Links zur Rezension Inhalt:Den Auftakt bestimmen drei recht unterschiedliche Geburten: Während die Mutter von Chloé sich alleine mit einem Taxi auf den Weg ins Krankenhaus macht, wird Leila im Kreise ihrer Familie in einer einfachen Hütte in Nordafrika geboren, während sich der Vater Abdallah bereits seit längerem in Paris befindet, wo er Arbeit gefunden hat. Die Geburt von Agnès wird nicht dargestellt, aber der Leser bekommt einen ersten Vorgeschmack auf die weitere Entwicklung dieses Kindes, welches fast umgehend nach ihrer Geburt in die Obhut eines Kindermädchens gegeben wird, damit sich ihre Eltern auch weiterhin ihrem privaten als auch geschäftlichen Leben widmen können.
Im Alter von fünf Jahren kommt Leila mit ihrer Mutter und ihrem Bruder endlich nach Frankreich, wo sie als nordafrikanische Einwanderer ersten unerfreulichen Kontakt mit der Polizei machen. Das Interesse von Chloé liegt derweil ausschließlich beim Tanzen und ihr sehnlichster Wunsch wäre es, eine renommierte Ballettschule zu besuchen. Leila und ihre Eltern ziehen in die Nachbarschaft von Chloé und so bringt nicht nur der gemeinsame Besuch des Kindergartens die beiden einander näher. Hier lernen sie auch Agnès kennen und die drei Kinder entwickeln eine Freundschaft zueinander.
Fast beiläufig werden aber immer wieder einige Ereignisse aus der Welt der Erwachsenen beleuchtet. Sei es das Leben von Radia, der Mutter von Leila, und ihrem tristen Leben in einer für sie fast fremden Welt. Aber auch Ivyline und ihr einfaches Leben, in dem sie alles daran setzt ein besseres Leben für ihre Tochter Chloé zu ermöglichen und der leibliche Vater von Chloé, der immer wieder auftaucht, um seine Tochter kennen zu lernen. Das Leben von Agnès hingegen wird bestimmt durch ihr Kindermädchen, welches ihr Vater und Mutter zugleich sein muss, während sich ihre Eltern fast ausschließlich mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigten.
Und so nimmt die Kindheit ihren Lauf bis hinein in die Zeit des Teenageralters: Während Chloé es dank der aufopferungsvollen Unterstützung ihrer Mutter es schafft die Aufnahmeprüfung für die Pariser Ballettschule zu bestehen, verliert Agnès hingegen ihre Lust am Tanzen. Leila indessen bekommt in jungen Jahren von ihren Eltern immer wieder gesagt, nur durch Leistung könne sie etwas in Frankreich erreichen. Sie entwickelt sich zu einer Musterschülerin, die sich kaum irgendwelchen Freuden hingibt. Doch auch düstere Episoden gibt es im Leben dieser Mädchen: Der Tod der geliebten Mutter, der Verlust von Menschen, die einem nahe stehen, jugendliche Verbitterung und Enttäuschung. Und immer wieder tauchen aber auch die schönen und stillen Momente auf, wie man sie vielleicht nur als Teenager erleben kann: Die große Liebe, das erste Mal und noch einige andere Dinge.
Schreibstil & Artwork:Der Bretone Emmanuel Lepage wurde am 29.09.1966 in der Kleinstadt Saint-Brieuc geboren. Bereits im Alter von sechs Jahren entdeckte er seine große Freude an Comics und war angetan von „Tintin au pays des Soviets“. Im Alter von dreizehn lernte er dann die Feinheiten der Comickunst aus der Feder von Jean Claude Fournier kennen, der 1968 die Reihe „Spirou und Fantasio“ von Franquin übernahm, als dieser sich aus der Serie zurückzog. Der Wunsch selbst Comics zu zeichnen war hier schon lange geboren. Seine ersten eigenen Illustrationen veröffentlichte er 1983 in der Tageszeitung „Ouest-France“. Im gleichen Jahr erschien im Eigenverlag auch das Album „La Fin du Monde aura-t-elle Lieu?“. Er gründete das „Volapuk“-Fanzine und arbeitete als Illustrator für pädagogische Veröffentlichungen von „Ouest-France“, als auch für Magazine wie „Tintin-Reporter“ und „Circus“. Bei „Ouest-France“ veröffentlichte er der zwischen 1987 und 1988 seine erste eigene Comicserie mit dem Titel „Les Aventures de Kelvinn“.
