Links zur Rezension Keine Benotung, da Grundregelwerk.
Aufmachung„Edel“! Das ist das erste Wort, das einem durch den Kopf fährt, wenn man das schwere Rolemaster-Hardcover zur Hand nimmt. Das Papier ist zwar sehr dünn, blättert sich aber hervorragend und dafür, dass des so dünn ist, recht schwer. Die 288 Seiten sind komplett vollfarbig und das Layout ist (fast) schnörkellos und absolut übersichtlich. Das Lesebändchen scheint eine Art 13Mann-Standard zu sein. Sehr lobenswert. Die Cover-Illu zeigt einen absoluten Klassiker der EDO (Elf, Dwarf, Orc)-Fantasy – eine Gruppe von Abenteurern, ausgerüstet mit Schwert (Kämpfer), Axt (Zwerg), Bogen (Elf) und Zauberei (Magierin), wird von Orks überfallen, die ihnen zu Leibe rücken. Im Hintergrund erkennt man, dass man sich in einer Höhle befindet und weitere Klassiker wie Stalaktiten, Felssäulen und Fledermäuse zeigen, wo der Weg hingeht. Wie zum Layout im Inneren kann man auch zum Design von Cover und Rückseite nichts Negatives sagen – klar, schnörkellos und funktional. Bisher läuft alles glatt – und das, obwohl ich mit Rolemaster und seinem kleinen Bruder MERS seit Mitte der Achtziger keinen Kontakt hatte. Da ich ja mittlerweile fast jeden Text mit dem Auge dessen lese, der ab und zu auch mal Sachen übersetzt, freut es mich, zu sagen, dass in der Übersetzung und im Lektorat ganze Arbeit geleistet wurde. In die Tiefen der Regeln werde ich wohl nicht mehr so tief einsteigen, ob da Kleinigkeiten in der Übersetzung verloren gingen oder verfälscht wurden, aber insgesamt ist das Buch hervorragend zu lesen und sprachlich, wie auch „fehlertechnisch“ spielt das Regelwerk in der obersten Liga deutscher Rollenspielübersetzungen.
InhaltWow! Das nenne ich mal vollmundig! Die ersten gedruckten Worte des Buches sind „Rolemaster Fantasy – DIESES BUCH WIRD IHR LEBEN RETTEN!“ Respekt! Die Rolemaster-Jungs machen keine halben Sachen. Die Aussage wird aber direkt dannach wieder relativiert, indem darauf hingewiesen wird, dass wenigstens unsere Rollenspiel-Geschichte oder unser Charakterkonzept gerettet werden. Nun ja, das ist ja immerhin besser als nichts. Hier kommen wir zurück zur von mir beschworenen Achtziger-Jahre-Kiste: In den Achtzigern war der Baukasten-Ansatz von Rolemaster ganz sicher eine recht einzigartige Idee, auch wenn es da schon Konkurrenz in dieser Nische gab – aber im Jahr 2011 ist es doch recht vollmundig, so etwas zu behaupten, wenn so unterschiedliche Systeme wie DSA 4, D&D 4, GURPS, FATE, ORE oder SW die unterschiedlichsten Spielarten ermöglichen. Also mein erster kleiner Minuspunkt – dieses Versprechen wird wohl kein System halten können, also auch Rolemaster nicht. Sehr witzig finde ich auch die Gliederung des Buches, denn es gibt fünf Teile (Einführung, Charaktererschaffung, Aktionen, Das System der Welt und Anhänge), und dann eine Nummerierung, die mich mehr an eine Seminararbeit erinnert – ich sage nur: 1.0 Charakterkonzept, …, 10.0 Die Aktionen, …, 18.0 Besondere Aktionen und Situationen, …, 18.11 Blitzschnell und Schnelligkeit... Nicht gerade die beste Idee, wenn man vom Ruf wegkommen will, das System der Wahl für Mathematikstudenten zu sein. Gut, kommen wir zum Inhalt selber: Los geht es mit den Basics, die klären, wie man mit dem Buch umgeht, was Rollenspiel ist und welche Rundungskonventionen und Würfelkonventionen es gibt (Mathematikstudenten, remember...?) sowie einige sehr hilfreiche Begriffsklärungen.
