Links zur Rezension Inhalt:Ende der 80er Jahre in London: Ein passionierter und berühmter Filmregisseur erhält von seiner Ärztin anlässlich einer Untersuchung die bestürzende Mitteilung, er habe nur noch wenige Monate zu leben, da man bei ihm einen wahrscheinlich bösartigen Tumor entdeckt habe. Der Regisseur verzichtet aber rigoros auf eine Behandlung und zieht sich von allen Menschen in sein Haus zurück und beginnt hier nach und nach in seinem Kopf seinen letzten Film zu drehen: Vor seinem geistigen Auge sucht er nach passenden Schauspielern, einer Landschaft und entwirft erste Szenen – aber nichts davon bringt er zu Papier. Die Bilder entstehen in seinem Kopf und nur für ihn allein. Der einzige Mensch, dem er sich ein Stück weit verbunden fühlt ist seine Mitarbeiterin Inanna, die ihn eines abends auch besuchen kommt, da sie im mitteilen möchte, das die amerikanischen Produzenten grünes Licht für seinen neuen Film gegeben haben. Doch dafür ist es zu spät – der Regisseur erzählt ihr, er werde bald sterben.
Alleine mit sich und seinen Gedanken schweift der Regisseur durch seine Wohnung und denkt über vieles nach – sein Leben, seine Filme und alles andere was ihm in den Sinn kommt und zum Teil schon seit Jahren beschäftigt. Und auch der Film in seinem Kopf nimmt immer genauere Züge an – die Schauspieler erhalten Gesichter, Dialoge und Hintergründe entstehen. Und das Motiv des Filmes steht deutlich vor seinen Augen – der 31.12.999 nach Christi und das damit vermeintlich um Mitternacht verbundene Ende der Welt. Vor seinem geistigen Auge machen sich die Menschen eines nicht namentlich erwähnten Dorfes auf den Weg um gemeinsam auf einem Berg in der dunklen und kalten Nacht Sylvesternacht auf das Unbekannte zu warten.
Der einzige Mensch der ihm in seinen letzten verbleibenden Wochen begegnet ist Reed, ein Nachbar, der in der Wohnung über dem Regisseur lebt. Beide reden über die Apokalypse und über Mystik, ansonsten ist der Regisseur alleine...
Doch der Film entsteht nicht nur im Kopf des Regisseurs – er entsteht zwischenzeitlich auch auf dem Papier. Die Zeit vergeht und der Zustand des Regisseurs verschlechtert sich zunehmend, aber er will nichts von dem Verfall seines Körpers wissen. Er arbeitet wie im Wahn weiter an seinem letzten Film und beendet sein Manuskript. Realität und Fiktion vermischen sich zunehmend und der Regisseur wird Teil seiner eigenen Phantasie. Er geht nunmehr selbst mit den Menschen auf den Berg, steht mitten unter ihnen und wartet. Und die Menschen stellen fest, das die Welt am Millennium nicht unterging und sie leben – niemand ist gestorben.
Nach dem Tod des Regisseurs erhält Inanna aus dem Nachlass das Drehbuch für den Film ausgehändigt, dessen Titel „Apokathastasis“ heißen soll.
Schreibstil & Artwork:Der Autor Neil Richard Gaiman wurde am 10.11.1960 in Portchester in England geboren. Nachdem er sich zunächst vergeblich als Schriftsteller versuchte, studierte er Journalismus und schrieb während dieser Zeit eine Biografie über die britische Pop-Band „Duran Duran“ sowie „Don’t Panic: The Official Hitchhikers Guide to the Galaxy Companion“ über Douglas Adams.
Nachdem er Freundschaft mit dem Comicautor Alan Moore geschlossen hatte, begann er selbst Comics zu verfassen und erhielt eine Anstellung bei DC Comics als Autor. Zusammen mit seinem Mitarbeiter und langjährigem Freund Dave McKean schuf er „Violent Cases“ und „Signal to Noise“ und verfasste die Mini-Serie „Black Orchid“. Daneben schrieb Gaiman eine Vielzahl von Comics für andere Verlage. Am bekanntesten wurde seine „Sandman“-Serie über die Abenteuer des Morpheus als Personifikation des Traums. Die 1988 gestartete Serie fand sofort großen Anklang und wurde nach acht erfolgreichen Jahren 1996 eingestellt, was allerdings nichts mit nachlassendem Interesse der Leser zu tun hatte, sondern schlicht und ergreifend mit dem Umstand, das Gaiman seine Geschichte zu Ende erzählt hatte.
Die Geschichte „Signal to Noise“ erschien ab 1989 als Serie im englischen Magazin „The Face“ und wurde erstmals 1992 als Album veröffentlicht, welches im gleichen Jahr unter dem etwas zugänglicheren Titel „Der letzte Film“ bei Carlsen Comics Lux erschien. Der Panini Verlag präsentiert nun in seiner „Neil Gaiman Bibliothek“ die 2007 noch einmal neu aufgelegte und mit einem neuen Abschlusskapitel versehene Version von „Signal to Noise“ als Band 4.
Der damals noch recht junge Gaiman nahm sich überaus leise und unspektakulär mit „Signal to Noise“ dem Thema Tod an und setzt dieses in einer überaus anspruchsvollen Geschichte um, die wahrscheinlich jeden Leser innerhalb kürzester Zeit in ihren Bann zieht. Was Gaiman aus der Sicht eines sterbenden Menschen „schreibt“ ist sehr eindringlich und bewegend, insbesondere als er die Seelenpein und das Bedauern des sterbenden Regisseurs mit seinem inneren Monolog nachbildet und immer wieder mit Szenen aus dem imaginären Film unterbricht, bis sich schließlich Realität und Fiktion in einem verstörenden Finale die Hände reichen.
