Links zur Rezension Erwartungen und erster Eindruck:Richard Scott Bakker – dieser Name war vielen Fantasyfreunden bisher kein Begriff. Mit seiner inzwischen bereits abgeschlossenen (und ins Deutsche übersetzten) epischen Fantasytrilogie „The Prince of Nothing“ will der 39-jährige Kanadier nun erstmals internationales Aufsehen erregen. Bereits 2004 erschienen, fiel mir dieser erste Band der Trilogie erst vor wenigen Monaten beim Schmökern im Internet ins Auge. Trotz des klischeehaften Klappentextes interessierte mich der Roman; besonders die Hinweise auf eine sehr „philosophische“ Schreibweise des Autors, die ich mir nur schwerlich vorstellen konnte, nun aber durchweg bestätigen kann. Ich hoffte auf einen Fantasyroman, der mir eine komplexe Geschichte und vielschichtige Charaktere bietet, irgendwo zwischen dem Niveau von Tad Williams’ „Drachenbeinthron“ oder dem des Genreprimus „Ein Lied von Eis und Feuer“ von George R.R. Martin.
So weit, so gut: Wer allerdings losblättert, stößt auf eine Landkarte des Kontinents Èarwa … und sieht eines der am einfachsten zu vermeidenden Klischees der Fantasyliteratur in meisterhafter Form verwirklicht: Kryptische Namen! Wo ich nur leicht schmunzelnd den Kopf schüttele, gibt es auch durchaus Leute, die schier verzweifeln, sich zwischen „Agongorea“, „Nilnamesh“ und „Akksersia“ zurechtzufinden; ein Glossar für die wichtigsten Personen und Fraktionen hinten im Buch schafft jedoch Abhilfe.
Bevor ich zum eigentlichen Inhalt komme, ein paar lobende Worte zum Layout: Das Cover, namentlich ein teilweise verdecktes Gesicht eines düster dreinblickenden, schnurrbärtigen Mannes, von einer rostfarbenen Scheibe umrahmt und in Schwarz als Hintergrundfarbe eingebettet, überträgt die düstere Stimmung des Buches sehr schön. Auch das Innere des Romans hat es mir sehr angetan: Jedes Kapitel beginnt mit einem oder mehreren Zitaten berühmter Persönlichkeiten Èarwas oder gar dem Hauptprotagonisten, gefolgt von einem ansprechenden Schriftbild mit ordentlicher Schriftgröße, was mir persönlich gerade bei einem so dicken Buch sehr wichtig ist.
Nun endlich zum wichtigen Teil: Dem Inhalt. Inhalt:Das Buch beginnt mit zwei Prologen, die sich mit dem Schicksal des später eine sehr wichtige Rolle einnehmenden Anasûrimbor Kellhus beschäftigen, der seinen Vater sucht. Er ist ein Prinz der Dûnyain, einer Sekte, die das Logos, wie sie die menschliches Handeln beeinflussende Aspekte Emotionen, Geschichte und Handlungen nennen, unter Kontrolle bringen wollen. Schnell stellt sich heraus, dass Kellhus sowohl ein sehr machtvoller Krieger ist als auch in höchstem Maße manipulativ agiert.
Der erste Teil des Buches nach den Prologen nennt sich dann auch „The Sorcerer“ – der Zauberer – und das ist Drusas Achamian, Anhänger der Zauberschule „The Mandate“, deren Mitglieder jede Nacht von der vor 2000 Jahren stattgefundenen Apokalypse um den „No-God“ Mog-Pharau träumen und ständig nach Hinweisen auf die Rückkehr der inzwischen mythisierten „Consult“, der Diener des dunklen Gottes, suchen.
Ausgehend von Maithanet, dem neuen, undurchsichtigen Führer der Tausend Tempel, einer der zwei rivalisierenden monotheistischen Religionen der „Three Seas“, der seine Kirche auf nie da gewesene Art und Weise von Spionen säubert und schließlich zu einem Heiligen Krieg gegen die Fanim, die Gegenfraktion, aufruft, entwickelt sich eine intelligente und vielschichtige Geschichte abseits ausgetretener High-Fantasy-Pfade.
