Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Martial Power 2
Bewertung:
(3.8)
Von: Stefan Koller
Alias: Windjammer
Am: 07.04.2010
Autor:Richard Baker, Eytan Bernstein, Robert J. Schwalb
Typ:Regelerweiterung
System:D&D 4e
VerlagWizards of the Coast
ISBN/ASIN:978-0-7869-5389-9
Inhalt:Hardcover, 160 Seiten
Sprache:Englisch

 

Nach den zuletzt erschienenen Bänden Divine Power und Primal Power geht die Serie der „Power“-Bücher in die zweite Runde. Martial Power 2 widmet sich wie sein Vorgänger den vier Grundklassen, die ihre Mächte aus eigener Kraft schöpfen: für Kämpfer, Schurke, Waldläufer, und Kriegsherr werden hier neue Optionen und Anregungen finden.

Inhalt:

Die Kapiteleinteilung wird bisherigen Lesern der Serie vertraut sein. Zunächst ist jeder der erwähnten Klassen ein eigenes Kapitel gewidmet, das diese mit neuen Mächten und Legendären Pfaden unterstützt. Dann gibt es abschließend ein „Optionen“-Kapitel, das sich an alle Klassen im Buch richtet und für diese neue Talente und Epische Bestimmungen anbietet, aber auch völlige neue Subsysteme (siehe dazu mehr unten).

 

Wo die beiden Vorgängerbände (Divine und Primal Power) mit mehr rollenspielrelevanten Hintergrundmaterial geglänzt haben, wurden diese hier wieder in kurze „Side-Bars“ verbannt. Diese „Side-Bars“ widmen sich bekannten Themen der Serie: welche Klassen-Rassen-Kombos sind empfehlenswert aus „ikonischer“ Hinsicht, welche gehen eher in Richtung „exotisch“ (Beispiel: Drow-Schurke vs. Goliath-Schurke). Diese Texte helfen bisweilen aber auch, die doch eher trockenen Regeltexte (wie immer: hervorragend gelayoutet) etwas zu konkretisieren, um dem Spieler bei der Auswahl des Materials behilflich zu sein. Diese Information ist sicher sinnvoll, obwohl ich denke, dass hier Optimierungsforen oft ähnliche Überlegungen enthalten. Weit sinnvoller scheinen die „Side-Bars“, die die neuen Subsysteme wie die Waffendisziplinen (mehr dazu später) im Bereich „Flavour und Flair“ schmackhaft machen. So werden abseits der Legendären Klassen bereits Kampfstile dargestellt, oder Orden von Lanzenkriegern, die sich sehr schön in die generische 4E-Kampagnenwelt einfügen, und sehr inspirierend auf den Leser wirken. Soviel zur neuen (also alten) Aufbereitung von unterstützendem Hintergrundtext.

 

Bevor ich auf die einzelnen Kapitel eingehe, noch kurz etwas zur Bebilderung. Während ich von den Power-Büchern in optischer Hinsicht noch nie angetan war (und bei Arcane Power sogar eher entsetzt, was Bildauswahl und Druckqualität betrifft), war ich von Martial Power 2 angenehm überrascht. Besonders hervorheben möchte ich die Bilder von Vincent Dutrait, die es schaffen, der 4E nochmal einen völligen anderen Stil zu verpassen (etwa S. 69), der sich von den (für die 4E: repräsentativen) Illustrationen Wayne Reynolds‘ (im Buch nicht vertreten) angenehm abhebt. Bekanntes Bildmaterial ist mir bis auf drei Ausnahmen nicht aufgefallen: alte 3.x-Bilder (auf Seite 97 und 99), und als besonders witziges Highlight wird auf S. 10 ein Bild abgedruckt, das wir so schon aus dem 4E Manual of the Planes kennen (Legendärer Pfad „Gatecrusher“). Gelungen wie immer die doppelseitigen Bilder, die die Kapitel einleiten. Insgesamt eines der mit Leichtigkeit schöneren „Power“-Bücher, wobei die visuelle Gestaltung nicht dazu verleiten kann, das Buch wirklich durchgängig zu lesen – das Format lädt nun Mal zum punktuellen Heraussuchen ein! Damit zu den einzelnen Kapiteln.

