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Rolemaster - Handbuch für den Spielleiter
Bewertung:
(3.8)
Von: Stefan Koller
Alias: Windjammer
Am: 30.12.2011
Autor:John W. Curtis III, Pete Fenlon, Jason O. Hawkins, Steve Martin
Übersetzer:Bernd Blecha u.a.
Typ:Regelerweiterung
System:Rolemaster Classic
Verlag13Mann Verlag
ISBN/ASIN:978-3-941420-98-2
Inhalt:Gebundenes Buch, 252 Seiten
Preis:39,95 EUR
Sprache:Deutsch

Produktaufmachung

Vor uns liegt ein gebundenes, überdimensionales (über A4) und durchgängig farbiges Buch von 252 Seiten. Papierqualität ist, wie bei 13Mann gewohnt, enorm, Druck ebenso. Wie schon beim unmittelbar vorher erschienenen Monsterhandbuch hebt sich die Illlustrierung von der Parillo-Monotonität früherer 13Mann-Rolemaster-Bücher angenehm ab, und wir finden im Inneren eine Vielfalt an Illustrationsstilen, denen es dennoch gelingt, ein stimmiges Gesamtbild zu vermitteln. Am Titelbild prangt ein Motiv, das ungefähr an das Cover der alten MERS-Box erinnert – eine Gruppe Abenteurer wird in einem Gewölbe (damals: Moria) von Monstern angegriffen, und das auf engsten Raum. Erst beim zweiten Blick sieht man, dass die engen Wände hinter den Abenteurern gar nicht aus Mauerwerk bestehen, sondern Buchseiten. Damit legt das Motiv fest, womit wir es zu tun haben, einem Buch für Spielleiter, jene Personen, die den Übergang vom Buch und (Eigen)text zum Abenteuer zu bewerkstelligen haben. (Man vergleiche einen ähnlichen grafischen Kniff im unlängst erschienenen „Wege des Meisters“-Titelbild für DSA 4.1: dort sah man, dass die angreifenden Orks marionetten-gleich von einer kaum sichtbaren Hand aus dem Himmel gelenkt wurden.) Die Innenseiten, vorne und hinten, bestehen aus hochwertigem Glanzpapier in dunklem Rot – fast wie Geschenkspapier – und passen sehr schön in die Vorweihnachtszeit. Einziger Wehrmutstropfen bei der ansonsten anstandslosen Aufmachung ist die Buchbindung. Diese war beim vorliegenden Rezensionsexemplar nicht ausreichend geleimt, der Engländer spricht hier von einer ‚broken spine‘, einem Buchrücken, der das Buch nicht mehr länger trägt. Angesichts des hohen Preises (40 Euro) und der Tatsache, dass dies ein Manko ist, dass in letzter Zeit bei 13Mann immer häufiger auffällt (zuletzt beim Ausrüstungskatalog für Traveller), stößt das doppelt bitter auf. Ich erwähne aber auch gleich, dass der Verlag bei Rückfragen immer äußerst kulant reagiert hat, wenn diese Kulanz dann auch 2-3 Wochen in Anspruch nimmt, bis man ein akzeptables Exemplar in Händen hält. Damit zum Inhalt.

 

Inhalt

Das Buch gliedert sich in 19 Kapitel und zwei Anhänge. Die Kapitel werden in sog. ‚weiche‘ und ‚harte‘ Faktoren eingeteilt. Die erste Hälfte des Buches, Kapitel 1 bis 8, beschäftigen sich mit dem Sozialgefüge rund um das Rollenspiel von der Gruppenzusammenstellung bis zum Ablauf einer Spielsitzung, und gehen auf das freie Gestalten von Abenteuer und Kampagnen ein. Hier wird regelrelevantes und spielmechanisches nur im Vorbeigehen gestreift. Deshalb die Betitelung dieser Rubrik als ‚weiche Faktoren‘. Anders dann ab Kapitel 9, das sich mit ‚harten Faktoren‘ beschäftigt, dem Regelteil des Rolemaster-Systems, auf das der Spielleiter zurückgreifen kann, um seine Kampagnen auszugestalten. Die Betonung liegt von Anfang an hier auf kann, nicht muss: das absolute Minimum an Regeln, das ein RM-Spielleiter zum Leiten braucht, ist bereits im Grundregelwerk abgebildet. Hier hingegen findet man Material, um über die Basis hinauszugelangen, und das Spiel mit einer Fülle an Optionen anzureichern. Der beste Vergleich für D&D-Veteranen liegt mit „Unearthed Arcana“ vor (1. und 3. Edition), und ähnlich wie dort finden wir auch hier gleich eingangs (S. 5) den Ratschlag, das folgende Buch keinesfalls zur Gänze, und schon gar nicht ungeprüft, in die eigene Kampagne einfließen zu lassen. Vielmehr geht es darum, gewissenhaft auszusuchen und einzelne Optionen, die für sich natürlich als „sehr sinnvoll und gut spielbar“ angepriesen werden, gegeben falls zu verwerfen, falls diese für den heimischen Spieltisch nicht passend sind. Etwas später im Buch wird auch der Begriff der Granularität berührt (wenngleich nicht unter diesem Namen), d.h. die Entscheidung, mit wie vielen und in die Tiefe gehenden Regeln man überhaupt spielen will. So gibt es Regeln für das Wetter, aber abgesehen von der Entscheidung, ob Niederschlagsregeln gerade für eine Sitzung relevant sind oder nicht (wenn die SC sich gerade in der Wüste befinden), steht die Entscheidung an, wie detailliert man solche Dinge vorab über Regeln abbilden möchte. Hier findet sich dann im Buch der Tipp dass gerade gute Spielleiter, die ihr gewähltes System erst mal verstanden haben und ein gutes Gefühl für das Regelgefüge entwickelt haben, solche Dinge auch spontan d.h. ohne direkten Rückgriff auf Vorhandenes abwickeln können.

