Sharner Kobold Sharner Kobold

 

u
Der tönerne Thron 2 - Die Brücke von Montreaux
Bewertung:
(3.8)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 29.04.2011
Autor:Nicolas Jarry, France Richemond (Autoren) und Théo Caneschi (Zeichner)
Übersetzer:Tanja Krämling
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Historisches Frankreich
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-187-0
Inhalt:56 Seiten, Hardcover
Preis:13,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Nachdem sie den Dauphin in Melun wiedergetroffen haben, begeben sich Tanneguy du Châtel und der Ritter Barbazan nach Bourges. Ihr Ziel ist es, Yolande von Aragon, Herzogin von Anjou, Königin von Neapel-Sizilien und Mutter der Verlobten des Thronfolgers für ihr Anliegen zu gewinnen. Die Herzogin ist bereits davon unterrichtet, dass ihre Tochter Marie von den Burgundern in Paris gefangen genommen wurde, dennoch sichert sie ihrem zukünftigen Schwiegersohn und angehenden König von Frankreich ihre Unterstützung zu. Die Lage im Land ist nicht sonderlich beruhigend, da nicht nur Paris in die Hände der Burgunder fiel, sondern auch Rouen von den Engländern belagert wird. Der einzige Ausweg die Engländer zu besiegen, scheint ein Bündnis mit den verhassten Burgundern zu sein und erste vorsichtige Annäherungsversuche wurden bereits von Yolande in die Wege geleitet.

 

In Paris feiert man hingegen am 14. Juli 1418 den Einmarsch des Herzogs von Burgund, der von Isabeau de Bavière, der Gemahlin von Charles VI. und zugleich Königin, begleitet wird. Auch der Herzog ist an einer gütlichen Einigung mit dem Dauphin interessiert, weiß er doch dessen Mutter auf seiner Seite, die ihn in seinen Plänen unterstützt. Sein Plan sieht die Bildung einer burgundischen Regierung vor, die durch den König gebilligt wird, um das französische Reich unter einem einzigen Banner im Kampf gegen England zu vereinen. Nur so kann man den Belagerten von Rouen zur Hilfe eilen. Doch der Herzog spielt ein gefährliches und intrigantes Spiel..

 

Hinter diesem Vorschlag steckt ein hinterhältiger Plan, da der Dauphin einen solchen Vorschlag niemals dulden würde, da dies einem Verzicht auf den Thron gleichkäme. Als Boten die Nachricht mit diesem Vorschlag aus Paris nach Bourges bringen, hat Yolande bereits einen anderen Plan, um der Tücke der Burgunder zu entgehen. Sie will den Dauphin umgehend zum neuen König von Frankreich krönen. Sein Vater, der noch amtierende König, ist ohnehin wahnsinnig – ihn könnte man als geisteskrank mehr oder weniger seines Amtes entheben.

 

In Paris tobt der Mob weiterhin unter den verbliebenen Anhängern der Armagnacs und auch Bernard d`Armagnac, der Oberfeldherr, findet seinen Tod in den Verliesen des Louvre. Der Herzog von Burgund ist nicht nur erzürnt über Capeluche, den willigen Vollstrecker seiner Befehle, der ihm aber scheinbar aus dem Ruder zu laufen scheint, ebenso wie die Königin sich seinen Vorschlägen nicht anschließen will, um den Dauphin zur Räson zu bringen.

 

Der siebzehnjährige Dauphin ist von Selbstzweifeln geplagt, die schwere Bürde des Reiches auf sich zu nehmen. Letztlich ist es Tanneguy du Châtel, der sich seiner annimmt. Gemeinsam reiten sie nachts zu einer halb verfallenen Abtei, wo ein ganz besonderes Ereignis auf den Thronfolger wartet, welches ihn vor die entscheidende Frage seines Lebens stellt: Kämpfen oder Sterben!

 

Und so entwickeln sich die Dinge anders, als es der Herzog von Burgund vielleicht geplant hat. Man krönt den Dauphin zum neuen König von Frankreich, der sich anschickt, gegen all jene vorzugehen, die sich ihm und dem Thron entgegenstellt haben und auf der Seite der Burgunder stehen. Immer mehr Adelige schließen sich dem neuen König an und zwischenzeitig fällt Rouen in die Hände der Engländer. Heinrich V. zeigt keine Gnade mit den Belagerten und nur gegen Zahlung einer Summe von 300.000 Gold-Ecus und der Auslieferung von 80 Geiseln gibt er sich zufrieden – doch der Anführer des Widerstandes wird hingerichtet.

