Links zur Rezension NiemandslandErneut überrascht Pegasus mit einer deutschen Eigenproduktion und der Ausarbeitung eines neuen Settings für H. P. Lovecrafts Cthulhu. „Niemandsland – Grabenkrieg und Heimatfront“ versteht sich als Quellen- und Abenteuerband über den ersten Weltkrieg.
Aufmachung und Layout Wer meine bisherigen Rezensionen gelesen hat, möge mir verzeihen, aber einige Wiederholungen sind unvermeidbar. Der Hardcoverband macht einen optisch hervorragenden Eindruck, der von Manfred Escher entworfene Einband gefällt ein weiteres Mal und fügt sich in die Reihe der Cthulhu Produkte angenehm ein. Neben den angedeuteten, mit Totenköpfen versehenen metallenen Buchbeschlägen, zeigt der in dunklen Farben gehaltene Einband eine Collage aus Pickelhaube, Reichsadler, Pulverdampf und verschwommenen Dokumenten. Ein kleiner Gag am Rande ist, dass unterhalb des Schriftzuges „Cthulhu“ die in Frakturschrift gehaltenen Worte „von Gottes Gnaden“ erkennbar sind.
Der Innenteil ist wieder durchgehend schwarz-weiß bebildert und enthält zahlreiche zeitgenössische Fotografien aus den Jahren des großen Krieges. Für die Bebilderung hat sich Heiko Gill verantwortlich gezeigt und wieder einmal ein gutes Händchen bewiesen. Für viele Cthulhu-Spieler ergibt sich ein großer Teil der Atmosphäre unter anderem auch aus den verwendeten Handouts. Joachim Hagen, Kim Schneider, Vera und Daniel Schrade sowie Miriam Unger-Voss haben hier ganze Arbeit geleistet. Sie bringen in Ergänzung zu den später beschriebenen Abenteuern zahlreiche Briefe, Listen, Tagebuch-, und Mythosbuchauszüge, die allesamt individuell gestaltet und optisch hervorragend gelungen sind. Daniel Hockmann, Björn Lensig und Chris Schlicht ergänzen dieses Material durch detaillierte Karten.
Obwohl der umfangreiche Band sich 260 Seiten nimmt, um die Schrecken und Hintergründe des ersten Weltkrieges plus die drei Szenarien darzustellen, ist die Schrift arg klein geraten und dürfte daher nicht von jedem ohne weiteres schnell erfasst werden. Hinzu kommen kleinere Druckfehler, die das Lektorat übersehen hat. Diese stören jedoch den insgesamt positiven Gesamteindruck nur wenig. Etwas mehr stört da schon der Verzicht auf das für mich bei Cthulhu-Publikationen fast schon obligatorische Lesebändchen. Dies sind aber nur kleine Schnitzer an der gewohnt grandiosen Aufmachung.
Inhalt Teil 1, das Kapitel „Der Zahlen, Daten, Fakten – der historische Hintergrund“ Dieses Kapitel beleuchtet - weitaus genauer, als ich es noch aus den Schul-Geschichtsbüchern erinnere - zunächst den Weg Deutschlands in den Krieg. Nachdem Bismarcks Bündnispolitik und die Wilhelminische Ära abgehandelt sind, wird sodann der eigentliche Kriegsausbruch geschildert. Hierbei fallen immer wieder Infokästen ins Auge, die einzelne, zeitgenössische Teilaspekte genauer beleuchten. Zudem wird ab jetzt das Layout immer wieder durch Auszüge aus Feldpostbriefen unterbrochen, um so den Eindruck des einfachen Frontsoldaten zu vermitteln, was sehr gut gelingt. Auch werden vereinzelt Soldatenlieder abgedruckt. Nach einem Abriss über den allgemeinen Kriegsverlauf, werden sodann bestimmte Kriegsschauplätze im Einzelnen betrachtet. So finden wir ein Kapitel zum Luftkrieg ebenso wie eines zum Seekrieg. Einen Großteil nimmt dann die Darstellung des Grabenkriegs im Westen ein, nebst den zugehörigen Grabensystemen sowie Daten und Zahlen zu berühmten Schlachten (Verdun, Somme). Abschließend wird noch der Krieg in Russland und den Kolonien („Schutzgebiete“) betrachtet, sowie ein Blick auf den Kriegsschauplatz im nahen Osten geworfen. Einen wesentlichen Teil nimmt anschließend die Schilderung der Heimatfront ein, die eindrucksvoll vor Augen führt, welche Stimmung zu Kriegsanfang im deutschen Reich vorherrschte, und wie sich diese im Verlauf des Krieges änderte. Mit den Versailler Verträgen findet dieses Kapitel seinen Abschluss.