1990 arbeitete er gemeinsam mit Georges Pernin an der zweibändigen Comicadaption des Romans „L´Envoyé“ des Autors Huguette Carrière in der Reihe „Signe de Piste“ des Verlages Lombard. Ein Jahr später veröffentlichte er gemeinsam mit dem Szenaristen Dieter (Didier Teste) bei Glénat die Serie „Névé“, die in Deutschland unter dem Titel „Nico“ im Eckart Schott Verlag erschien und es insgesamt auf fünf Bände brachte. Mit Anne Sibran arbeitete er an dem 1999 erschienen Band „La Terre Sans Mal“, die in der Collection „Aire Libre“ des Verlages Dupuis, der in Deutschland unter dem Titel „Erde ohne Übel“ ebenfalls im Eckart Schott Verlag erschien. Seine Arbeit an diesem Album, in dem er mit Aquarellfarben verwendete, brachte ihm mehrer Preise und die Anerkennung sowohl durch Kritiker als auch durch das Publikum ein.
Für Vents d´Ouest illustrierte er 2000 das Szenario von Delphine Rieu für den Oneshot „Alex Clement Est Mort“. In 2004 kehrte er zu „Aire Libre“ zurück und veröffentlichte den Autorencomic „Muchacho“, der sich mit der Revolutionen in Nicaragua auseinandersetzt und unter dem gleichen Titel bei Carlsen veröffentlicht wurde. Im Mittelpunkt der Geschichte, die im Jahr 1976 spielt, steht der junge Priester und Maler Gabriel, Sohn eines reichen Großgrundbesitzers. In einem kleinen Dorf gerät er in den Konflikt zwischen Militär und Rebellen, wird Zeuge der Brutalität dieser Auseinandersetzung und flieht schließlich in den Dschungel, wo er auf einen kleinen Trupp Rebellen trifft.
Zu keinem Zeitpunkt gibt es in dieser Erzählung hochtrabende und lyrische Bilder wie in „Muchacho“ oder „Erde ohne Übel“ und Lepage konzentriert sich als Zeichner mit seinen Panels auf das wesentliche – seine Protagonistinnen und ihren sehr eigenen Weg durch Kindheit und Jugend. Alles andere scheint in seinen Bildern fast gänzlich ausgeblendet, egal ob es sich um Paris als Schauplatz des überwiegenden Geschehens handelt oder aber auch die Welt der Erwachsenen, denen man zwar immer wieder zwangsläufig mit ihren Wertvorstellungen und anderen Äußerungen begegnet, die aber eine eher zweitrangige Rolle spielen. Lepage äußerte sich selbst zu seinen Bildern, es sei extrem schwierig für ihn gewesen Kinder zu zeichnen. Aber auch wenn es schwierig gewesen sein mag, so kann sich das Ergebnis dennoch sehen lassen, da es ihm sehr gut gelungen ist, seiner jugendlichen Darsteller einzufangen, wobei allerdings die Gesichter der einzelnen Akteure nicht immer eindeutig genug sind in ihrem Wiedererkennungswert geraten sind, so das ich mich manchmal etwas schwer getan habe der Handlung zu folgen.
Mit seinem Stil aus harten Konturen, die er mit passenden Aquarellfarben hervorragend koloriert und einer sehr intimen Wahl von Einstellungen bleibt Lepage bei seinen Charakteren immer sehr dicht am Geschehen und nur selten sieht man den Anflug von Weite in seinen Panels. So erinnert der Aufbau der Geschichte fast an einen Dokumentarfilm, der sich durch Nahaufnahmen oder Halbtotale auszeichnet.
Sophie Michel arbeitete bereits 2005 mit dem Zeichner Emmanuel Lepage an dem Szenario für den Band „Les Voyages d´Anna“ (Éditions Daniel Maghen) zusammen, worin Lepage bereits mit seinen Panels, die gänzlich als Aquarelle gearbeitet sind, glänzen konnte. Mit „Oh, les filles“ legte Sophie Michel, die als Französischlehrerin arbeitet, ein weiteres Comicszenario vor, welches bei Futuropolis in zwei Bänden in 2008 bzw. 2009 veröffentlicht wurde und erneut von einer recht fruchtbaren Zusammenarbeit der Autorin mit Emmanuel Lepage zeugt.
