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Forgotten Realms: Neverwinter Campaign Setting
Bewertung:
(4.0)
Von: Jan Wysocki
Alias: Grashüpfer
Am: 15.10.2011
Autor:Matt Sernett, Ari Marmell, Erik Scott de Bie
Typ:Kampagnensetting
Setting:Forgotten Realms
VerlagWizards of the Coast
ISBN/ASIN:978-0-7869-5814-6
Inhalt:223 Seiten, Hardcover
Sprache:Englisch

Mit dem Neverwinter Campaign Guide kommen drei Autoren zusammen, die schon einige Erfahrungen in der 4E sammeln konnten. Matthew Sernett hat zusammen mit Ari Marmell und Erik de Bie an dem sehr guten Band „Secrets of the Astral Sea“ gearbeitet. Auch „The Plane Below“ wurde u.A. von Sernett und Marmell betreut, während de Bies letztes D&D-Projekt, neben einem seiner Forgotten Realms-Romane, die Shadowfell-Box gewesen ist. Auch für die Tomb of Horrors-Neuauflage zeichnete sich Marmell verantwortlich. Sernett war auch eine Zeit lang Chief-Editor des Dragon-Magazine.

Aber auch auf dem Terrain der Forgotten Realms bewegen sich die drei intuitiv und bringen mit dem vorliegenden Buch einen atmosphärischen, gut zu lesenden und vor allem spieltechnisch bestens einzusetzenden Kampagnenband hervor.

 

Der Detailreichtum der FR während der 3E war wahrlich groß und umso mehr war es die Enttäuschung der (übrig gebliebenen) FR-Fans, als bekannt wurde, dass das Setting in der 4E keine Regionalbände bekommen würde, die verschiedene Facetten der Welt ausleuchten würden, wie es in der vorigen Edition üblich war. Das Grummeln hielt im Hintergrund lange an, bis doch noch ein Band zur bekannten FR-Stadt Neverwinter angekündigt wurde. Erste Skepsis machte sich breit, aber jetzt ist es da und es wird Zeit, dem Machwerk auf den Zahn zu fühlen, ob es sich hierbei nur um ein paar schlecht zusammengeschusterte Regionalbeschreibungen mit einer Menge an Monster-Statistiken handelt, oder ob die Autoren es hinbekommen, ein neues, mitreißendes Neverwinter zu erschaffen, das der eigenen Rollenspielrunde erinnerungswürdige Momente bescheren kann.

 

Inhalt

Die 223 vollfarbigen Seiten sind in einem Hardcover gewohnt guter Qualität gebunden, dessen Illustration gleich die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich lenkt. Das Wasser-Motiv mit den Ruinen des Schlosses Never und der Stadt wird von einem großen, schwarzen Dracolich dominiert – dynamisch, spannend und macht Freude auf mehr.

Die Innenillustrationen sind eher rar gesät, dafür von guter Qualität ohne besondere Ausreißer ins Negative, was man bei den letzten WotC-Proukten schon sehen konnte. Besonders die großen, doppelseitigen Illustrationen vermitteln eine dichte Stimmung. Die sonstigen Artworks geben dem Leser einen gewissen Anhaltspunkt in welche atmosphärische Richtung sich das Setting bewegen könnte und können eher als erste Inspiration genommen werden und nicht unbedingt als punktgenaue Beschreibungen der verschiedenen Personen und Orte, die das Buch aufbietet.

 

Das erste Kapitel führt den Leser in das neue Neverwinter nach der Spellplague ein. Dazu werden einige Besonderheiten einer Neverwinter-Kampagne vorgestellt, die dem DM Anhaltspunkte bieten sollen, wie der generelle Modus lauten sollte. Diesen Punkten nach spielt eine solche Kampagne im Heroic Tier, bietet viele Intrigen und politische Plots und lässt die SCs in eine unwirtliche, raue Gegend kommen. Nach einer leider viel zu kurzen Zeitleiste der verschiedenen Konflikte der Region, werden bestimmte Punkte und Landmarks kurz betrachtet. Dazu gehören der Neverwinter Wood, die abgestürzte Netherese-Festung Xinlenal und das berühmte zwergische Gauntlgrym, sowie Luskan und Waterdeep. Schon jetzt fällt ein gewisses Thema des Buches auf, das oftmals in kleinen Extrakästen auf den Seiten behandelt wird: die generelle Freiheit des DMs. Es wird darauf hingewiesen, dass die Informationen ein Grundgerüst bieten sollen, das der DM dann füllen kann und sollte. Dazu möchte das Buch eine Inspirationsquelle sein und den DM zum Ausmodellieren anspornen – immer nach dem Leitspruch: „It’s your Neverwinter!“ Das ist natürlich für einige Leser ein zweischneidiges Schwert, das ich persönlich eher als Positivmerkmal ansehe. Auch den direkten Umgang mit dem Thema der Eigenkreativität finde ich hilfreich, da fast alle Informationen darauf ausgelegt sind, einen kreativen Funken zu zünden, der dann vom DM weiter ausgearbeitet werden kann. Zu diesem Thema werde ich später mehr sagen.

