die bis zum heutigen Tag ihre Sprache und Kultur bewahren.
Eigentlich nicht vielmehr als eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern, werden diese historischen Fakten der Ausgangspunkt für die Erzählung von Tiburce Oger. Dabei geht es ihm allerdings nicht um die großen Geschehnisse in dem Krieg um die Kolonien, sondern mit einem sicheren Gespür wandelt er insbesondere auf den Spuren von Erzählern wie Robert Louis Stevenson, der Ähnliches bereits in seinem Roman „Die Schatzinsel“ zu Papier gebracht hat, oder aber Fenimoore Cooper in „Der Lederstrumpf“. Bedauerlicherweise nimmt sich Tiburce allerdings nicht genügend Zeit, seine Geschichte zu entwickeln, und so muss er an einigen Stellen etwas harte Brüche und Konstruktionen vornehmen, damit alles noch in einem Oneshot seinen Platz findet. Das nimmt dieser eigentlich schön angelegten Erzählung manchmal etwas von ihrem Reiz, was angesichts der fantastischen Illustrationen von Patrick Prugne bedauerlich ist.
Qualität, Ausstattung & ÜbersetzungIn Sachen Qualität scheint der Splitter Verlag sich zum Ziel gesetzt zu haben, neue Maßstäbe zu setzen. Um dem natürlichen Eindruck der Original-Illustration möglichst nahe zu kommen, wurde für die Ausgabe von „Canoe Bay“ das bereits in der Bourgeon-Reihe „Reisende im Wind“ verwendete, überaus hochwertige Papier eingesetzt. Dieses schwere Papier ist stärker als das sonst vom Verlag verwendete seidenmatte Papier (und natürlich dadurch auch etwas teurer) und soll nach Verlagsangaben erst einmal besonderen Titeln vorbehalten bleiben. Und so wirken die Zeichnungen (nicht zuletzt auch durch das frequenzmodulierte Druckverfahren) in ihren Farben und Konturen fast schon ein wenig wie Originale, was die Augen des Lesers über alle Maßen erfreut! Doch damit nicht genug: Neben der wie immer gelungenen Übersetzung von Tanja Krämling warten im Anhang noch eine Fülle von Skizzen zu „Canoe Bay“ von Patrick Prugne auf den Leser und vermitteln – nicht zuletzt auch durch die handschriftliche Kommentierung der Künstler – einen tiefen Einblick in das kreative Schaffen. Wer des Französischen nicht mächtig ist, braucht sich allerdings nicht zu ärgern, da es ein Glossar mit der deutschen Übersetzung der Anmerkungen gibt.
FazitNicht zu Unrecht wird dieser Comic von den Kritiken als eine der herausragenden, optischen Glanzleistungen des Jahres 2009 gefeiert und ich kann mich diesem Urteil auch nur anschließen. Hinsichtlich der Geschichte fühle ich mich aber eher an einen guten, alten Abenteuerfilm erinnert, den man vielleicht im Laufe seines Lebens schon ein Dutzend Mal gesehen hat, der aber auch beim x-ten Schauen immer noch dieses gewisse wohlig-behagliche Gefühl vermittelt. Während Patrick Prugne sich aber auf sehr hohem Niveau kreativ austobt, bleibt Tiburce Oger als Autor manchmal hinter den Möglichkeiten dieser berauschenden Bilderwelt zurück. Zwar liefert er eine durchaus solide und interessante Geschichte, die aber immer wieder zu harte Wechsel aufweist oder in ihrem Ablauf etwas konstruiert wirkt und vielleicht ein Zugeständnis an den Oneshot ist. Für mich persönlich ist dieser Comic auf jeden Fall ein echter Augenschmaus – wenn man über einige kleine Macken in der Geschichte hinwegsieht – den man auf jeden Fall gesehen haben sollte und der nicht zuletzt auch durch seine umfangreichen Extras beeindruckt.
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