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Bouncer 1 - Ein Diamant für das Jenseits
Bewertung:
(3.8)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 15.03.2010
Autor:Alexandro Jodorowsky (Autor) und François Boucq (Zeichner)
Übersetzer:Horst Berner
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Western
VerlagEhapa Comic Collection
ISBN/ASIN:978-3-7704-2794-9
Inhalt:56 Seiten, Hardcover
Preis:12,00 EUR
Sprache:Deutsch

Mit dem Sieg in der Schlacht von Chattanooga war es den Nordstaaten im November 1863 endgültig gelungen, den Staat Tennessee zu sichern und dadurch das Tor für Operationen gegen andere konföderierte Staaten weiter im Süden zu öffnen. Als besonders lohnendes operatives Ziel bot sich dabei der Eisenbahnknotenpunkt Atlanta in Georgia an, der während des Bürgerkriegs zu einer der wichtigsten Industriemetropolen des Südens aufgestiegen war und über wichtige Betriebe wie Munitionsfabriken und Nachschubdepots verfügte. Unter der Führung von General William T. Sherman wurde Atlanta im Spätsommer 1864 erobert und den konförderierten Truppen ein schwerer Schlag zugefügt, da von hier aus der Weg ins Herzland der Konföderierten frei war.

 

Inhalt (Achtung: Spoiler!):

Der Sezessionskrieg steht nach dem Fall von Atlanta scheinbar kurz vor seinem aus, doch viele Südstaatler haben ihren Mut im Kampf gegen die Union noch nicht verloren. So auch nicht Captain Ralton van Doorman, der sich täglich in dem vom Bürgerkrieg verwüsteten Land abmüht, seine Soldaten zu ernähren und bei Laune zu halten. Dabei geht er nicht sonderlich zimperlich vor, wenn es darum geht Proviant und Vorräte bei Zivilisten einzufordern und er scheut auch nicht davor zurück ganze Siedlungen durch seine Männer plündern und niederbrennen zu lassen. Doch Ralton hat genug von diesem mühsamen Unterfangen und erinnert sich an seine Vergangenheit – es gibt auch noch andere Mittel und Wege um an Geld zu kommen, damit der Süden wieder aufsteht und in den Kampf zieht.

 

Gemeinsam mit einer Hand voll Männer macht er sich auf den langen Weg zu einem kleinen Gehöft, auf dem er nach dem Verbleib eines legendären Diamanten fahnden möchte – dem „Kainsauge“. Ralton und Blake – so der Name des Besitzers des kleinen Hofes fernab jeglicher Zivilisation – scheinen sich gut zu kennen und Ralton zeigt sich verwundert über die plötzlich zur Schau getragene Religiosität von Blake, hatte dieser doch wohl in seiner Jugend ganz andere Vorlieben und Interessen. Dieser weiß allerdings nichts vom Verbleib des Diamanten und so tötet Ralton kurzerhand Blake, dessen indianische Frau und den Hund der Familie. Lediglich Seth, dem Sohn von Blake, gelingt die Flucht, da dieser rechtzeitig vor der Ankunft von Ralton und seinen Gesellen von seinem Vater versteckt wurde. Er hat ihm aufgetragen, falls ihm oder seiner Mutter etwas geschehen sollte, sich an den Bouncer zu wenden, der im „Infierno Saloon“ in Barro City arbeitet.

 

Seth schafft es bis nach Barro City und er lernt auch bei einer Schießerei im „Infierno Saloon“ den Bouncer kennen. Als dieser die Revolver sieht, die der Junge mit sich führt und die Geschichte um den Tod seiner Eltern hört, macht er sich mit Seth zurück zum Gehöft. Doch hier finden die beiden nur noch die verkohlten Überreste des abgebrannten Besitzes. Nachdem Seth seine Eltern beigesetzt hat, erzählt ihm Bouncer am Lagerfeuer die Geschichte von drei Brüdern, die sich sehr ähnlich sind und doch recht unterschiedliche Wege gegangen sind:

Ralton, Blake und der Bouncer sind Geschwister. Ihre Mutter war eine Zigarre rauchende, versoffene und herrische Prostituierte, der es im laufe ihres Lebens gelang, genug von ihrem Hurenlohn beiseite zu legen um einen eigenen Saloon zu eröffnen. Die Väter ihrer Kinder kennt sie nicht und diese wachsen in der Brutalität von Spelunken und dreckigen Hinterhöfen auf, in dem zwischen Kindern und Jugendlichen anfänglich noch die Fäuste, dann Messer und später der Revolver zählt. Gemeinsam mit ihrer Mutter haben diese Brüder einen der größten Diamanten im Westen bei einem Eisenbahnraub gestohlen – das „Kainsauge“. Nach dem gelungenen Coup hat sich die Familie versteckt, doch schon bald brach Streit um die Beute aus, in deren Verlauf es zu einer Schießerei zwischen den Brüdern kam. Ralton verlor dabei sein linkes Auge und der Bouncer seinen rechten Arm. Selbst die hartgesottene Mutter war über das Verhalten entsetzt und wirft die drei aus der armseligen Hütte. Doch auch sie scheinen Zweifel zu plagen, da sie sich kurzerhand erhängt – und keine Spur über den Verbleib des Diamanten hinterlässt.

