Forgotten RealmsEd Greenwood, Sean Reynolds, Skip Williams & Rob Heinsoo Die Forgotten Realms werden heute vielerorts als die Spielwelt für Dungeons & Dragons bezeichnet. Zwar haben die letzten dreißig Jahre zahlreiche Settings kommen und gehen sehen, jedoch ist es keinem gelungen, eine derartige Popularität zu erlangen. Inspiriert durch die zahlreichen Artikel von Ed Greenwood in verschiedenen Magazinen, beschloß TSR neben den bereits bestehenden Spielwelten, neben Greyhawk eine weitere Kampagnenwelt zu etablieren. Den Forgotten Realms war ein Siegeszug beschieden, der die Erwartungen der Verantwortlichen weit übertraf. Schnell lief das Setting dem Platzherren Greyhawk den Rang ab und auch die romangetriebene Dragonlance-Saga konnte neben den Vergessenen Reichen nicht bestehen. Die später erscheinenden Spielwelten wie Dark Sun oder Birthright, kamen in ihrer Beliebtheit nicht einmal ansatzweise an das Flagschiff von TSR heran. Der Siegeszug der Realms wurde flankiert und verstärkt durch zahllose Romanreihen, von denen einige es sogar in die New York Times Beststeller Listen schafften. Die Saga vom Dunkelelfen, mit ihrer Hauptfigur Drizzt Do'Urden erfreut sich heute einer Leserschaft, die weit über die normale Rollenspielklientel hinaus geht. Es folgten Computerspiele von SSI und später Westwood, die den Realms zu weiterem Ruhm gereichten und die Spielerschar stetig ausweiteten. Während im Zuge des Niederganges von TSR und der Übernahme durch WotC einigen Welten die Unterstützung versagt bleiben sollte, wurden die Forgotten Realms weitergeführt. Langsam begann auch die deutsche Übersetzung von D&D in den Händen von AMIGO Früchte zu tragen, so daß es geboten war, den Spielern ebenfalls eine übersetzte Spielwelt zu bieten. Die Wahl fiel wenig überraschend auf die Vergessenen Reiche, die von da an als offizielle deutsche Kampagne fungierten. Kurze Zeit nach der Ankündigung, daß eine dritte Edition von Dungeons & Dragons das neue Millennium einläuten würde, stellte sich vielerorts die brennende Frage, welche Zukunft die Forgotten Realms erwartet. Vor allem die Ankündigung, daß der kleine Stiefbruder Greyhawk das offizielle Setting der dritten Edition werden sollte, rief die Proteste der Spieler hervor, hatte Greyhawk doch nur einen Bruchteil der aktiven Spieler. Auch die Tatsache, daß der neue Kampagnenband erst beinahe ein Jahr nach den Regelbüchern erscheinen sollte, stimmte die Fangemeinde nicht unbedingt glücklich. Über Monate hinweg wurden die Spieler, deren Meterware an Forgotten Realms-Quellenbüchern mit der neuen Edition deutlich an Wert und vor allem Nutzen verloren hatten, mit kleinen Teasern auf der Website und vor allem im englischen Dragon bei Laune gehalten, bis es Mitte Mai 2001 endlich soweit war. Unter großen Anstrengungen hatte WotC den Druck des Settings vorgezogen, um es rechtzeitig zu einem verlängerten Wochenende der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Der erste Schock sollte die Spieler direkt mit dem Preisschild erwarten - mit knapp 40 Dollar war das Buch das bislang teuerste in einer langen Tradition von Preissteigerungen. Die Erwartungen waren entsprechend hoch und wollten befriedigt werden. Hält man das Buch in Händen, wird schnell klar, daß WotC hiermit ein deutliches Zeichen setzen wollten, welches Setting die nähere Zukunft von Dungeons & Dragons bestimmen sollte. Das Buch umfaßt 320 Seiten und ist als solides Hardcover gebunden. Alle Seiten sind auf hochwertigem Glanzpapier farbig gedruckt. Die große Posterlandkarte ist auf der letzten Seite eingeklebt und kann mit etwas Vorsicht entfernt werden. Die Forgotten Realms sind optisch einem kompletten Facelifting unterzogen worden und wurden vollständig neu bebildert. Das Buch strotzt nur so vor farbigen Illustrationen und Zeichnungen, die meist freigestellt im Text untergebracht wurden, was das ansonsten sehr klassische zweispaltige Layout ein wenig auflockert. Hierbei fällt vor allem ins Auge, daß sehr viele Charakterportraits in dem Buch vorhanden sind, ein Umstand, der der