Links zur Rezension Der Awianer hielt meine Bemerkung nicht für sonderlich nützlich. »Bring doch etwas Verständnis für uns Sterbliche auf!«, sagte er höhnisch. »Die Zeit hat deine Sichtweise derart verzerrt, dass sie völlig nutzlos ist! Für dich, Jant, ist jeder Tag der Anfang eines goldenen Zeitalters; eine Möglichkeit, der Playboy der ganzen Welt zu sein. Für Blitz ist die Welt zusammengebrochen; seine beste Zeit war elfhundertfünfzig vorbei. Sogar Raa sieht aus, als hätte man ihn im letzten Jahrhundert vergessen. Worin liegt der Sinn, dass die Eszai den Zaskai helfen, wenn so viele unter ihren Augen gestorben sind, dass es ebenso Ameisen hätten sein können? Wofür haltet ihr uns wirklich? Für Ameisen? Um Gottes Willen, Jant, ich versuche bloß, am Leben zu bleiben!«
Diese Textstelle habe ich ausgewählt, weil sie sowohl die Story von KOMET, dem Erstlingswerk von Steph Swainston, beinhaltet, als auch einige Schwächen illustriert, die den Spaß an dieser grundsätzlich gelungenen Geschichte etwas schmälern.
Anmerkung: Ich habe das Buch als kostenloses Rezensionsexemplar erhalten.
Story Das Reich Viellanden liegt seit Jahrtausenden im Krieg mit den Insekten, ameisenähnlichen und undurchschaubaren Invasoren von... irgendwo. An der Spitze der Verteidigung steht das Schloss, wo der Imperator und seine fünfzig Eszai beraten. Eszai sind Unsterbliche, die Besten ihres Fachs (sie können herausgefordert und ersetzt werden), die zwar durch ihre Unsterblichkeit auch schwerer zu töten sind, aber im Grunde nur nicht altern. Die Zaskai, die auch im Zitat erwähnt werden, sind Sterbliche, hauptsächlich Menschen, Awianer und Rhydanner. Letztere sind ein zurückgezogenes Bergvolk, das keine große Rolle spielt; die Awianer sind Menschen mit Adlerflügeln, aber flugunfähig.
Die Ausnahme ist Jant, ein Awianer-Rhydanner-Mischling. Er ist schneller als alle Menschen und Awianer und er kann fliegen. So hat er es zum Kometen gebracht, zum Kurier des Schlosses. Jant ist drogensüchtig und versucht eher schlecht als recht, diese Sucht geheim zu halten. Wie der Titel des Buches suggeriert, ist dies Jants Geschichte.
Kurz nach dem Beginn des Buches verstärken die Insekten ihre Angriffe und drohen, das ganze Reich zu überrennen. Gerade jetzt aber drohen innenpolitische Streitigkeiten und persönliche Fehden, die Armee des Schlosses auseinanderzureißen. Muss der Imperator zusehen, wie Zaskai abtrünnig werden und Eskai sich gegenseitig zerfleischen oder gibt es noch Hoffnung in den Visionen eines Süchtigen? Die Antwort ist nicht schwer zu erraten, fällt aber dennoch ungewöhnlich aus.
Stärken Jetzt sollte also klar sein, worum es grundsätzlich geht – ist es aber nicht. Der Krieg gegen die Insekten ist nur der Hintergrund, vor dem die Autorin uns den Kreis der Eszai vorstellt, und das aus der Sicht des ehemaligen Straßenjungen Jant. Ich fand die Charaktere sehr gut gezeichnet, vor allem ergingen sie sich fast nie in irgendwelchen Erklärungen, sondern ließen ihre Taten für sich sprechen – ein verdammenswertes Urteil. Obwohl Jant Shira kein Engel ist und anfänglich als Schandfleck der Unsterblichen wirkt, eröffnen sich nach und nach die Charakterschwächen der anderen Unsterblichen. Dies sind mythologische Helden im Sinne von Herkules, keine geschliffenen Superhelden. Um der beste Bogenschütze zu werden, muss man nicht nett und hilfsbereit sein. Die Gegenfrage ist erlaubt: Darf man das überhaupt sein?
