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Der tönerne Thron 3 - Henry, König von England und Frankreich
Bewertung:
(3.9)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 22.06.2011
Autor:Nicolas Jarry, France Richemond (Autoren) und Théo Caneschi (Zeichner)
Übersetzer:Tanja Krämling
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Historisches Frankreich
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-188-7
Inhalt:56 Seiten, Hardcover
Preis:13,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Henry V., König von England, ist erfreut über den unerwarteten Tod des Herzogs von Burgund. Bei einem geheimen Treffen mit Jeanne de Naillac, der Mätresse des Herzogs Jean sans Peur, die auch als Spionin von Henry dient, erfährt er einiges über die Geschehnisse der missglückten Audienz auf der Brücke von Montereau. Doch Henry hat bereits neue Pläne für Jeanne: Da sie nunmehr als Mätresse nicht mehr notwendig ist, soll sie – gemeinsam mit ihrem Mann – in das Lager des Dauphin wechseln. Hier soll sie am Hof des Dauphin als seine Augen und Ohren dienen und sich den jungen Dauphin unter Umständen gefügig machen.

 

Die Lage der Armagnacs ist derweil verzweifelt. Durch den Tod des Herzogs, den man dem Dauphin anlastet, ist von einer Vereinigung der französischen Kräfte gegen die Engländer kaum mehr die Rede. Man misstraut dem jungen Dauphin und sein Rückhalt, sowohl bei den Adeligen als auch beim Volk, ist nicht sonderlich groß. Nun soll Vertrauen zu Philipp von Burgund, dem einzigen Sohn von Jean sans Peur, aufgebaut werden, um ihn vielleicht doch für den Kampf gegen die Engländer zu gewinnen, stehen doch die Burgunder unverhohlen immer noch auf der Seite von Henry V.

 

Unterdessen treffen Pierre de Giac und seine Gemahlin Jeanne am Hofe des Dauphin ein, wo beide um Einfluss beim jungen Dauphin buhlen, der zurückgezogen in der Provinz leben muss und krampfhaft versucht sowohl den Adel für sich zu gewinnen als auch genügend Gold zu bekommen, damit er aktiv in den Kampf gegen die englischen Invasoren treten kann.

 

Aber auch der englische König ist nicht untätig. Er nutzt die Geschehnisse geschickt für sich aus, um endgültig sowohl die Krone von England, als auch Frankreich zu tragen. Hierfür macht er anlässlich des Weihnachtsfestes 1419 auf Schloss Dijon Philipp von Burgund ein überaus verlockendes Angebot. Philipp willigt ein, fordert aber als Zugabe Montereau, damit er den Verrätern nicht länger den Leichnam seines Vaters überlassen muss. So scheint die Krone Frankreichs für Henry V. zum Greifen nahe, fällt doch in zahlreichen Kämpfen eine französische Stadt nach der anderen, bis seine Truppen schließlich auch vor den Toren von Montereau stehen.

 

Und während in Paris im Louvre König Charles VI. in seiner geistigen Umnachtung herumwandert und überall Feinde und Spione sieht, wächst in Lothringen die Tochter eines einfachen Bauern auf, die später als Jeanne d´Arc ihren Weg in die Geschichtsbücher finden soll.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Autor Nicolas Jarry wurde am 19.06.1976 in Rosny-sous-Bois, einem Vorort von Paris, in Frankreich geboren und wandert als Szenarist für Comics sowie als klassischer Romanautor zwischen den beiden Genres. Seine erste große Romanproduktion hieß „Les Chroniques d'un guerrier Sînamm“, ein drei Bände umfassender Fantasy-Zyklus, der zwischen 2000 bis 2001 bei Editions Mnémos erschien. Beim renommierten „Festival du Film Fantastique“ in Brüssel lernte er Jean-Luc Istin kennen, mit dem der für den Verlag Soleil ab 2003 die Reihe „Les Brumes d'Asceltis“ und später „Les exilés d'Asceltis“ schuf.