Es ist eine Geschichte von drei Mädchen, aber auch von ihren Müttern, die mehr oder weniger gemeinsam aufwachsen und sich den Problemen stellen müssen, die Kinder mit sich bringen, wenn sie älter werden und es spätestens in der Pubertät zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Welt der Erwachsenen kommt. Und so gelingt es der Autorin einen sehr persönlichen Blick in das Leben und die Gefühlswelt der jungen Protagonistinnen zu werfen. Sophie Michel dürfte in ihrer Geschichte sicherlich ihre eigenen Erfahrungen als junges Mädchen und jenem als Mutter von zwei Kindern verarbeiten, selbst wenn sie für sich in Anspruch nimmt, drei recht unterschiedliche Wege für ihre Protagonistinnen gezeichnet zu haben: Arm und aus einer Immigrantenfamilie, Tochter einer alleinerziehenden Mutter, reiche Tochter aus gutem Hause...
Die Geschichte ist dabei nicht gänzlich frei von Klischees, was sie sicherlich auch nicht sein soll, aber manchmal wirkt sie etwas zu aufgesetzt. So ist es an Leila, der Französin arabischer Herkunft, besser sein zu müssen als ihrer Mitschüler, damit sie etwas in ihrem Leben erreichen kann oder Agnès, die als Kind reicher Eltern alles erhält – außer elterlicher Liebe und Zuneigung. Dennoch schafft es Sophie Michel immer mit ihrer Geschichte nicht rührselig zu werden und einen fast schon authentisch wirkenden Blick auf die moderne französische Jugend zu werfen.
Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Die ursprünglich bei Futuropolis erschienenen zwei Einzelbände von „Oh, les filles“ werden nunmehr beim Splitter Verlag in der Sammelband-Reihe „SplitterBook“ in der tadellosen Übersetzung aus dem französischen von Tanja Krämling veröffentlicht. In Sachen Qualität und Verarbeitung steht diese kleine handliche Ausgabe (175 x 245 mm), den großformatigen Alben in nichts nach: Die Verarbeitung des Hardcover-Bandes (nebst Schutzumschlag) ist ordentlich und man erhält hier zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis eine gelungene Gesamtausgabe. In Sachen Ausstattung fällt dieser Band allerdings etwas karg aus, da es im Gegensatz zu den bisherigen Publikationen der Reihe lediglich im Anhang eine Reihe von Skizzen und Entwürfen aus der Feder von Emmanuel Lepage gibt. Einige Sätze zur Autorin, die dem deutschen Publikum noch leidlich unbekannt sein dürfte als auch zu Lepage habe ich vergeblich gesucht.
Fazit:Zwischen der Sehnsucht nach der verloren gegangenen Kindheit und den Verlockungen des Erwachsenenlebens präsentiert uns die Geschichte von „Oh, diese Kinder“ um die drei unterschiedlichen Charaktere Chloé, Leila und Agnès mit ihren vollkommen verschiedenen sozialen Hintergründen, Mädchen auf dem Weg nach einer eigenen weiblichen Identität. Dabei geht es weniger um den feministischen Kampf um die Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung von Frauen, sondern um einen stillen und leisen Prozess, der kaum wahrnehmbar im Leben dieser Mädchen einfach geschieht und vielleicht nur der Weg zum eigenen Ich ist.
Was sich so einfach anhört, hat Lepage zwar in schöne und gefällige Panels getaucht, allerdings bleibt die Geschichte gegen Ende inhaltlich doch weit hinter den Erwartungen zurück, die unweigerlich beim Leser geweckt werden. Dabei ist es insbesondere die Entwicklung von Agnès, der man zwar zu Beginn noch folgen kann, die allerdings in seltsamen Geschehnissen ausartet und deren Sinn sich mir irgendwann nicht mehr so recht erschließen wollte. Die Entwicklung von Leila und Chloé bleibt mir etwas zu vorhersehbar – da fehlt dann doch das richtige Leben.
Insgesamt eine „Coming-of-Age”-Geschichte, bei der die Ankündigung des Verlages, sie sei „charmant, humorvoll, farbig aber auch tragisch“ sicherlich zutrifft. Der Leser wird auf eine durchaus spannende Reise mitgenommen und der trotz seiner Thematisierung der Entwicklung seiner Protagonistinnen ist diese Geschichte weit davon entfernt ein trockener und spröder Bildungsroman in Comicform zu sein. Sicherlich dürfte dieses Splitter-Book nicht jedermanns Geschmack sein, aber „Oh, diese Mädchen“ besitzt eine durchaus abwechslungsreiche und erfrischende Geschichte, wobei die Zeichnungen über manch erwähnte Schwäche in der Erzählung hinweghelfen.
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