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Manara Werkausgabe 6 - Kamasutra, Gullivera u.a.
Bewertung:
(3.6)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 27.08.2011
Autor:Milo Manara (Szenario und Zeichnungen)
Übersetzer:Michael Leimer
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Erotik
VerlagPanini Comics
ISBN/ASIN:978-3-86201-063-9
Inhalt:196 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:29,95 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Kamasutra

Eine junge Frau namens Parva gerät in einer großen Stadt mit ihrem Roller in einen Unfall, der glücklicherweise nur mit einigen Schrammen für sie ausgeht. Doch der Paketfahrer, mit dem sie zusammengestoßen ist, vergisst ein kleines Päckchen am Unfallort, welches Parva an sich nimmt. Zu Hause angekommen ruft sie zunächst ihre Freundin Lulù an, die Parva ermuntert das Päckchen zu öffnen. Nach einigem Zögern öffnet sie es und es stellt sich heraus, dass sich in dem Päckchen scheinbar ein Gürtel aus weichem Leder befindet. Doch dieser Gürtel birgt ein Geheimnis: Es ist der Gürtel von Vatsyayana, der aus der Haut des Penis des allmächtigen Prajapati gemacht wurde und der kommunizieren kann, wenn er erigiert ist.

 

Hier beginnt eine exotische Reise voller phantastischer Erotik für Parva und auch Lulù, die es zudem mit einer okkulten Sekte zu tun bekommen, die ebenfalls hinter diesem einzigartigen magischen Artefakt her ist.

 

Ursprünglich war „Kamasutra“ eine Auftragsarbeit für eine CD-ROM, bei der sich der Leser mit seinem Charakter durch die einzelnen Episoden arbeiten sollte und der Fortgang der Geschichte von dessen Entscheidungen abhing. Insofern sind die Hintergründe weitestgehend wie bei einem Zeichentrickfilm angelegt und wurden zu einem hohen Anteil am Computer generiert. Bedauerlicherweise ist dieses Computerspiel von Manara nie erschienen und so muss sich der Leser mit dieser kleinen Geschichte zufrieden geben, die auf einem der ältesten überlieferten Texte Indiens basiert – dem Kamasutra.

 

Gullivera

Es ist ein heißer Tag am Strand und so entschließt sich die Protagonistin der Geschichte mit ihrer Luftmatratze ein wenig hinaus aufs Meer zu treiben und sich ein wenig Abkühlung zu verschaffen. Leider verliert sie wegen ihrer Unachtsamkeit ihren Badeanzug auf dem Meer und sieht sich gezwungen, an Bord eines fremden Segelschiffes zu schleichen, welches in der Bucht treibt. Niemand scheint sich an Bord des Schiffes zu befinden und so beschließt sie kurzerhand, es sich mit einer Ausgabe von „Gullivers Reisen“ an Deck gemütlich zu machen – bis ein Sturm sich zusammenbraut und das Schiff auf das Meer hinaustreibt.

 

Angelehnt an die Geschichte von Jonathan Swift lässt Manara seine Heldin zunächst in Lilliput stranden, treibt sie weiter in das Land der Riesen und auch in das Reich der Tiere, bevor er sie wieder am heimischen Strand ankommen lässt. Die Geschichte von Gulliver dürfte sicherlich vielen Lesern hinlänglich bekannt sein, dennoch schafft es Manara die Reise seiner Gullivera zu einer geistreichen, zum Teil auch lustigen Reise voller erotischer Abenteuer zu machen.

 

Drei Mädchen im Netz

Die Gründerzeiten des Internets: Zwei junge Frauen verdienen sich ihr Geld mit einer Live-Cam in ihrer Wohnung, wozu natürlich auch allerlei erotische Spiele gehören. Doch die alltägliche Ruhe von Wilma und Wendi wird durch die unerwartete Ankunft von Wanda, der Schwester von Wendi jäh unterbrochen. Sie befindet sich mehr oder weniger auf der Flucht vor ihrem Freund und seinen seltsamen sexuellen Obsessionen und möchte nur für eine Nacht bleiben – danach will sie woanders unterkommen.

Doch die Internet-Kamera ist verräterisch und so kommt Vlad, der Freund von Wanda, ziemlich rasch auf den Aufenthaltsort seiner vermissten Freundin und macht sich auf den Weg, um sie wieder zu sich zurück zu holen.

 

Hier präsentiert Manara eine erotische Komödie über das Thema Voyeurismus in den Zeiten des Internets, die sich zu einem überaus drastischen Höhepunkt entwickelt, den Leser am Schluss jedoch mit einem verblüffenden Ende und etlichen nackten Hintern konfrontiert. Gänzlich in Schwarz-Weiß gehalten zeigt sich hier wieder einmal der sichere Strich von Manara, der Frauen in ihrer ganzen Schönheit darzustellen weiß. Dass sich ironischerweise aus den ersten Buchstaben der drei Akteurinnen ausgerechnet die Abkürzung www ergibt, sei hier nur am Rande erwähnt.

 

Schreibstil & Artwork:

Milo (eigentlich: Maurilio) Manara wurde am 12.09.1945 in Lüsen, einem Ort nahe Bozen in Südtirol, geboren und gehört heute unumstritten zu den weltweit renommiertesten Comic-Künstlern.

