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Ravenloft: Dark Tales & Disturbing Legends
Bewertung:
(3.0)
Von: Andreas Miebach
Am: 02.11.2005
Autor:Harold Johnson, Brett King, Ari Marmell, Steve Miller und Ryan Naylor
Typ:
System:D20 3.5^
Setting:Ravenloft
VerlagSword & Sorcery / Arthaus
ISBN/ASIN:1-58846-787-2
Inhalt:184 Seiten, Softcover
Sprache:Englisch

Finstere Geschichten, beunruhigende Legenden

Es gibt eine Menge Dinge, die Ravenloft zu einer interessanten Kampagnenwelt gemacht haben, aber was mich immer am meisten für dieses Setting begeistert hat, das waren die außergewöhnlichen Abenteuermodule, die zu seligen AD&D-Zeiten noch zahlreich für das „Reich des Schreckens“ erschienen sind, und die sicherlich auch einen Großteil zu dessen Erfolg beigetragen haben. Umso mehr freute ich mich bei der Ankündigung dieses Quellenbandes darüber, dass diese Erkenntnis nun wohl endlich auch bis zu Arthaus durchgedrungen ist. Zumindest lässt „Dark Tales & Disturbing Legends“ (im Folgenden DT&DL), bei dem es sich auf den ersten Blick um eine Abenteuersammlung handelt, selbiges erhoffen. DT&DL enthält zwar im weitesten Sinne Abenteuer, allerdings nicht in der Form, wie man sie beispielsweise von anderen Kaufmodulen oder vom DUNGEON her kennt – doch dazu später mehr.

 

Aufmachung, Gestaltung und Verarbeitung

Mit dem Satz „es handelt sich um ein Softcover aus der Ravenloft-Reihe“ sollte eigentlich alles gesagt sein: Das Buch entspricht in allen Punkten den anderen Werken dieser Art, wobei es der Herausgeber aber diesmal geschafft hat, ein ganz besonders hässliches Cover zu fabrizieren. Der Edelstein in der Mitte ist in einem ekligen violett gehalten, dazu eine unansehnliche Schnörkelschrift, die auch noch undurchdacht platziert wurde (man liest erst „Dark & Disturbing Tales Legends“ und fragt sich, was das heißen soll) – fertig ist das optische Trauerspiel. Auch das Bild im Edelstein, auf dem vier „freakige“ Gestalten zu sehen sind, kann da nichts mehr retten (es handelt sich auch hier wie üblich um einen Ausschnitt aus einer Zeichnung, die sich im Buch wiederfindet). Ansonsten alles wie bekannt: Innen nur schwarz-weiß, der Text zweispaltig, die Seitenverzierung besteht aus dem angefressenen Papier mit den gotisch verbogenen Metallspitzen und den beiden Raben oben und der Seitenzahl unten, und jedes Kapitel beginnt mit einer Seite, auf der sich in einem steinernen Relief, das einem Bilderrahmen nachempfunden ist, die Bezeichnung des Kapitels und ggf. ein kurzes Zitat aus einem passenden literarischen Werk befinden. Im ganzen Buch gibt es nur eine einzige Karte (den Grundriss von Ashington Manor), die ihren Zweck erfüllt, mehr aber auch nicht. Die Innenillustrationen stammen von Talon Dunning, Marcio Fiorito (dessen Stil mich etwas an die „Tim und Struppi“-Comics erinnert), Brian LeBlanc und Claudio Pozas, bieten also auch hier die gewohnte, gehobene Durchschnittskost. Jedes Kapitel wurde von jeweils einem Künstler illustriert, so dass die Abenteuer auch visuell eine eigene Atmosphäre entwickeln.

DT&DL präsentiert sich mit stolzen 184 Seiten, die mittels Klebebindung zusammengehalten werden und sich folgendermaßen aufteilen: Je 1 Seite für Credits und Inhaltsverzeichnis, 7 Seiten Kapiteleinleitungen (5 Kapitel plus Einleitung plus Anhang), 4 Seiten Werbung und 174 Seiten Inhalt, auf die ich im Folgenden eingehen werde.

