Superhelden und Superbösewichte...Allgemeines: Aberrant ist der zweite Teil der Trinity-Trilogie und während Adventure! in der Vergangenheit und Trinity in der Zukunft angesiedelt ist, so ist Aberrant chronologisch der zweite Band der Reihe und spielt in der Gegenwart. Um genauer zu sein, greift das Buch bis in die nahe Zukunft. Laut Aussage des Buches ist es möglich, nach eigenem Geschmack so viel oder so wenig von den jeweils anderen Settings einfließen zu lassen, ich möchte mich bei der Rezension allerdings darauf beschränken, Aberrant als eigenstehendes Setting zu betrachten. Eine der ersten Fragen wird sein: Worum geht es? Klare Antwort: Menschen mit Superkräften. Bringen wir aber erstmal den technischen Teil hinter uns, bevor es an den Inhalt geht.
Optisches: Sollte man das d20-Symbol auf der Vorderseite übersehen haben, erhält man beim Aufschlagen den ersten Hinweis. Schlagartig wechseln die Illustrationen von farbig zu schwarz/weiß. Mit 229 Seiten gehört das Hardcover nicht zu den umfangreichsten, mit knapp unter 30 Euro aber auch nicht zu den teuersten Büchern dieser Kategorie. Front und Rückseite machen keinen Hehl daraus, worum es geht. Superhelden in hautengen Kostümen, fliegend, extra-groß oder ganz normal. Und zwar jede Menge. Alles in einem comicartigen Stil gehalten, qualitativ hochwertig und meiner Meinung nach passend. Dieser Stil zieht sich durch das gesamte Werk, wobei die Masse der Details jedoch schwankt. Hier und da könnte man sich mehr wünschen, insgesamt würde ich die Illustrationen aber als gut bis sehr gut bezeichnen. Einen derben Ausrutscher gibt es in dem Buch, der allerdings, wie ich später zeigen werde, plausible Gründe hat. Das Layout ist auf den ersten Blick als verwirrend, wenn nicht chaotisch zu bezeichnen, hat man sich daran gewöhnt, liest sich das Buch sehr gut. Die Schriftgröße variiert teilweise, bleibt aber immer lesbar. Die Verarbeitung ist ohne Mängel und aufgrund der soliden Bindung sollte das Buch auch dem intensiven Gebrauch im "Spielalltag" gewachsen sein. Der erste Eindruck ist also schon mal sehr positiv.
Der Inhalt in Kurzform: Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt, "Novas and the World" und "Novas defined". Fluff und Crunsh, jeweils mit sieben Kapiteln vertreten. Und man merkt, wenn man im zweiten Teil angelangt ist. Sämtlicher Hintergrund ist in Form von Artikeln, Interviews, Beiträgen aus dem Internet (bzw. Opnet), emails oder Forschungsberichten vorhanden. Objektive Beschreibungen sucht man hier vergebens, es bleibt dem Leser überlassen, welches Bild er sich macht. Der Regelteil dagegen bietet harte Fakten, wie nicht anderes zu erwarten war.
Der Inhalt im Detail: Seit der Explosion einer Raumstation "mutieren" auf der ganzen Welt Menschen zu sog. Novas. Eine dramatische Situation löst diese Mutation aus und es scheint nicht vorhersehbar, wer zu einem "Homo sapiens Novus" wird und wer nicht. Wissenschaftliche Abhandlungen über die Ursachen und die Natur der Novas halten sich in Grenzen, Fakt ist, sie sind da und der Rest bleibt mehr oder weniger ein Rätsel. Von da an überschlagen sich die Ereignisse. Immer weitere Novas tauchen auf der ganzen Welt auf, die wissenschaftliche Nutzung lässt nicht lange auf sich warten und es bildet sich eine Organisation, "Project Utopia", in der sich ein Teil der Novas organisiert um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Rasante Fortschritte in der Medizin, humanitäre Projekte weltweit – die Welt scheint durch die Novas von vielen Leiden erlöst. Natürlich gibt es auch eine Organisation, die der erst genannten kritisch gegenüber steht, sowie Novas, die sich als Söldner verdingen. Bis zum Ende des dritten Kapitels könnte man meinen, dass es wirklich eine bessere Welt ist. Danach folgen 11 Seiten, auf denen ein Journalist die "Wahrheit" ans Licht bringt. Im Hintergrund der schönen neuen Welt geht alles den Bach runter. Neue Drogen, Armut