 

Als Zeichner für Comics trat Manara erst in den späten 60er Jahren in Erscheinung. Mit regelmäßigen Zeichnungen für zwei in Italien sehr populäre, zum Teil pornografische Comicmagazine des Genres „fumetti neri“ (ital.; zu Deutsch „schwarze Comics“), finanzierte er zwischen 1968 und 1971 sein Architekturstudium an der Universität in Venedig. Sein Erstlingswerk „Genius“ aus dem Jahr 1969 ist der erste Schritt in eine außergewöhnliche Comic-Karriere. Zwischen 1971 und 1973 zeichnete er die billig produzierte erotische Piratenstory „Jolanda de Almaviva“ und fertigte etliche Comicstrips für die italienischen Magazine „Telerompo“ und „Corriere dei Ragazzi“.

 

Der Durchbruch gelang Manara 1978 mit seiner Comicadaption des chinesischen Literaturklassikers „Der Affenkönig“, dem in der Zeit von 1978 bis 1987 die nach den Vorlagen von Hugo Pratt und Federico Fellini geschaffene Reihe um die Figur des Giuseppe Bergmann folgte. Sein besonderes Faible für Erotik (gemischt mit gediegenem Humor) führte Manara 1983 in der Reihe „Click!“ fort. Weitere internationale Erfolge stellten sich allerdings auch ein – so erschienen beispielsweise „Mann aus Papier“, „Der Schneemensch“, „Candid Camera“ oder aber Ende der 90er Jahre „Kamasutra“. Zu den Höhepunkten seines Schaffens im Bereich des anspruchsvollen erotischen Comics dürften zweifelsohne „Außer Kontrolle“ („Il gioco“), veröffentlicht 1983, und „Der Duft des Unsichtbaren“ („Il profumo dell'invisibile“) gehören.

 

In den 80er-Jahren begann Manara damit, verstärkt mit anderen großen Künstlern wie Hugo Pratt, Federico Fellini oder aber auch Luc Besson zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Pratt schuf er die beiden Bände „Ein indianischer Sommer“ und „El Gaucho“, mit Fellini entstanden „Die Reise nach Tulum“ und „Die Reise des G. Mastorna“. Doch Manara zeigt sich auch in anderen Genres recht umtriebig. So schuf er mit dem französischen Regisseur Luc Besson zwei Werbespots für die Parfum-Marke „Chanel No. 5“, arbeitete an der Visualisierung verschiedener Spots für Autofirmen mit oder schuf CD-Cover für diverse Interpreten.

 

Doch seine Leidenschaft für das Medium Comic ist ungebrochen. Zu seinen letzten Arbeiten gehört die gemeinsam mit dem Szenaristen Alexandro Jodorowsky entstandene historische Comic-Reihe „Die Borgia“, die zwischen 2006 und 2010 auf Deutsch bei „Kult Editionen“ erschien und der Band „X-Men – Frauen auf der Flucht“, den er mit Chris Claremont, dem wichtigsten und einflussreichsten Autor in der Geschichte von Marvels X-Men, schuf.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Insgesamt 196 Seiten als gebundene Hardcoverausgabe mit edlem Schutzumschlag und gediegenem Papier machen diesen Band der Manara-Werkausgabe nicht nur äußerlich zu einem Schmuckstück. Unter dem Schutzumschlag verbirgt sich ein gänzlich in einem geschmackvollen Rotton gestalteter Hochglanzeinband, den auf der Vorder- und Rückseite jeweils eine leicht bekleidete Frau „schmückt“, wie man sie aus dem opulenten Schaffenswerk von Manara kennt.

 

In Sachen Ausstattung gibt es als Extra ein sehr lesenswertes Vorwort, welches sich intensiv mit den Hintergründen zur Entstehung von „Kamasutra“, „Gullivera“ und „Drei Mädchen im Netz“ beschäftigt und einige zusätzliche Zeichnungen bietet. Zudem gibt es ein weiteres Manara Portfolio: Bilder aus „Die Kunst, den Hintern zu versohlen“, die als Illustrationen für den Band „L´art de la fessée“ von Jean-Pierre Enard stammen und in einem limitierten Portfolio 1990 im Grifo Verlag erschienen.

 

Fazit:

Vor die Aufgabe gestellt, neue Geschichten zu Papier zu bringen, hat Manara sich nicht gescheut, einige seiner geliebten Klassiker der Weltliteratur sowohl als Zeichnungen denn auch als neu interpretierten Text zu Papier zu bringen. Doch alleine mit seinem scheinbar schier unbändigen Verlangen, schöne Frauen darzustellen, ist es nicht getan. Was Manara hier mit einem Augenzwinkern bei „Gulivera“ gelingt, ist hervorragende Unterhaltung oder aber auch eine überaus sinnliche Geschichte aus dem schier unerschöpflichen Stoff des „Kamasutra“ zu machen, bei der es um mehr als nur Sex geht. Etwas moderner hingegen dürfte die Lektüre von „Drei Mädchen im Netz“ sein, die noch in den Gründerjahren des Internets entstanden ist. Hier gibt es eine Mischung aus Komödie und Erotik, die zwar mittlerweile etwas antiquiert erscheint, aber von dem durchweg hohen Niveau des Altmeisters zeugt.

 

Es sind sicherlich nicht die stärksten Momente seines Schaffens in diesem Band versammelt, doch bieten sie dem interessierten Leser einen weiteren Blick auf die zahlreichen Facetten von Manara, der sich augenzwinkernd sowohl klassischen als auch modernen Themen annimmt und mit italienischer Leichtigkeit serviert.