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Gefährten der Dämmerung 1 - Im Zauber des Nebelwaldes
Bewertung:
(3.8)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 27.10.2010
Autor:Francois Bourgeon (Autor und Zeichner)
Übersetzer:Ishel Ute Eichler
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Historisches Frankreich
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-144-3
Inhalt:56 Seiten, Hardcover, übergroßes Albumformat (230 x 320 mm)
Preis:14,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

Der Hundertjährige Krieg tobt in Frankreich, doch noch ist den Menschen die Dauer dieses Krieges nicht bewusst. Er unterscheidet sich nicht sonderlich von dem Krieg, der ihm vorausging, und er wird auch nicht viel anders sein, als der, der ihm folgen wird. In dieser Zeit lebt die junge Mariotte mit ihrer Großmutter abseits eines kleinen Dorfes in der Abgeschiedenheit des Waldes irgendwo in Frankreich, das bislang unbehelligt von den Wirren des Krieges war, bis sich eines Tages die Dinge drastisch ändern.

 

Da sich sowohl Mariotte als auch ihre Großmutter mit Heilkräutern und anderen Dingen auskennen und sich nie in der Kirche blicken lassen, sind sie bei den Dorfbewohnern als Hexen verschrien. Insbesondere die rothaarige Mariotte muss oft den Spott der anderen Jugendlichen aushalten, welche sie als „die Rothaarige“, „die Füchsin“ oder aber auch als „die Hexe, die man steinigen sollte“ bezeichnen. Mariotte trifft eines morgens im Wald auf Anicet, einen jungen Burschen aus dem Dorf, der ihr gemeinsam mit anderen Jugendlichen einen üblen Streich spielt, bei dem sie recht unsanft in den Bach fällt und sogar mit Steinen beworfen wird. Sie schwört Rache für diese Demütigung, die sich auch schon bald einstellen soll: Sie weist durchreisenden Soldaten, die auf der Suche nach einem Nachtquartier sind, den Weg ins Dorf.

 

Ihre Großmutter ist entsetzt über die vermeintliche Hilfe von Mariotte, da die Soldaten sicherlich anderes im Sinn haben, als nur ein Quartier für die Nacht zu suchen. Sie schickt Mariotte umgehend zum Dorf, damit diese die Bewohner warnen soll. Doch Mariotte kommt zu spät – die Soldaten haben das Dorf verwüstet, geplündert und fast alle Bewohner fanden einen grausamen Tod. Lediglich Anicet wurde verschont, allerdings hat man ihn mit einem Strick um den Hals an einen Baum gehängt, während seine Füße auf einem wackeligen Fass stehen. Sollte das Fass wegrollen, wäre dies sein sicherer Tod. Bevor Mariotte den Strick durchschneiden kann, an dem Anicet hängt, trifft allerdings ein Ritter im Dorf ein. Aus Furcht ergreift Mariotte die Flucht und schlägt sich ins nahe gelegene Unterholz, um sich dort zu verstecken.

 

Als Anicet wieder zu sich kommt, sitzt er auf einem Pferd, da ihn der Ritter von seinen Qualen erlöst und in letzter Sekunde vom Baum abgeschnitten hat. Der seltsame Ritter nimmt ihn als Diener mit sich und so lernt Anicet seinen Befreier besser kennen, der ihm auf ihrer Reise nach und nach seine wechselvolle Lebensgeschichte erzählt. Auch Mariotte taucht wieder auf, welche die beiden verfolgt hat und bittet den Ritter sie ebenfalls mitzunehmen, da sie unmöglich zu ihrer Großmutter zurückkehren könne. Nach einigem Zögern willigt der Ritter ein und so machen sie sich zu dritt auf ihre seltsame Reise an die Grenzen der Welt, da der Ritter es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Schwarze Kraft, die letzte der drei großen Mächte, die die Welt geschaffen haben, zu finden und zu vernichten. Die Weiße und die Rote Kraft hingegen sind noch nicht verloren, nur wurden sie auf kleine Gebiete verstreut. Doch erst wenn die Schwarze Kraft zerstört ist, kann der Untergang der Menschheit aufgehalten werden.

 

In einem großen Wald geraten sie im dichten Nebel vom Weg ab und verlaufen sich. Dabei stoßen sie auf Kobolde, die sie gefangen nehmen und sie in ihr Dorf schleppen. Sie werden angeklagt, in der Nacht mit ihren Pferden das Dorf der Kobolde zertrampelt zu haben und man wolle sie vor den Lilienrat stellen, der sie nach einer entsprechenden Anhörung für ihren Frevel verurteilt. Das Urteil des Rates ist rasch gesprochen und so möchten die Kobolde sie eigentlich fressen – doch gibt es eine Chance für die drei Gefährten. Sollte es ihnen bis zum nächsten Morgen gelingen, die Kobolde von einem „Scheusal“ zu befreien, das sie immer wieder bedrängt, so wären sie frei. Während sich der Ritter in Begleitung von zwei Kobolden auf den Weg in einen ungewissen Kampf macht, bleiben Anicet und Mariotte als Pfand im Lager der Kobolde zurück.