 

Ich erwähne das, um darzustellen, wie geschickt und diplomatisch sich das Material im vorliegenden Band präsentiert. Natürlich gibt es, Rolemaster-typisch, Tabellen ohne Ende für jede erdenkliche Situation. Aber abermals wird betont (und damit dem größten aller Vorurteile des Systems begegnet), dass das Rolemaster-Spielerlebnis nicht aus der Gesamtheit der Tabellen, sondern aus einer gewissenhaften Auswahl aus selbigen erwächst.

Gut, damit näher zum Material. Ich fasse mich hier relativ kurz, was die erste Hälfte betrifft, da ich vom Gros der Leser erwarte, mit D&D-entsprechendem Material vertraut zu sein, und betone lieber die Unterschiede. Also, Kapitel 1-8, die, wir erinnern uns, die ‚weichen Faktoren‘ behandeln, besprechen zum einen die Dinge, die ein Spielleiter als Mensch und Sozialwesen im Umgang mit seinen Spielern bedenken sollte. Hier finden wir, ähnlich wie im Spielleiterhandbuch zur 4. Edition oder (davor) in ‚Dungeon Mastering for Dummies‘ oder dem ‚DMG II‘ für D&D 3.5, eine Kategorisierung von Spielernaturen je nach Vorlieben und Interessen. Beschrieben wird, wie man diese Interessen am Spieltisch integriert. Im Ganzen nichts neues, aber im Detail oft ernster und reifer, als die Diskussion im D&D-Material. Behandelt wird, wie man mit Regeln umgeht, den Spielern diese vermittelt, aber auch wie man Tisch- und Würfeletiquette wählt (worauf man achten sollte) und diese dann am verständlichsten umsetzt. Wie so oft erübrigt sich solche Lektüre für Spielleiter mit gesunden Menschenverstand; da letzterer aber nun mal ungerecht verteilt ist, sollte es reichlich Zielpublikum für dieses Material geben, gerade auch unter den Rollenspielern, insbesondere jüngeren Spielleiter-Anfängern. Wohltuend auch ein Abriss zu den vielfältigen Umgebungen, in denen Rollenspiel stattfindet: abseits vom heimischen Spieltisch gibt es ja auch noch Conventions, das Spielen in Online-Runden, und ähnliches. Hier werden Vor- und Nachteile ungeschönt beim Namen genannt.

 

Weiter wird der Aufbau eines Abenteuers und einer Kampagne besprochen. Abermals findet man hier wenig neues, was der D&D-versierte Leser nicht bereits aus Vergleichbaren kennt. Mir fiel vor allem immer wieder das Spielleiterhandbuch zur 3. Edition ein, das hier oft mehr in die Länge, aber nicht in die Tiefe als das Rolemasterbuch geht. Nur zwei Beispiele. Beim Abenteuer- und Kampagnenaufbau merkt man Rolemaster ganz stark an, dass ‚Die Begegnung‘ nicht annähernd so ein zentraler Baustein ist wie bei D&D. Der grobe Fluss des Gesamterlebnisses, das sich über mehrere Spielabende hinweg zieht, steht hier im Vordergrund, und da steht es der Gruppe oft frei, einzelne Konfliktelemente über wenige Würfelwürfe zu bewältigen, als in groß vorbereiteten Einzelszenen (‚set pieces‘). Selbiges war übrigens auch schon an den für das deutsche Rolemaster erschienen Kaufabenteuer abzulesen, die unter diesem Gesichtspunkt dem geneigten Leser empfohlen seien. Ein weiterer Punkt ist die Ausgestaltung der Nichtspielercharaktere. Hier wirkt D&D, spätestens seit der 4. Edition, im Vergleich sehr oberflächig und hastig. Das vorliegende Buch hingegen geht in die Tiefe, und es fällt abermals angenehm auf, dass vieles, was hier behandelt wird, sich ohne Bedarf auf Rückgriff zu spielmechanischen Elementen bewegt. Zur Motivation einzelner NSCs, und wie man diese aufstellt und weiterentwickelt, findet man hier seitenlange Diskussionen, die – in dieser Rubrik – zum Besten gehören, was ich je in einem Rollenspielprodukt gelesen habe. Wer die Möglichkeit hat, in einem Rollenspielladen in diesem Buch zu stöbern, sollte sich Seite 38 bis 42 vormerken.