Kapitel 1 bis 4: Neue Klassen-Builds und Mächte

Kämpfer: Als neuer Build wird der „Brawling Fighter“ (Haupt-/Sekundär-Attribut: STR/DEX) angeboten. Damit wird die vierte, und letzte der klassischen Grundkonfigurationen eines Kämpfers abgeschlossen: nach den Builds für Schild sowie Zweihandwaffe (PHB 1), Zweiwaffen-Kampf (Martial Power 1), kommt jetzt ein Build, wo der Kämpfer eine einhändige Waffe führt und die andere frei behält, um mit dieser unmittelbar zu schlagen und zu ziehen. Wie der Name schon sagt, fügt sich das ganze thematisch in den Bereich der eher unsauberen Tavernenprügelei (engl. „tavern brawl“). Hier wird dem Spieler überlassen, ob er die Freihand tatsächlich frei hält, oder aber einen stachelbesetzten Handschuh benutzt (hier wird auf die Waffenliste in Adventurer’s Vault 1 verwiesen) – eine herrliche Kombination, die wir so schon aus D&D 3.x kennen (waffenloser Kampf mit „spiked gauntlets“). Als ‚class feature‘ lockt eine Fähigkeit, die es ermöglicht, um einen Gegner herum-zu-shiften - und das at-will. Ich denke, der Tavernenprügler wird somit zum neuen besten Freund für den Schurken, da das Flankieren damit zum Kinderspiel wird. Die neuen Mächte ergänzen dann den Eindruck des schmutzigen Prüglers wunderbar, und von der Namensgebung („Slash and Pummel“ – Nasenbruch mit dem Schwertknauf) bis zu den Flavour-Texten („Du wirfst Dich mitten ins Getümmel, damit sich alle auf Dich stürzen“) bis zu den Effekten („Niedergeworfen? Stehe auf und Shifte 1 Feld“) passt hier alles wunderbar. Sehr schön übrigens, dass sich viele der neuen Mächte thematisch mit dem Battlerager aus Martial Power 1 gut vertragen, auch wenn ein Spieler dieses Builds als Tertiär-Attribut dann auf Dexterity gehen sollte.

Die Legendären Pfade am Ende des Kapitels sind dagegen eher speziell. Drei davon setzen voraus, das man eine der neuen Waffendisziplinen genommen hat, einer setzt ein Multi-Classing mit dem Warlock (!) voraus (also einen nur schwierig spielbaren Tank/Striker-Hybriden), und nur zwei sind relativ generisch einsetzbar. Hier hat WotC offenbar nicht aufgepasst, denn ein Kritikpunkt bisheriger „Power“-Bücher war oft, dass die Legendären Pfade entweder Nischenideen umsetzen oder in den Voraussetzungen zu anspruchsvoll sind.

 

Waldläufer: Zwei neue Builds werden angeboten, der „Hunter Ranger“ (DEX/WIS) und der „Marauder Ranger“ (STR/WIS). Hier ist der Eindruck relativ klar, dass wir es mit reinem Ergänzungsmaterial zu den bestehenden Waldläufer-Builds aus dem Spielerhandbuch 1 haben. Der „Jäger“ ist auf Fernkampf und Mobilität ausgelegt (ein „skirmisher“), und bekommt als Klassen-„Feature“ eine nette Bewegungs-plus-Angriffs-Kombo (mit 1 Standardaktion bewegt man sich vom Ziel fort, bekommt +1 auf Angriff, und hat dann noch immer die Bewegungsaktion frei), die die Beweglichkeit der Klasse nochmal massiv aufwertet. Der Plünderer bzw. Wilderer („Marauder“) hingegen versteht sich als Ergänzung zum Zwei-Waffen-Build, und ermöglicht diesem, sich punktuell auch auf den komplementären Kampf mit Fernwaffen zu spezialisieren. Dieses Konzept ist mir persönlich sehr sympathisch (vgl. das Klassenkonzept „Shadow Warrior“ in Warhammer Online), da es mit einer großen Flexibilität einhergeht: am Anfang des Kampfes schießt man seine Pfeile ab, um dann - auf den Gegner zulaufend - den Bogen erst in letzter Sekunde mit einem Schwert auszutauschen. (Am Rande: das Motto des Buches laut Klappentext ist „With Bow and Blade“, und der Wilderer ist eine sehr schöne Umsetzung dieses „and“.) Das „Klassen-Feature“ für den Wilderer unterstützt dieses Konzept des „Auf-den-Gegner-Zulaufens“ dann auch perfekt, indem es den Waffenwechsel von Fern- auf Nahkampfwaffe (und umgekehrt) als freie Handlung zuläßt und dem Waldläufer sogar einen vorübergehenden Bonus von +4 auf seine Rüstungsklasse gibt. Ein „Side-Bar“ weist aber auch darauf hin, dass sich das Klassen-Features des Jägers ebenso anbietet. Die einzelnen Mächte unterstützen diese Konzepte wiederum sehr schön (wie schon beim Kämpfer), und umso positiver fällt auf, dass auch für frühere Builds gesorgt wird, die nicht durch die MP2-Builds verstärkt werden. So findet sich eine schöne Handvoll Mächte für den Beastmaster-Ranger.

