Links zur Rezension InhaltAlles um ihn herum war ein Wunder. Die kleinen Bergblumen und die Geräusche des Wassers und der Vögel und der menschlichen Stimmen. Die freundliche Sonne über ihm erzeugte weniger Wärme als ein Gefühl der Erneuerung im Spiel des Lebens.
Auf seiner Wanderschaft hat sich Titus selbst kennen gelernt und vor der Einsamkeit hat er keine Angst mehr – vielmehr sind es die Menschen die ihm Angst machen. Als Leitmotiv für seine scheinbar rastlose Reise bleibt ihm die Suche nach seiner Heimat, einem Ort, an dem er bleiben und verweilen kann. Doch ist sein Leben beschwerlich und so entgeht er nur mit knapper Not dem Tod durch Erfrieren und findet glücklicherweise Unterschlupf. Aber auch den Menschen, die ihn aufnehmen, wendet er den Rücken zu und er zieht weiter.
Es ist eine mehr als abenteuerlich-abstrakte Erzählung mit zahlreichen Begegnungen, bei denen auch absonderliche Figuren und befremdliche Geschehnisse nicht fehlen dürfen und wie man sie als Leser auch aus der Feder von Peake gewöhnt ist. Dennoch ist es der Schreibstil von Maeve Gilmore, der diesen Gestalten Leben einhaucht und einen neuen, gänzlich anderen Glanz verleiht. So wird der Leser langsam aber stetig Zeuge, wie sich das Bild des Protagonisten Titus in das von Mervyn Peake zu verwandeln scheint, den es ans Meer treibt, um endlich seine Heimat zu finden.
Über den Autor:Unmittelbar nach seinem Studium an der Universität von Edinburgh meldete sich Dr. Ernest Cromwell Peak 1898 als Arzt für Allgemeinmedizin bei der „London Missionary Society“, die ihn als Arzt nach Hengyang in Zentralchina schickte. In Kuling lernte Dr. Ernest Cromwell Peak seine spätere Ehefrau Amanda Elizabeth Ann Peake kennen, die ebenfalls im Missionsdienst stand. Die beiden heirateten und nach der Geburt des ersten Sohnes, Ernest Leslie, kam Mervyn Laurence Peake am 09.07.1911 in Kuling zur Welt. Kurz nach der Geburt von Mervyn wird Dr. Peake die Leitung eines Krankenhauses im 800 Meilen nördlich gelegenen Tientsin übertragen, wo Mervyn die „Tientsin Grammar School“ besuchen sollte.
Es war eine Zeit großer Umbrüche für China, da zu Beginn des 20. Jahrhunderts die herrschende Qing-Dynastie unter ihrem Kaiser Pu Yi in Trümmern lag und sich das Land sich in zwei große Lage spaltete, zum einen die Gemäßigten, die eine Reform des Kaisertums hin zu einer konstitutionellen Monarchie im Sinn hatten, zum anderen die Revolutionäre, die das Kaisertum endgültig beseitigen und China zu einer Republik machen wollten. Dieser Konflikt sollte noch einige Jahre schwellen und schließlich im chinesischen Bürgerkrieg enden. Es ist in der Gormenghast-Reihe recht offensichtlich, wie Peake die Eindrücke dieses in Ritualen und Traditionen verhafteten Landes, das seine ersten elf Lebensjahre nachhaltig beeinflusst hat, in seine Geschichten einfließen ließ.
Bereits in diesen jungen Jahren bewies Mervyn großes Talent als Zeichner. Zu seinen liebsten Büchern in seinen Jugendjahren zählte er Robert Louis Stevensons Buch „Die Schatzinsel“, die er in Teilen sogar auswendig konnte. Und so dürfte seine Liebe zu Piraten sicherlich noch aus dieser Zeit herrühren. Ende 1922 kehrte die Familie nach England zurück, wo sein Vater damit begann, eine eigene Arztpraxis zu etablieren. Mervyn besuchte das Eltham College in London, welches später ebenfalls in abgewandelter Form Einzug in den Kosmos von „Gormenghast“ hielt. Als Schüler zeigt sich Mervyn überaus achtlos in seiner Rechtschreibung und seinen Examensvorbereitungen, auch wenn er ansonsten als recht guter Sportler durchging. Lediglich der Einsatz seines Kunstlehrers bewahrt ihn vor einem Schulverweis. Mit dem Lehrer Eric Drake, der das Schulmagazin herausgibt und mit seinem Bruder Theaterstücke inszenierte, verbindet ihn eine gewisse Freundschaft.
