Lange, lange ist es her, da gab es einst eine amerikanische Kampagne für Cthulhu, die in dem ruhmreichen und berühmten Orient-Express spielte. Inzwischen gilt diese legendäre Kampagne als Sammlerstück und ist dementsprechend schwierig zu ergattern. Gut nur, dass sich das Cthulhu Redaktionsteam von Pegasus entschieden hat, dieses Schmuckstück neu aufzulegen. Natürlich in Deutsch und mit jeder Menge Zusatzmaterial. Da man damit aber den normalen Boxen Rahmen gesprengt hätte, beschloss Pegasus die Kampagne in vier Bände aufzuteilen, zum einen aus Kostengründen, zum anderen, um den Spielern eine fünf Kilogramm schwere Rollenspielbox zu ersparen, wobei es zum letzten Teil entweder einen Schuber oder eine Box geben wird, damit das Ganze im Regal besser aussieht.
Der nur vorliegende erste Band der Serie trägt den Titel „Horror im Orient-Express - London“ und zeigt auf, in welchem Stil die vierteilige Kampagne gestaltet worden ist. Wer bei diesen Produkten reine Abenteuerbücher erwartet hat, wird große Augen machen, denn ganz nach dem 2-in-1 Prinzip, bekommt man hier Abenteuerband und Quellenband in einem. Beschäftigt sich der erste Teil noch mit dem Orient-Express, gibt es in den folgenden Bänden Hintergrundmaterial zu den enthaltenen Städte und Länder. Doch widmen wir uns nun erst einmal dem ersten Band.
Der „Horror im Orient-Express - London“ kommt als 90-seitiges Softcoverband daher, auf dessen Einband ein Zug inmitten von mystischen Schriftzeichen abgebildet ist. Nach einer ausführlichen Einleitung über das Konzept der Kampagne, bekommt der Spielleiter ein Sammelsurium an Informationen und Hintergrundmaterial über den Orient-Express an die Hand. Beginnend mit einem Einblick in die Geschichte des luxuriösen Zuges, gespickt mit interessanten Anekdoten, gibt es in diesem Abschnitt, alles was der Spielleiter braucht, um seiner Orient-Express Kampagne leben einzuhauchen. Ob nun der Aufbau der Kabinen, das Personal oder gar die kulinarischen Künste des Chefkochs, jeder Aspekt des Zuges wird hier detailliert dargebracht. Dazu gibt es noch Karten der Wagons, sowohl im Buch, wie auch als separates Handout im DIN A3 Format für die Spieler, und jede Menge Fotos, die dem Spielleiter erlauben sich ein Bild von der luxuriösen Einrichtung des Zuges zu machen.
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich tiefergehend mit der Kampagne an sich. Hier gibt es eine Zusammenfassung der gesamten Geschehnisse der Kampagne, so dass der Spielleiter schon mal einen Überblick bekommt. Auch Informationen über spielrelevante Gegenstände und Zauber sind hier zu finden, so dass man im laufe der Kampagne immer wieder auf diesen Band zurückgreifen muss.
Der letzte Abschnitt des Buches beinhaltet zwei Abenteuer: „Schemen im Abendnebel“ und „Zug der Verdammten“. Das erste Abenteuer, wenn man es denn so nennen kann, läutet die Kampagne ein. Die Charaktere werden von einem ihrer Freunde, Mr. Smith, auf die Reise quer durch den europäischen Kontinent geschickt, um die Einzelteile eines gefährlichen Artefakt, das Sedefkar Simulacrum, zu suchen. Er stattet die Charaktere mit einem großzügigen Startkapital aus und empfiehlt ihnen, diese Reise mit dem luxuriösen Orient-Express zu unternehmen. Eigentlich handelt es sich bei „Schemen im Abendnebel“ mehr um eine kurze Einführung als um ein richtiges Abenteuer. Zwar können sich die Charaktere hier schon einige Informationen beschaffen, die für den weiteren Verlauf der Kampagne wichtig sein könnten, aber ich hätte mir trotzdem einen spannenderen Anfang für diese außergewöhnliche Kampagne erhofft. Das zweite Abenteuer „Zug der Verdammten“ entführt die Charaktere in einen Geisterzug: Obwohl es sich dabei um eine Zusatzabenteuer handelt, das nicht in der Grundkampagne beinhaltet war, passt es ganz gut in die Thematik der Abenteuerreihe, hat mich aber nicht wirklich vom Hocker gerissen. Das Abenteuer ist zwar solide und durchdacht konzipiert, aber die Grundidee des Geisterzuges finde ich ein wenig ausgelutscht und das Bild einer Lokomotive, die mitten in einem Raum erscheint, passt nicht ganz in die Art des Horrors, wie ich ihn bei Cthulhu bevorzuge. Dies ist allerdings reine Geschmackssache, und so muss jeder Spielleiter entscheiden, ob er das Abenteuer in seine Kampagne integrieren will.
Kommen wir nun zum absoluten Höhepunkt von „Horror im Orient-Express - London“: die Aufmachung. Selten habe ich ein Rollenspielprodukt in Händen gehalten, das soviel hermacht, wie dieses Buch. Weil das übliche Cthulhu Layout den Machern nicht stimmig genug erschien, haben sie die „Orient-Express“ Serie in einem völlig neuen Gewand gesteckt. So luxuriös die Kabinen des Orient-Express gewesen sind, so edel kommt auch dieses Buch daher. Die Seiten sind aus dickem, glänzendem Papier und statt Seitenzahlen gibt es, wie bei einem Zugfahrplan, Uhrzeiten. Auch die Gestaltung der Seiten lässt keinen Wunsch offen; die Texte, die schwarz-weiß Fotos, die netten Gimmicks, wie z.B. eine Speisekarten aus dem Restaurantwagen, geben die „Eisenbahn Atmosphäre“ der Kampagne hervorragend wieder. Ich neige normalerweise nicht zu Übertreibungen, aber die Aufmachung dieses Quellen/Abenteuerbandes setzt neue Maßstäbe, zumindest für den deutschsprachigen Raum. Hinzu kommen die beigefügten Karten der Wagons, sowie eine Europakarte, die von sehr guter Qualität sind.
Fazit: Der erste Band der „Orient-Express“ Reihe hat es mir, trotz des schleppenden Anfangs der Kampagne, wirklich angetan. Selten hatte ich beim Vorbereiten einer Kampagne soviel Spaß am Material, wie beim „Orient-Express“. Die Aufmachung ist wirklich Klasse, und der mitgelieferte Hintergrund über den Luxuszug konnte mich restlos überzeugen. Ich freue mich schon darauf meine Spieler durch die engen Gänge der Zugwagons zu jagen, und harre erwartungsvoll dem zweiten Teil, in dem die Reise endlich beginnt.
|
||||||||||||||||||||