In den 80er Jahren sollten Margaret Weis und Tracy Hickman erstmals gemeinsam in die Welt der Drachenlanze – nach Krynn – aufbrechen und seitdem haben sie zwar auch viele andere Welten bereist, sind aber bislang immer wieder nach Krynn zurückgekehrt. Und so liegt mit „Dragons of the Dwarven Depths“, dem ersten Band der Dreierreihe „The Lost Chronicles“, seit Mai 2007 ihr neuester Dragonlance-Ausflug endlich auch als Taschenbuch vor. [1]
Bei den „Lost Chronicles“ handelt es sich nicht um eine gänzlich neue Reihe, sondern um eine Art Vervollständigung ihrer Erstlingstrilogie, den „Chronicles“. Bei dieser musste das Autorenduo nicht unbedeutende Teile auf Wunsch von TSR, ihres Brötchengebers und Verlegers, aus Platzgründen herausschneiden oder aus Zeitgründen weglassen. [2] So beispielsweise die Geschichte, wie die Helden der „Chronicles“ die Sklaven, die sie im ersten Buch der „Chronicles“, „Dragons of Autumn Twilight“, von ihrem Joch in Pax Tharkas befreit hatten, in das Zwergenreich Thorbardin führten. Übrig blieb nur eine Handvoll Zeilen im zweiten Band der „Chronicles“, „Dragons of Winter Night“, die dies rückblickend andeuteten. Mit „Dragons of the Dwarven Depths“ bietet sich dem Leser nun die Gelegenheit, diese Lücke zu füllen [3] und liebgewonnene Romanfiguren „wiederzusehen“.
Neueinsteiger, die die „Chronicles“ noch nicht kennen, sind also nicht unbedingt die Hauptzielgruppe der „Lost Chronicles“. Ja, es ist sogar die Intention der Autoren gewesen, dass man die „Chronicles“ und die „Lost Chronicles“ getrennt und nicht in der chronologischen Reihenfolge liest[4] – auch wenn die Bücher nahtlos ineinander übergehen sollen. Deshalb habe ich – für meinen ersten Lesedurchgang und für diese Rezension – der Versuchung widerstanden, die „Chronicles“ zuvor nochmals erneut oder „Dragons of the Dwarven Depths“ zwischen Band eins und zwei der „Chronicles“ zu lesen.
Der Einband: Beim flüchtigen ersten Blick auf das Umschlagsbild war ich davon recht angetan – beim zweiten jedoch weit weniger. Hier stimmt manches nicht. Matt Stawicki hat für meinen Geschmack eindeutig zu viel „künstlerische Freiheit“ gehabt. Bedauerlicherweise ist das eine eher häufige „Krankheit“ bei Umschlagsillustrationen. Zum einen passen die Größenverhältnisse zwischen dem Zwerg Flint, dem Halb-Elfen Tanis und dem Kender Tasslehoff nicht. Tas sollte kleiner als Flint sein, scheint aber größer und das, obwohl er etwas weiter hinten im Bild angeordnet ist. Flint hat hier gar seltsamen Proportionen: einen riesigen Kopf und für einen Zwerg zu schmale Schultern; er scheint auf diesem Bild insgesamt – mit Ausnahme des Kopfes – recht schmächtig geworden zu sein. Auch wirkt das Gesicht von Tas etwas zu streng. Sofern der Hammer, den Flint in der Hand hält, der Hammer von Kharas sein soll, hat der Künstler ebenfalls seine Hausaufgaben nicht gemacht, denn er weicht stark von mir bekannten Darstellungen dieses Hammers – und auch seiner Beschreibung im Buch – ab. Auf der Rückseite fällt mir auf, dass Caramon nicht mal annähernd der Jahreszeit entsprechend gekleidet ist – Stichwort: Schnee. Abgesehen davon hat Herr Stawicki bei Caramons „Rüstung“ wohl einen Zeitsprung in die „Legends“-Trilogie gemacht, in der Caramon als Gladiator kämpfen muss und entsprechend gerüstet ist – bzw. noch spärlicher. Und der Stab des Magius scheint ja selbst beim gleichen Künstler sowieso immer wieder mal sein Aussehen zu ändern. Zu guter Letzt weckt das drachenartige, feurige Wesen im Hintergrund bei manchem Betrachter die Erwartung, dass es eine inhaltliche Relevanz hat. Nun, dem ist mitnichten so. [5] Womöglich hat sich Herr Stawicki vorschnell an einer alten oder neueren Rollenspielumsetzung der in diesem Roman behandelten Ereignisse orientiert. Beispielswiese taucht in „Dragons of Desolation“ ein Wesen auf, das der Darstellung entsprechen könnte.
Der Inhalt: Der erste Band der „Chronicles“ endet mit den Hochzeitsfeierlichkeiten von Goldmoon und Riverwind. Nach der Einleitung, die ein paar der Antagonisten beleuchtet und eine schöne und stimmige Erklärung für die Wiederkehr eines Handlangers der Takhisis in dem Roman „Stormblade“ gibt, greift Band eins der „Lost Chronicles“ die Handlung in der Nacht jener Hochzeit wieder auf. Gerade die Einleitung zeigt einen Gegensatz zu den „Chronicles“: Drakonier werden hier nicht nur als größtenteils eher dumme Geschöpfe gezeigt, sondern als intelligente Individuen mit ihren eigenen Vorstellungen.