 

Aufbau und Inhalt der Kapitel

Was sich genau in diesem Buch befindet, verrät uns die dreiseitige Einleitung: Gruselige Kurzgeschichten, verbunden mit Optionen, Tipps und Hinweisen zu deren Einsatz in einer Ravenloft-Kampagne – entweder direkt als Abenteuer (mit den SC als Protagonisten), als Aufhänger für andere Abenteuer (die mit der jeweiligen Geschichte mehr oder weniger stark verknüpft sind) oder auch nur als Hintergrundmaterial. Das hört sich alles etwas schwammig an und das ist es größtenteils auch (mit Absicht), aber einige der vorgestellten Optionen sind durchaus konkret und recht ausführlich ausgearbeitet – bis hin zu Plotvorschlägen und den Spielwerten der beteiligten NSC. Die Kapitel, von denen jedes eine bestimmte Geschichte behandelt, sind alle nach dem gleichen Schema aufgebaut: Zunächst wird die Geschichte selbst in Erzählform wiedergegeben, so wie sie sich die Einwohner von Ravenloft in finsteren Nächten am Kaminfeuer erzählen würden („The Story“), gefolgt von einem Abschnitt über die wahren Hintergründe, die der Geschichte zugrunde liegen („Uncovering the Truth“). Im nächsten Abschnitt werden dann Vorschläge präsentiert, wie man die Geschichte und die wahren Hintergründe für ein Abenteuer verwursten kann („Using the Story“), bis dann schließlich im letzten Abschnitt Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie der SL die Geschichte an seinen Geschmack, seine Kampagne und/oder die Bedürfnisse und Vorlieben seiner Gruppe anpassen kann („Variations on a Theme“). Der Umfang der einzelnen Abschnitte schwankt dabei erheblich von Kapitel zu Kapitel, je nachdem, was die jeweilige Geschichte bzw. die Gehirnwindungen des Autors hergegeben haben. Im Anhang des Buches wurde sämtlicher „Crunch“ zusammengefasst: NSC, Monster, magische Gegenstände, Zauber, Talente und sogar eine neue Grundklasse – geordnet nach der jeweiligen Geschichte, zu der sie gehören.

Alles in allem eine recht ungewöhnliche Form, Abenteuer zu präsentieren, aber für ein Gothic Horror-Setting halte ich dies durchaus für angemessen und eine nicht uninteressante Herangehensweise. Zumindest unterscheidet sie sich drastisch von den gewohnten Abenteuerformaten, die zwar (in aller Regel) vollständig ausgearbeitet sind, dafür aber auch oftmals als einzige Variationsmöglichkeit die Anpassung an die Gruppenstufe anbieten. Im Vergleich zu herkömmlichen Kaufabenteuern muss der SL hier also noch einiges an Arbeit investieren und vor allen Dingen erst mal entscheiden, wie er die jeweilige Geschichte einsetzen möchte. Außerdem liegt hier das Hauptaugenmerk ganz klar auf der Story selbst und den menschlichen Schicksalen dahinter, weniger auf dem Abfackeln eines Feuerwerks spektakulärer Herausforderungen.

 

Spoiler-Warnung!

Potenzielle Spieler, die sich den Spaß an diesen Abenteuern nicht verderben möchten, sollten die folgenden Abschnitte überspringen und erst beim Fazit weiterlesen, denn es folgen massive Spoiler!