Zusätzlich zu den reinen geschichtlichen Schilderungen haben die Autoren Wert darauf gelegt, ein Bild von den Menschen zu dieser Zeit zu zeichnen. So wird angesprochen, dass die Kriegsjahrgänge später einmal die „verlorenen Generationen“ genannt werden. Hunger, Kälte, Verzweiflung, Aussagen von Zeitzeugen, Spielwerte von bekannten Persönlichkeiten des Militärs, all dies findet sich ebenfalls in den insgesamt 44 Seiten Hintergrund.
Inhalt Teil 2, das Kapitel „Charaktere im Krieg“ In diesem Kapitel wird im Anschluss an die Einführung auf Regelerweiterungen in Bezug auf das Cthulhu Rollenspiel eingegangen. Neue Fertigkeiten werden eingeführt, verschiedene Truppentypen als wählbare Berufe dargestellt. Es folgt eine Darstellung dessen, was das Leben zu Kriegszeiten für den Einzelnen bedeutete, und es wird dargestellt, wie der erste Weltkrieg als Hintergrund für Charaktere im „klassischen“ Cthulhu Setting der 20er Jahre eingesetzt werden kann. Nach einer Erläuterung der militärischen Dienstränge folgt ein Kapitel über den Kriegsalltag und eine weiteres Kapitel über „Feldpost“, in dem auch ein kompletter Feldpostbrief abgedruckt ist. Noch ausführlicher wird mit der Ausrüstung der Soldaten umgegangen: unter der Überschrift „Das Handwerkszeug des Todes“ findet man von der Pickelhaube, über eiserne Rationen und Tornister bis hin zu Flammenwerfern und Fahrzeugen alles erläutert, was möglicherweise in Spielerhände geraten könnte.
Es folgen „Die Regeln des Krieges“. Hierin werden Regelmechanismen vorgestellt, mit denen man Schlachten, Sturmangriffe und Stoßtruppunternehmen darstellen kann. Diese Regeln sind abstrakt gehalten. Sie ermöglichen es jedoch - insbesondere durch die gut ausgearbeiteten Tabellen - unvorhergesehene Ereignisse und mögliche Bedrohung in rasantem Tempo auf die armen Spieler treffen zu lassen. Es finden sich ebenso Regelerweiterungen zu den Bereichen Panzerkampf, Kavallerie und Luftkampf. Noch makaberer und schrecklicher, aber in einer Darstellung des Kriegsgeschehen des ersten Weltkriegs unvermeidbar, sind erweiterte Regeln zu Giftgas. Mehrere ausgearbeitete NSC runden das reine Regelkapitel ab, bevor Frank Heller (Chefredakteur von Cthulhu) in sehr eindringlicher Weise Spielleitertipps gibt, wie man versuchen kann, das Grauen, die Sinnlosigkeit und unmenschliche Brutalität des Krieges am Spieltisch darzustellen. „Für alle Sinne beschreiben“ und „Tempo“ sind hier wohl die Schlagworte, die man am ehesten gebrauchen kann. Diese 4 Seiten Spielleitertipps könnten in nahezu jedem System Einzug erhalten, so gelungen sind sie.
Inhalt Teil 3, die Abenteuer Bei den Abenteuern halte ich mich, aus SPOILER-Gründen bewusst zurück, und werde nur einen Grobabriss darüber geben. Wer die Abenteuer noch spielen will, sollte dennoch nach unten zum Fazit scrollen.