 

Das zweite Kapitel bietet Charakteroptionen, die über bloße Charakterklassen hinausgehen. Statt auf fesche neue Powers und Boni wird das Hauptaugenmerk auf eine Hintergrundgeschichte gelegt, die sich die Spieler aneignen können. So kann ein SC mit dem Theme eines Neverwinter Noble sich auf die Suche nach seinem Familienursprung machen und vielleicht Anspruch auf den Thron von Neverwinter erheben. Ein Harper Agent steckt mit der gleichnamigen Organisation unter einer Decke, die verhindern möchte, dass ein neuer, autokratischer Herrscher in Neverwinter an die Macht kommt – wohingegen der Renegade Red Wizard auf der Flucht ist vor seinen Ex-Verbündeten, den Roten Magiern von Thay und in Neverwinter eine neue Existenz aufbauen möchte. Insgesamt dreizehn dieser Themes werden aufgeführt. Die Autoren bieten durch diese Themes eine Basis für Hintergrundgeschichten und damit für das Ausspielen der Charakterrolle. Das alles wird auf eine einfache Weise präsentiert, ohne zu viele, vielleicht auch unter Umständen unnötige Informationen zu geben. Ich glaube, dass hier ein wirklich guter Mittelweg gefunden wurde, Spieler anzuleiten und anzuspornen sich mit einer guten Portion an Basisinfos an seinen Charakter heranzutasten und sich selbst in die Geschichte einzubringen.

Die nächsten Seiten zeigen zusätzliche Rassenvarianten für Elfen und Zwerge auf, bieten neue Priesterdomänen für einen Essential-Warpriest und auch eine neue Klasse, der Bladesinger, ist vertreten.

 

Fünf größere Fraktionen und zwölf kleinere werden im nächsten Kapitel vorgestellt. Jede Fraktion hat Absichten und Ziele, die für den DM übersichtlich vorgestellt und mit kleinen Details angereichert werden. Auch die Beziehungen der einzelnen Machtgruppen unter einander werden präsentiert, was ich als besonders gut für eine politisch-intrigenhafte Kampagne empfinde. Thay kämpft einen stillen Krieg mit dem wiedererstandenen Netheril, Lord Neverember aus Waterdeep möchte die Bevölkerung Neverwinters auf seine Seite ziehen und sich zum Herrscher ausrufen lassen, während die Aboleths still im Underdark werkeln, um hypnotisierte Agenten an die Oberfläche zu schleusen. Die Fraktionen sind lebendig dargestellt und besitzen viele Eigenheiten, könnten aber natürlich noch viel länger beschrieben werden. Jede der größeren Gruppen bekommt etwa vier Seiten – die kleineren leider jeweils nur etwa eine. Da wäre, finde ich, mehr angebracht gewesen, auch wenn das Thema des Buchs ja Eigenständigkeit und –kreativität des DMs ist. Bestimmt hätten die Autoren genug Material gehabt, um die Fraktionen weiter auszuführen. Ich kann aber sagen, dass in dem Rahmen eine sehr gute Arbeit geleistet worden ist.

 

Mit dem vierten Kapitel werden die einzelnen Stadtteile und umliegenden Gebiete näher beleuchtet. Besonders gefallen haben mir die Abschnitte zum Schloss Never und seinen Räumen und der dort herrschenden Stimmung aus Einsamkeit, Stille und einer ständigen Bedrohung. Auch örtliche Schenken werden mit kleinen Besonderheiten aufgefrischt. Dazu gehören Beschreibungen von Wirten, die oft auch in die Machtstrukturen der Stadt auf die eine oder andere Weise eingebettet sind und ihre Eigenheiten und bestimmten Charakterzüge haben. Dadurch wird noch einmal mehr deutlich, wie die verschiedenen Fraktionen der Stadt sich gegenseitig ausspielen und was für eine Wirkung sie auf die Bevölkerung haben. Auch fantastische Schauplätze bieten klassische Abenteuerideen – ein dunkler, über der Stadt schwebender Turm, der Schatten frisst, oder die Kluft, die bei der letzten Naturkatastrophe ein ganzes Viertel der Stadt mit sich gerissen hat und aus der Alpträume entweichen, die die Bevölkerung halb wahnsinnig machen. Helms Hold, ein Sanatorium für die von der Spellplague Heimgesuchten, könnte auch ein Ausflugsziel für die Charaktere werden, die dort selbst nach Heilung von der Spellplague suchen und dabei auf allerlei Seltsames und Erschreckendes stoßen.

All das ist sehr gut mit den politischen Intrigen zu verbinden. Stoff für eine Menge Abenteuerrunden sollte damit also vorhanden sein.

 

Fazit

Für das ganze Buch gilt: Mehr wäre noch besser gewesen. Die hervorragende Qualität der Beschreibungen und die vielen guten Ideen der Autoren machen Lust auf mehr. Leider ist das Buch eben nicht dicker und die Infos sind begrenzt. Wer DSA-typisch jeden einzelnen NSC bis ins kleinste Detail ausgearbeitet haben möchte und wer den kompletten Stammbaum der Herrscherfamilien in Neverwinter vorfinden möchte, wird enttäuscht sein. In dem Band geht es um Basisinformationen und interessante Plothooks, die der DM weiterspinnen darf. Und genau das ist das reizvollste an dem Setting. Es wird explizit als das Setting des DMs und der Gruppe vorgestellt und ihm mit den besten Wünschen und Tipps überreicht, damit es etwas ganz Eigenes werden kann – etwas, das eben auch ganz für die eigene Gruppe da ist. Denn davon hat D&D schon immer gelebt: Kreativität, Inspiration und die Möglichkeit, am Tisch zusammenzusitzen und etwas gemeinsam zu erschaffen. Diesen Job erledigt das Setting tadellos und bekommt von mir eine klare Empfehlung für jeden, der sich für Stadtabenteuer begeistern kann und aus vielen Ideen eine eigene Geschichte erschaffen möchte.