 

Kapitel 1: To Inherit Eternity (von Harold Johnson, 49 Seiten)

Die erste Geschichte ist auch gleich die umfangreichste und handelt von der Suche nach dem ewigen Leben. Sir Eowin Tierny Tytian Allyn Makepiece Theone III. (wer erfindet solche Namen?) war Zeit seines Lebens ein sehr erfolgreicher Abenteurer, hat eine große Anzahl Schätze angehäuft und angesichts seines beträchtlichen Alters ging das Gerücht um, er habe das Geheimnis des ewigen Lebens gefunden. Umso erstaunter müssen seine Mitstreiter und Widersacher reagiert haben, als sie die Nachricht von seinem Tod erhielten, zusammen mit der Einladung zu einer Auktion, bei der die Habseligkeiten Theones (vornehmlich magische Gegenstände und Artefakte) unter den Hammer kommen sollen. Sir Theone III. hatte seinem Hausverwalter für den Fall seines Ablebens den Auftrag erteilt, alle seine ehemaligen Weggefährten und Konkurrenten (darunter ggf. auch die SC) zu dieser Auktion einzuladen. Und so findet sich auf dem abgelegenen Anwesen des Verstorbenen eine bunte Mischung aus den unterschiedlichsten Charakteren ein, darunter ein Priester, ein Arzt, ein Kriegsveteran, der Neffe von Sir Theone, ein reicher Händler, eine schüchterne junge Dame und einen geistig zurückgebliebenen Hausdiener – das klassische Ensemble eines Cluedo-Spiels oder eines Edgar Wallace-Streifens aus den 60er Jahren. So ähnlich läuft das Ganze dann auch ab: Während der Auktion ziehen die Gäste von Raum zu Raum, und während sie Gebote auf die verschiedenen Exponate abgeben, geschehen diverse „Unfälle“ und andere seltsame Dinge, bei denen so mancher zeitweilig verschwindet, schwer verletzt oder sogar getötet wird. Nichtsdestotrotz lassen sich die Gäste nicht beirren, setzen die Auktion fort und möchten sich erst danach um die Vorfälle kümmern (die Abenteurergruppe will ich sehen, die dabei mitspielt...). Am Schluss kommt es natürlich wie es kommen muss: Der reiche Händler will den wertvollsten Gegenstand gewaltsam an sich reißen, der Neffe von Sir Theone entpuppt sich als der unsterbliche Sir Theone selbst und besiegt den Bösewicht, das Anwesen geht in Flammen auf.

Tatsächlich war die ganze Auktion nämlich nur ein Test von Theone, um geeignete Kandidaten zu finden, die sich als würdig erweisen, um auf die gleiche Mission zu gehen wie er selbst es damals getan hat, und dadurch ebenfalls Unsterblichkeit zu erlangen. Denn wie wir seit dem Highlander alle wissen, ist es keineswegs immer nur ein Segen, unsterblich zu sein, sondern man ist dazu verdammt, seine Liebsten altern und wegsterben zu sehen. Genau dies ist Theone auch passiert, und aus diesem Grund ist er nun auf der Suche nach Gefährten, die sein Schicksal teilen, und mit denen er seine reichlich vorhandene Zeit verbringen kann.

Als mögliche Abenteuer werden hier u.a. die Teilnahme an der Auktion selbst, den Ereignissen danach oder sogar die Suche nach der Quelle des ewigen Lebens (bei der es sich kitschigerweise um einen Brunnen mit einer weißen, wabernden Lichtgestalt darin handelt) vorgeschlagen und näher beleuchtet. Dazu sind im Anhang alle beteiligten NSC (allerdings ohne Werte), magische Gegenstände aus dem Haus Theones und neue Monster aufgeführt.