Als sich auch noch die „Scarlet Spires“, die mächtigste Zauberschule der westlichen drei Meere, auf Seiten Maithanets und seiner Inrithi in den sich in Vorbereitung befindlichen Krieg einschalten und mysteriöse Tode den Aufenthalt Achamians in Momemn mit Geheimnissen umhüllen, gewinnt die Lage zunehmend an Brisanz.
Das Aushängeschild Bakkers ist sicherlich die Ausarbeitung der Hauptcharaktere: Achamian ist innerlich ständig hin- und hergerissen zwischen seiner Berufung als Mitglied seiner Zauberschule und der Liebe zu Esmenet, die wiederum ihren Beruf nicht um seinetwillen aufgeben will. Als Persönlichkeit nimmt er sich ständig schwächer und bedeutungsloser war, als er tatsächlich ist; im Gegenteil, er ist ein gewichtiger Faktor auf der Waage des Schicksals, auch ob seiner Bindung an Kellhus, den er in Kultur, Geschichte und Wissenschaften der „Three Seas“ schult. So und durch die mysteriöse, da quasi von ihm nicht eingesetzte Macht der Gnosis, der Magie des Nordens, die seiner Schule vorbehalten ist, ist auch erklärbar, dass er trotz seiner geringen Stellung als Spion und Agent mit den höchsten politischen und religiösen Führern interagiert. Paradoxerweise ist er trotz der Tatsache, dass er als Zauberer (die „in der Sprache Gottes singen“) Blasphemie ausübt und somit der Todfeind aller Gläubigen ist, Bindeglied zwischen den weltlichen Gruppierungen und den Anhängern des Inrithismus.
Die häufigen kontroversen Dialoge gewähren einen tiefen Einblick in das Innenleben der einzelnen Charaktere: Bakker verpasst ihnen oft auch einen philosophischen Anstrich und verliert dabei manchmal den Plot etwas aus den Augen, stellt so aber ausgezeichnet die Weltanschauungen sowie ethisch-kulturellen Konflikte zwischen den einzelnen Fraktionen dar. Zudem kreiert er so eine ganz eigene Atmosphäre für das gesamte Setting: Inmitten all der politischen und kulturellen Grabenkämpfe hinterfragen die Protagonisten ständig Sinn und Unsinn ihrer Emotionen und Handlungen und erledigen dies zugleich auf einem intellektuell hohen Niveau. Dabei gibt es kein Gut und Böse, moralisch sind eigentlich alle Gruppen verwerflich: Die einen schicken eine ganze Armee in den sicheren Tod, die anderen plündern und morden willkürlich im Namen einer Gottheit und Kellhus begeht zwar keine Gräueltaten, macht aber sonst, was er will. Am ehesten kann man sich noch mit Achamian identifizieren, der vom mittellosen Agenten zum mächtigen Zauberer zurück zum liebesbekümmerten Träumer aber auch einem ständigen Rollenwechsel unterworfen ist.
Wohl ganz bewusst lässt Bakker auch die Hintergründe der einzelnen Nationen und der Welt im Allgemeinen sehr offen, sodass es für mich als Leser oft unmöglich war, Unterschiede zwischen den an den am Heiligen Krieg beteiligten Parteien anhand kultureller Besonderheiten herauszulesen und diese somit klarer zu differenzieren. Etwas verwirrend, wird dadurch jedoch folgerichtig der Fokus wieder auf die Hauptprotagonisten gelenkt. Seien es nun Ikurei Xerius III, Herrscher des Reiches Nansur, und sein Neffe und oberster General Conphas oder der Barbarenhäuptling Cnaiür Urs Skiötha: Von ihnen allen kann man sich ein klares Bild bezüglich ihrer Motive und Ziele machen und erhält so ein Raster für die Handlung des Romans, die ein kultureller Hintergrund für die einzelnen beteiligten Völker nicht liefert.
Gerade das Verhältnis zwischen Cnaiür und Kellhus versinnbildlicht hervorragend die Konflikte, aus denen der Roman seine Spannung zieht: Cnaiür ist für einen Scylvendi überdurchschnittlich intelligent und berechnend und durchschaut Kellhus kühle Abwägung von Absichten, Taten und Worten, ist ihm jedoch im Kampf trotz seiner brutalen Stärke unterlegen. Kellhus kann Cnaiür jedoch nicht töten, weil er ihn benötigt, um den Heiligen Krieg für seine Zwecke zu missbrauchen.