Bei den Legendären Pfaden gilt das gleiche wie für das Vorgängerkapitel: dreimal werden kampfdisziplin-spezifische Charaktere unterstützt, einmal finden wir etwas rassenspezifisches wie für den Shifter, und zwei bis drei generische Optionen, die sich u.a. auch für Multiclassing anbieten. (Zur Erinnernung: über Multiclassing mit Waldläufer u.ä. schaltet man auch die Waldläufer-Legendären-Pfade als Optionen frei.)

 

Schurke: Als neuer Build wird der „Shadowy Rogue“ (Haupt-/Sekundär-Attribut: DEX/INT) angeboten, dem als Klassen-Feature eine neue „Schurken-Taktik“ winkt, welche die Anwendung der „Heimlichkeit“-Fertigkeit während des Kampfes erleichtert (v.a. wenn sich der Spieler dazu entscheidet, statt der normalen Bewegungsrate Laufen einzusetzen), sowie als Alternative „Scharfschütze“ (+1 auf Angriffswürfe mit Armbrust oder Schleuder, also Waffen, die er gemäß PHB 1, S. 117, für den Hinterhältigen Angriff einsetzen kann). Letzteres halte ich für relativ sinnfrei (ähnliches leistet bereits das generische Talent „Weapon Expertise“ aus PHB 2), aber ersteres ist natürlich eine sinnvolle Kombination für den „Shadowy Rogue“.

Sehr lobenswert: gleich zu Kapitelanfang werden die erratierten „Stealth“-Regeln nochmal abgedruckt. Ich bezweifle zwar, dass Leser des Buches den Eintrag nicht bereits aus dem Anhang des PHB 2 im Regal stehen haben, aber Spieler dieses Schurken-Builds tun gut daran, diesen Eintrag immer vor Augen zu haben. Die Mächte im Kapitel unterstützen den neuen Build sehr gut, und ermöglichen ihm immer und immer wieder, Heimlichkeit-Würfe zu machen, um sich zu bei geeignetem Terrain oder abgelenktem Gegner (letzteres wird durch neue Mächte forciert) zu verstecken – und im Anschluss den Hinterhältigen Angriff zu initiieren. Ansonsten widmet sich das Kapitel punktuell der Unterstützung bestehender Builds.

Sehr gut gefallen haben mir auch die „Side-Bars“, die die Schurkenklasse dem Leser thematisch sehr schön näher bringen. So gibt es Einträge zu Diebesgilden oder zum Grundkonflikt mit dem Gesetz – und das sind auch jene Texte, die mir persönlich aus dem „Complete Thieves‘ Book“ der 2. Edition in sehr positiver Erinnerung geblieben sind. Dass es jetzt für die 4. Edition etwas vergleichbares gibt, halte ich für einen enormen Pluspunkt – zu sehr wurden auf diese Themen bisher verzichtet, bzw. hätten sie zu einem früheren Zeitpunkt wie dem ersten Spielerhandbuch vieles geleistet, um die Edition Altkunden schmackhafter zu machen.

Viel schwerer fällt mir die Bewertung des neuen Schurken, und das aus zwei Gründen. Zunächst einmal ist das Grundkonzept des Scharfschützen für einen einmaligen Angriff ausgelegt (vgl. auch das Computerspiel „Hitman“), was sich für ein rundenbasiertes Spiel, bei dem sich Kämpfe mehrere Runden lang abspielen, nur bedingt übertragen lässt. So mutet es auch etwas komisch an, dass der Schurke andauernd sicht- und unsichtbar für seinen Gegner werden muss.