Die erste Geschichte fand ich schon mal sehr enttäuschend. Sie ist nicht nur komplett vorhersehbar (mir war von Anfang an klar, dass Theone wieder auftauchen würde) und langatmig, ihr fehlt auch etwas, das für Ravenloft eigentlich essentiell ist: Sie ist nicht im Mindesten gruselig oder auch nur ansatzweise unheimlich. Des weiteren halte ich es für nahezu unmöglich, die Geschichte direkt als Abenteuer einzusetzen. Man müsste die Spieler bis über die Schmerzgrenze hinaus gängeln, andernfalls würden sie garantiert den Plot schmeißen. Und die Suche nach dem ewigen Leben halte ich nicht nur für eine mehr als fragwürdige Motivation (ich bin mir nicht mal sicher, ob ich auf dieser Welt ewig leben möchte, aber in Ravenloft? Nein, danke!), ich möchte auch nicht der SL sein, der dann ggf. einen oder sogar mehrere unsterbliche Charaktere in der Gruppe hat, denen nichts und niemand mehr etwas anhaben kann. Ich sehe nur eine einzige Möglichkeit, diese Geschichte irgendwie sinnvoll anzuwenden: Die SC schließen sich dem „Cult of Light“ an (der gegen den einen Unsterblichen („The Evil One“ a.k.a. Sir Theone) vorgeht und verhindern möchte, dass weitere Unsterbliche entstehen, da der Eine schon sehr viel Unheil angerichtet hat) und erhalten den Auftrag, dafür zu sorgen, dass niemand die Quelle des ewigen Lebens findet. Diese Variante wird hier leider überhaupt nicht ausgearbeitet, dafür würden sich aber sicherlich wenigstens einige der NSC aus dieser Geschichte in ein solches Abenteuer einbauen lassen, so dass sie nicht vollends für die Katz’ ist.

Zwischennote: 1.7

 

Kapitel 2: The Curse of Ashington Manor (von Steve Miller, 31 Seiten)

Wie der Titel dieser Geschichte unschwer erahnen lässt, handelt sie von einem verfluchten Haus. Einst lebte hier ein ruchloser Adliger namens Lord Ashington, dessen Lieblingsbeschäftigung es war, mit seinen Spießgesellen unschuldigen jungen Damen aufzulauern, diese in sein Haus zu entführen und dort während nächtlicher Orgien erst ihrer Unschuld und dann ihres Lebens zu berauben. Eines Tages geriet er jedoch an ein entlaufenes Vistani-Mädchen. Zur Unterhaltung der Gäste zwang er sie, für alle Anwesenden mit ihren Tarokka-Karten die Zukunft vorherzusagen. Das Ergebnis war jedoch wenig vergnüglich für die Gäste, denn die Zukunft zeigte für alle (inklusive der Kartenlegerin selbst) nur Tod und Verderben. Als schließlich Lord Ashington an der Reihe war, drohte er der Vistani mit vorgehaltener Waffe zu einer positiven Weissagung. Als die Karten jedoch wieder nur Schreckliches zeigten, tötete er aus Wut das Mädchen, bevor es die letzte Karte ablegen konnte. Mit letzter Kraft stieß sie noch den Fluch aus, der von nun an das Anwesen heimsuchen sollte. Am folgenden Tag brach zwischen Lord Ashington und seinen Gästen ein Streit aus, der in einem Massaker endete, das nur Maekon, ein als Bardin getarnter Vehrteig (ein neues Monster, das im Anhang vorgestellt wird), überlebte.

Nach diesen Begebenheiten wurde aus dem Anwesen erst ein Hospiz, dann eine Gaststätte, schließlich eine Irrenanstalt, und heute ist sie nur noch eine Ruine, die als Unterschlupf für eine Räuberbande dient. Alle 17 Jahre schlug der Fluch wieder zu und es kam in den jeweiligen „Inkarnationen“ des Hauses zu einem weiteren Blutbad. Jedes Mal wurde dabei ein geheimnisvolles Vistani-Mädchen gesehen, das mitten im Getümmel in aller Ruhe seine Tarokka-Karten gelegt hat.