Tatsache Rechnung trägt, daß die Forgotten Realms immer noch eine Welt von übermächtigen Nichtspielerfiguren geblieben sind. Architektur findet sich nur selten auf den Abbildungen wieder. Der Zeichensatz wurde sehr klein gewählt, was das Lesen anstrengender als bei anderen Büchern macht, jedoch nur nochmals unterstreicht, wie viel Inhalt dem Käufer hier geboten wird. Die Karten sind im bekannt-typischen Stil recht farbenfroh, wobei diesmal auf eine dezentere Farbgebung geachtet wurde, als beispielsweise bei der Box zur zweiten Edition. Die Forgotten Realms zu beschreiben, ist nicht ganz einfach, unterscheidet sie sich doch maßgeblich von allen anderen Kampagnenwelten, was ihren Stil und ihre Vielfalt angeht. Kaum eine Spielwelt besitzt eine solche ausführlich ausgearbeitete Mischung aus Kulturen und Völkern und eine derart detailliert niedergeschriebene Geschichte. Die Realms sind so alt und bereits durch mehrere Dutzend Veröffentlichungen mit Leben gefüllt, daß es schwer fällt, ein einheitliches Thema der Welt festzumachen. Ein Charakteristikum der Realms, die es von den meisten anderen Welten abgrenzt, ist die Tatsache, daß Faerun eine sehr fantastische Welt ist und hier mehr Magie zu finden ist, als irgendwo sonst. Die Realms sind eine Welt, in der große Herrscher und allmächtige Magier wandeln, hinter denen die Kulturenvielfalt und geographischen Gegebenheiten zurückstehen. Es gibt mehr Götter als auf den meisten anderen Welten zusammen, und ihr Wirken ist Allenortens spürbar. Vor wenigen Jahren erst wandelten die Götter auf dem Antlitz Faeruns und stritten im Götterkrieg, weshalb es keine wirklich glaubwürdige Erklärung für Atheismus mehr geben dürfte. Der Planet von Toril ist in mehrere Kontinente und Regionen aufgeteilt, von denen die Forgotten Realms nur einen kleinen Teil darstellen. Im Zentrum der bekannten Welt liegt Faerun, das eigentliche Setting der Forgotten Realms. Es gibt praktisch alle Kulturen unserer eigenen Welt wild über den Kontinent verteilt. Dabei hat man sich auch beliebiger irdischer Epochen bedient, was teilweise zu einigem Unverständnis bei Spielern führen dürfte, würde man sie direkt damit konfrontieren. Neben Wikingern im hohen Norden, Spaniern im Mittelbereich und afrikanischen Kulturen im Süden gibt es auch arabische Völker, Reiternomaden nach mongolischem Vorbild und sogar Ägypter der Antike (Mulhorand), deren aktueller König Horus-Re heißt. Außer dem Hauptkontinent Faerun wurden bereits im Osten die asiatischen Lande beschrieben (Kara-Tur) und werden auch in der dritten Auflage eine Wiedererweckung erfahren. Im Süden liegt mit Zakhara ein ebenfalls komplett ausgearbeiteter arabischer Kontinent, der die Geheimnisse von tausend und einer Nacht für die Charaktere erschließt (Al-Qadim) - eine Neuauflage für die dritte Edition ist jedoch bislang nicht geplant. Im Westen schließlich befindet sich ein weiterer Kontinent, der in etwa die Form Amerikas hat und im Zentralbereich von Inkas und Mayas bevölkert wird. Dieser Bereich wurde vor einigen Jahren durch den Eroberer General Cordell für das Königreich Amn in Besitz genommen und ist im eigenen Kampagnensetting Maztica behandelt. Da die Realms mit Portalen zu allen Welten durchzogen sind, endet die Auswahlmöglichkeit für Spieler hier jedoch nicht. Bei Bedarf können auch Charaktere anderer Welten importiert und weitergespielt werden. Hierbei ist praktisch alles erlaubt. Da diese Form des High Fantasy Gamings fester Bestandteil der Realms ist, bietet das neue Buch natürlich auch Regeln für das Spielen anderer Völker und von Wesen, die eigentlich eher ins Monsterhandbuch gehören. Es gibt nichts, was es auf den Realms nicht gibt, und über all dem stehen übermächtige Nichtspielerfiguren, jeder für sich einem Gott nicht unähnlich, die die Geschicke der Welt lenken. Den Realms wird vielerorts vorgeworfen, der größte Diebstahl an der irdischen Geschichte zu sein, den man sich denken kann. In der Tat wirkt das bunte Sammelsurium von Völkern, Kulturen, Epochen und Personen in mancher Situation ein