Roleplaying Tips Weekly: Ausgabe 16
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Der Metazyklus
Auch bekannt als "Bogen", ist der Metazyklus eine Form für lange Geschichten, die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Dieser Typ kann in zwei Unterformen gegliedert werden: "gestückelt" und "erweitert".
A zu a1, a2, a3, a4 usw.; B zu b1, b2, b3, usw.
Gestückelte Geschichten sind einfach nur Kombinationen der Typen I und II. Zwischen Anfang und Ende des gesamten Zyklus liegen beliebig viele Nebengeschichten; diese haben vergleichsweise wenig Einfluss auf den alles überspannenden Handlungsbogen.
In einer solchen Struktur hat die Mitte mehr eine akademische Rolle; zwischen Anfang und Ende sind alle Geschichten beliebig vertauschbar. Es gibt kaum unterschiede zwischen dieser Form und dem fortlaufenden Zyklus der einen Anfang und ein Ende enthält. Die Vor- und Nachteile entsprechen dem Typ II.
A zu aa zu ab zu B zu bb zu bc zu C
Im erweiterten Metazyklus wird die grundlegende Geschichte zu großen aber begrenzten Ausmaßen ausgeweitet; es gibt einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, die alle mit sehr vielen Einzelheiten ausgestattet werden.
Der grundlegenden Geschichte wird, durch Unterzyklen mit Nebenhandlungen und Rücksprüngen, immer mehr Detailreichtum und Tiefe verliehen. Dies ist die komplizierteste der verschiedenen Strukturen. Es ist gleichzeitig in allen Medien die ungebräuchlichste.
Die Form des erweiterten Metazyklus bildet eine Art Saga und als solche sind ihre Wurzeln sehr alt. Die Ilias und die Odyssee sind hervorragende geschichtliche Beispiele für diese Form; in der moderneren Literatur ist der Herr der Ringe ein offensichtliches Beispiel.
The Prisoner und Babylon 5 sind beides Beispiele für kombinierte Formen, die Elemente von Typ II und III enthalten; obwohl sie klar erkennbar über Handlungsbögen verfügen und einen Entwichklungsprozess durchlaufen, gibt es immer einen gewissen "gestückelten" Teil um die ganze Geschichte etwas aufzublähen.
Diese zusätzlichen Stücke sind eventuell wichtig um der Vereinfachung zu einer Ausgedehnten Saga vorzubeugen; andernfalls könnten die Zuschauer/Teilnehmer jede neue Handlung als zu offensichtlich mit der Haupthandlung verbunden sehen. Mit anderen Worten, der Erfinder wird den beachtenswerten Nachteil in kauf nehmen müssen das er Vorhersehbar wird und das sich die Konsumenten die ganze Zeit langweilen und sich Ernüchterung breit macht, wenn alles was passiert nur einen Bezug zur Haupthandlung hat.
Der erweiterte Metazyklus bietet offensichtliche Vorteile. Er erlaubt es dem Erfinder eine Geschichte sehr detailreich zu erstellen; es gibt keine Einschränkungen außer denen die das Medium vorgibt (z.B.: die Sendung wird abgesetzt, die Verträge laufen aus oder die Spieler erscheinen nicht mehr zum Spiel).
Eine gut gemachte Saga macht süchtig. Während Spieler/Zuschauer/Leser mehr über die Charaktere und den Hintergrund erfahren, beginnen sie sich auch Gedanken darüber zu machen. Das Ergebnis sind loyale Fans die die Anstrengungen des Erfinders unterstützen und oft versuchen ihre eigenen Erweiterungen der Geschichte zu produzieren (was ja das Ziel beim Rollenspiel ist).
Der letzte Vorteil des Metazyklus ist der am wenigsten greifbare und der am schwersten zu erklärende. Es geht um den Eindruck einer Bedeutung. Die Saga muss einen Punkt haben um den sich alles dreht, das liegt in der Natur der Sache und wenn die Geschichte erfolgreich herüber gebracht wird, dann werden sich die Teilnehmer sehr stark mit diesem Punkt identifizieren können.
Es ist sogar möglich das diese Bedeutung das Leben der Teilnehmer außerhalb der Geschichte beeinflusst und somit einen dauerhaften Einfluss auf die Gesellschaft hat.
Auf jeden Fall kann ein gut gespannter Handlungsbogen, wenn er einmal fertig ist, der mächtigste Weg sein um eine Geschichte zu erzählen. Die verschiedenen Teile des Handlungsbogens können zusätzliche Resonanz und Bedeutung zum Ganzen hinzufügen.
Die Nachteile sind offensichtlich. Der erweiterte Metazyklus verlangt die meiste Investition an Zeit und Fähigkeiten. Schlecht durchgeführt bricht er weg und der Fehlschlag ist wegen der Arbeit die in den kreativen Prozess geflossen ist, um so schmerzhafter für den Erfinder. Die Struktur ist auch unflexibler als bei anderen Formen; Zusätze und Veränderungen müssen sehr genau abgewogen werden um nicht die Haupthandlung zu zerstören.