Auch hier ist es aus offensichtlichen Gründen kaum denkbar, die SC an dem Geschehen, das zu dem Fluch geführt hat, aktiv teilhaben zu lassen, aber das ist hier auch nicht vorgesehen. Sinn der ganzen Sache ist vielmehr, dass die SC irgendwie in die jüngste Version dieses Hauses (die Ruine) geraten und erst dann wieder heraus können, wenn sie den Fluch gebannt haben. Um dies zu bewerkstelligen, müssen sie natürlich erst einmal herausfinden, was die Ursache für den Fluch ist, und wie sie ihn beenden können. Dabei wandern sie nicht nur von Raum zu Raum, sondern auch durch die Zeit: Das Haus selbst hat nämlich ähnliche Eigenschaften wie ein Geist und manifestiert sich in periodischen Abständen oder beim Betreten bestimmter Punkte in eine seiner früheren Versionen, wodurch sich die Insassen plötzlich in einer ganz anderen Situation wiederfinden. Lord Ashington und dessen Komplizen tauchen dabei in jeder Epoche auf, wenn auch in jeweils gänzlich anderen Rollen, was sicherlich für einige Verwirrspielchen sorgen wird. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Fluch zu beenden (dafür zu sorgen, dass die Weissagung des Vistani-Mädchens ordnungsgemäß beendet wird, indem man die letzte Karte ablegt, ist z.B. eine davon), aber mit einem einfachen Töten Lord Ashingtons ist es natürlich nicht getan.

Von der Aufmachung her ähnelt diese Geschichte sehr einem herkömmlichen Abenteuermodul. So findet man hier z.B. eine Karte vom Grundriss des Anwesens mit 15 Raumbeschreibungen, die sich noch einmal in die verschiedenen zeitlichen Versionen aufteilen, grundsätzliche Verhaltensweisen der NSC in den jeweiligen Epochen und eine ausführliche Hintergrundgeschichte. Dazu gibt es im Anhang ein niederes Artefakt (das Tarokka-Kartenspiel des Vistani-Mädchens), den Vehrteig als neues Monster (ein Vehrteig ist so etwas ähnliches wie ein Sukkubus, ernährt sich jedoch von Abartigkeiten und Verderbtheit und wird besonders von den Vistani gefürchtet, da er gegen deren „Evil Eye“-Fähigkeit immun ist) sowie eine Beschreibung aller beteiligten NSC (diesmal mit Werten).

Auch wenn Steve Miller die Idee mit den Zeitsprüngen mal ganz frech aus der alten, aber sehr genialen „Castles Forlorn“-Box geklaut hat, so muss ich doch neidlos zugestehen, dass sie hier sehr schön umgesetzt wurde. Verwunschene Spukhäuser sind zwar gerade in Ravenloft sicherlich keine brandneue Idee, aber manchmal funktionieren die Klassiker eben doch noch ganz gut. Schwierig wird es nur für die Spieler: Einen echten Hinweis darauf, wie man den Fluch brechen kann, erhalten sie nämlich nicht. Sie sind dazu verdammt, die Geschehnisse genau zu analysieren und dann ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Ob das ohne Hilfe durch den SL so einfach gelingt, wage ich mal zu bezweifeln. Nichtsdestotrotz ein Abenteuer – pardon – eine Geschichte, die man wirklich „out of the box“ leiten und dabei Spaß haben kann.

Zwischennote: 4.0

 

Kapitel 3: The Brood of Blutkalte (von Brett King, 19 Seiten)

Die Familie Blutkalte ist schon ein heftiger Haufen: Großvater Blutkalte mimt den Heiler und pflegt seine Patienten zu Tode, während er sich an ihren Qualen ergötzt, Vater Blutkalte ist Totengräber und verschafft sich mittels seines Spatens seine Kundschaft selbst, Mutter Blutkalte näht ihre Opfer in ihre Bettlaken ein, bis sie hilflos sind, und deren Söhnchen Sebastian ist dazu verdonnert, seiner Sippschaft bei all diesen Machenschaften zur Hand zu gehen. Und da niemand gerne eine solche Familie in der Nachbarschaft hat, sind die Blutkaltes aus ihrer ursprünglichen Heimatstadt geflohen und ziehen nun mordend durch die Lande. So zumindest sagt es die Legende.