wenig grotesk, hat jedoch maßgeblich zum Flair der Realms beigetragen. Die Realms sind die Welt mit dem höchsten Anteil an Fantasy, die Welt mit dem höchsten Anteil an Magie und vor allem auch die Welt mit den stärksten Spieler- und Nichtspielerfiguren. So enthalten die Realms regelmäßig Zusatzregeln über den Umgang mit Charakteren, die so mächtig sind, daß ihre Existenz in den Grundregeln gar nicht vorgesehen war. Die Realms sind eine sehr einfache Welt für Spielleiter, da es praktisch alles gibt und man sich nicht wirklich Gedanken machen muß, was dazu paßt und was nicht. Es gibt nichts, was zu phantastisch wäre. Die Möglichkeiten für epische Abenteuer sind an jeder Ecke gegeben. Die Schurken sind klassisch gestrickt und auch als solche zu erkennen. Vielerorts hat man das Gefühl, sie würden hier nur leben, um einfach immer wieder von aufstrebenden Helden besiegt zu werden. Über Jahre hinweg war es Tradition, daß das Böse niemals siegt, wovon in den letzten Jahren langsam abgewichen wurde, da die sehr überzeichneten dunklen Kräfte der Realms eine immer weiterführende Anhängerschaft gewinnen und immer beliebter werden. So wurden im Götterkrieg, der den Übergang von der ersten Edition in die zweite kennzeichnete, alle wichtigen Götter des Bösen dem Erdboden gleichgemacht und durch Cyric ersetzt. Da Cyric jedoch nie wirklich beliebt bei den Spielern wurde und recht gesichtslos blieb (trotz mehrere Romane, um genau diesem Trend entgegen zu wirken), wird für die dritte Edition Bane, der Inbegriff des Bösen, wiedererweckt. Auch Myrkul, der alte Gott des Todes, steht noch in Lauerstellung, sollte Kelemvor bei den Spielern ähnlich geringe Anerkennung finden. Die Forgotten Realms entsprechen vom Thema her wohl am ehesten der klassischen ersten Edition von Dungeons & Dragons, zu der WotC bekennenderweise zurückfinden will. Betrachtet man die lange Geschichte der Realms stellt sich noch die Frage, was sich gegenüber alten Editionen verändert hat. Liest man das Buch vollständig, werden einem viele kleine Änderungen auffallen, die jedoch keine wirklich weitreichenden Folgen nach sich ziehen. Zu den wichtigsten Neuerungen dürfte die Umformung der Landmasse Faeruns gehören. Im Süden wurde an einigen Steppen etwas gedreht, gestaucht und gequetscht, um die Landmasse nun in ein Querformat bringen zu können. Die Umformung war notwendig, um die zentralen Bereich auf einer Karte positionieren zu können. Hierdurch konnte ein Problem der ersten beiden Editionen vermieden werden, in denen Karten abgedruckt wurden, die zu mehr als siebzig Prozent Wasser zeigten. Weiterhin wurde den Red Wizards ein neues Gesicht gegeben. Trachteten sie bislang nach der Herrschaft über die ganze Welt und die Versklavung aller denkenden Völker, haben sie nun nach Dutzenden von Rückschlägen beschlossen, sich als Händler magischer Gegenstände zu verdingen. Hierdurch konnte besser begründet werden, warum die Red Wizards, deren Heimat vollkommen im Abseits gelegen war, sich dennoch in allen wichtigen Metropolen der Welt aufhalten konnten. Auch forderten die neuen Regeln zur Herstellung magischer Gegenstände der dritten Edition förmlich nach einem solchen Volk, bedenkt man, daß es auf den Realms mehr Magier gibt, als auf allen anderen Welten zusammen. So haben die Red Wizards, eine der schillerndsten Organisationen der Boshaftigkeit, nun der Welt den Preiskrieg erklärt, ein Umstand, der zu energischen Streitigkeiten in den offiziellen und inoffiziellen Foren im Internet geführt hat. Eine weitere wichtige Neuerung, vor allem für Kenner der alten Realms, dürfte der Umstand sein, daß Bane zurückgekehrt ist und die mittlerweile mehrfach niedergeschmetterten Zhentarim unter seine Fittiche genommen hat. Wie sich bereits zum Ende der zweiten Edition angekündigt hat, ist König Azoun von Cormyr ums Leben gekommen, ein Umstand, der bisher nur in der Romanvorlage Death of the Dragon verarbeitet wurde, sich jedoch noch nicht in offiziellem Spielmaterial niedergeschlagen hat. Inhaltlich bietet das Buch alles, was man zum