Russland am Ende des 19. Jahrhunderts: Zar Alexander III. entscheidet sich auf Anraten seines Verkehrsministers für die Durchführung eines gewaltigen Projekts - den Bau der „Transsibirischen Eisenbahn“! Um sein Reich in die Moderne zu führen, sollen aber auch andere wichtige Routen errichtet werden. Die Industrialisierung ist nicht mehr aufzuhalten...
In „Russian Railroads“ verkörpern die Spieler Eisenbahnmogule, die in einem spannenden Wettstreit um das größte und fortschrittlichste Streckennetz konkurrieren, welches nicht nur die Transsibirische Eisenbahn sondern auch zwei andere wichtige Strecken umfasst. Dabei gilt es, seine Arbeiter in jeder Situation am sinnvollsten einzusetzen, denn mit einfachen Gleisen erreicht man zwar schnell wichtige Orte, doch erst die Modernisierung des Streckennetzes bringt die Maschinerie erst richtig in Fahrt. Neue Loks legen größere Entfernungen zurück, weitere Arbeiter und Ingenieure treiben den Fortschritt und Fabriken die Industrialisierung voran. Es gibt viele Möglichkeiten, die Weichen für den Sieg zu stellen. Doch wer gibt am meisten Dampf und wer bleibt auf der Strecke?
Das Brettspiel „Russian Railroads“ ist für 2 - 4 Spieler ausgelegt, wobei das „normale“ Spiel für vier Spieler konzipiert ist und es Sonderregeln für die Spielvarianten mit zwei bzw. 3 Spielern gibt. Die Spieldauer für ein komplettes Spiel wird vom Verlag für eine Partie mit vier Spielern mit ungefähr 120 Minuten angegeben, die durchaus realistisch ist und am Anfang vielleicht auch um einiges länger dauern kann. Die Altersangabe ist mit „ab 12 Jahre“ für dieses recht komplexe Spiel ebenfalls ziemlich passend angegeben.
Inhalt:Der handliche Karton bietet zunächst einmal eine Fülle an Material, wozu ein doppelseitiger Spielplan (für die unterschiedlichen Spielvarianten) von ca. 20 x 30 cm, vier Spielertableaus, 99 modellierte Holzteile (Arbeiter, Gleise, Zähl- und Industriesteine) in unterschiedlichen Farben und Formen, 135 stabile Karton-Plättchen, 23 Karten in drei Gruppen, vier Übersichtskärtchen (als handliche Schnellübersicht) und eine und eine 24 Seiten umfassendes Heft mit den Spielregeln gehören. Insgesamt ist das Material von durchgehend guter Qualität und auch die optische Gestaltung sowohl des Spielplanes, der Spielertableaus und der Karten lassen keine Wünsche offen und sollten durch das verwendete Material etliche Spielabende problemlos überstehen. Die Illustrationen von Martin Hoffmann und Claus Stephan sind sowohl farblich als auch von den Motiven gelungen und vermitteln eine leicht russische Atmosphäre.
Die einzelnen Spielelemente (insbesondere der Spielplan und die Spielertableaus) wirken auf den ersten Blick ziemlich chaotisch, doch schon sehr bald erschließt sich die zweckmäßige als auch übersichtliche Gestaltung der einzelnen Elemente. Die umfangreiche Spielanleitung sieht ebenfalls nur auf den ersten Blick kompliziert aus, sind doch neben dem Aufbau und der Anordnung der einzelnen Elemente die grundlegenden Mechanismen des Spiels ziemlich gut erklärt und schnell zu verstehen. Ursache hierfür ist die durchdachte Gliederung, die immer wieder mit illustrierten Beispielen zum Aufbau und sich ergebenden unterschiedlichen Spielsituationen aufwarten kann. An die grundlegenden Erklärungen des Spielmechanismus schließen sich noch Ausführungen für die Varianten für zwei und drei Spieler als auch eine Erklärung der Karten und Plättchen an, so dass sich im laufenden Spiel deren Funktionsweise und Bedeutung schnell nachlesen lassen kann.
Der SpielablaufFür die Darstellung des Spielablaufes beschränke ich mich auf eine vereinfachte Darstellung des grundlegenden Mechanismus. Kenner des Spieles mögen mir gewisse Ungenauigkeiten nachsehen, aber bedingt durch die Fülle des Materials (nebst deren Anordnung auf dem Tisch) und den regeltechnischen Möglichkeiten, gilt es hier einen ersten Eindruck zu geben.