Und als zweiter Faktor kommt hinzu, dass das Konzept des Scharfschützen erst unlängst für DDI-Kunden als neue Grundklasse vorgestellt wurde: der „Assassine“. Die mechanische Umsetzung freilich wirkt hier (beim „Shadowy Rogue“) durchdachter, und hat sicher auch vom Kunden-Feedback zum Erstentwurf profitieren können. Während der Assassine (weiterhin exklusiv auf DDI erhältlich) vielfältiger war – und neben Unsichtbarkeit auf hohe Mobilität per Kurzstrecken-Teleport (at-will, vgl. Eladrin „racial power“) sowie auf „immateriality“ zurückgreifen konnte (nicht-materialisiert-sein, insofern nur begrenzt Ziel von Gegenangriffen sein können) – waren zwei Hauptkritikpunkte der DDI-Klasse, 1. dass der Hybrid aus Striker+Controller nur schwer spielbar war, und 2. dass der Assassine für sich häufig „Combat Advantage“ erzeugen, daraus aber nicht wirklich Kapital schlagen konnte. Das erste Problem umgeht der „Shadowy Rogue“, indem er sich zu einem reinen Striker deklariert. Das zweite löst sich ganz elegant, in dem man für die Re-Konzeptualisierung des Assassinen eine Klasse genommen hat, die bereits aus „Combat Advantage“ profitiert – den Schurken mit seinem Hinterhältigen Angriff. Insofern halte ich den DDI-Assassinen maximal vom Flair her für überzeugender (alleine schon deshalb, weil er eine direkte Umsetzung von Artemis Entreri ist), aber die mechanische Umsetzung bei „Martial Power 2“ wird länger anhaltenden Spielspaß garantieren.

Die Situation hier erinnert stark an „Martial Power 1“, wo der „Battlerager“ als Kämpfer-Build vorgelegt wurde, nur um wenige Monate später durch das Konzept des Barbaren (und einer weit interessanteren „Rage“-Mechanik) obsolet gemacht zu werden; und wiederum gibt es eine relativ eindeutige Ansage an den Kunden, in dem man auf diesen Übergang auch namentlich hinweist (Assassine mit „Power Source: Shadow“ --> „Shadowy Rogue“). Während ich es sehr schätze, dass der Assassine überdacht wurde, hätte der Verlag auch überlegen können, eine völlig neue Spielart des Schurken abzugeben, anstatt das zugrunde liegende Klassenkonzept des Auftragkillers doppelt zu bedienen. Bitter für bestehende Assassinen-Spieler: da es sich um eine völlig andere Klasse und eine völlig andere „Power-Source“ handelt, ist eine Generalüberholung ihres Charakters mittels „Retraining“ unmöglich.

 

Die Legendären Pfade für den Schurken sind dann erfrischend allgemein gehalten, enthalten keine Voraussetzungen bei den Kampfdisziplinen, und werden vielseitig einsetzbar sein. So winken hier u.a. der „Arcane Trickster“ (eine der ersten Prestigeklassen für D&D 3E überhaupt) und der Giftmischer.

 