Die Gefährten um Tanis konnten die Sklaven aus Pax Tharkas befreien. Etwa 800 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – benötigen nun Unterkunft und Nahrung. Im Moment bietet dies ein Tal im Kharolisgebirge – aber wie lange noch? Werden die Drachenarmeen sie verfolgen? Werden die Drachenarmeen sie finden? Die Meinungen im Lager der Flüchtigen darüber sind geteilt.
Thorbardin, das sagenhafte Reich der „Bergzwerge“ im Inneren des Kharolisgebirges, könnte Zuflucht bieten. Aber wo ist es? Seit den Zwergentorkriegen vor etwa drei Jahrhunderten sind seine Tore verschlossen geblieben und nicht einmal der „Hügelzwerg“ Flint weiß, wo die Tore genau zu finden sind, geschweige denn, wie man Einlass erlangt. Aber Thorbardin dürfte die beste – wenn nicht die einzige – Chance sein, Schutz vor den Armeen der Takhisis zu finden.
Also machen sich Tanis und Flint auf die Suche nach den Toren Thorbardins. Raistlin hingegen wird von irgendetwas nach Skullcap gezogen. Ihn begleiten sein Zwillingsbruder Caramon und der Solamnier Sturm, der seine eigenen Gründe hat, mit den beiden Brüdern zu reisen. Sturms Gedanken drehen sich um den berühmten Hammer von Kharas.
Doch auch andere habe ihre Pläne ... und werden vor ihre eigenen Herausforderungen gestellt. Schließlich wird das Unterfangen insbesondere für Flint zu einem denkwürdigen Abenteuer.
Das Ende des Buches bereitet den Boden für die Eröffnungsszene im zweiten Band der „Chronicles“, in der den Zwergen Thorbardins der Hammer von Kharas in einer feierlichen Zeremonie durch den Paladinpriester Elistan im Namen der Flüchtlinge übergeben wird. Am Anfang des Buches werden neue wie alte Leser nach und nach mit den Protagonisten, ein paar Gegenspielern sowie mit einigen Ereignissen aus „Dragons of Autumn Twilight“ (wieder) bekannt gemacht. Auch die Welt, bzw. der Teil der Welt, in dem die Handlung spielt, wird in einigen „Pinselstrichen“ etwas vorgestellt.
Ich habe den Eindruck, die Autoren haben diesmal der Darstellung der Beziehungen zwischen den Hauptcharakteren mehr Raum gelassen als in den alten Büchern. In verschiedenen Unterhaltungen und Überlegungen der Charaktere werden diese und ihre Gedanken dem Leser nähergebracht. Dies ist recht liebevoll gemacht und ich hatte gleich das Empfinden, mit den mir vertrauten Figuren zu tun zu haben. Nach diesen ersten Kapiteln beginnt dann die Handlung anzuziehen und „Action“ in sie einzufließen.
Wie bei den ursprünglichen Chroniken laufen teilweise wieder mehrere Handlungsstränge nebeneinander. Verständlicherweise bedingt durch die Vielzahl der späteren „Helden der Lanze“ bekommt wiederum leider nicht jeder Charakter so viel Rampenlicht, wie ich es mir gewünscht hätte. Insbesondere Gilthanas, über den ich gerne mehr erfahren hätte, ist wieder mehr oder weniger nur eine Randfigur. Manche der Ereignisse des zweiten und dritten Bandes der „Chronicles“ und der „Legends“-Trilogie werden hier bereits angedeutet. Besonders auf Flints gesundheitliche Probleme wird stark eingegangen. Zu stark, meiner Meinung nach, denn dadurch muss ein neuer Leser ständig damit rechnen, dass Flint das Zeitliche segnet.
Nostalgische Elemente: Nicht nur der eigentliche Inhalt schlägt Brücken zu den ursprünglichen „Chronicles“. Das Buch enthält auch noch einige andere Elemente, die eine Verbindung, eine Vertrautheit schaffen. Bereits der Anfang des Titels „Dragons of ...“ stellt die erste Verknüpfung dar. Und wie in den „Chronicles“ ist noch vor dem Anfang der Geschichte ein Liedtext aus der Feder von Michael Williams zu finden. Dieser ist – zumindest für mich – auch wieder ein wenig kryptisch. Gleichfalls sind die typischen Kapitelüberschriften – quasi Miniinhaltshinweise – vorhanden. Leider fehlen die netten Innenillustrationen an den Kapitelanfängen, diese hatten mir in den „Chronicles“ meist recht gut gefallen.
Ein paar sonstige Kritikpunkte: Neben den oben besprochenen Punkten haben mich noch ein paar andere Dinge „in die Nase gestochen“.