Bei einem Spiel mit vier Spielern erhält jeder Spieler zu Beginn seine Grundausstattung, die neben dem Spielertableau aus 5 Arbeiter-Figuren, drei schwarzen Gleisen, einer „Einer“-Lok (Achtung: Loks gibt es mit der Reichweite von 1 bis 9, wobei 9 zugleich die höchste Reichweite ist und aus einer Münze besteht. Das Spiel zu viert läuft dann über 7 Runden. In unter Umständen wechselnder Reihenfolge führen die Spieler nacheinander ihre Züge innerhalb einer Runde aus: Der Spieler, der an der Reihe ist wählt ein Feld auf dem Spielplan, das noch nicht von einem Mitspieler belegt wurde und stellt dazu die geforderte Anzahl an Arbeiterfiguren aus seinem Vorrat auf das entsprechende Aktionsfeld. Danach führt er die Aktion sofort vollständig aus. Dies geht solange reihum, bis alle Spieler gepasst haben, dann folgt eine Wertung und die Runde endet. Ziel des Spieles ist es, durch geschicktes agieren möglichst viele Punkte in jeder Wertungsrunde zu erhalten.
Der Spielplan Zentrales Element für Aktionen ist der Spielplan, der sich in verschiedene Bereiche gliedert: Streckenbau, Lokomotiven und Fabriken, Industrialisierung, Spielerreihenfolge und Ingenieure.
Der Streckenbau mit seinen Aktionen ist einer der wichtigsten Bereiche im Spiel. Jeder Spieler hat auf seinem Tableau 3 Eisenbahnstrecken aufgezeichnet, die er im Spielverlauf ausbauen sollte. Dazu benötigt er die Gleise in den anderen Farben, mit denen ein höherwertiger Ausbau der Strecken dargestellt wird, denn je besser die Strecken ausgebaut sind, umso mehr Punkte bringen sie dem Spieler bei der Wertung.
Grundsätzlich gilt, dass ein Gleis nur soweit gewertet wird, wie es von der Lokomotive befahren werden kann. Also sollten die Spieler bei dem stetigen Ausbau ihrer Gleise auch die Zugweite ihrer Lokomotiven erhöhen, die aus der Auslage mit Arbeitern gekauft werden können und deren Reichweite sich zunehmend erhöht. Allerdings sollte sich die Strecke eines Spielers auch qualitativ weiterentwickeln, um beispielsweise mit den weißen oder beigen Schienen eine höhere Punktzahl bei der Wertung zu erreichen.
Fabriken sind nötig, um die Industrialisierung voranzutreiben. Außerdem bringt die Industrialisierung ebenfalls Punkte und – je nach Plättchen – auch einen gewissen Nutzen für Aktionen oder Zusatzpunkte. Die Fabriken befinden sich auf der Rückseite der Lokomotiven-Plättchen und werden ebenfalls beginnend vom Stapel mit der niedrigsten Zahl im Laufe des Spiels genommen um sie an das eigene Spielertableau anzulegen. Um mit Fabriken seine Industrie auszubauen stellt der Spieler die benötigte Anzahl Arbeiter auf eines der Aktionsfelder für die Industrialisierung, dann rückt er seinen Industriemarker auf seinem Tableau um so viele Schritte nach vorne, wie auf dem Aktionsfeld angegeben sind. Dies setzt allerdings auch Fabriken voraus, die an das Tableau angelegt worden sind und die Lücken zum Voranschreiten schließen.
Im Laufe des Spiels können auch einer oder mehrere Ingenieure durch den Spieler angeworben werden, die neben dem jeweiligen Spielertableau ausgelegt werden und die nur deren Besitzer nutzen kann wie Aktionsfelder auf dem Spielplan. Hieraus ergeben sich natürlich einige sehr interessante Möglichkeiten gegenüber den Konkurrenten.
Das Spielertableau Auf dem jeweiligen Spielertableau befinden sich drei Eisenbahn-Strecken: Transsibirische Eisenbahn, Moskau-Kiew und Moskau-St. Petersburg. Hier gilt es mit den jeweiligen Gleisen seine Strecke auszubauen, Lokomotiven oder Fabriken anzulegen und möglichst viele Punkte zu erreichen. Je nach Reichweite der Lokomotive und Fortschritt des Gleisbaus können besondere Aktionen zusätzliche Punkte oder andere Vorteile für das Spiel bringen. Die Ingenieure werden, wie bereits erwähnt, während des Spiels neben dem Tableau platziert.