Den Tatsachen entspricht dies zwar nicht ganz, aber das Ergebnis ist weitgehend das selbe: Vater Blutkalte ist nämlich nicht der Vater von Sebastian, sondern ein „Dread Doppelganger“, der in der Gestalt von Vater Blutkalte Mutter Blutkalte geschwängert hatte. Und so ist Sebastian ebenfalls ein Dread Doppelganger, und zwar einer mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung, die er sich im Angesicht der Schreckenstaten seiner Eltern zugezogen hat. Als der Großvater Sebastian zwang, seinem besten Freund den Todesstoß zu versetzen, klinkte Sebastian aus, sein Doppelganger-Ich brach durch und es kam zu einem Gemetzel, bei dem die gesamte Familie Blutkalte ausgelöscht wurde. Sebastian hatte allerdings das „Glück“, zu einem Geist zu werden. Das Ergebnis ist also nun ein Dread Doppelganger/Geist mit multipler Persönlichkeitsstörung, der die Gestalten seiner Ex-Familie annimmt – und mordend durch die Lande zieht.

Diese Geschichte eignet sich natürlich vorzüglich dazu, um ein Abenteuer um die Aufklärung rätselhafter Serienmorde zu weben, und für genau diese Möglichkeit präsentiert der Autor hier auch einen schon relativ weit ausgearbeiteten Plot und im Anhang Sebastian Blutkalte als NSC. Wem diese Story nicht zu abgedreht ist, der wird es mit einem solch extraordinären Gegenspieler sicherlich nicht schwer haben, die SC immer wieder in die Irre zu führen und für lange Zeit zu beschäftigen.

Zwischennote: 3.6

 

Kapitel 4: Noises in the Night (von Ryan Naylor, 13 Seiten)

Wer kennt sie nicht, die kleinen Horrorgeschichten, mit denen Kindern Angst eingejagt werden soll, damit sie bestimmte Dinge bleiben lassen? Dass ihnen z.B. jemand die Daumen abschneidet, wenn sie nicht aufhören, daran zu lutschen. Oder dass es im Fluss hungrige Krokodile gibt, damit sie nicht zu nah ans Wasser gehen. Auch in Ravenloft werden den Kindern diese Geschichten erzählt, allerdings mit einem kleinen Unterschied: Die bösen Männer oder Ungeheuer, vor denen die Kinder gewarnt werden, gibt es dort wirklich: Die Bogeymen („Buhmänner“). Es handelt sich dabei um Feenwesen, die immer dann entstehen, wenn eine besonders böse Tat an einem Unschuldigen verübt wird. An dieser Stelle entsteht dann eine „Sickergrube des Bösen“, und sobald zukünftig innerhalb von einer Meile um diese Sickergrube die entsprechende Geschichte erzählt wird, manifestiert sich der Bogeyman und macht den Erzähler oder die Zuhörer zu seinen Opfern (wobei es sich nicht zwangsläufig um Kinder handeln muss). Diese Geschichte handelt von zwei Brüdern, die gemeinsam Volkssagen untersucht, sich aber im Laufe der Zeit zerstritten hatten. Als einer von ihnen die Legende eines Bogeyman veröffentlichen wollte, wurde eines seiner Kinder von ebenjenem Bogeyman getötet, das andere in den Wahnsinn getrieben.

Sechs Beispiele für Bogeymen werden im Anhang geliefert: „The Bad Thing“ (ein kleines Äffchen mit dem Kopf eines menschlichen Jungen), „Mister Fox“ (ein katzenfreundlicher Reisender, der Kindern kleine, tödliche Geschenke aus seiner großen, schwarzen Ledertasche überreicht), „Monsieur Croquemitaine“ (ein Farmer, der seine Opfer auf seinem Ochsenkarren entführt und aufisst), dessen Frau „Madame Croquemitaine“ (eine füllige Bäuerin, welche die Kinder mit Süßigkeiten zu dem wartenden Karren ihres Mannes lockt), „Alligator Lenny“ (der in der Kanalisation lebt und vorzugsweise kleine Kinder ertränkt) und last but not least „The Scissorman“ (ein Schneider, der seine Opfer mit seiner rasiermesserscharfen Schere in handliche Stückchen schnipselt).