Grammatikfehler usw.: Bereits die gebundene Ausgabe wurde auf www.dragonlanceforums.com wegen auffallend vielen Grammatikfehlern, ausgelassenen und überzähligen Wörtern u. ä. kritisiert. Margaret Weis war so zuvorkommend, den Fans die Gelegenheit zu geben, ihr die Fehler mitzuteilen. [6] Leider hat es jedoch den Anschein, dass bei Wizards of the Coast keine Veranlassung gesehen wurde, die Korrekturen in die Taschenbuchausgabe zu übernehmen. Das finde ich schon sehr ärgerlich.
Widersprüche zu anderen Büchern und Quellen: 1. „Dwarven Depths“ enthält einen schwerwiegenden Widerspruch zu dem Roman „The Gates of Thorbardin“. Auch wenn die „Lost Chronicles“ die Geschichten sind, die Weis und Hickman bereits schon vor über 20 Jahren erzählt hätten und es ihre Absicht war, ebendiese Geschichten zu erzählen[7], wäre es meines Erachtens doch erstrebenswert gewesen, keine neuen Widersprüche in die Dragonlance-Reihe einzuführen. Denn an anderen Stellen von „Dwarven Depths“ haben die beiden durchaus auch andere Bücher sowie neueres Material und Gedankengut berücksichtigt. Nun ja, der Fan muss sich damit abfinden, dass es jetzt eben verschiedene Versionen gibt. 2. Während das Auftauchen eines gewissen Takhisis-Anhängers in „Stormblade“, wie oben erwähnt, schön erklärt wurde, werden andere relevante Dinge aus „Stormblade“ überhaupt nicht erwähnt bzw. ignoriert. Siehe hierzu 1. 3. Theiwar. Anders als z. B. in der „Dwarven Nations“-Trilogie gleichen die Theiwar hier wieder den Standard-(A)D&D-Derro. Nun ja, vor 22 Jahren wurden die Standard-Derro im Rollenspiel für die Theiwar verwendet, aber spätestens mit den „Dwarven Nations“ wurden sie anders – und viel interessanter – definiert. 4. Ein paar wirklich vermeidbare Fehler, wie ein Aurak mit (kleinen) Flügeln, die „Plains of Dust“ anstatt der „Plains of Abanasinia“ als Heimat der Qué-Shu. 5. Teilweise entspricht das Verhalten der Zwerge nicht dem, was ich anhand der Lektüre anderer Dragonlance-Bücher, namentlich der genialen „Dwarven Nations Trilogy“, erwarte. Beispiel: Zwergische Soldaten, die es aus Angst vor dessen Magie nicht wagen, einen einzelnen Gegner anzugreifen? Also bitte!
Fazit: Trotz der nachlässigen Überarbeitung durch die Küstenmagier, der Widersprüche und anderer Fehler ist „Dragons of the Dwarven Depths“ ein unterhaltsames, angenehm zu lesendes Werk des Duos Weis und Hickman, das die von manchen lange vermisste Brücke von Band eins zu Band zwei der „Chronicles“ schlägt und einige originelle Einfälle bietet.
Neueinsteiger sollten jedoch zuerst die „Chronicles“ – oder deren Übersetzung „Die Chronik der Drachenlanze“ – lesen und möglichst auch noch die „Legends“ – oder ihre Übersetzung. [8] Wer die „Chronicles“ – und am besten auch die „Legends“ – bereits kennt, der tut mit diesem Buch gewiss keinen Fehlgriff. Trotz mehr oder weniger bekanntem Ausgang bietet es fesselnde Unterhaltung und neue, tiefere Einblicke in die „Helden der Lanze“. Ob die „Lost Chronicles“ nun tatsächlich den letzten Ausflug der beiden Schriftsteller nach Krynn darstellen, wie Tracy Hickman meint? [9] Ihr „letztes“ Dragonlance-Buch war schon öfters angekündigt worden ... und so bleibt dem Fan immer noch die Hoffnung, dass es auch diesmal so sein wird.
[1]Die gebundene Ausgabe wurde 2006 veröffentlicht. [2]Siehe www.dl3e.com/features/interviews/15686.aspx [3]Anmerkung: Anders als reine Romanfans konnten Rollenspieler diese Lücke füllen mittels der Rollenspielmodule „DL3 – Dragons of Hope“ und „DL4 – Dragons of Desolation“ oder durch später veröffentlichte, andere Versionen „der“ Dragonlance-Kampagne. Allerdings unterscheiden sich die Romane und die Rollenspielmodule – manche mehr, manche weniger. [4]Siehe www.dragonlanceforums.com/forums/showpost.php [5]Margaret Weis dazu: www.dragonlanceforums.com/forums/showthread.php [6]Siehe www.dragonlanceforums.com/forums/showpost.php [7]Siehe www.dragonlanceforums.com/forums/showpost.php [8]Warum die „Legends“? Wer die „Legends“ kennt, der wird zu manchen Szenen in „Dwarven Depths“ mehr Bezug haben. [9]Siehe www.dl3e.com/features/interviews/15686.aspx
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