Und so finden die Schlachten gegen die Insekten nur an zweiter Stelle statt; zuerst stehen Bemühungen, einen Platz unter den Eszai zu gewinnen oder ihn zu verteidigen, seine Ländereien nicht zu verlieren und vor allem die Symbolkraft nicht zu gefährden, die das Volk seinen unsterblichen Helden zugesteht. Aber der Awianer aus dem obigen Zitat hat schon recht: Es sterben viele, viele Zaskai im Laufe des Buches, ohne einen wirklichen Eindruck zu hinterlassen. Für die Unsterblichen zählt nur, was Unsterbliche direkt betrifft.
Jant ist der richtige Ausgangspunkt für diese Geschichte; nicht nur ist er ein hervorragender Beobachter und hat keine Hemmnisse, die Geheimnisse anderer zu erfahren (er liest die Briefe, die er überbringt), er ist auch einer der jüngsten Unsterblichen und hat daher noch einiges zu erlernen – und er hat eine interessante Vergangenheit, die ihn sichtlich geprägt hat. Außerdem kann er fliegen, und das macht ihn einerseits zum Außenseiter und andererseits zum perfekten Beobachter, quasi aus der Vogelperspektive. Und ich möchte noch darauf hinweisen, dass die Beschreibung des Fliegens absolut großartig ist. So stellt man es sich vor, Flügel zu haben.
Schwächen Die erste Schwäche ist der Klappentext, denn er stellt das Buch anders dar, als es tatsächlich ist. Zwar liegt die Antwort auf die Insektenplage in den Halluzinationen, die Jant bei Einnahme einer Überdosis seiner Droge heimsuchen, aber diese Antwort lässt sehr lange auf sich warten, und wenn man glaubt, das Buch drehe sich um diese Antwort, kann man schon ungeduldig werden – zu Unrecht.
Ich trug Armreife, ausgebleichte Jeans und ein ausgeschnittenes T-Shirt mit der Aufschrift ›Hacilith Marathon 1974‹. (...) »Möchtest du ne Pizza?«, fragte er. »Nein.« Ich versuchte, in Andernort möglichst wenig zu mir zu nehmen, zumindest seit die Zinken die Burger-Ketten übernommen hatten. »Automatensoße und Monsterella-Käse? Angstchovis?« (...) Eine weitere Zigarettenpackung lag in der Tasche unter dem Tisch, zusammen mit einem Messer, seinem zusammengerollten blauen Mantel und einem Exemplar des Tittenmagazins ›Geile Huren‹. (...) Das ist für den Augenblick alles, was ich von meiner Vergangenheit erzählen werde, weil ich immer noch unheilvolle Briefe von der Touristeninformation aus Hacilith erhalte.
Eine zweite Schwäche des Buches liegt in seinem wechselhaften Stil. Die obigen Zitate (siehe auch ›Playboy‹ im Eingangszitat) wirken aufgrund des grundsätzlich eher fantasy-typischen Stils des Buches fehl am Platz. Wäre KOMET durchgehend anachronistisch geschrieben, könnte man sich wohl daran gewöhnen und würde es lieben oder hassen, aber diese Einsprengsel modernen Jargons beulen das Buch aus, so sehr stehen sie hervor. Nicht zitiert, aber erwähnt sein will auch eine Sexszene, die im Gegensatz zu anderen ähnlichen Szenen sehr explizit geschrieben ist und wiederum untypisch wirkt. Zum Glück sind diese Ausrutscher seltener, als ich zuerst fürchtete – alle Zitate sind aus der ersten Hälfte des Buches und wirken am Ende wie ein schlechter Trip (Jant spürt z.B. auch die Effekte von ›Cold Turkey‹).