In solchen Situationen weiß Bakker exzellent die zwischenmenschliche Spannung durch Andeutungen und kontemplative Gedankengänge aufrechtzuerhalten, während er auch innerhalb eines Kapitels häufiger die Perspektiven wechselt, um Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln gedanklich abzuhandeln.
Interessanterweise erinnern auch manche politischen Konflikte innerhalb des Buches an aktuelle, Stichwort heiliger Krieg. Es geht sicher zu weit zu sagen, man könne aus den Geschehnissen des Romans Lehren für das echte Leben ziehen, doch fügen sie ihm eine weitere, glaubwürdige Ebene hinzu.
Nicht so glaubwürdig und bisweilen nervig ist hingegen die Allmacht Kellhus’, dessen Überlegungen und Zweifel bezüglich seiner Manipulationen zwar sehr plastisch dargestellt werden, jedoch schnell ihre Relevanz verlieren, da er ohnehin nie irrt oder einen Fehler begeht. Selbst im Kampf ist er allen anderen überlegen und man stellt sich gelegentlich die Frage, wer ihn denn bitte aufhalten soll – dem Roman geht so ein Gutteil an Spannung verloren, da der Plot sich entwickelt wie ein Ausverkauf in Raten an den Dûnyain-Mönch.
Über allen Geschehnissen im Roman schwebt allerdings weiterhin der drohende Schatten der Consult, um deren Existenz der Leser ziemlich schnell, die Protagonisten im Buch allerdings nichts wissen oder wissen wollen. Man merkt schnell, dass sich dieser Handlungsstrang erst später in seiner vollen Breite entfaltet, doch verstärken die gelegentlichen subtilen Hinweise auf die böse Gruppierung die angespannte Atmosphäre, die Bakker insgesamt aufbaut.
Meiner Meinung nach wichtig zu thematisieren ist jedoch auch die sexuelle Gewalt, die laufend im Roman ausgeübt wird und als etwas zu nebensächlich dargestellt wird. Sie ist sehr häufig Mittel zum Zweck und fast ebenso oft Selbstzweck, was zwar einerseits wohl zum Aufbau der besagten düsteren und gewalttätigen Atmosphäre beitragen soll (und dies zweifelsfrei auch tut); andererseits stellt sich für mich die Frage, ob das nicht auch mit anderen inhaltlichen Mitteln hätte geleistet werden können. Fazit:Gleich vorweg: „The Darkness that comes before“ ist definitiv ein sehr gelungenes Debüt im Feld der epischen Fantasy! Richard Scott Bakker schafft es, mit einem etwas eigenwilligen, aber absolut einzigartigen sprachlichen Stil unverbraucht wirkenden Ideen beim Setting (das dennoch ohne poppige Extras wie spektakuläre Magie oder besonders furchteinflößende Monster auskommt) und großartig entworfenen Charakteren den Spannungsbogen dieser Geschichte schnell nach oben schießen zu lassen, und das glücklicherweise an allen Schauplätzen des Plots. Durchhänger sucht man vergeblich, Perspektiv- und Schauplatzwechsel geben einen Blick auf den Gesamtzusammenhang und schaffen, ähnlich wie bei George R. R. Martins Lied von Eis und Feuer, das Gefühl einer lebendigen, glaubwürdigen Welt. Bakker übertrifft diesen insofern sogar, als dass er den Plot nicht überlädt und sich auf seine Hauptcharaktere konzentriert, allerdings hätten den Mono- und Dialogen manchmal ein wenig mehr schnöde Schlichtheit gut getan.
Trotz einiger klischeehaft anmutenden Plotbestandteile (eine Apokalypse und die Vorhersage einer drohenden zweiten, plötzlich auftauchende Sekten, die sich scheinbar nur darauf vorbereitet haben, um nur zwei Schlüsselsätze zu nennen) wird schnell klar, dass sich hier jemand ordentlich Gedanken gemacht hat und diese kreativ und innovativ umzusetzen weiß. Während der Lektüre gab es einige Stellen, an denen ich mir nur dachte : „Wow, das ist aber eine super Idee!“
Gegen Ende des Buches ist mir auch klargeworden, dass hier ein Plot wahrlich epischer Breite entworfen wurde, den zu vollenden es – nach dem Eindruck dieses Buches, hoffentlich – noch einiger weiterer Romane bedarf. |
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