1929 erhält er die Zulassung für die „Royal Academy of Arts“, die er allerdings nach vier Jahren wieder verlässt, um dem Ruf seines alten Lehrers Eric Drake zu folgen, der eine Künstlerkolonie auf der Kanalinsel Sark gegründet hat. Hier arbeitet Peake weiter an seiner Malerei, gibt Ausstellungen und schafft es sogar die Aufmerksamkeit von Robert Kirkland Jamiesons auf sich zu lenken, der zu dieser Zeit Leiter der Westminster School of Art war. Im Jahre 1935 endet der Lebensabschnitt auf Sark für Peake allerdings erst einmal. Er kehrt nach London zurück um das Angebot von Jamieson anzunehmen, als Lehrer an der Westminster School of Art zu arbeiten. Hier lernt er die schüchterne Schülerin Maeve kennen, die er mit seiner liebenswürdigen, aber extravaganten Art zu beeindrucken weiß und die er am 01.12. 1937 heiratet. Ende der Dreißiger Jahre hat Peake als Künstler eine beachtliche Reputation erreicht: Queen Elizabeth kauft eins seiner Bilder, Walter de la Mare schätzt seine Gedichte und Dylan Thomas leiht sich sogar Anzüge von ihm. Kurz nach dem Tod seiner Mutter 1939 wird sein erstes Buch veröffentlicht „Captain Slaughterboard drops anchor“, ein Kinderbuch mit eigenen Texten und Illustrationen. 1940 wird sein Sohn Sebastian geboren.
Nach dem Kriegsausbruch meldet sich Mervyn bei der „Royal Artillery“. Allerdings stellt sich rasch heraus, das der Künstler Peake recht ungeeignet für den Kriegsdienst ist. Rasch folgt der Wechsel zu den „Royal Engineers“, begleitet von häufigen Wechseln in der Stationierung. Zu dieser Zeit beginnt er „Titus Groan“ zu schreiben und erhält sogar von seinem befehlshabenden Offizier die offizielle Befreiung dieser Tätigkeit nachzukommen. Was zunächst als unsinnige Unterhaltung zwischen zwei aufgeblasenen Trotteln begann, wird als Skizze von Peake rasch verworfen und nach und nach beginnt sich die Idee von Gormenghast zu entwickeln, die er in den Jahren zwischen 1940 bis 1943 zu Papier brachte.
Als 1942 Peakes zweiter Sohn Fabian zur Welt kommt, entfernt er sich mittels gefälschter Papiere von der Armee, um bei Maeve sein zu können, allerdings erleidet er kurze Zeit später einen Nervenzusammenbruch und ein längerer, wenn auch produktiver, Aufenthalt in einem Sanatorium folgt. Im Jahr darauf wird er aus der Armee entlassen.
Mit der von ihm illustrierten Ausgabe des „Rime of the ancient mariner“ wird Peake in England als „der größte lebende Illustrator unserer Zeit“ gefeiert, wohingegen seine Prosa noch einiger Verbesserung bedarf. So wird seine Erfassung von „Titus Groan“, die er an den Verlag Eyre & Spottiswoode verkaufen möchte, in seiner Erstfassung als nicht veröffentlichbar abgelehnt. Allerdings ermutigt man ihn zu einer Überarbeitung seines vorgelegten Manuskriptes, da man durchaus das Potential erkannte.
Im Jahr 1945 erhält Peake die Position eines „War Artist“ und reist im Rang eines Captains mit dem Reporter Tom Pocock in das vom Krieg zerstörte Deutschland. Allerdings wird diese Reise bei weitem nicht das erhoffte Abenteuer. Nach dem Besuch des Konzentrationslagers Bergen-Belsen kehrt Peake traumatisiert nach England zurück und sollte diese Eindrücke Jahre später in „Titus alone“ verarbeiten.
Nach der Veröffentlichung der Gedichtsammlung „Shapes and Sounds“ im Jahr 1941 und den Nonsensversen „Rhymes without Reason“ 1944 veröffentlicht 1946 der Verlag Eyre & Spottiswoode die von Peake überarbeitete Fassung von „Titus Groan“, der im gleichen Jahr die von ihm illustrierte Ausgabe von „Alice’s Adventures in Wonderland“ folgt. Der Roman „Titus Groan“ wird von der Presse und dem Publikum mit recht geteilter Meinung aufgenommen.