Die Charaktererschaffung in Teil 2 ist didaktisch gut aufbereitet und der Neuling wird nett an der Hand genommen – beispielsweise indem Schritt für Schritt die weiterführenden Seitenzahlen angegeben sind – während er ein Volk (Mensch, Hochmensch, Waldelf, Zwerg oder Halbling) und einen Beruf (Krieger, Schurke, Dieb, Kleriker, Magier, Mentalist, Waldläufer, Trickser oder Barde) wählt. Dazu kommt noch die Art der Magie, die der Charakter wirken kann (Leitmagie, Essenz, Mentalismus), anschließend werden temporäre und potentielle Attribute bestimmt. Gefällt mir gut, dass man bei den Attributen eine Art „augenblicklichen Wert“ und eine Obergrenze hat, die der Charakter nicht überschreiten kann. Nun arbeiten wir uns über die Jugend unseres Charakters bis zum augenblicklichen Stand und bestimmen unterwegs einiges an Fertigkeitsgruppen, Fertigkeitswerten, Alter, Stufe, EP, Trefferpunkte und Co. Positiv kann gesagt werden, dass das Fertigkeitensystem bei Rolemaster sehr ausgeklügelt ist und recht einfach angepasst werden kann. Negativ betrachtet, könnte man wiederum behaupten, dass man seinen Charakter im Idealfall mit Hilfe einer Excel-Tabelle verwalten sollte, um auch alles im Griff behalten zu können. Auch hier wurde vorgesorgt und es finden sich online etliche Charakterbögen, wie zum Beispiel dieser editierbare direkt bei 13 Mann. Die Teile 3 und 4 schildern dann wie man mit Situationen umgeht, die im Laufe des Spiels auftauchen – selbstverständlich spielt der Abschnitt zu Kämpfen hier eine wichtige Rolle – und wie man seine gewünschte Welt simulieren kann. Der Kampf ist für den Ungeübten erst einmal ein unübersehbarer Wust an Zahlen, möglichen Manövern und Tabellen, auf die er würfeln muss. Nach und nach entwirrt sich das Gehirn aber und nach zwei Stunden konnte ich einen Kampf zwischen einem Ork und einem Kämpfer recht problemlos abwickeln – hier ist einfach Erfahrung der Schlüssel. Je öfter man Kämpfe abwickelt, desto leichter geht es von der Hand. Trotzdem muss gesagt werden, dass man im Idealfall bei Rolemaster Kämpfe besser vermeidet. Nicht, weil sie so komplex sind, sondern weil sie so unfassbar tödlich sind. Jede Waffengattung hat eine Tabelle, auf der man ablesen kann, welchen Schaden sie anrichtet und eine Tabelle, auf der man kritische Treffer ablesen kann. Dazu gibt es noch je eine Tabelle für Patzer und eine für Spruchpatzer. Gerade kritische Treffer beenden schnell mal mit einem Erfolg das Leben eines Charakters oder eines Monsters. Und wo wir schon bei diesen Tabellen sind: Besonders hier lässt sich der unfassbar trockene Humor des Spiels ablesen – ich zitiere einfach wahllos zwei Einträge (man könnte wirklich blind mit dem Finger darauf zeigen und würde immer etwas Interessantes ermitteln): „Brutaler Schlag gegen das Herz des Gegners. Es stoppt. Er stirbt. Du bist ziemlich tödlich. Gute Arbeit“ und „Der Gegner ist eine leblose, gefrorene Statue. Er ist ziemlich tot – aber gut erhalten. Bei 7°C mindestens haltbar bis...“
Wieder eine Geschichte für meine Freunde, die Mathematikstudenten, ist dann das Verteilen von EP, denn es gibt hier die unterschiedlichsten EP: Manöver-EP, Spruch-EP, Kampf-EP, Treffer-EP, Kritische EP, Tötungs-EP, Todes-EP, Idee-EP und Reise-EP mit vier verschiedenen Tabellen und sechs Listen mit Multiplikatoren, um genau zu bestimmen wie viele EP vergeben werden können. Hart an der Grenze zwischen „kurios“ und „perfekte Simulation“.
