Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Reisende im Wind 6.2 - Das Mädchen vom Bois-Caiman Buch 2
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 31.08.2010
Autor:Francois Bourgeon (Autor und Zeichner)
Übersetzer:Delia Wüllner
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Historisch
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-080-4
Inhalt:88 Seiten, Hardcover, übergroßes Albumformat (230 x 320 mm)
Preis:17,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

Immer wieder unterbrochen von den Geschehnissen der Gegenwart erzählt die betagte Isabeau de Marnaye der jugendlichen Zabo ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte und nimmt diese mit in eine Zeit, als sie noch in Saint-Domingue, dem späteren Haiti, auf einer Plantage lebte, bis sie 1791 mitten in die dramatischen Geschehnisse des Sklavenaufstandes geriet.

Bei einer Zeremonie der Sklaven im Bois-Caiman greift man Isa auf und die aufständischen Sklaven misshandeln und vergewaltigen sie. Nur mit knapper Not kann sie dem Tod entkommen und später mit einem Schiff die Insel in Richtung Louisiana verlassen.

 

In Louisiana macht sie sich auf den Weg zur Plantage des Naturforschers Louis Murrait, den sie noch in ihrer Zeit auf Saint-Domingue kennen gelernt hatte und der von ihren naturwissenschaftlichen Zeichnungen begeistert war. Hier hofft sie ein neues Auskommen und einen Start in eine bessere Zukunft zu bekommen. Bedingt durch die Vergewaltigung ist sie jedoch schwanger und so bringt sie in dem von Sklaverei geprägten Süden von Amerika ein Kind zur Welt, dessen Herkunft sich nicht leugnen lässt. Nur mit Mühe und einigen Tricks schafft es Isa dieses Geheimnis für sich zu wahren und gibt ihr Kind als Ergebnis einer Liaison ihres Bruders mit einer Sklavin aus. Isa lebt sich in dieser anfänglich für sie fremden Welt ein und findet in Jean, dem Sohn von Louis Murrait, einen Mann, dem sie ihr Herz schenkt. Doch auch diese Liebe wird auf eine harte Probe gestellt und die Sterne scheinen erneut nicht günstig zu stehen.

 

Schreibstil & Artwork:

Der französische Comiczeichner François Bourgeon wurde am 05.07.1945 in Paris geboren und an der Pariser Ecole des Métiers d'Art zum Glasmaler ausgebildet. Bereits 1971 musste er allerdings seinen Beruf aufgeben, da die allgemein schlechte Auftragslage in seinem Metier nicht für seinen Lebensunterhalt reichte. Anfang der 70er Jahre gelangte er eher zufällig in Kontakt mit der Jugendzeitschrift „Lisette“, für die er 1972 die Serie „L´Ennemie vient de la mer“ erschuf, die mit ihren stark schematisierten Zeichenformen noch deutlich Bourgeons Prägung durch die Glasmalerei erkennen ließ. Nach dem Konkurs von „Lisette“ folgten weitere kleinere Arbeiten für Magazine wie „Fripunet“, „J2“ und „Pif Gadget“.

 

Einen ersten, wenngleich auch kurzen Ausflug ins Mittelalter unternimmt Bourgeon bereits 1973 mit „Brunelle et Colin“ (dt. „Britta und Colin“, Carlsen). Die von Robert Génin für das Comicmagazin „Djinn“ geschriebene Serie um eine tollkühne Prinzessin und ihren Pagen gibt er allerdings bereits nach zwei Bänden wieder auf, die Genin dann aber ab 1982 mit Didier Convard fortsetzt.

 

Im Jahr 1979 gelingt Bourgeon mit dem historischen Zyklus „Reisende im Wind“ der Durchbruch in der frankobelgischen Comicszene. Dies allerdings nicht unbedingt durch seinen Zeichenstil, sondern vielmehr durch seine Neuerungen auf dem Gebiet der Bilddramaturgie des Comics.

 

Als Bourgeon Anfang der 70er Jahre die Comic-Szene betrat, war die Seitenaufteilung des Mediums noch weitgehend klassisch und konventionell geprägt: Die einzelnen Panels folgten linear aufeinander und bildeten ein starres Gerüst. Bourgeon hob diese Beschränkung auf und wechselte die Panelgröße je nach Verlauf und Absicht seiner Erzählung. So fügte er beispielsweise kleinere Detailbilder in größere Panoramen ein und erzielte so mitunter Effekte, wie sie der Leser aus der Erzählsprache der Filmkunst kennt. Doch nicht nur die visuelle Erzählweise von Bourgeon war für die damalige Comic-Kultur wegweisend, sondern auch die Entwicklung der Charaktere innerhalb einer Comic-Reihe wie in „Reisende im Wind“, die man bislang in dieser Form nicht kannte.

 

Bourgeon pflegt in „Reisende im Wind“ einen insgesamt sehr realistischen und detaillierten Zeichenstil, wobei er oft auf der Grundlage von historischen Studien von Landschaft, Technik und Bauwerken arbeitet. Seine nie geschönten oder idealisierten Figuren basieren auf anatomisch genauen Vorgaben, ohne dabei allerdings ins Photorealistische überzugehen. Doch nicht nur der Zeichenstil besticht, sondern auch die historische Genauigkeit, die Bourgeon in der Reihe an den Tag legt. Auch wenn mittlerweile die Veröffentlichung des ersten Bandes von „Reisende im Wind“ nunmehr rund 25 zurückliegt, so besticht Bourgeon doch immer noch mit einem sehr realistischen und detaillierten Zeichenstil, welcher – wahrscheinlich altersgemäß - noch sicherer und eindringlicher wirkt.