 

Gemeinsam mit Autor France Richemond schrieb er bereits an den beiden Bänden „Sphinx“ und „Le peuple de la mer“, einer historisch-mythologische Saga, die im Verlag Rocher veröffentlicht wurde. Als Autor ist er unter anderem an dem Band „L'essayeur des anneaux“ (dt. „Die Mär der Ringe“; Epsilon Verlag) beteiligt, die 2003 bei dem Verlag Delcourt erschien und die Geschichte von Tolkiens „Herr der Ringe“ satirisch aufs Korn nimmt, als auch an der Fantasy-Reihe „Les Contes de Brocéliande“, die als Comic seit 2004 im Verlag Soleil erscheint. Überaus umtriebig folgte 2003 die Reihe „Les Chroniques de Magon“ und 2005 der One-Shot „Maxime Murène“ für den Verlag Delcourt. Im Jahr 2006 folgte in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Djief der erste Band von „Tokyo Ghost“.

 

Rahmenhandlung der Reihe „Der tönerne Thron“ ist der Hundertjährige Krieg, der zwischen Frankreich und England tobte: Der offizielle Vorwand für die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England im 13. und 14. Jahrhundert war die Frage der französischen Thronerbe. Nach dem Tod des Königs Karl IV., der keine direkten Nachfolger hatte, erhoben gleichzeitig zwei Kandidaten ihre Ansprüche auf den Thron: Philipp VI. - Cousin des verstorbenen Königs und Neffe Philipps des Schönen so wie Eduard III. - englischer König und mütterlicherseits Enkel Philipps des Schönen. Die Streitigkeiten über die Thronfolge, die mit diversen Unterbrechungen über hundert Jahre dauerten und später im französischen Bürgerkrieg der Armagnacs und der Burgunder mündete, ist der Aufhänger für die Geschichte von Jarry und Richemond, die in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai im Jahre 1418 mit der Eroberung von Paris durch die Truppen der Burgunder beginnt, um den dramatischen Ereignissen zu folgen.

 

Die Autoren Nicolas Jarry und France Richemond wandern mit ihrer farbenprächtigen und schillernden Erzählung weiter auf den Spuren französischer Geschichte und verstehen es, diese für den Leser greifbar machen. Zwar gibt es in etlichen Passagen auch die eine oder andere erzählerische Freiheit, welche beide für sich in Anspruch nehmen, darunter leidet aber niemals der konkrete historische Bezug. So wie Nicolas Jarry und France Richemond in ihren Dialogen Intrigen oder Streitereien und politischen Ränkespielen schildern, wirkt es so plastisch und plausibel, als könne es wirklich so gewesen sein.

 

In einem sehr schön arrangierten Subplot erfährt der Leser am Rande auch einiges über die Kindheit von Jeanne, die später in der Reihe als Jeanne d´Arc noch eine sehr gewichtige Rolle einnehmen wird. Hier wird das Duo zum Teil etwas übermütig, wenn Jeanne in einer verborgenen Höhle auf einen Altar stößt, auf dem das Kreuz des Templerordens prangt. Ein wenig liegt hier der Hauch vom Heiligen Gral in der Luft – doch dies nur nebenbei.

 

In Kombination mit den hervorragenden Zeichnungen von Théo gibt es aber nicht nur ein farbenprächtiges Sittengemälde der damaligen Verhältnisse mit ihren Intrigen, Ränken und der großen Politik, sondern auch gegen Schluss des Bandes einen Einblick in das dörfliche Leben einer einfachen Familie in Lothringen, die durch ihre Charaktere begeistert und mit ihrer Stimmung absolut überzeugt. Man muss nicht unbedingt ein profunder Kenner der französischen Geschichte sein, um dem Szenario zu folgen, doch gewinnt man hierdurch den Akteuren einiges mehr ab.

 

Der Zeichner Théo Caneschi wurde 1973 in Vinci, in der Toskana geboren. Nachdem er einige Kurse an der „Scuola Internazionale di Comics“ besucht hatte, wurde er 1998 Mitglied im bekannten Florenzer Inklink-Studio, wo er mit Künstlern wie Luigi Critoni zusammenarbeitete. Caneschi schuf zahlreiche Illustrationen und historische Rekonstruktionen für italienische und europäische Museen. Der französische Verlag Delcourt sprach ihn schließlich im Jahr 2000 an, ob er nicht Interesse daran hätte, als Zeichner für eine historische Comic-Serie zu arbeiten. Caneschi willigte ein und so entstand nach dem Szenario von Nicholas Jarry und France Richmond die Reihe „Der Tönerne Thron“.