 

Hier endet zumindest die seltsame Familiengeschichte, doch sie scheint bei weitem noch nicht aufzuhören: Seth hört schwört Rache für seine getöteten Eltern und der Bouncer schickt sich an seinem Neffen helfen zu wollen, den Ralton wird mit Sicherheit wiederkommen, um nach dem Diamanten zu suchen.

 

Schreibstil & Artwork:

Alexandro Jodorowsky wurde 1929 als Sohn russischer Emigranten in Iquique (Chile) geboren. Auf eine unruhige Jugend folgte ein unstetes Leben, in der er sowohl die Literatur als auch das Medium Film für sich entdeckte und sich einen Namen als Filmschaffender von internationalem Rang mit Werken wie „El Topo", „La Montagne Sacrée" oder „Tusk" machte.

Dabei zeigte Jodorowsky durchaus Talent eigene Comics zu zeichnen, wie beispielsweise die Serie „Fabula Panicas“, die wöchentlich im mexikanischen Magazin „Heraldo Cultural“ erschien. Sein eigentliches Debüt im Bereich Comics machte Jodorowsky 1966 in Mexiko mit dem Szenario der futuristischen Saga „Anibal 5", die von Manuel Moro illustriert wurde. 1978 traf er Jean Giraud, besser bekannt als Moebius, mit dem er an einer Filmadaption des Romans „Dune" arbeitete. Für Moebius, schuf er mit „John Difool" auf Anhieb ein Meisterwerk der Science-Fiction- und Fantasy-Comic-Literatur. 1982 entwarf Jodorowsky für den Zeichner Arno das Szenario zu „Alef-Thau". Über die Jahre hinweg folgten zahllose weitere Szenarien für bekannte Zeichner, darunter beispielsweise „Das weiße Lama" (mit Bess), „Die Meta-Barone" (mit Juan Gimenez), „Lust und Glaube" (mit Moebius), „Mondgesicht" (mit François Boucq), „Die Saga von Alandor“ (mit Cadelo) sowie 1997 „Die Techno-Väter“ (mit Janjetov und Frédéric Beltran).

 

Mit „Wo ein Vogel am schönsten singt“ betätigte er sich zudem als Buchautor. 1996 gewann Jodorowsky auf dem Comic-Salon in Angoulème den begehrten „Alph’art“ für das beste Szenario für seine neue Comic-Serie „Juan Solo“. 1999 widmete man ihm dort eine Retrospektive über sein jahrelanges Schaffen als Filmemacher und Szenarist, als Romancier und Poet mystischer Dichtung.

Seit 2001 arbeitet er gemeinsam mit dem Zeichner François Boucq an der Western-Reihe „Bouncer“, wobei er sich auch hier zwischendurch Zeit nimmt, um beispielsweise in 2002 gemeinsam mit Jean-Claude Gal an der Reihe „Diosamante“ zu arbeiten.

 

Gewalt zum Stilmittel ist sicherlich nichts neues, doch was Jodorowsky hier an Szenario liefert, scheint auch noch die allerletzten Tabus brechen zu wollen und dürfte nicht nur bei zart beseelten Lesern die Grenzen des zumutbaren bei weitem überschreiten. Dabei plündert Jodorowsky eigentlich jedes fast nur denkbare Klischee, wie man es aus „Italo Western“ der 60er Jahre her kennt und garniert es mit Versatzstücken teilweise exzessiver Gewalt. Darunter leidet die eigentlich recht angenehm konstruierte Erzählung um die doch recht denkwürdige Familiengeschichte der drei Brüder nebst ihrer bemerkenswerten Mutter und dem spektakulären Raub des Diamanten. Die Charaktere selbst bleiben dabei recht farblos, da sie „nur“ durch Rache oder das Streben nach Geld angetrieben werden.