Das erste Abenteuer, „Schwarzer Sand“ von Sebastian Weitkamp, spielt im Sommer 1914. Der Erste Weltkrieg, bzw. dessen bevorstehender Ausbruch, bietet nur einen vagen Hintergrund. Nachdem ein Bekannter der SC auf mysteriöse erkrankt, geht es auf Recherche und Spurensuche. Diese führt letztlich nach Deutsch-Südwest (heute Namibia), wohin eine Seeüberfahrt führen wird, während letztlich der Kriegsausbruch stattfindet. In Afrika schließlich müssen die Charaktere mit den Kolonialbeamten und Schutztruppen zurechtkommen und eine Expedition in die Steppe führen, wo sie auf uralte Schrecken stoßen werden… Klassische, gute Cthulhu-Kost, wenig überraschend, aber sehr gut ausgearbeitet und durch das Setting sehr für stimmiges Charakterspiel geeignet.
Das zweite Abenteuer, „Ein Sommernachtsalptraum“ von Oliver Adam und Uwe Weingärtner, ist mein persönliches Highlight und zeigt, wie man cthuloide Schrecken mit den durch Menschen zu verantwortendem Terror und Horror des Grabenkriegs in Einklang bringen kann. Die Charaktere, frisch gebackene Offiziere, finden sich an einem Frontabschnitt an der Somme wieder, wo sie der geheimnisvoll wachsenden Zahl an Desertationen auf den Grund gehen sollen. Als Militärermittler finden sie sich in Schlachten wieder, agieren hinter feindlichen Reihen und kommen so nach und nach einem schrecklichen Geheimnis aus dem Mittelalter auf die Spur. Ein Geheimnis, welches sich von dem Wahnsinn innerhalb der Kriegswirren nährt… Hervorragendes Abenteuer, durch den militärischen Hintergrund und eventuelle Dienstrangfragen bestens für Charakterspiel geeignet. In diesem Abenteuer können auch erstmals die Regelerweiterungen eingebracht werden, die diesen Band auszeichnen. Gut ausgearbeitete NSC, tolle Handouts, erschreckende Szenerie, wahnsinnige Schauplätze. Dieses Abenteuer zeigt, was mit dem „Niemandsland“-Setting möglich ist.
Dagegen fällt das dritte Abenteuer, „Wir fahren gen Engeland“, leider ein wenig ab. Ralf Sandfuchs hat hier Material aus dem Szenario „Rigid Air“ von Marion und Paul Anderson verwendet, es lokalisiert und angepasst. Es geht um die Ereignisse im Verlauf eines geheimen Projekts der Kaiserlichen Marine in Zusammenhang mit einem neuen, verbesserten Luftschifftyp. Am Bau beteiligt, merken die Charaktere bald, dass mit den Entwicklern und dem Luftschiff selbst etwas ganz und gar nicht stimmt. Das Abenteuer vermag Spaß zu machen, hat einen Hauch von Industriespionage und gute NSC. Solide Kost, die auch von einem weniger erfahrenen SL gut dargestellt werden kann.
Fazit: Ich bin persönlich von dem Band begeistert. Niemandsland ist ein komplett neues Setting für Cthulhu, zeigt alle Daten und Fakten des Krieges auf, beschönigt nichts und bietet zwei gute und ein wirklich exzellentes Abenteuer. Die Darstellung und das Layout lassen nur wenige Wünsche offen. Besonders interessant ist die Möglichkeit, nun eine Kampagne, die eigentlich in der „klassischen“ Ära, den 1920ern spielt, früher starten zu lassen. So kann man sich vorstellen, die SC in einem der Abenteuer in diesem Band zum ersten Mal auf cthuloide Schrecken stoßen zu lassen, nur um sich und diesen einige Jahre später, fertig studiert und im Berufsleben stehend, wieder zu begegnen. Die Regelergänzungen in diesem Band sind stimmig und sinnvoll, um die chaotischen Kriegswirren und das wahllose Grauen des Krieges gut darstellen zu können. Die Recherchearbeit und das Hintergrundwissen der Autoren zeigen sich an jeder Stelle innerhalb des Bandes. Hinzu kommt, dass der große Krieg mit Sicherheit das prägende Ereignis der Generation ist, die in den 1920ern Jagd auf Cthulhu und sein Gezücht machen werden.
Dieser Band ist sicherlich von der Thematik her sehr speziell und daher auch nicht für jeden uneingeschränkt geeignet. Dennoch sollte man einen Blick darauf werfen, gerade wenn man in der Weimarer Republik, die ja in den Kriegswirren ihren Ursprung fand, zu spielen gedenkt. Ich kann Niemandsland also unbedingt empfehlen. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt mit 29.95 € für 260 Seiten ebenfalls.
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