Kriegsherr: Zwei neue Builds gibt es hier, „Insightful Warlord“ (STR/WIS) und „Skirmishing Warlord“ (STR/INT). Letzterer ist eine völlig neue Attributs-Kombination für Kriegsherren, was eine Lücke für jene Spieler füllt, die sich schon immer einen Kriegsherrn gewünscht haben, der INT-Fertigkeiten effektiv einsetzen kann (und von entsprechenden INT-Rassen optimal unterstützt wird). Die zweite Besonderheit des „Skirmishing Warlord“ ist, dass nach großer Kundennachfrage endlich ein Kriegsherr-Build nachgeliefert wurde, der auf Fernkampf spezialisiert ist. Dementsprechend finden sich viele Mächte, die die typischen „Buff“-Effekte des Kriegsherren erzielen (zusätzliche Bewegung/Angriff, Bonus auf Angriffswürfe etc.) aber eben über Fern- statt Nahkampfangriffe ausgelöst werden. Damit das funktioniert, ohne das Grundkonzept der Klasse und ihre Kompatibilität mit Mächten anderer Builds zu verwerfen, laufen diese Fernkampfangriffe über das Primärattribut STR statt DEX (quasi das Gegenstück zum 3.5 Talent „Weapon Finesse“). Wie auch bereits im Kapitel zum Waldläufer machen „Side-Bars“ auf diverse Feats in den Spielerhandbüchern und früheren „Power“-Büchern aufmerksam, die den Wechsel von Fern- auf Nahkampf (und umgekehrt) sowie das Wechseln der Bezugsattribute der Mächte nahtlos ermöglicht. Das bedeutet, dass auch ein Skirmishing Warlord ergänzend Nahkampf-Buffs in Anspruch nehmen kann, von denen das Kapitel auch neue liefert. Hauptaugenmerk liegt aber natürlich auf den Fernkampfmächten, und die sind ähnlich wie schon in Kapitel 1 vom Flair bis zur spielmechanischen Ausstattung gelungen: eine Stufe 1 Macht erlaubt es dem Kriegsherrn etwa, ein Fadenkreuz auf dem Kopf seines Ziels aufleuchten zu lassen, um dem Rest der Gruppe das Anvisieren zu erleichtern. Wohlgemerkt, ein reiner Buff-Effekt für weitere Fernkämpfer in der Gruppe – etwas, das sich wie ein roter Faden durch das Kapitel zieht. Der Skirmishing Warlord ist nicht nur ein Buffer, der selbst bevorzugt Fernkampf einsetzt, sondern auch jemand, der primär den Ferkampf anderer unterstützt.

 

Anhand dessen ergibt sich für mich letztendlich auch ein Hauptanliegen des ganzen Buches – die neuen Builds erhöhen die flüssigen Übergänge zwischen Nah- und Fernkampf enorm, und ermöglichen erstmals, eine auf Fernkampf und erhöhte Mobilität spezialisierte Angriffstruppe zu bauen, deren Mitglieder jeweils andere Klassen wählen. Das solche Truppen in der 4E enorm effektiv sind, ist ja aus einschlägigen Diskussionen bekannt (man google mal „Mongol dilemma“ auf 1d4chan.com); was neu ist, ist die nun ermöglichte Umsetzung des Konzepts unter Beibehaltung von Klassenvielfalt.

 

Kapitel 5: Neue Optionen

In diesem Kapitel finden sich drei große Rubriken zu zwei neuen Subsystemen (Kampfdisziplinen, Kampfpraktiken) und neuen Talenten, sowie abschließend zwei kurze Rubriken mit neuen Charakterhintergründen und vier neuen Epischen Bestimmungen.

 

Gehen wir der umgekehrten Reihenfolge vor, und fangen wir bei den Bestimmungen an. Es gibt das Drachenherz, eine klassische Tank-Bestimmung die vom Flavour her dem Prügler aus Kapitel 1 entgegen kommen wird; die „Unsichtbare Rückenstärkung“, für den Schattenschurken vorgesehen; den „Legendären Herrscher“, eine sehr schöne Option für Paladine und Kriegsherren, das Charakterkonzept von König Artus am Spieltisch umzusetzen; sowie abschließend den „Star-Favored Champion“, der entweder auf die neuen „skirmishing builds“ ausgelegt ist (hohe Mobilität) bzw. dem Aerialist Schurke aus Martial Power 1, dessen Hauptmacht an das Klassenfeature der Avenger-Klasse aus PHB 2 erinnert. Eine sinnvolle Ergänzung zum Rest des Buches, das sich klar an den neuen Builds orientiert.

 

Die vorletzte Kategorie bietet neue Hintergründe, eine neue Art von Regelsubsystem, das erstmals in PHB 2 eingeführt wurde. Diese sind weit weniger auf die neuen Builds hin entworfen, und haben mich quer durch die Bank sehr gut unterhalten. Vor allem der Hintergrund des Zirkusartisten halte ich für eine originelle Idee, ist sehr schön beschrieben, und hat mich an die „Fettucini Brothers“-Szene in Secret of Monkey Island erinnert.