Ich muss gerade feststellen – so umfangreich, wie ich dachte, sind die Grundregeln von Rolemaster gar nicht. Es gibt nur 99 Seiten an Regeln, danach beginnen schon die Anhänge, in denen beispielsweise die Völker oder die Berufe näher und mit spielrelevanten Werten vorgestellt werden. Außerdem gibt es umfangreiche Waffenlisten und unglaublich viele Sprüche der unterschiedlichen Magie-Arten. Die gesamten weiter führenden Kampfregeln finden sich auch hier – inklusive aller Tabellen, die benötigt werden.
FazitWie die meisten Leser der DnD-Gate-Rezensionen wissen, bin ich ein Verfechter von Systemen mit wenigen Regeln, die meinem persönlichen Spielspaß nicht im Weg stehen. Dem steht Rolemaster ja fast schon diametral gegenüber, so dass jeder valide Vermutungen anstellen kann, wie ich persönlich zu Rolemaster stehe. Aber das soll mich nicht daran hindern, das System all denen zu empfehlen, die gerne präzise Regeln haben, denen man genau ansieht was sie wo und wie erreichen wollen. Sowohl eine Welt als auch ein Charakter lassen sich mit Rolemaster-Regeln wirklich präzise simulieren und Rollenspieler, die einen simulationistischen Ansatz bevorzugen, werden ganz sicher viel Spaß mit Rolemaster haben. Ich sage nur: neunundsiebzig (!!!) Tabellen. Ein weiteres großes Plus ist die Mischung aus „sich-absolut-ernst-nehmen“ und fast schon grenzwertigem, trockenem Humor – gerade in den vielen Beispielen und den Tabellen für kritische Treffer. Gefällt mir ausgesprochen gut.
Um auch noch die Eingangsfrage des News-Eintrags zu beantworten: Ganz klar kann man Rolemaster in genau dieser Form auch 2011 noch verkaufen. Eine klare Struktur und das klare Layout, gepaart mit der Regel- und Tabellenlastigkeit sind für den, der an diesen Komponenten Spaß hat, absolut spielenswert. Auch erscheinen immer wieder neue und eigenständige Abenteuer und Quellenbücher von 13Mann. Ich finde es ja immer wichtig, nicht nur ein System zu übersetzen und die amerikanischen oder englischen Produkte herauszubringen, sondern einem System auch den eigenen Stempel aufzudrücken. Das passiert hier und ich finde es absolut begrüßenswert.
Auch die eingangs erwähnte Tatsache, dass sich Rolemaster seit seinem Erscheinen im Jahr 1980 kaum verändert hat, finde ich eher charmant als abschreckend. Wir haben es hier also mit einem langfristig gewachsenen System zu tun, nicht von verschiedenen Verlagen, die immer wieder grob unterschiedliche Systeme mit dem gleichen Namen herausbringen, wie es bei D&D der Fall ist. Wenn man sich die Entwicklung über das UR-D&D aus dem Jahr 1974, dann die rote Box und ihre Ahnen aus den Jahren 1983-1986, dann AD&D 2, später D&D 3 und nun D&D 4 ansieht, dann ist es wirklich eine valide Überlegung, ob hier etwas mehr Konstanz nicht wünschenswert gewesen wäre. (Und NEIN! Ich will hier nicht sagen, dass D&D in irgendeiner Form besser gewesen wäre, als in irgendeiner anderen, ich wollte nur den Vergleich mit einem System wählen, das einerseits alle hier kennen und das andererseits in seiner Geschichte derart radikale Wandel durchlaufen hat.
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