und neue gefährliche Subkulturen lassen den schönen Schimmer der Medien verschwinden. Darauf folgen auch gleich Auszüge aus dem Internet, Mitschnitte von Überwachungssystemen und emails, die auf eine weltweite Verschwörung schließen lassen. Da hier nur subjektive Quellen zur Informationsvermittlung genutzt werden bleibt es dem Leser vollkommen überlassen, was er glaubt und was nicht. Nachdem ich den ersten Teil des Buches durchgelesen hatte, wusste ich nicht recht, was ich glauben sollte, es dauert einige Zeit, bis sich ein Bild dieser neuen Welt formt. Man wird quasi von allen Seiten mit Informationen überschüttet und das Szenario wirkt sehr vorstellbar. Freiheit in Bezug auf eine eigene Gestaltung des Settings sowie Ansatzpunkte für Kampagnen habe ich nicht im Geringsten vermisst. Einige wichtige NSCs werden in kurzen Steckbriefen vorgestellt und melden sich in den Medienbeiträgen auch öfter mal zu Wort. Nachteil hierbei ist, wenn man klare Informationen sucht: Man wird sie nicht finden, die nackte Wahrheit. Die oben genannte 11-seitige Kolumne enthält auch die einzig wirklich schlechten Zeichnungen des ganzen Buches, angesichts dessen, dass es sich um das Gekritzel des Autors handeln soll, halte ich dies nicht für einen wirklichen Kritikpunkt, eher unterstreicht es die Authentizität des Kapitels. Insgesamt ein äußerst gelungener, sehr atmosphärischer Fluff-Teil, der schon beim Lesen zum Nachdenken über die Welt, welche beschrieben wird, anregt.
Der Regelteil: Anm.: Sämtliche Regeln sind 3.5 kompatibel.
Character: Wie macht man nun aus einem normalen Menschen einen Superhelden? Einfach. Man nehme den Menschen aus dem "Player's Handbook" und das hier vorgestellte "Superhuman Template", zusätzlich können maximal 2 Stufen "Superhuman" wie eine normale Klasse gewählt werden, wodurch mehr Kräfte zu Verfügung stehen. Und richtig vermutet: Es gib nur Menschen. Alle anderen Rassen existieren in der Welt von Aberrant nicht. Mit der Schablone hat der so erschaffene Charakter nun Zugriff auf "Superhuman Feats", "Quantum Powers" und kann weitere Stufen als "Superhuman" nehmen. Außerdem gibt es keine "Favored Class" und Multiclassing unterliegt nicht der üblichen Beschränkung, so dass es keine Abzüge auf Erfahrungspunkte gibt, wenn man wild Stufen in verschiedenen Klassen wählt. Hier ist der Spielleiter gefragt, um die Balance zu halten. Auf fünf Doppelseiten werden dann die neuen "Core Classes" beschrieben. "Entertainer", "Investigator", "Scholar", "Scoundrel" und "Warrior" bieten jeweils 10 Stufen und ersetzen gleichzeitig die Grundklassen des Spielerhandbuchs. Nach erreichen der 10ten Stufe, kann man nun "Class Level Extensions", eine weitere Grundklasse oder eine der sieben neuen Prestigeklassen wählen. "Class Level Extensions" sind dabei wie Stufen in der oder einer der bisher gewählten Klassen, was z.B. Angriffsbonus oder Trefferpunkte angeht, nur gibt es keine "Extra-Features" wie z.B. "sneak attack" beim "Scoundrel" oder "bonus feats" beim "Warrior". "Crusader", "Disciple", "Spy" oder "Inventor" sind nur vier der Prestigeklassen, welche direkt folgen. Wie gewohnt müssen Vorraussetzungen erfüllt werden, um eine dieser 5-stufigen Prestigeklassen zu wählen. Wie z.B. bei d20 Modern hat jede Klasse einen von der Stufe abhängenden Rüstungsklassenbonus. Das absolut freie Multiclassing sowie die gut ausgewogen und vielseitig wirkenden Klassen machen dieses Kapitel, trotz der relativen Kompaktheit sehr interessant, es sollten keine Wünsche offen bleiben. In erster Linie sind die Prestigeklassen natürlich für Charaktere mit dem "Superhuman Template" gedacht, können aber, wie natürlich die Grundklassen auch, für normale Menschen gewählt werden. Einige Fertigkeiten wurden dem modernen Setting angepasst oder bekannte, wie z.B. "Computer Use" hinzugefügt. Hier gibt es nichts besonderes, was nicht aus anderen Settings (d20 modern z.B.) schon bekannt sein dürfte.