Zu diesem schwankenden Stil zählt auch im Eingangszitat die Beschuldigung, Sterbliche seien nur Ameisen für die Eszai. Hier gibt es folgendes Problem: Die Insekten sind allen Beschreibungen zufolge menschengroße Ameisen, aber sie werden nie so genannt. Sehen Ameisen jetzt in dieser Welt anders aus, halten die Unsterblichen die Zaskai für Insekten, oder was?
»Wo in Gottes Reich bist du denn gewesen?«
Die dritte Schwäche, und die, vor der ich am lautesten warnen möchte, ist die Dichte der erdachten Welt. Während die Gebäude alle sehr eindrucksvoll beschrieben werden, bleibt die Zusammensetzung der Gesellschaft von Viellande unklar und wirkt teilweise unlogisch. Da ist einerseits das Schloss, dessen Unsterbliche im Namen Gottes das Reich vor den Insekten beschützt. Aber es gibt außer der Erwähnung eines Gottes keinerlei religiöse Anwandlungen, weder unter Eszai noch Zaskai.
Andere Fragen betreffen die Rassen: Warum haben die Awianer Flügel, wenn sie nicht fliegen können? Ein Evolutionsmechanismus hätte diese sicher im Laufe der letzten drei Jahrtausende entfernt. Ist Jant der einzige Mischling, der fliegen kann, oder sind alle Awia-Rhydanner flugfähig? Wenn er der einzige ist, warum? Wenn nicht, warum gibt es dann nicht mehr?
Schließlich habe ich noch ganz entschiedene Fragen an die Entwicklung der Gesellschaft. Sie ist eindeutig feudal. Die Kämpfe finden mit Schwert, Rüstung, Pfeil und Bogen statt. Die Heilkunst ist auf dem Stand des späten Mittelalters. Gleichzeitig gibt es Zeitungen, mechanische Eisenbahnen, Chemiker, Jeans, T-Shirts und Tittenmagazine. Das mag ein Resultat dessen sein, dass die kriegerischen Bereiche von den Eszai abgedeckt werden und diese sich langsamer verändern. Aber in einer Welt, in der seit drei Jahrtausenden Krieg herrscht, würde ich eher annehmen, dass die größten Errungenschaften auf diesem Gebiet stattgefunden haben – vor allem mit Unsterblichen, die ihre Beobachtungen perfektionieren können. Man denke nur, der beste Heiler der Welt habe tausende von Verletzten und Toten zur Verfügung, um anatomische Studien durchzuführen, und einen unantastbaren Ruf durch seine Unsterblichkeit, und die Gefahr, stets von einem neuen und besseren Heiler ausgestochen zu werden. Wird der wirklich keine Fortschritte machen? Pfeile erweisen sich als wenig wirkungsvoll gegen Insekten – warum wird nach dreitausend Jahren immer noch mit ihnen geschossen?
Auch plagen das Reich die Streitigkeiten zwischen den Sterblichen, Könige, die ihre Armeen zurückhalten und damit auch andere Nationen dazu bringen, ihre Streitmacht zum eigenen Schutz zu behalten anstatt sie dem Schloss zu überstellen. Diese Konflikte sind jedoch nur marginal und werden indirekt gelöst; Steph Swainson ist nicht an ihnen interessiert.
Fazit: Wer von einer in allen Einzelheiten durchdachten Welt lesen möchte, der sollte wahrscheinlich nicht zu KOMET greifen. Wer aber nicht so genau auf die Hintergründe schaut, dem kann ich das Buch mit Einschränkungen empfehlen. KOMET ist ein unterhaltsamer Einblick in die Welt der Berühmtheiten aus Sicht dieser Berühmtheiten und ein gutes Argument, dass Unsterblichkeit – selbst verdiente Unsterblichkeit – vielleicht keine so gute Idee ist. Dass nebenbei noch gekämpft und geliebt wird, ist eine schöne Zugabe. Also Flügel ausbreiten und zum Buchhandel fliegen. |
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