 

Kommen wir damit zu den drei großen Rubriken, jeweils 15-20 Seiten lang. Zunächst wären da mal neue Talente, deren Hauptanliegen es ist, ungewöhnliche Rassen-Klassen-Kombos (auf die schon die „Side-Bars“ während des Buches hingewiesen haben) regeltechnisch zu unterstützen, und bestehende „Racial Powers“ auszubauen, v.a. aus PHB 2. Weiter finden sich eine Handvoll neuer Feats für den Beastmaster-Ranger, ein Build der sonst vom Buch nur punktuell berücksichtigt wurde, und der dem Tiergefährten des Waldläufer neue bzw. verbesserte Fähigkeiten verleiht (wie etwa, dass er weiterkämpft, auch wenn der Waldläufer außer Gefecht gesetzt wurde). Insgesamt nichts weltbewegendes, aber Spieler, die eine der behandelten Rassen-Klassen-Kombos auserkoren haben, werden sich freuen.

 

Damit zu den zwei neuen Subsystemen. Zunächst wären da mal Kampfpraktiken („martial practices“). Ähnlich wie das Alchemie-System im Adventurer’s Vault 1 sind sie dazu gedacht, eine Alternative zum Ritualsystem im PHB 1 anzubieten. Grundidee ist, dass die Spieler die klassischen Ritual-Effekte gemäß der neun Ritualkategorien (PHB 1, Seite 299; also etwa: Erforschung, Reisen, und Schutzbehausungen) über andere Fertigkeiten als „Arcana“ erzielen können (nämlich über Fertigkeiten, in denen „martial classes“ hohe Boni haben), sowie dass sie das ohne Zuhilfenahme exotischer Materialkomponenten bewerkstelligen können, indem sie stattdessen Heilschübe verbrauchen. Eine super Idee, die leider in der Ausführung scheitert.

Zum einen ist die Auswahl der dargebotenen „Praktiken“ viel zu gering, und viel zu sehr auf den „Heroic Tier“ konzentriert (bei Stufe 16 ist Schluss!), um als vollwertiger Ersatz für die klassischen Rituale zu dienen. Dementsprechend gibt es auch eine „Praxis“, die es dem Spieler erlaubt, sich Rituale zu bedienen – offensichtlich war den Entwicklern klar, dass das neue Subsystem nicht auf eigenen Beinen stehen kann. Das halte ich für unausgegoren, denn hier hat das Alchemie-System gezeigt, dass das nicht so sein muss.

Der zweite Hauptkritikpunkt an den „Praktiken“ ist, dass sie abseits von quantitativer Einschränkung (es gibt zu wenige), auch qualitativ nicht überzeugen können. Viele Effekte halten dem Vergleich mit Alternativen aus Ritualen und Alchemie nicht stand, bei einigen ist schleierhaft, warum der Charakter für den Effekt einen Heilschub benötigt, und drittens werden zuweilen Handlungsoptionen abgedeckt, die das 4E-Regelwerk bereits über andere Wege erschlossen hat. Das einfache Beispiel „Disguise“ mag hier alle drei Tendenzen auf einmal illustrieren – wer hat hier vergessen, dass die „Bluffen“-Fertigkeit laut Spielerhandbuch den Bereich des Selbstverkleidens bereits bedient?

Insgesamt würde ich sagen: Finger weg von den „Praktiken“. Wer Rituale nicht mag, ist mit dem Alchemiesystem besser und umfangreicher bedient.

 

Damit abschließend zu dem neuen anderen Subsystem, den Kampfdisziplinen – dem eindeutigen Höhepunkt des ganzen Buches. Hier handelt es sich um Talente, die etwas komplexer als herkömmliche gestaltet sind, und besondere Boni auf bestehende Mächte freischalten, und die es erlauben, bei Gelegenheitsangriffen einmal pro Begegnung eine entsprechende Begegnungsmacht (statt des Standardangriffes) zu benutzen. Dieses Konzept kennt der Leser so schon ähnlich aus Divine Power, in dem die neuen Domänentalente einen +2 Bonus auf eine bestimmte at-will Macht gaben, sowie einen +2 Bonus auf eine gewisse Fertigkeit. Während dieses Rezept dort etwas einfallslos durchexerziert wurde, tun sich hier bei den mechanisch ähnlich konzipierten „Kampfdisziplinen“ unterschiedliche Spielarten auf. Vom „Flavour“ her soll hier die Idee unterstützt werden, dass zwei Spieler derselben Klasse am Charakterblatt nochmal ausdifferenzierter wirken können, wenn sie auf unterschiedliche Kampfstile bzw. Waffendisziplinen zurückgehen. Die Umsetzung ist dermaßen gelungen, dass ich den Kauf des Buches jeder 4E-Gruppe, die kriegerische SC beinhaltet, alleine schon aufgrund dieser 20 Seiten nahe lege. Es handelt sich um die wohl sinnvollste Ergänzung der kriegerischen Klassen seit Erscheinen der Edition. Damit zum Fazit.