 

In Teil 2, also ab Kapitel 9, geht es dann um die ‚harten‘, regelrelevanten Informationen für Spielleiter. Nach einer groben Skizzierung der Grundelemente geht es ins Detail. Regeln für Unsichtbarkeit und Illusion, für Krankheiten und Gifte, Klima und Wetter, Pflanzen und Vegetation, geo- und topographische Eigenheiten der Spielwelt und vieles, vieles mehr findet man auf diesen gut 90 Seiten. Ein eingehender Balance-Test des Materials auf Herz und Nieren war mir aufgrund momentaner Faktoren nicht möglich (keine meiner drei aktiven Rollenspielkampagnen spielt momentan Rolemaster), aber aus langjähriger Erfahrung mit dem System erlaube ich mir zumindest das Urteil, das das präsentierte Material solide wirkt, und anscheinend (zumindest im englischen Original) hier in überarbeiteter Version vorliegt. Hilfreich sind sicher auch die vielen Tipps zum Erstellen eigener Regelbereiche, wie eigener Kulturen und Spielervölker, Religionen für die eigene Kampagnenwelt und vieles mehr. Auch die Abwicklung von Ereignissen in einer Spielwelt überhaupt, von der taktischen bis zur strategischen Ebene, wird hier intelligenter diskutiert, als ich sie von Rollenspielautoren gewohnt bin. Abgerundet wird das Buch durch ein Sammelsurium an Einzeltipps, die sich inhaltlich schlecht in das Vorherige integrieren ließen. Hier findet man dann wirklich skurriles, wie Regeln zu Schiffbrüchen oder die Verlässlichkeit von Reittieren (letzteres aus dem ganz alten D&D bekannt). Selten war mir Rolemaster sympathischer, zeigt es doch abermals seine Eigenwilligkeit, und den Mut, sich von sicheren Pfaden abzuwenden, sich vom Fantasy-RPG-Einheitsbrei abzuheben.

 

Bewertung der Neuauflage und Übersetzung

Nach dem ganzen Lob für das Buch nun zu den Kritikpunkten. Negativ fallen in erster Linie zwei Dinge auf, die mit der Neuauflage des Buches durch 13Mann zu tun haben.

Zum einen wäre da die Tatsache, dass wir es mit einem Buch zu tun haben, das im englischen Original 1999 erschienen ist. Das war vor 12 Jahren. Während es einer der größten Pluspunkte des Produktes im Jahre 2012 ist, herrlich unzeitgemäß zu sein (etwa meilenweit weg von der ‚Begegnung über alles‘-Mentalität), hätte sich der Verlag zumindest ein bisschen mehr Mühe geben können, einzelne Rubriken auf den aktuellen Stand zu bringen. Stellvertretend für anderes sei hier die Rubrik ‚Spielen im Internet‘ erwähnt, wo wir erfahren, dass das Internet ein etwas langsames Medium ist, wo man frühestens in 24-48 Stunden eine Antwort auf eine Email erwarten kann, und wo man aufpassen sollte, dass enorme Kosten entstehen, wenn man sich zu oft einwählt. Ich wage mal die Behauptung, dass nicht mal alle Leser noch den Klang eines sich einwählenden Modems im Ohr haben. Abgesehen von der unfreiwillig humoristischen Note sind solche Rubriken im vorliegenden Buch nur peinlich, und hätten vom Lektorat abgefangen werden sollen – gerade dort, wo sich, wie hier im Spiel von Online-Runden, viel seit 1999 getan hat. Selbiges gilt für den Konvertierungsleitfaden im Buch (Kapitel 14), den das deutsche Verlagsteam weit besser auf die Laurin-Edition und somit für ein deutsches Rolemaster-Publikum angleichen hätte können. Hier gibt es weit besseres, ausführlicheres, und aktuelleres Material in deutschen RPG-Foren zu finden.