 

Ich habe bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, wie gut es Théo versteht, den unterschiedlichen Figuren in diesem munteren Treiben von Intriganten, Opportunisten und tragischen Helden zeichnerisch einen sehr hohen und charakteristischen Wiedererkennungswert zu verleihen. Hier scheint jeder Gesichtsausdruck zu passen und keine Ungenauigkeit bei der Ausführung zu stören, wenn das Auge über die Panels schweift. Man muss Théo auch dahingehend loben, als dass er es versteht, mit der Darstellung von Personen und Orten die Handlung der Geschichte zu unterstützen.

 

Auch in Sachen Seitenaufbau versteht Théo sein Handwerk, in dem er Sequenzen sehr modern aufbaut und geschickt arrangiert. Beispielhaft sei hier das große Festbankett in Dijon genannt, welches zu Ehren des englischen Königs stattfindet. Vor dem Hintergrund der großen Feierlichkeit, die einen kompletten Blick in den Festsaal gibt, werden einzelne Panels angeordnet, die dem Dialog des englischen Königs und Philipp, Herzog von Burgund, folgen.

 

Mit dem gnadenlosen Vormarsch der englischen Truppen verlässt Théo allerdings auch das diplomatische Parkett und führt den Leser auf die Schlachtfelder Frankreichs, welche er in zum Teil großformatigen Panels mit hoher historischer Detailtreue für Waffen und Ausrüstung, aber auch gelungener Perspektive darzustellen weiß. Verantwortlich für die wiederum farblich sehr harmonisch abgestimmte Kolorierung zeigt sich Lorenzo Pieri, der die Figuren und Handlungsorte in jeweils passende und stimmungsvolle Farbtöne taucht und durch sein Spiel von Licht und Schatten immer wieder beeindruckt.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der Band erscheint als großformatiges Hardcoveralbum in guter Verarbeitung und mit einwandfreiem Druckbild - in Sachen Qualität gibt es hier beim Splitter-Verlag nichts zu bemängeln. Im vorderen Einband gibt es eine kurze Zusammenfassung über die bisherigen Geschehnisse und im hinteren Einband als kleines Extra eine Übersicht über die wichtigsten Akteure in diesem Reigen aus politischem Ränkespiel, Mord und Verrat. Das ist eine sehr praktische Angelegenheit, hat man doch bei Problemen mit den Personen ein „Nachschlagewerk“ direkt in Händen. Die wie immer tadellose Übersetzung stammt wiederum von Tanja Krämling.

 

Fazit:

Comics, die sich historischer Themen annehmen, gibt es sicherlich mehr als genug, aber nicht immer sind deren Inhalt als auch zeichnerische Umsetzung überzeugend. Ganz anders hingegen die Reihe „Der Tönerne Thron“. Hier gelingt es dem Autoren-Duo Jarry und Richemond aus der manchmal trockenen historischen Materie ein durchaus spannendes Szenario zu konzipieren, welches durch die sehr gut in Szene gesetzten Akteure zudem sehr authentisch wirkt. Kenner der französischen Geschichte werden zwar sicherlich ihre Einwände gegen manche erzählerische Freiheit vorbringen, aber vielleicht trägt gerade dieses Maß an Unschärfe zum Vergnügen an dieser Serie teil.

 

Bei aller Leichtigkeit ist diese Serie dennoch sehr komplex in ihrem Aufbau, in dem es zahlreiche Akteure, Intrigen und Ränkespiele spielt, zumal nunmehr auch verstärkt das englische Lager seine Auftritte hat. Wer sich aber trotz dieser manchmal verwirrenden Vielzahl von Personen auf die Lektüre der manchmal recht langen Dialoge einlässt, wird dafür mit einer spannenden und faszinierenden Reise in die Zeit des Hundertjährigen Krieges geführt, die von Théo Caneschi visuell hervorragend umgesetzt wird.

 

Natürlich bleibt auch in diesem Band Gelegenheit, einen Teil der Geschichte von Jeanne d´Arc zu erzählen, wobei es zur Zeit noch kleine Episoden aus deren Kindheit sind, die dem Leser diese mysteriöse Retterin des französischen Reiches mit einer unschuldigen Leichtigkeit erzählt.

 

Für mich ist dieser Reihe bislang auf jeden Fall eine Leseempfehlung, selbst wenn man sich in der französischen Geschichte nicht sonderlich gut auskennt. Die Entwicklung der Akteure dürfte spannend bleiben, da sich Jarry und Richemond in diesem Reigen genügend Zeit lassen, jedem Charakter Platz für seine Intrigen, Machenschaften und Kabalen einzuräumen.