Ähnlich wie in Kapitel 3 bieten sich auch hier Abenteuer an, die sich um rätselhafte Morde oder das Verschwinden von Kindern drehen. Die Bogeymen eignen sich dabei vorzüglich, um eine unheimliche Stimmung zu produzieren, die aus der Angst vor dem Unbekannten heraus resultiert. Vampire und Leichname sind sicherlich auch furchteinflößend und grausam, ihre Taten beruhen jedoch zumeist auf nachvollziehbaren Motiven. Die geheimnisvollen Bogeymen dagegen handeln aus dem puren Wahnsinn heraus, wecken alte Kindheitsängste und sind völlig unberechenbar. Ich halte die Bogeymen für die mit Abstand beste Idee in diesem Buch – leider auch die Kürzeste.

Zwischennote: 4.6

 

Kapitel 5: To Honor and Obey (von Ari Marmell, 14 Seiten)

Die fünfte und letzte Geschichte schließlich handelt von einer Adligen, die um jeden Preis verhindern möchte, dass ihr Bruder eine Frau heiratet, die zwar aus einer reichen Familie stammt, jedoch von niederem Stand ist. Um das Blut ihrer Familie rein zu halten, geht sie sogar so weit, dass sie sich bei einem zwielichtigen Händler namens Mensonge einen Trank besorgt, die Braut in spe zu einem Kennenlerngespräch einlädt, sie ihr den Trank einflößt, die beiden daraufhin ihr Aussehen tauschen, sie die Braut tötet, und dann selbst ihren eigenen Bruder heiratet. Dummerweise hatte ihr Bruder eine ähnliche Idee: Er hatte sich ebenfalls einen Trank besorgt, und zwar einen, mit dem man den Trinker zu seinem willenlosen Sklaven machen kann. Nun verbringt er also unwissentlich die Nächte mit seiner willenlosen Schwester in Gestalt seiner Braut.

Wer sich nun fragt, wie man aus einer solchen Geschichte ein Abenteuer stricken kann, der befindet sich in guter Gesellschaft – denn das weiß der Autor auch nicht so recht. Dazu kommt noch, dass diese Geschichte eigentlich gar nicht in Umlauf gekommen sein kann, denn es gibt niemanden, der sie hätte weitererzählen können. Zwar bietet der Autor einen kurzen Plot um eine Gruppe Männer an, die sich des zweiteren Tranks bemächtigt haben, um damit Frauen unter ihre Kontrolle zu bekommen, aber im Grunde dient diese Erzählung lediglich dazu, um die Voodan vorzustellen: Eine neue Grundklasse, welche die D&D-Umsetzung eines „Houngan“, eines Voodoo-Priesters, sein soll, und die natürlich in der Domäne Souragne angesiedelt ist (in der auch diese Geschichte spielt). Der oben erwähnte Händler Mensonge ist nämlich ein solcher Voodan.

Im Anhang findet sich denn auch die komplette Beschreibung des Voodans: Es handelt sich bei ihnen um göttliche Zauberwirker, die ihre magischen Kräfte allerdings nicht von den Göttern beziehen, sondern von den „Loa“ – spirituellen Wesen, die irgendwo zwischen Geistern und Göttern stehen und oftmals mit bestimmten Aspekten der Natur verbunden sind. Ein kompletter Pantheon aus 11 Loa ist hier bereits enthalten. Seine Zauber erhält der Voodan nicht durch Beten, sondern indem er seine Vorbereitungszeit (die wie beim Kleriker gehandhabt wird) dazu nutzt, sich kleine Figürchen oder andere Symbole für die Zauber, sog. „Gris-gris“, zu basteln. Die Anzahl „Gris-gris“, die ein Voodan pro Tag herstellen kann (sprich: seine Anzahl Zauber pro Tag) entspricht genau der Progression des Klerikers ohne die Domänenzauber. Allerdings kann ein Voodan seine Zauber frei aus den Zauberlisten des Barden, Klerikers, Druiden und Waldläufers auswählen. Gris-gris haben gegenüber den herkömmlichen Vorbereitungsmethoden außerdem den Vorteil, dass der Voodan sie an andere weitergeben kann. Statt des Voodans kann dann der Empfänger den Zauber einmalig wirken. Außer der Beschreibung des Voodan findet man im Anhang noch zwei Zauber und das Talent „Brew Greater Potion“, mit dem sich Tränke aus Zaubern bis zum 9. Grad herstellen lassen.