Der erweiterte Metazyklus verlangt auch mehr vom Zuschauer/Spieler, was in den kommerziellen Medien ein besonderes Hindernis sein kann; wenn die Saga einmal gestartet ist es schwer neue Zuschauer dazu zu bringen die Geschichte zu verfolgen (ich gelangte zu der Ansicht, dass dies auch für Rollenspielsagen gilt).
Diese Formen um Geschichten zu strukturieren, werden alle in Rollenspielen eingesetzt. Ich habe selbst alle drei gemeistert und gespielt.
Typ I ist jedes Kurzabenteuer; Soloabenteuer fallen auch in diese Kategorie genau wie viele Paranoiakampagnen (Ich würde sagen das TOON Spiele auch dazu gehören, aber ich habe noch nie eins gespielt).
Klassische AD&D Kampagnen kann man in Kategorie II unterbringen, auch wenn die Aufstiege der Charaktere dafür sorgen das es eine Veränderung gibt die sie zu einem weniger geeigneten Beispiel für diesen Typ machen; das alte Traveller mit seinem fehlendem Aufstieg bei den SC Fertigkeiten liegt näher an einem ideellen fortlaufenden Zyklus, auch wenn die Charaktere dazu neigen über kurz oder lang mehr Geld und Ausrüstung zu erhalten.
Ich selbst bin zur Zeit mit einer altmodischen drunter und drüber gehenden RuneQuest Kampagne beschäftigt die der zweiten Kategorie zugeordnet werden kann. Es macht Spass, die Charaktere haben nur auf ziemlich wenig Versorgung zugriff und dadurch ist es leicht Szenarien für die Kampagne zu finden.
"Tiefgreifende" Rollenspielkampagnen können normalerweise in der dritten Kategorie untergebracht werden. Meine eigene Nereyon Kampagne passt sehr schön in diese Kategorie: sie hat einen klaren Anfang, eine Mitte und ein Ende (obwohl dieses noch nicht erreicht wurde) und dauerte acht oder neun Jahre. Während dieser Zeit haben sich Charaktere und Welt enorm entwickelt, mit zahlreichen Enthüllungen die dafür gesorgt haben das die Charaktere die vergangenen Ereignisse in einem anderen Licht betrachten mussten. Umgekehrt haben mich ihre Handlungen die Welt verändert und mich dazu gezwungen Haupthandlungsstränge zu überarbeiten.
Als ich mit dieser Abhandlung begann ging ich davon aus das der erweiterte Metazyklus, insofern wie ich die Typen vergleichen wollte, sich als die überlegene Struktur heraustellen würde. Diese Form des Rollenspieles war es schließlich die mich zu diesem Hobby brachte und ich habe zwölf oder noch mehr Jahre damir gearbeitet.
Im Fernsehen standen für mich Metazyklusformen wie The Prisoner und Babylon 5 immer meilenweit über den Sendungen die anderen Formen folgten. Natürlich ist eine Saga der beste Weg den man wählen kann - dachte ich zumindest.
Aber alles stellte sich als ganz anders heraus. Es ist Glück das ich es mit zwei RPG Kampagnen zu tun habe, jeweils eine vom Typ II und III; das gibt mir die Möglichkeit Vergleiche anzustellen und festzustellen das Vergleiche dieser Art bedeutungslos sind. Gut das ist ein Klischee, aber Tatsache ist das jede Form ihre eigenen wertvollen Eigenarten hat. Jede hat ihre Berechtigung.
Vieleicht ist das Metazyklus RPG nur wenig in der Spielszene vertreten, aber dann nur weil der Aufwand für ein solches Spiel einfach mehr ist als viele Leute investieren wollen - und in Wirklichkeit besitzen viele SLs vielleicht gar nicht die Fähigkeiten und die Geduld um eine solche Kampagne zu entwerfen. Die anderen Formen bieten andere Vorteile und Arten von Genuss und das vergleichsweise gute Abschneiden des Typs II kann von den Vorteilen von Typ III nicht ablenken.
Auch im Fernsehen gibt es herausragende Shows zu jeder Form. B5 und The Prisoner sind gut geschrieben und sehr kurzweilig, aber die Originalserie von Raumschiff Enterprise auch - und die ist fast rein vom Typ II. Twilight Zone beweist das eine Sendung die dem Typ I folgt genauso vorbildlich und gut gemacht sein kann wie jede andere.
Wir lernen also (zumindest wenn es überhaupt etwas zu lernen gibt), dass, obwohl die Struktur das Wesen der Unterhaltung definiert, es die Qualität des Manuskriptes (oder die Qualität des Designs im Falle von Rollenspielen) ist die festlegt wie gut das Spiel wird.
Wenn ich die Wahl hätte würde ich eher in einer Typ II Kampagne spielen die von einem guten SL geleitet wird als in einem Typ III Spiel das von einem mittelmäßigen geleitet wird; genau wie ich lieber Twilight Zone als Star Trek: Voyager schaue. Die Wahl ist nich einmal wirklich schwierig. :-)
Noch mehr Spass bei jedem Spiel!
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