 

Die Leidenschaft von Bourgeon, seine Bilder auf der Grundlage von historischen Studien, Landschaften, Technik und Bauwerken zu zeichnen ist ungebrochen und zieht den Leser bereits auf der ersten Seite in seinen Bann. Seine nie geschönten oder idealisierten Figuren sind anatomisch genau, ohne dabei allerdings ins Photorealistische überzugehen, und versprühen einen angenehm spröden, schon fast antiquierten Charme. Mit wenigen, geradezu einfachen Strichen und einer sanften Kolorierung gelingt es ihm die Landschaften einzufangen und dem Leser ein Gefühl der schwülen Sommerhitze der Südstaaten im Jahre 1862 zu vermitteln.

 

Und auch ein anderer Kunstgriff gelingt Bourgeon – er bringt seine ehemalige Protagonistin in die Moderne. Waren die ersten fünf Bände in der Zeit vor der Französischen Revolution angesiedelt, so gelingt Isa nunmehr der schwere Sprung in die Moderne, wo sie sich als Frau allerdings immer noch einer scheinbar übermächtigen Männergesellschaft gegenüber sieht. Dennoch ist es das Wissen um ihre eigene Herkunft und der ungeschönte Blick zurück in eine harte, entbehrungsreiche aber auch aufregende Jugend, den sie Zabo mit ihrer Erzählung weitergeben möchte und vielleicht auch ihre Hoffnung in Zabo endlich eine würdige Nachfolgerin gefunden zu haben.

 

Wie auch in den anderen Bänden lebt die Geschichte insbesondere durch ihre oft umfangreichen Dialoge. Um hierfür genügend Platz zu gewinnen, griff Bourgeon auf einen sehr einfachen Trick zurück, indem er die Panels etwas höher gestaltete, um mehr Platz für die Dialoge zu gewinnen. Hinweise des Erzählers wird man allerdings schmerzlich vermissen, so das mancher Wechsel in den Szenen etwas plötzlich erscheint und die volle Aufmerksamkeit des Lesers gefordert ist.

 

François Bourgeon lebt heute in Cornouaille (Bretagne).

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

An der Qualität des Hardcoverbandes gibt es nichts zu bemängeln – die solide Fadenheftung und ein optisch ansprechendes Erscheinungsbild gehören bei den Alben des Splitter Verlags zum Standard. Das Druckbild ist ebenfalls einwandfrei und die Übersetzung von Delia Wüllner ist angenehm zu lesen. Alleine in Sachen Ausstattung hinkt dieser Band etwas hinterher. Gab es noch bei den Bänden 1 bis 5 einen beigelegten Kunstdruck des Covers der Erstausgabe, so muss man bei den Bänden 6.1 und 6.2 leider auf ein solch schönes Extra verzichten. Allerdings gibt es einige Anmerkungen und Übersetzungen des Autors, die bei der Lektüre sehr hilfreich sein können.

 

Fazit

Bereits bei der Rezension zu Band 6.1 habe ich mich dahingehend geäußert, das Bourgeon zu den ruhigen Erzählern gehört, der mit seinen Bildern eine sehr komplexe Geschichte transportiert. Und so sind es weniger die spektakulären und spannenden Momente aus denen diese Reihe ihre Stärke bezieht, als vielmehr die mit zum Teil beeindruckenden Bildern hinterlegten Dialoge und Szenen, in welchen den Charakteren ausreichend Zeit gegeben wird, sich vor dem historischen Hintergrund zu entfalten, ohne dabei pathetisch oder gar langweilig zu wirken.

 

Es stellt sich nach der Lektüre des zweiten Bandes natürlich die Frage, ob eine Fortsetzung nach so langer Zeit überhaupt notwendig war – immerhin fand die ursprünglich auf fünf Bände konzipierte Reihe ein für den Leser durchaus befriedigendes Ende und es blieben eigentlich keine Fragen offen. Wahrscheinlich „geisterten“ die Figuren der Reihe aber weiterhin durch die Gedanken von Bourgeon und so bin ich froh, in dieser visuell wunderbar erzählten Geschichte zu erfahren, wohin das Schicksal Isa letztlich noch trieb und wie ihr Leben in Amerika verlief.

 

Ein Stück weit ist es vielleicht wie mit einem Wein, den man mit Ruhe reifen lässt und ihn dann nach einigen Jahren genießt – er ist gereift, besser geworden und hat dennoch nichts von seiner Frische verloren. Und so geht es mir mit dieser vermeintlichen Fortsetzung, die weiterhin den ursprünglichen Charme der Reihe besitzt und mit ihren manchmal vielleicht etwa hölzern wirkenden Figuren sich auf keine waghalsigen und neumodischen Experimente einlässt. Insofern kann ich diesen (wahrscheinlich) letzten Band der Reihe nur uneingeschränkt dem Leser ans Herz legen, da man sich diesen wegweisenden „Historien-Comic“ mitsamt seiner Fortsetzung in dieser absolut gelungenen Aufmachung nicht entgehen lassen sollte.