 

Auf seiner denkwürdigen Reise durch die seltsamen Gefilde der Kobolde erfährt der Ritter einiges über deren sonderbare Welt und kämpft zum ersten Mal gegen die Schwarze Kraft. Gerade rechtzeitig kehrt er in das Lager zurück, wo man Anicet und Mariotte bereits als Mahl vorbereitet, und präsentiert ihnen den abgeschlagenen Kopf eines Bären, der wohl das berüchtigte „Scheusal“ war.

 

Ob alles nur ein Traum war, den Anicet erlebt hat, als er während seiner Nachtwache eingeschlafen ist? Doch auch der Ritter und Mariotte hatten einen Traum, in dem Kobolde ihr Unwesen trieben und man sie gefangen nahm.

 

Schreibstil & Artwork:

Der französische Comiczeichner François Bourgeon wurde am 05.07.1945 in Paris geboren und durchlief eine Ausbildung zum Glasmaler an der Pariser „Ecole des Métiers d'Art“. Bereits 1971 musste er allerdings seinen Beruf aufgeben, da die allgemein schlechte Auftragslage in seinem Metier nicht für seinen Lebensunterhalt reichte. Anfang der 70er Jahre gelangte er, eher zufällig, in Kontakt mit der Jugendzeitschrift „Lisette“, für die er 1972 die Serie „L´Ennemie vient de la mer“ erschuf, die mit ihren stark schematisierten Zeichenformen noch deutlich Bourgeons Prägung durch die Glasmalerei erkennen lässt. Nach dem Konkurs von „Lisette“ folgten weitere kleinere Arbeiten für Magazine wie „Fripunet“, „J2“ und „Pif Gadget“.

 

Einen ersten, wenngleich auch kurzen, Ausflug ins Mittelalter unternimmt Bourgeon bereits 1973 mit dem Comic „Brunelle et Colin“ (dt. „Britta und Colin“, Carlsen). Die von Robert Génin für das Comicmagazin „Djinn“ geschriebene Serie um eine tollkühne Prinzessin und ihren Pagen gibt er allerdings bereits nach zwei Bänden wieder auf, die Génin dann aber ab 1982 mit dem Zeichner Didier Convard fortsetzt.

 

Im Jahr 1979 gelingt Bourgeon mit dem historischen Zyklus „Reisende im Wind“ der Durchbruch in der frankobelgischen Comicszene. Dies allerdings nicht unbedingt durch seinen Zeichenstil, sondern vielmehr durch seine Neuerungen auf dem Gebiet der Bilddramaturgie des Comics: Als Bourgeon Anfang der 70er Jahre die Comic-Szene betrat, war die Seitenaufteilung des Mediums noch weitgehend klassisch und konventionell geprägt: Die einzelnen Panels folgten linear aufeinander und bildeten ein starres Gerüst. Bourgeon hob diese Beschränkung einfach auf und wechselte die Panelgröße je nach Verlauf und Absicht seiner Erzählung. So fügt er beispielsweise kleinere Detailbilder in größere Panoramen ein und erzielt so mitunter Effekte, wie sie der Leser aus der Erzählsprache der Filmkunst kennt. Doch nicht nur die visuelle Erzählweise von Bourgeon war für die damalige Comic-Kultur wegweisend, sondern auch die Entwicklung der Charaktere innerhalb einer Comic-Reihe wie in „Reisende im Wind“, die man bislang in dieser Form nicht kannte.

 

Bourgeon pflegt in „Reisende im Wind“ einen insgesamt sehr realistischen und detaillierten Zeichenstil, wobei er oft auf der Grundlage von historischen Studien von Landschaft, Technik und Bauwerken arbeitet. Seine nie geschönten oder idealisierten Figuren basieren auf anatomisch genauen Vorgaben, ohne dabei allerdings ins Photorealistische überzugehen. Noch vor dem Abschluss seiner Erfolgsserie „Reisende im Wind“ begann er bereits sein nächstes Großprojekt. Zwischen 1983 bis 1989 entstand die drei Bände umfassende Reihe „Les compagnons du crépuscule“ (Die Gefährten der Dämmerung), die zunächst bei Carlsen in der „Edition Comic Art“ auf Deutsch veröffentlicht wurde.

 

Der offizielle Vorwand für die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England im 13. und 14. Jahrhundert war die Frage des französischen Thronerbes. Nach dem Tod des Königs Karl IV., der keine direkten Nachfolger hatte, erhoben gleichzeitig zwei Kandidaten ihre Ansprüche auf den Thron:

Philipp VI. - Cousin des verstorbenen Königs und Neffe Philipps des Schönen - so wie Eduard III. - englischer König und mütterlicherseits Enkel Philipps des Schönen. Die Streitigkeiten über die Thronfolge, die mit diversen Unterbrechungen über hundert Jahre dauerten, bekamen in der Geschichte die Bezeichnung „Hundertjähriger Krieg".