Feats: Neues Setting – neue Feats. Aus dem Player's Handbook wurde ein Großteil der Talente übernommen, neue Talente sind in drei Kategorien unterteilt: General, Background und Superhuman Feats. Hier ins Detail zu gehen würde sicher den Rahmen dieser Rezension sprengen, gesagt sei soviel: Es ist genug Material vorhanden um so ziemlich jeden denkbaren Aspekt eines Charakters regeltechnisch festzulegen oder auszubauen. Auch findet man drei neue Talente zu Erschaffung von Gegenständen. Das Flair der Welt voller Superhelden wird hier gut umgesetzt, die Talente, vor allem jene aus der Superhuman-Kategorie, sind aber eindeutig als stark anzusehen.
Quantum & Quantum Powers: Bei Aberrant gibt es keine Magie oder Psi, sondern sog. "Quantum Powers". Nur das Superhuman Template ermöglicht das Erlernen und den Einsatz dieser Kräfte. Die bloße Fähigkeit solche Kräfte zu wirken verleiht einem Nova ein verändertes äußeres, längeres Leben – vielleicht sogar bis zur Unsterblichkeit – und einige andere übermenschliche Merkmale. Zu intensive Nutzung dieser Kräfte kann sogar zu unwillkommenen Mutationen führen. Quanten-Kräfte gibt es vom 1. bis zum 3. Grad, für Grad 1 ist nur das Template erforderlich, Grad 2 und 3 erfordern jeweils ein weiteres Level als "Superhuman". Sie ähneln psionischen Kräften, sind aber sehr stark von der Stufe des Charakters abhängig. Die meisten Quantum Powers haben Extra Optionen, die eine Verstärkung oder Veränderung des Effektes ermöglichen, was allerdings auch mehr Power Points erfordert. "Fly" ist genauso zu finden wie "Mental Blast" oder "Temporal Manipulation". Insgesamt rund 60 der "Quantum Powers" sind über die 3 Grade verteilt. Nicht gerade viel, wie es scheint, die Flexibilität ist – aufgrund der Extras – jedoch weitaus größer als bei Magie oder Psi.
Super Science: Wenn es schon keine Magie gibt, dann wenigstens fortgeschrittene Technik. Die Regeln zur Erschaffung sind komplex und Erfolg ist nicht garantiert. Die Auswahl ist natürlich geringer als bei magischen Gegenständen. Auch sehe ich noch einige Lücken in den Regeln, die man besser gestopft hätte, anstatt sie als Spielleiterentscheidung zu deklarieren.
Drama: Auf gut 10 Seiten kommen die letzten kleinen Regelanpassungen sowie Optionale Regeln zum Vorschein. "Dramatic Editing" ist von Adventure! abgeguckt und erlaubt es den Spielercharakteren Einfluss auf eine Situation zu nehmen, indem sie Power Points aufwenden. Auch findet hier das "Wealth" – System Anwendung, wie aus anderen neuzeitlichen Settings bekannt. Gegenstände werden erworben, indem mit dem "Wealth Bonus" gegen einen Schwierigkeitsgrad gewürfelt wird. Hier ist wieder der Spielleiter gefragt, da bis zu einem bestimmten DC Gegenstände ohne Wurf und Verlust von Vermögen erworben werden können. Ausrüstung, Fahrzeuge und ähnliches werden ebenfalls aufgelistet, wenn auch sehr knapp und ohne große Auswahl. Vor allem Frage ich mich, was das im Kapitel "Drama" zu suchen hat. Das siebte und letzte Kapitel des Regelteils heißt Playing the Game und gibt dem Spielleiter auf knappen achteinhalb Seiten einige wenige Tipps zur Umsetzung des Flairs an die Hand. Der Anhang bietet dann doch noch einige handfeste objektive Informationen über die wichtigsten NSCs und Organisationen. Nach sechs Seiten ist aber auch hier Schluss.
Fazit: Natürlich ist ein Setting mit Superhelden nichts revolutionär Neues und auch ein Grossteil der Regeln ist nicht neu erfunden worden, trotzdem macht Aberrant Laune. Laune auf ein Spiel, welches mit viel Flair und Hintergrund aufzuwarten weiß, Laune auf wirklich heroische Charaktere oder zwielichtige Egoisten in einer Welt, die sich bis auf die Existenz von übermenschlich starken Wesen nicht sehr von der heutigen unterscheidet. Ein paar mehr objektive Hintergrundinformationen zur Welt hätten vielleicht nicht geschadet, genau wie die Ausarbeitung einiger der letzten Kapitel. Trotzdem ist Aberrant ein gelungenes Setting mit Tiefgang. Optisch wie Inhaltlich weiß es auf jeden Fall zu überzeugen. Und vor Allem wurde meine größte Befürchtung nicht wahr: die Welt bleibt menschlich.
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