Fazit

Leser der „Power“-Serie sollten mittlerweile wissen, was sie hier erwartet: mehr Mächte, neue legendäre Pfade und epische Bestimmungen, sowie neue Talente. Die Frage ist, wem das Material besonders nützt. Zunächst einmal versteht sich das Buch als Fortsetzung und Ausbauband und richtet sich an Spieler, die sowohl das erste Spielerhandbuch als auch den Vorgängerband Martial Power besitzen. Nur wer beide Bücher besitzt, wird das Buch auch optimal nutzen können. Wichtig ist aber, dass keine einzige Information ausgelassen wurde, um etwa Leuten, die Martial Power nicht besitzen, das Buch dennoch nutzbar zu machen; so wurden die Keywords ‚Invigorating‘ und ‚Rattling‘ erneut abgedruckt, ersteres sogar in erratierter Form (siehe S. 7 und S. 57). Während die neuen Klassen und deren Mächte also zur Gänze selbständig spielbare Builds hergeben, ändert das nichts daran, dass das Buch dafür gedacht ist, bestehende Builds aus dem Vorgänger optimal mit neuen Mächten zu unterstützen – insbesondere „Battlerager Fighter“, „Cutthroat Rogue“ (beide wegen überlappender ‚keywords‘) und „Resourceful Warlord“ (wegen überlappender Hauptattribute).

 

Kaufen sollten sich das Buch also in erster Linie Leute, die die bereits erwähnten Builds aus Martial Power 1 spielen. Ebenso zuschlagen sollten Spieler, denen das Konzept eines der neuen ‚Builds‘ zusagt. Ein auf Fernkampf ausgelegter Kriegsherr? Ein Tavernenprügler, der sich für keinen schmutzigen Trick zu schade ist? Eine überzeugende Überarbeitung des lautlosen Killers? Hier wird man fündig. Davon ab, sollte sich jede 4E-Runde das Buch zumindest in einmaliger Ausführung zulegen, um an die Kampfdisziplinen zu gelangen, die sämtliche kämpferische Klassen ebenso aufwerten wie das die Domänen kürzlich für die göttlichen Charaktere taten: endlich ist es möglich, Charaktere derselben Klassen stärker voneinander zu unterscheiden. Und das ist ein wertvoller Beitrag! Spätestens dann, wenn man gleichzeitig oder hintereinander zwei TWF-Waldläufer u.ä. am Spieltisch hat.

 

Als Alternative besteht jedoch immer noch die Möglichkeit, sich diese Information zu den Kampfdisziplinen und ähnliches über den D&D Insider zu besorgen. Damit sind wir abschließend bei der Grundfrage jedes bisherigen „Power“-Buches angelangt: DDI oder nicht-DDI? Alle regelrelevanten Auszüge aus dem Buch sind bereits im Insider abrufbar, und stellen damit eine günstigere Alternative für den Kunden dar als der Erwerb des Buches. Das einzige, was dem Kunden entgeht, sind die Hintergrundtexte. Diese konnten mich weder qualitativ noch quantitativ aus den Socken hauen – lediglich 4 Seiten zu „The Martial Outlook“ werden als Kaufargument wider DDI nicht ausreichen. Schade eigentlich, denn hier hat das letzte „Power“-Buch („Primal Power“) schön gezeigt, was man mit einem ganzen 20-Seiten-Kapitel den Kunden abseits des DDI bieten kann. Leute ohne DDI-Kundenkonto mögen sich hingegen an den beiden vorigen Absätzen orientieren.

 

Unter dem Strich: ein solider, größtenteils gelungener Ergänzungsband, der eine Anschaffung für Spieler kriegerische Charaktere eine sinnvolle Investition darstellt.