Spielen auf den Forgotten Realms benötigt und stellt in erster Linie einer Konsolidierung alter Materialien und eine Zusammenfassung der letzten zehn Jahre in der Geschichte Faeruns dar. Für Umsteiger von der alten auf die neue Regeledition bieten sich vor allem zu Anfang des Buches interessante Möglichkeiten, da hier neue Klassen, Feats und Zauber der Realms eingeführt werden. Während die abgebildeten Prestigeklassen und Feats zumindest regeltechnische Neuerungen darstellen sind die meisten Zaubersprüche und neuen Magiearten erfahrenen Lesern jedoch hinlänglich bekannt. Für Spieler und Spielleiter wird dann der folgende Bereich deutlich interessanter. Hier wird zunächst ein wenig auf das Leben in den Realms eingegangen, bevor die einzelnen Regionen beschrieben werden. Alphabetisch sortiert sind hier alle wichtigen Länder der Kernregion vorgestellt und beschrieben. Der Stil ist stark an eine Enzyklopädie angelehnt und bietet die Informationen in strukturierter Form, was ein späteres Suchen und Nachschlagen deutlich erleichtert. Einen weiteren Schwerpunkt des Buches nimmt die Vorstellung der wichtigsten Götter der Realms ein, wobei sich hier für Leser der alten Ausgaben kaum Neuerungen einstellen. Da die Götter auch auf den Realms nicht zu allzu eiliger Evolution neigen, bringen die Zeilen keine wirklichen Erkenntnisse, die nicht bereits nach der ersten Edition vorhanden wären. Den Abschluß des Buches bildet ein kurzer historischer Abriß, der vor allem auch auf die letzten Jahre eingeht, die in alten Publikationen nicht behandelt werden, sowie ein Überblick über die Geheimorganisationen der Realms. Man trifft auf zahlreiche alte Bekannte, die schon für so manches Computerspiel der achtziger Jahre hinhalten mußten. Es folgen ein paar Hinweise für Spielleiter, die ihre Kampagne in den Realms ansiedeln wollen, zwei Kurzabenteuer und ein paar Monster, die für die Realms typisch sind. Über das ganze Buch verteilt finden sich Regionenkarten und vor allem Geschichten, Sagen und Legenden, die in abgesetzten Bereichen abgedruckt wurden und einen großen Teil des phantastischen Themas portieren. Ein Fazit für die Forgotten Realms zu finden, ist nicht leicht. Vergleicht man das sehr klassische Setting mit neueren Veröffentlichungen, wird die fehlende Linie in der Reihe schnell offenbar. Die Realms richten sich an den typischen Abenteurer und Dungeon Crawler und bieten leichte Unterhaltung für lange Abende. Sie besitzen nicht die atmosphärische Dichte oder stringente Linie anderer Settings und sind auch nicht unbedingt für echtes politisches Rollenspiel geeignet. Zwar spielt Politik eine Rolle in den Realms, aber in einer Welt, in der Zauberer, die ganze Städte vernichten können und jederzeit in der Lage sind, die Gedanken des Gegenübers zu lesen, bei Verhandlungen am Tisch sitzen, wird die eigentliche Politik in den Hintergrund gerückt. Die Realms eignen sich jedoch hervorragend für weitreichende Reisen und groß angelegte Abenteuer, denn kaum eine andere Spielwelt ist derartig gut und vollständig ausgearbeitet. Faerun bleibt eine Welt, die vor allem Einsteiger anspricht und sehr schnell sehr viel Spaß verspricht. Die Aufarbeitung der neuen Edition ist in jedem Falle hervorragend gelungen. Ein Buch in solch einer Qualität und Quantität sucht seinesgleichen, wobei eben vor allem neue Spieler ihre Freude haben werden. Spieler, deren Heimat sich schon lange auf Faerun befindet, werden nur sehr wenig Neues finden - eine Tatsache, die bereits bei dem Übergang von der ersten zur zweiten Edition bemängelt wurde. Für einen historischen Abgleich der letzten zehn Jahre einen weiteren Kampagnenband zu kaufen, erscheint schmerzlich, jedoch wird allein durch die unübertroffene Aufmachung des Buches und die neuen Regeln das ganze etwas erleichtert. Fans werden sich das Werk in jedem Fall in den Schrank stellen - eine bessere Ressource für Realmslore gibt es bislang nicht!
© Daniel Heymann - Dieser Artikel wurde auch im Dragon 15 abgedruckt |
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