Der Mechanismus Was sich nach einem weiteren tristen Workerplacement-Spiel anhört, bei dem es darum geht mit geringen Ressourcen Gleise zu bauen, Lokomotiven aufzuwerten, Fabriken zu kaufen, seine Industrialisierung zu steigern, Geld zu beschaffen oder aber auch die Reihenfolge der Spieler zu beeinflussen, weicht ziemlich schnell der Erkenntnis, es mit einem ziemlich ausgeklügelten Spielmechanismus zu tun zu haben, der zwar dieses Grundprinzip verfolgt, es jedoch so elegant im Zusammenspiel der zahlreichen Elemente verpackt und mit einigen schicken Möglichkeiten garniert, das man es kaum für möglich gehalten hätte. Wer innerhalb einer Runde in der Reihenfolge spät dran sein sollte, kann unter Umständen seine frisch geplanten Aktionen geradewegs wieder vergessen, muss er sich doch mit Aktionsfeldern begnügen, die ihm seine Mitspieler übrig gelassen haben. Der Spielmechanismus selbst kommt dabei fast gänzlich ohne komplizierte Sonderregeln aus und die Symbolik der Karten und Plättchen hat sich innerhalb kürzester Zeit fast von selbst erschlossen (auch wenn man zu Beginn immer wieder einige Details nachschlagen muss).
Die Wertung Am Ende jeder Runde, nachdem alle Spieler gepasst haben und die Spielerreihenfolge für die nächste Runde neu sortiert wurde, gibt es eine Wertung. Für diese Wertung betrachtet jeder Spieler sein Tableau und wertet seine 3 Strecken und seinen Fortschritt bei der Industrialisierung. Dabei gilt für die Strecken, dass grundsätzlich nur Felder gewertet werden können, die von der Zugweite der Lokomotiven erreicht werden. Nach der Wertung werden die Ergebnisse auf dem Zähler am Spielfeldrand abgetragen und die die nächste Runde vorbereitet. Hierzu nehmen die Spieler ihre Arbeiter von den Aktionsfeldern zurück in ihren persönlichen Vorrat und die eingesetzten Münzen werden in den allgemeinen Vorrat zurückgelegt. Nach der Wertung in der 7. Runde findet noch eine kleine Schlusswertung statt. Danach endet das Spiel. Bei der Schlusswertung werden zudem noch die „Spielende-Karten“ und die Mehrheit der Ingenieure abgerechnet.
Fazit:Ich bin eigentlich nicht unbedingt der große Freund von Worker-Placement-Spielen, da diese meistens mit sehr umfangreichen Regeln, einer sehr langen Spieldauer und umfangreichen Diskussionen der Spieler über die anzuwendenden Regeln aufwarten können. Insofern war ich nach anfänglichem Entsetzen über die Fülle des Materials und den Umfang des Regelheftes begeistert, wie einfach strukturiert die Abläufe des Spiels sind und wie viele „taktische“ Möglichkeiten es zugleich bietet. Hier muss man den Autoren Helmut Ohley und Leonhard Orbler auf jeden Fall ein dickes Lob aussprechen. Trotz allem bleibt „Russian Railroads“ ein komplexes Spiel, welches ich nicht unbedingt Gelegenheitsspielern empfehlen kann, da man schon etwas Zeit investieren muss, um sich in die Abläufe und Mechanik des Spieles einzuarbeiten, die sich aber auf jeden Fall lohnt.
Wer gelegentlich mit begeisterten Freunden Lust auf ein gutes Brettspiel mit hohen Wiederspielwert hat, der sollte sich unbedingt mit diesem gut zu verstehenden taktischen Spiel auseinandersetzen, welches seine zahlreichen Möglichkeiten und spieltechnischen Finessen (auf die ich zum Teil überhaupt nicht eingegangen bin) allerdings erst nach und nach Preis gibt. Für mich auf jeden Fall eine absolute Kaufempfehlung für Vielspieler und Familien, die es gerne auch mal etwas „umfangreicher“ mögen und kein Problem damit haben, wenn ein Spiel (mit äußerst nachdenklichen Mitspielern) auch mal mehr als die angegebenen zwei Stunden pro Partie dauern kann.
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