Die Familie zieht abermals auf die Kanalinsel Sark, wo sie ein großes Haus kauft, welches im Krieg den deutschen Besatzern als Hauptquartier gedient hatte. In dieser Zeit entsteht „Gormenghast“ und die Illustrationen zu den Romanen „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ (1948) so wie „Treasure Island“ (1949) von R.L. Stevenson. Die ständigen Reisekosten von Mervyn zehren allerdings an dem nicht unbedingt üppigen Einkommen, so dass die Familie nach der Geburt ihrer Tochter Clare 1949 wieder nach London zieht, wo Mervyn eine Stelle als Lehrer an der Central School of Art in Holborn annimmt.
Das Jahr 1950 steht für Peake ganz im Zeichen der Veröffentlichung von „Gormenghast“ und der Gedichtsammlung „The Glassblowers“, für die er noch im gleichen Jahr von der Royal Society of Literature mit dem W.H. Heinemann Award ausgezeichnet wird und zweifelsohne mit einer der Höhepunkte seiner Karriere sein dürfte. Ab 1954 arbeitet er an dem dritten Band der Gormenghast-Reihe „Titus Alone“ und bereits 1956 adaptiert die BBC den Roman „Titus Groan“ als Hörspiel. Die finanzielle Situation von Peake hat sich in den letzten Jahren zusehends verschlechtert und so setzt er große Hoffnungen in das Theaterstück „The Wit to Woo“, welches 1957 seine Uraufführung erlebt. Allerdings sind die Kritiken recht mäßig und auch der gesundheitliche Zustand von Peake verschlechtert sich immer mehr.
In den nächsten Jahren folgt eine Odyssee durch verschiedene Krankenhäuser, da Peake wahrscheinlich unter Parkinson leidet. Allerdings kann keine befriedigende Diagnose gestellt werden und zahlreiche unterschiedliche Behandlungen folgen. Erst Ende der sechziger Jahre bekommt sein Werk – nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz seines Bewunderers Michael Moorcock – größere Bekanntheit. Mervyn Peake verstirbt am 17.11.1968 in Burcot, in der Nähe von Oxford.
FazitMehr als 40 Jahre nach dem Tod von Mervyn Peake wird nunmehr die Geschichte um Titus Groan, den 77. Lord von Gormenghast mit der Entdeckung eines vierten Buches der Reihe fortgesetzt und zu einem ganz besonderen Ende gebracht.
Peake hinterließ nach seinem Tod nicht nur die drei veröffentlichten Gormenghast-Romane, sondern auch die Entwürfe eines vierten Bandes, der den provisorischen Arbeitstitel „Titus awakes“ trug. Seine Frau, die Künstlerin und Schriftstellerin Maeve Gilmore nahm sich Anfang der 70er Jahre des Manuskriptes ihres verstorbenen Mannes an und führte dessen Werk zu Ende. Es sollte aber noch etliche Jahre dauern, bis das vollendete Manuskript von ihrer Enkeltochter Christian wiederentdeckt werden sollte. Als diese sich durch etliche Kisten arbeitete, die aus dem Nachlass von Maeve Gilmore stammten und sich seit vielen Jahren unbeachtet auf dem Dachboden befanden, stieß sie auf vier Schreibhefte mit der Handschrift von Maeve, welche die komplette, von ihr vollendete Geschichte von „Titus awakes“ beinhaltete.
Das Ende um Titus/Peake, so wie Maeve Gilmore es dem Leser präsentiert, dürfte in dieser Form sicherlich nicht unbedingt die Zustimmung ihres Mannes gefunden haben, gleichwohl nimmt es das Motiv der bisherigen Erzählung um Titus auf elegante und zugleich verstörende Art und Weise auf, um die Geschichte des letzten Lord Groan zu einem überaus befriedigenden Ende zu bringen. Dieses Buch benutzt einige der Ideen und Skizzen von Peake, entwickelt sie weiter und macht sie dadurch ergreifender und bedeutsamer, um zu guter Letzt die Persönlichkeit von Mervyn Peak aufzunehmen und sie für den Leser deutlich spürbar zu machen.
Der Leser sei allerdings an dieser Stelle gewarnt, ist doch „Titus erwacht“ eine Sammlung von kurzen Episoden, Szenen und zum Teil wunderschönen Texten, die eher eine Liebeserklärung seiner Frau an ihren verstorbenen Mann sind, als vielleicht für die Augen des Lesers gedacht. Wer allerdings nach dem dritten Band nicht müde geworden ist, den letzten Lord Groan auf seiner Reise zu begleiten, der sollte sich diesen Band nicht entgehen lassen, auch wenn man nicht mehr der inneren Stimme von Mervyn Peake lauschen kann, sondern sich nach einigen Seiten auf die von Maeve Gilmore verlassen muss.
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