Der Brite Dave McKean studierte zwischen 1982 und 1986 Jahre Design, Illustration und Film am Berkshire College of Art and Design, wo er nach seinem Abschluss eine zeitlang als Lehrer für Audiovisuelle Kunst und Film tätig war. Nachdem McKean 1986 vergeblich versucht hatte, in New York als Comic-Künstler Fuß zu fassen, trifft er den Schriftsteller Neil Gaiman. Mit der Graphic Novel „Violent Cases“ (1987) beginnt eine langjährige Zusammenarbeit, die sich 1988 in der zeichnerischen Umsetzung der Ideen von Gaiman für das DC-Universum in der Mini-Serie „Black Orchid“ fortsetzt und in der Batman-Story „Arkham Asylum" („Der Tag der Narren", Carlsen Comics, 1990) die 1989 für DC entstand und bis heute durch ihre opulente Grafik als eine der besten je gezeichneten Batman-Geschichten gilt, ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Zum Teil etwas unbeachtet entstand 1989 die außergewöhnliche Geschichte von „Signal to Noise“, in der sich McKean ebenfalls als Virtuose in diversen graphischen Techniken und in der Arbeit mit Collagen und Computereffekten zeigt und einen weiteren frühen Höhepunkt seines Schaffens markiert, den man einfach mit eigenen Augen sehen muss.
Qualität, Ausstattung & ÜbersetzungDie Qualität dieser erweiterten, 100-seitigen Neuausgabe als Hardcover-Buch bietet keinerlei Anlass zu Kritik: Die Geschichte wurde von Gerlinde Althoff komplett neu übersetzt, um das Millennium-Kapitel aus der Hörspielfassung erweitert und wer sich wundert, warum einige Passagen anders aussehen, als das „Original“, kann sich auf eine Überraschung gefasst machen. Da die Druckfilme der Erstausgabe zunächst verloren gingen und später wieder in überaus schlechtem Zustand wieder auftauchten, wurde das gesamte Buch aus zum Teil unveröffentlichten Originalseiten, Dias, Scans und allem anderen Material, welches noch vorlag, gänzlich neu rekonstruiert.
Zusätzlich befinden sich in diesem Band drei kurze Geschichten von Dave McKean: „Wipe Out“ war als Doppelseite für „The Face“ geplant und führte allerdings dann direkt zu dem Auftrag für die komplette Geschichte von „Signal to Noise“. „Dekonstruktion“ ist als Beitrag für eine deutsches Magazin entstanden und wurde im gleichen Kollage-Stil wie „Wipe Out“ hergestellt. Zu dem Trio gehört noch „Vier Mauern“, ein Beitrag zu einem internationalen Buch mit Geschichten, welches den Fall der Mauer in Berlin feierte und in der Zeit entstand, während Dave McKean an „Signal to Noise“ arbeitete.
Insgesamt dürfte die „Neil Gaiman Bibliothek“ ihren Namen also zurecht tragen, da man als Käufer (und natürlich auch Sammler) einen wirklich mehr als gelungenen Band erwirbt, bei dem auch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt.
Fazit:Der Titel des Filmes als „Apokathastasis“ ist mehr als passend gewählt, da dieser „Vollendung der Schöpfung“ bedeutet, wobei Präexistenz ein wesentlicher Aspekt ist: Die Seelen waren in ihrer ursprünglichen Existenz in vollkommener Übereinstimmung mit Gott und mit sich selbst und haben sich dann von Gott abgewendet. Durch diese Abwendung wurde der Raum des Bösen eröffnet und die sichtbare Welt dient nunmehr zur Bestrafung der Seelen. Die Folge hiervon ist der sterbliche Leib, welcher vom Menschen lediglich übrig bleibt. Doch die Rückkehr in Gestalt der Apokathastasis erfolgt und Gott ist letztlich alles in allem. Es war sicherlich 1989 ein überaus gewagtes Projekt, diese intellektuell anspruchsvolle Geschichte zu konzipieren und es auch zu schaffen, ein Medium wie „The Face“ zur Veröffentlichung dafür zu gewinnen. Die Bilderwelten von McKean sind zwar überwiegend dunkel und vermitteln eine fast schon apokalyptischen Stimmung, doch muss man sein Schaffen einfach nur als grandios und für damalige Verhältnisse als bahnbrechend bezeichnen, wobei an dieser Stelle auch das „Millenniumskapitel“ nicht unerwähnt bleiben sollte, welches für den Leser eine echte Bereicherung dieser einmaligen Geschichte darstellt. Was Gaiman schreibt und McKean mit seinen Bildern unterlegt ist sehr eindringlich und bewegend. Die mehr oder weniger vorhandene Seelenpein und das Bedauern des sterbenden Regisseurs über seinen nie vollendeten Film, den er mit seinem inneren Monolog begleitet, dürfte nichts für zaghafte Leser sein. Für mich persönlich ein extravagantes Meisterwerk von zwei Ausnahmekünstlern, die bereits Ende der 80er Jahre einen ersten absoluten Höhepunkt ihres Schaffens mit diesem Kleinod erreicht hatten.
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