 

Bourgeon richtet in seinem Werk „Die Gefährten der Dämmerung“ den Fokus auf drei gesellschaftliche Außenseiter zur Zeit des Hundertjährigen Krieges in Frankreich: einen geheimnisvollen Ritter ohne Gesicht, das rothaarige Mädchen Mariotte und den vom Galgen geretteten Anicet. Sind die ersten beiden Bände der Reihe noch eher im Fantasybereich angesiedelt, so zeigt der dritte Band, der mit insgesamt 126 Seiten zugleich auch der umfangreichste der Reihe ist, ein bisher im Comic noch nicht gesehenes, einzigartiges Panorama des Mittelalters.

 

Francois Bourgeon nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise in dieses dunkle und zugleich authentisch dargestellte Mittelalter in Frankreich und würzt seine Erzählungen mit einigen phantastischen Versatzstücken, die wir heutzutage wohl noch am ehesten im Bereich „Fantasy“ ansiedeln würden, ihren Ursprung aber irgendwo in der französischen Mythologie haben. Allerdings interessiert sich Bourgeon nicht so sehr für den Krieg und seine politischen Geschehnisse, als vielmehr für die Darstellung seiner drei ungleichen Gefährten, die ein seltsames Schicksal zusammen geführt hat. Dabei präsentieren die drei Bände der Reihe „Die Gefährten der Dämmerung" eine sehr intensive Geschichte, die stellenweise fast schon literarische Züge annimmt und sicherlich zu den bemerkenswertesten Erscheinungen der 80er Jahre gehören.

 

Die Zeichnungen von Bourgeon sind mehr als nur Bilder, die seine Erzählung transportieren, sie bestechen durch ihre klare und deutliche Linienführung ebenso wie durch ihre hervorragende Kolorierung. Hier merkt man Bourgeon die Erfahrung an, die er bei den ersten Bänden von „Reisende im Wind“ für sich gewinnen konnte.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Der Band besticht durch eine solide Fadenheftung in gediegener Hardcover-Qualität, die beim Splitter Verlag fast schon eine Selbstverständlichkeit ist, die moderne Drucktechnik und durch einige Extras. So gibt es neben einigen sehr schönen Skizzen, Zeichnungen und Entwürfen von Bourgeon noch den augenzwinkernden Bericht über „Das Tier von Tollund“, welches der deutsche Archäologe Karl Heinrich Rubinstein im Jahre 1937 gefunden haben will. An der gelungenen Übersetzung von Ishel Ute Eichler ist ebenso wie an der Übersetzung des Anhangs von Martin Budde nichts auszusetzen.

 

Wer bislang die Carlsen-Ausgabe sein Eigen nennt, dem sei noch folgender Hinweis mitgegeben: Mir scheint der „Kontrast“ in dieser Neuauflage – nicht zuletzt auch durch den Einsatz moderner Drucktechnik – wesentlich frischer und schärfer zu als sein als die alte Ausgabe.

 

Fazit

Die Reihe „Die Gefährten der Dämmerung" kann man sicherlich getrost als Klassiker bezeichnen, der in keinem gut sortierten Comic-Regal fehlen sollte und der eigentlich zu Unrecht im Schatten von „Reisende im Wind“ steht. Während Bourgeon in der Reihe „Reisende im Wind“ einen historisch-authentischen Stil pflegt und man das wechselhafte Schicksal der Protagonistin im Spiegel der Geschichte verfolgt, schlägt er bei „Die Gefährten der Dämmerung“ eine gänzlich andere Art der Erzählung ein. Zwar ist er immer noch historisch korrekt, aber es ist der Schuss Phantastik, den Bourgeon nach und nach in seine Geschichte einfließen lässt, bis man den Eindruck gewinnt, die Geschichte des Ritters ohne Namen sei wahrhaftig so geschehen. Zwar nimmt er den Leser gegen Ende des ersten Bandes etwas unsanft wieder mit in die Realität, aber die Zeichnung auf der letzten Seite spricht eine andere Sprache und man gerät wieder ins Grübeln – war doch alles kein Traum?

 

Da die Kobolde nur in Reimform sprechen und ich leider nur sehr eingeschränkt der französischen Sprache mächtig bin, kann ich mir kein rechtes Urteil für die Übersetzung dieser Texte erlauben. Eins weiß ich allerdings mit Sicherheit – Bourgeon ist als Autor nicht unbedingt ein versierter Poet, da die Verse etwas holprig daherkommen und diese sehr rasch nerven können. Manche Passage musste ich mehrmals lesen, um deren Inhalt zu verstehen. Eine sehr liebenswürdige und schöne Idee, die mir persönlich allerdings noch nie so recht gefallen konnte.

 

Insgesamt besticht Bourgeon in diesem Band durch seinen gewohnt realistischen Zeichenstil und durch eine wunderbar leicht erzählte Geschichte, die durch ihren Wortwitz und die Dialoge besticht. Dem heutigen Leser mag die Konzeption vielleicht etwas schleppend erscheinen, aber ich persönlich habe die langsame, aber stetige Entwicklung der einzelnen Charaktere sehr genossen. Für mich persönlich ist diese Reihe eine absolute Empfehlung für Freunde des historischen Comics, der allerdings mit einer gehörigen Portion Phantastik daherkommt.