 

Der andere Minuspunkt betrifft die Sprache der Übersetzung. Wie schon beim Monsterhandbuch fällt mir auf, dass sich der Verlag – endlich! – von den grotesken Schnitzern entfernt hat, die die ersten drei Rolemaster-Grundbücher befallen hatte. Im Großen und Ganzen gibt es nicht mehr in jedem zweiten Satz einen völlig unverständlichen Satzbau, oder Eigenschöpfungen an Wörtern, wenn dem Übersetzer gerade mal nichts einfiel, er aber zu faul war, in einem Wörterbuch nachzuschlagen. Die Übersetzung hier liest sich größtenteils angenehm und flüssig, aber wie beim Monsterhandbuch fällt die fehlende Hand eines Hauptherausgebers auf: zu unterschiedlich sind die sprachlichen Stile und Übersetzerkompetenzen der Leute im Team um Bernd Blecha. Man bekommt ein Kaleidoskop an Stilen und Stilblüten. Stellvertretend seien hier ein paar Dinge genannt, die mir auf den ersten 8 (!) Seiten aufgefallen sind. Wir finden Schlampigkeitsfehler und Textauslassungen wie fehlende Zwischenüberschriften („TEIL I: Weiche Faktoren“ auf S. 2 und S. 6). Dann finden wir Freiheiten in der Übersetzung, wie die schon oft erwähnte Unterscheidung von ‚weichen‘ und ‚harten‘ Faktoren, die im Englischen „in/tangibles“ heißen: die Unterscheidung von (unmittelbar) greifbaren Faktoren von nicht greifbaren Faktoren. Wiederum anderswo ist es gerade diese Freiheit in der Übersetzung, die dem Buch dazu verhilft, verständlicher zu werden. So wird (S. 5) das englische „While you may have seen the need to keep power levels under control, for instance,” so wiedergegeben: “Aber auch wenn beispielsweise der Spielleiter erkannt hat, dass er hochstufige Charaktere besonders konsequent führen muss,…“. Weiter lobenswert ist es, dass unnötige Passagen wie zur Entstehungsgeschichte des Buches (S. 4 im Original, oder zum Werdegang der Autoren, S. 5) ausgelassen wurden. Nicht so verständlich war mir, warum man das Glossar auf S. 6 ausgelassen hat, eine wertvolle Nachschlagehilfe, zumal dem Buch ein Index fehlt. Anglizismen findet man wiederholt, so wird (S.7) „zodiac“ mit „Zodiak“ übersetzt, wo „Tierkreis“ verständlicher gewesen wäre (‚Der Tierkreis an Spielertypen‘), oder später wo „climax“ tatsächlich mit „Klimax“ und nicht ‚(Handlungs-)Höhepunkt‘ wiedergegeben wird. Auf Seite 10 (und nicht nur dort) wechselt man etwas holprig von vertrauter zu formaler Umgangsform, „Merke: Ohne zufriedene Spieler bleibt Ihr Spiel ein Tagtraum!“. Gerade dieser Satz war aufgrund von Wortauslassungen des Origianls nicht nachvollziehbar. Gemeint war: „Without happy players participating in it, your game is just a daydream.”, also: “Ohne glückliche Spieler, die an Ihrer Kampagne teilhaben, bleibt diese lediglich ein Wunschtraum.” Und ähnlich geht es auf den nächsten 240 Seiten weiter – im Großen und Ganzen gut, gelegentlich sogar gelungen, aber eben holprig.

 

Fazit

Das Handbuch für Spielleiter ist gewiss nicht der wichtigste unter den fünf Regelbändern für Rolemaster. Selbst Spielleitern würde ich persönlich zuerst das hervorragende Monsterhandbuch nahelegen, da im vorliegenden Buch eher Optionales als Essenzielles behandelt wird. Nichts destotrotz ist das Buch auf weiten Strecken äußerst gelungen, und stellt ein Arsenal an Material dar, mit dem man Eigenkampagnen für viele Jahre bereichern kann, und das auf verschiedenste Weise. Langzeitspieler finden hier etwa endlich die Regeln für die Kräutersuche, auf die man bisher (vergebens) in früheren Regelwerken verwiesen wurde. Auch sonst winkt allerlei Kurioses im Detail, und Rolemaster wird abermals seinem Ruf gerecht, für jede Situation die passende Tabelle oder zumindest Regelung parat zu haben. Aber auch in anderen Bereichen glänzt das Buch, und zeichnet sich durch sensiblen Umgang mit dem sozialen Umfeld „Spieltisch“ aus. Gerade jüngeren oder unerfahrenen Spielleitern sei der Band wärmstens empfohlen, zumal er sich wiederholt positiv von Konkurrenten anderer Systeme abhebt. Auch Veteranen dürfte der Band mitunter positiv überraschen, Rubriken wie die zur Ausgestaltung der Motive von NSCs können sich sehen lassen. Abstriche gibt es lediglich für die schlechte Bindung des Buches sowie die stellenweise holprige Übersetzung.