 

Der Herzog von Burgund betreibt weiterhin sein doppeltes Spiel und versucht sich sowohl mit dem König von England zu arrangieren, als auch alle Optionen mit dem neuen König von Frankreich offen zu halten. Doch die Dinge entwickeln sich für ihn nicht zum Besten, da Heinrich V. über die Pläne des Herzogs informiert worden ist und sie kurzerhand zunichte macht. So willigt der Herzog von Burgund nach zähen Verhandlungen schließlich in eine persönliche Unterredung mit dem neuen König ein – Treffpunkt soll die Brücke von Monterau sein.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Autor Nicolas Jarry wurde am 19.06.1976 in Rosny-sous-Bois, einem Vorort von Paris, in Frankreich geboren und wandert als Szenarist für Comics sowie als klassischer Romanautor zwischen den beiden Genres. Seine erste große Romanproduktion hieß „Les Chroniques d'un guerrier Sînamm“, ein drei Bände umfassender Fantasy-Zyklus, der zwischen 2000 bis 2001 bei Editions Mnémos erschien. Beim renommierten „Festival du Film Fantastique“ in Brüssel lernte er Jean-Luc Istin kennen, mit dem er für den Verlag Soleil ab 2003 die Reihe „Les Brumes d'Asceltis“ und später „Les exilés d'Asceltis“ schuf.

 

Gemeinsam mit Autor France Richemond schrieb er bereits an den beiden Bänden „Sphinx“ und „Le peuple de la mer“, einer historisch-mythologische Saga, die im Verlag Rocher veröffentlicht wurde. Als Autor ist er unter anderem sowohl an dem Band „L'essayeur des anneaux“ (dt. „Die Mär der Ringe“; Epsilon Verlag) beteiligt, die 2003 bei dem Verlag Delcourt erschien und die Geschichte von Tolkiens „Herr der Ringe“ satirisch aufs Korn nimmt, als auch an der Fantasy-Reihe „Les Contes de Brocéliande“, die als Comic seit 2004 im Verlag Soleil erscheint. Überaus umtriebig folgte 2003 die Reihe „Les Chroniques de Magon“ und 2005 der One-Shot „Maxime Murène“ für den Verlag Delcourt. Im Jahr 2006 folgte in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Djief der erste Band von „Tokyo Ghost“.

 

Rahmenhandlung der Reihe „Der tönerne Thron“ ist der Hundertjährige Krieg, der zwischen Frankreich und England tobte: Der offizielle Vorwand für die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England im 14. und 15. Jahrhundert war die Frage der französischen Thronerbe. Nach dem Tod des Königs Karl IV., der keine direkten Nachfolger hatte, erhoben gleichzeitig zwei Kandidaten ihre Ansprüche auf den Thron: Philipp VI. - Cousin des verstorbenen Königs und Neffe Philipps des Schönen sowie Eduard III. - englischer König und mütterlicherseits Enkel Philipps des Schönen. Die Streitigkeiten über die Thronfolge, die mit diversen Unterbrechungen über hundert Jahre dauerten und später im französischen Bürgerkrieg der Armagnacs und der Burgunder mündete, ist der Aufhänger für die Geschichte von Jarry und Richemond, die in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai im Jahre 1418 mit der Eroberung von Paris durch die Truppen der Burgunder beginnt. Dank der Hilfe von Tanneguy du Châtel gelingt dem Dauphin, dem späteren König Karl VII, die Flucht.

 

Als Autor präsentieren Nicolas Jarry und France Richemond eine hochkomplexe historische Geschichte mit zahlreichen mehr oder weniger prominenten Akteuren, die sich relativ eng an die historischen Fakten hält. Dabei steht aber bei weitem nicht die Glorifizierung französischer Mythen im Vordergrund, sondern das Duo kümmert sich kaum um das, was man von ihnen als Erzähler in einem solchen Comic erwarten würde.

Zwar steht in den Dialogen der Charaktere zwangsläufig die Entwicklung der tatsächlichen Geschehnisse im Vordergrund, doch dem Duo gelingt ein kleines Kunststück, in dem es in Kombination mit den hervorragenden Zeichnungen von Théo jedem der Akteure unverwechselbare Eigenschaften zugesteht, ohne dabei allzu stark zum Klischee greifen zu müssen und es somit erreicht tiefere Eindrücke von der seelischen Entwicklung einiger Akteure zu erfahren oder aber auch die geistige Atmosphäre der Zeit vermittelt wird. Selbst die hierbei manchmal zum Einsatz kommenden Fußnoten zeigen sich als überaus hilfreich, kann man sich doch dann mit diesen zusätzlichen Informationen getrost auf die Dialoge und die Handlung konzentrieren, die man so besser versteht und nachvollziehen kann.

 

Für uns Nicht-Franzosen dürfte dieser Comic eher erfrischend erscheinen, insbesondere wenn der englische König in seiner Darstellung ebenso unehrlich, verlogen, machtbesessen und skrupellos ist wie manche seiner französischen Gegenspieler. Doch es ist noch eine Weile hin bis zum Vertrag von Troyes, der 1420 unterzeichnet werden soll – und das französische Reich noch weit davon entfernt, endlich Frieden und Einigkeit zu finden.

