Links zur Rezension GmbHNatürlich hat sich jeder schon mal bewusst gemacht, dass es auch außerhalb der UCAS Kriminelle gibt. 2060 müssen demzufolge einige davon Shadowrunner sein, die nicht dem gängigen Klischee entsprechen. Ist die ADL vielen als Setting für P & P-RPG schon zu exotisch und unrealistisch, so dürften sich die wenigsten über tschechische, polnische oder serbische Runnerkollegen Gedanken gemacht haben, die nicht als Mitglieder Eurer örtlichen Mafia-Gruppierungen auftreten. Das mag vielleicht auch für Österreich bzw. die Alpen gelten, die die meisten ja eher als gemütliche Urlaubsgegend im Kopf haben.
Jetzt hat Christian Riesslegger, bereits aus der Anthologie Matrixfeuer bekannt, seinen ersten Shadowrun-Roman veröffentlicht. GmbH ist der erste Teil eines Zweiteilers, der, wie schon Leo Lukas’ Wiener Blei, dem Leser nördlich der Alpen Österreich näher bringt. Was die Handlung angeht, besteht GmbH, soviel kann wohl verraten werden, aus der Vorbereitung eines Runs. Eingeschoben ist ein paralleler Handlungsstrang, der während der Eurokriege in den 2030ern angesiedelt ist.
Allerdings ist der Plot eher Nebensache. Viel auffälliger sind einige Dinge, die einen österreichischen Shadowrun-Roman von einem amerikanischen oder in der ADL spielenden unterscheiden:
Zuerst einmal ist es die Sprache. Dass Herr Schmidt in Österreich Dr. Novak ist, mag ja noch bekannt sein. Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich sein, wenn ein Run sich „Hockn“ nennt, die Polizei die „Kieberei“ ist und man nicht mehr durch den Wind oder am Ende, sondern „am Sand“ ist. Sehr schnell stellt sich aber ein sehr heimeliges, gemütliches Gefühl ein und die Bilder vom letzten Winterurlaub ziehen einem durchs Hirn: verschneite Balkone mit Holzverzierung, blütenweiße Pisten, und gutes, recht fettiges Essen und reichlich Lokalalkohol. Das, gepaart mit dem Wissen um glänzende Chipbuchsen, fokibehängte Schamanen, High-Tech-Waffen und das übliche Konzernvolk mit dunklen Anzügen und Sonnenbrillen, verpasst dem ganzen Idyll eine schöne, surreale Note. Der Rezensentin hat das gefallen, aber wer eher den „klassischen“ Grossstadtdschungel amerikanischer Prägung bevorzugt, wird sich ein bisschen verarscht vorkommen. GmbH ist da gewollt provinziell, was aber eben nicht heisst, dass alle Runner Idioten sind…
Der Roman ist lang. Fast 400 Seiten. Das ist viel für einen Shadowrun-Roman und es folgt ja noch ein zweiter Teil. Das lässt natürlich Zeit für Dinge, die es in anderen SR-Romanen nicht in dem Maße gibt: Riessleggers Österreicher sind liebevoll und detailliert geschildert. Das funktioniert aber eben nur auf Kosten der Kürze. Oft gibt es Einblick in die Gedanken der Beteiligten, recht ausführliche Beschreibungen der Locations und ihrer Geschichte, kurzum: Riesslegger baut keine Archetypen, sondern Leute, denen man abnimmt, dass sie irgendwann mal existieren könnten. Ebenfalls fällt positiv auf, dass der Roman sich auch Zeit für Gesellschaftskunde mit Spezialisierung Österreich nimmt. Es gibt viele liebevoll gestaltete Infos zum schlechten Zustand verschiedenster gesellschaftlicher Bereiche. Auch gesellschaftliche Gruppen und politische Parteien, die eben typisch österreichisch sind, sind sehr harmonisch in den Roman eingebaut worden. Korruption in lokaler Politik und Wirtschaft, Wahlkampf und politisches Geschacher sind ebenfalls sehr ausführlich geschildert und bilden wie üblich den Nährboden, auf dem Shadowruns gedeihen. Das gilt auch für den übrigens sehr interessanten Plotstrang, der in den Eurokriegen spielt und mehr oder weniger typische Geheimagenten in einer eher untypischen Situation zeigt. Damit ist der Roman durchaus „gesellschaftskritischer“, meinetwegen auch „politischer“ als andere, man merkt auch an, dass der Autor seine heutige Umwelt sehr gut beobachtet hat, aber er wird dabei nicht langweilig oder allzu betroffen. Auch das macht das Setting recht lebendig.
Wer also gern Stephen Kings ausführliche, betont langsam erzählenden Stil liest, ahnt vielleicht, wohin – natürlich in Ansätzen – der Erzählstil Riessleggers geht. Wer aber eher gamistisch orientierte Shadowrun-Romane mag, die Standard-Rollenspiel-Plots ein bisschen erzählerisch ausschmücken und eigentlich mehr illustriertes Regelwerk sind (Stichwort: Stephen Kenson), der wird von GmbH nicht viel haben.
Hier liegt die große Schwäche des Romans: es ist offensichtlich, dass es einen Plot gibt, allerdings lässt der Autor sich sehr viel Zeit mit der Vernetzung der einzelnen Stränge. Somit bleibt zwar viel Zeit für die Vorstellung der einzelnen Charaktere und dem Umfeld. Aber vielleicht hätte der Autor ein wenig strenger mit sich selbst sein sollen (oder die Lektoren mit ihm) und das Gesamtziel nicht ganz so sehr aus den Augen verlieren sollen. Angesichts der zu erwartenden Fortsetzung ist das aber aus der Sicht der Rezensentin kein allzu großes Problem.
Fazit: Personen und Beschreibungen sind exotisch österreichisch, sehr ausführlich und sehr gelungen, insofern fällt GmbH sehr positiv auf. Allerdings könnte das Timing in Riessleggers Plot besser sein. Trotzdem viel besser als der Durchschnitt.
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