 

Der französische Comiczeichner François Boucq wurde am 28.11. 1955 in Lille geboren. Seine ersten Zeichnungen, bei denen es sich um politische Karikaturen handelte, veröffentlichte er 1974 in Le Point. Nach einigen Serien begann er 1983 regelmäßig für das Magazin À Suivre zu zeichnen. Aus diesen Werken entstanden später „Les Pionniers de l'Aventure Humaine“ („Die Pioniere des menschlichen Abenteuers“), ”Point de Fuite pour les Braves” und „La Pédagogie du Trottoir“. Für „Die Pioniere ...“, auf Deutsch erschienen im Alpha Comic Verlag, gewann Boucq 1992 den Max-und-Moritz-Preis.

 

Zusammen mit Jérôme Charyn arbeitete er an „La Femme du magicien“ (dt.: „Die Frau des Magiers“) und „Bouche du Diable“ (dt.: „Teufelsmaul“), mit Alexandro Jodorowsky an „Face de Lune“ (dt.: „Mondgesicht“), welche sich inzwischen auch in Deutschland auf drei Bände erstreckt. 1998 gewann er den „Grand Prix de la Ville d'Angoulême“ des „Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême“. Seit 2001 arbeitet er abermals mit Jodorowsky als Szenarist an der Westernreihe „Bouncer“ zusammen. Seine jüngsten Veröffentlichungen sind die ersten beiden Bände der Serie „Janitor“, die er gemeinsam mit dem Szenaristen Yves Sente schuf.

 

Ist das Szenario auch sehr brutal ausgelegt, so besticht doch die visuelle Gestaltung durch Boucq, die sich in zum Teil in Panels austobt, die über die gesamte Breite von zwei Seiten laufen und dem Leser Blicke auf spektakuläre Panorambilder ermöglichen, wie man sie aus den bereits oben genannten „Italo-Western“ kennt. Zu meiner großen Freude konnte ich feststellen, das die Illustrationen von Nicolas Fructus und Ben Dimagmaliw koloriert worden sind – das dürfte sicherlich auch die angemessene Farbgebung erklären, die düster oder finster daherkommt, sondern immer angemessen die jeweilige Stimmung und Tageszeit einfängt. Die Figuren bei Boucq besitzen in ihrer bewussten Realitätsnähe immer wieder ein großes Maß an Hässlichkeit, egal ob es sich um den besoffenen Indianer handelt, der Seth in Barro City sein Pferd stiehlt oder aber auch die Begleiter von Ralton.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

In Sachen Qualität kann der Hardcoverband durchaus überzeugen und so gibt es an dieser Stelle von mir in Sachen Verarbeitung keinerlei Kritik. Bezüglich der Ausstattung werden dem Leser keine Extras geboten, was durchaus zu verschmerzen ist, doch wären einige Worte von Jodorowsky zu dem Szenario oder zusätzliche Skizzen von Boucq eine willkommene Ergänzung gewesen. Die angenehm zu lesende Übersetzung von Horst Berner sei an dieser Stelle ebenfalls erwähnt.

 

Fazit:

Ein Fazit nach diesem ersten Band, der irgendwo zwischen „Western-Klischee“ und „amerikanischen Wild-West-Märchen“ angesiedelt ist, fällt mir sehr schwer. Ich bin nicht unbedingt der große Freund von makellosen und tugendhaften Helden, wie sie das amerikanische Kino mit seinen Western-Helden in der Vergangenheit zuhauf hervorgebracht hat, doch sind mir die rohen Sitten und die schonungslose Brutalität, wie sie Alexandro Jodorowsky in seinem Szenario an den Tag legt schon fast wieder etwas zu viel des Guten. Insofern möchte ich die Reihe „Bouncer“ eher in den Bereich des „Kunst-Western“ stecken, da sich hier eine Gattung auftut, die sich eigentlich allen bislang vorhandenen Schubladen entzieht und mich zumindest in meiner Einschätzung letztlich etwas zufriedener stimmt.

Die Geschichte selbst ist sicherlich nichts besonderes und hätte von ihrer Grundstruktur ebenso gut (ohne den übermäßigen Einsatz von menschlicher Verrohung und Gewalt) auch aus der Feder eines x-beliebigen Autoren stammen können. Doch gerade hier setzt das „enfant terrible“ an und kleistert mit schonungsloser Brutalität die klassischen Kategorien von Gut und Böse zu und überlässt es zynischerweise dem Leser zu entscheiden, welchen „Helden“ man nun vielleicht mag (sofern es einen gibt) oder ob man vielleicht nur kopfschüttelnd der Geschichte zu ihrem vorläufigen Ende folgt. Die grandios inszenierten Bilder von Boucq steuern auf jeden Fall visuell die absolut stimmige und überzeugende Szenerie hinzu.

Ein schonungslos brutaler Comic, der absolut nicht in Kinderhände gehört und den gewissen Funken Größenwahn besitzt, um als Genre ganz eigener Art den Leser in seinen Bann zu ziehen.