 

Der Zeichner Théo Caneschi wurde 1973 in Vinci, in der Toskana geboren. Nachdem er einige Kurse an der „Scuola Internazionale di Comics“ besucht hatte, wurde er 1998 Mitglied im bekannten Florenzer Inklink-Studio, wo er mit Künstlern wie Luigi Critoni zusammenarbeitete. Caneschi schuf zahlreiche Illustrationen und historische Rekonstruktionen für italienische und europäische Museen. Der französische Verlag Delcourt sprach ihn schließlich im Jahr 2000 an, ob er nicht Interesse daran hätte als Zeichner für einen historischen Comic-Serie zu arbeiten. Caneschi willigte ein und so entstand nach dem Szenario von Nicholas Jarry und France Richmond die Reihe „Der Tönerne Thron“.

 

In diesem munteren Treiben von Intriganten, Opportunisten und tragischen Helden versteht es Théo den unterschiedlichen Figuren einen sehr hohen und charakteristischen Wiedererkennungswert zu verleihen. Damit unterstreicht er geradezu die Handlungsweisen einzelnen Personen und dem Leser fällt es wesentlich leichter, dem nicht immer leichten Handlungsfaden der Geschichte zu folgen. Doch ist es nicht nur das diplomatische Parkett, welches er einzufangen und auszukleiden weiß, sondern er gibt auch mit einigen düster-bedrohlichen Bildern von Schlachtfeldern ein Vorgeschmack auf die weitere Entwicklung der Geschichte, als auch einen Einblick in sein großes Leistungsspektrum. Verantwortlich für die immer wieder sehr schön abgestimmt Kolorierung zeigt sich Lorenzo Pieri, der den Figuren und Handlungsorte in stimmungsvolle dunkle Farbtöne taucht und durch sein Spiel von Licht und Schatten immer wieder beeindruckt.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der Band erscheint als großformatiges Hardcoveralbum in guter Verarbeitung und mit einwandfreiem Druckbild - in Sachen Qualität gibt es hier beim Splitter-Verlag nichts zu bemängeln. Wie bereits beim ersten Band gibt es im hinteren Einband als kleines Extra einen kurzen geschichtlichen Abriss über die Hintergründe des Hundertjährigen Krieges und eine Übersicht über die wichtigsten Akteure in diesem Reigen aus politischem Ränkespiel, Mord und Verrat. Das ist eine sehr praktische Angelegenheit, muss man doch hierdurch nicht immer den ersten Band als „Nachschlagewerk“ bemühen. Die tadellose Übersetzung stammt wiederum von Tanja Krämling.

 

Fazit:

Mehr als nur ein weiterer seichter und schnell produzierter Historien-Comic erwartet den Leser bei der Lektüre der Reihe „Der Tönerne Thron“. Neben authentischen Schlachtenszenen (von denen sicherlich noch weitere folgen werden), die bis hin zu den Waffen von Zeichner Théo Caneschi präzise ausgeführt sind, besticht das Duo Jarry und Richemond in seinem Szenario durch seine unaufdringliche Authentizität, die es mit jedem Charakter und dessen Handlungsweisen innerhalb kürzester Zeit vermittelt. Über kleinere Ungenauigkeiten mag sich selbst der Kenner der Materie nicht aufregen, stimmt der historische Kontext doch insgesamt recht harmonisch.

 

Einen Kritikpunkt habe ich allerdings an diesem Band: Die etwas unglückselig, kitschig-heroisch in Szene gesetzte Episode des Dauphin, der von Tanneguy du Châtel nachts zur alten Abtei geführt wird, um dort ein fast schon dämlich wirkendes Initiationsritual aufgedrückt zu bekommen, welches ihm in seiner Entscheidung über Wohl und Wehe des französischen Reiches weiterhelfen soll. Das war etwas zuviel des Guten und erinnert an üble Groschenromane, bleibt aber gottlob der einzige „Ausrutscher“.

 

Gegen Ende des Bandes lässt sich das Duo dann allerdings plötzlich und unversehens in die Karten schauen, als wir einem jungen Mädchen begegnen, welches arglos durch einen Wald zu tanzen scheint – ganz in sich selbst versunken – und wir von weitem eine Stimme ihren Namen rufen hören: Jeanne. Auch wenn noch sehr jung in Jahren, so gibt es doch nunmehr keinen Zweifel daran, dass in diesem epischen Reigen die spätere Jungfrau von Orleans einen ganz besonderen Platz zugewiesen bekommen dürfte.

 

Für mich auf jeden Fall eine Leseempfehlung, selbst wenn man den historischen Hintergrund nicht oder nur unzureichend kennt. Die weitere Entwicklung der Akteure dürfte zudem auch spannend werden, da weder der Dauphin noch Taneguy die Hauptrolle in diesem Reigen einzunehmen scheint und mehr als genügend Platz für die Intrigen, Machenschaften und Kabalen der zahlreichen anderen Charaktere bleibt.