Mit der Geschichte kann ich zugegebenermaßen nicht viel anfangen. Den Voodan halte ich zwar für sehr stylisch, allerdings will er außerhalb von Souragne kaum so recht irgendwo hin passen. Als NSC in einem Abenteuer um den Voodoo-Kult in Souragne wären die Voodan sicherlich spitze, aber als SC würde ich sie kaum zulassen, schon allein weil sie mir dafür viel zu sehr in einer bestimmten Kultur verankert sind. Reißt man sie aus diesem Kontext heraus, dann hat man im Prinzip nur einen Kleriker, der seine Zauber an andere verteilen kann.

Zwischennote: 2.0

 

Anhang (42 Seiten)

Was sich im Anhang befindet, habe ich ja bereits bei den jeweiligen Geschichten erwähnt. Mir hätte es aus Gründen der Übersichtlichkeit besser gefallen, wenn der Anhang aufgeteilt und direkt im Anschluss an die jeweilige Geschichte gedruckt worden wäre, aber so geht es natürlich auch.

 

Fazit

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass den Autoren hier ziemlich freie Hand gelassen wurde – jeder hat die Vorgabe „Geschichten, die sich zu Abenteuerideen ausbauen lassen“ vollkommen anders interpretiert. „The Curse of Ashington Manor“ hätte z.B. auch gut und gern als eigenständiges Abenteuermodul erscheinen können. „To Inherit Eternity” dagegen ist eine reine Geschichte, die sich kaum als Abenteuer umsetzen lässt. Die restlichen drei Kapitel wirken, als hätte es zuerst die Idee für ein Monster (bzw. im Falle von „To Honor and Obey“ für die Grundklasse) gegeben, und dann hätten die Autoren versucht, drumherum eine Geschichte zu stricken.

Reine Abenteuerideen zu bewerten, ist aber auch an sich schon reichlich schwierig, denn es kommt dabei immer extrem darauf an, was man draus macht. Meine Bewertung der einzelnen Geschichten richtet sich also ausschließlich danach, was der jeweilige Autor bereits anbietet, und welches Potenzial die Geschichte meiner Meinung nach darüber hinaus bietet. Ich kann jedoch nicht in jeden Kopf schauen – vielleicht findet ja jemand eine Möglichkeit, wie man auch aus „To Inherit Eternity“ einen Knaller-Plot herausziehen kann, der mir verborgen geblieben ist. Ich bitte dies zu berücksichtigen. Nimmt man den Durchschnitt aller Zwischennoten, so ergibt sich eine 3,18. Betrachtet man aber die reinen Seitenzahlen, so fällt auf, dass die „guten“ drei Geschichten (Kapitel 2 bis 4) nur die Hälfte des Buches füllen, die „schlechten“ zwei die andere Hälfte (zählt man auch den Anhang mit, ist der Anteil der schlechten Geschichten sogar um einiges größer). Somit ist also zumindest für mich über die Hälfte des Buches nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzbar, was zu einer Abwertung auf 3,0 führt. Prinzipiell bin ich von der Idee, gruselige Kurzgeschichten als Lieferanten für Abenteueraufhänger einzusetzen, sehr angetan. Wäre ausgerechnet die erste und umfangreichste Geschichte nicht so eine Enttäuschung gewesen, dann wäre dies ein hervorragendes Buch geworden. So ist es leider nur gehobenes Mittelmaß. Wirklich schade.