Pirate's Guide to FreeportMit dem „Pirate's Guide to Freeport“ legt der in Seattle ansässige Verlag das erste Buch zum Relaunch des hauseigenen Stadt-Settings „Freeport“ vor. Bei Freeport handelt es sich um einen autonomen Handelshafen, der besonders in der Vergangenheit als Piratennest verrufen war und auch in der Gegenwart noch regelmäßig von Seeräubern, Schmugglern und anderen Halsabschneidern jeglicher Couleur frequentiert wird, obwohl die Regierung der Stadt schon vor zweihundert Jahren den Kurs in Richtung Legitimität eingeschlagen hat. Angereichert wird dieses Grundthema durch Elemente cthulhoiden Horrors einerseits und politischer Intrige andererseits: Während reiche Händler und mächtige Adlige im politischen Ränkespiel ihre nächsten Schachzüge planen, um noch mehr Geld und Macht an sich zu reißen, hecken finstere Kulte in den dunkleren Winkeln der Stadt düstere Verschwörungen aus, die die „Stadt der Abenteuer“ schon mehrfach an den Rand der Vernichtung gebracht haben. Tatsächlich sind diese Kulte in Freeport ein so wichtiges Thema, dass es hierzu mit „Cults of Freeport“ einen eigenen Quellenband gibt.
Der vorliegende Band dient hingegen als allgemeiner Reiseführer, der die Stadt mit ihren Vierteln, ihren Bewohnern und ihren politischen Strukturen ausführlich vorstellt. Das Buch tritt damit die Nachfolge von „Freeport – The City of Adventure“ an und bildet das Kernstück des Kampagnensettings. Die erste und vielleicht wichtigste Neuerung im Vergleich zu dem Vorgängerwerk besteht darin, dass der Pirate's Guide ein reines Quellenbuch ist. Regelerweiterungen in jeglicher Form sucht man vergeblich zwischen den Buchdeckeln des Hardcoverwälzers. Der Grund dafür besteht darin, dass sich Green Ronin entschlossen hat, Freeport mit dem Relaunch des Settings vom d20 System zu entkoppeln und es stattdessen als regelunabhängiges Minisetting fortzuführen. Unterstützung für verschiedene Regelsysteme wird stattdessen in Form der so genannten „Companions“ geliefert, die Spielmaterial für jeweils ein Regelsystem enthalten. Bisher ist nur ein solcher Companion erhältlich, der Regeln für Green Ronins eigenes System „True20“ beinhaltet. Ein Companion für das d20 System steht in den Startlöchern und befand sich zum Zeitpunkt dieser Rezension nach Aussage des Verlags im Layout. Darüber hinaus hat Green Ronin angekündigt, einen Companion für die bevorstehende 4. Edition von Dungeons & Dragons zu veröffentlichen, sollte die neue Open Gaming License dies erlauben. Außerdem hat der Verlag nach eigenen Angaben Vereinbarungen mit mehreren Mitbewerbern, die es Green Ronin erlauben, Companions für deren Systeme zu veröffentlichen. Um welche Systeme es sich dabei konkret handeln wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Häufig geäußerte Vermutungen in der Community sind hierbei allerdings Mongoose Publishings Neuauflage von RuneQuest sowie Castles & Crusades von Troll Lord Games. Auch über einen Companion für das Warhammer Fantasy Roleplaying Game wird fleißig spekuliert, da dieses ja ebenfalls von Green Ronin mitentwickelt wurde, und tatsächlich findet man im offiziellen Freeport-Blog einige Konvertierungshinweise für dieses Regelwerk – ob das nun aber ein Hinweis auf einen bevorstehenden Companion ist, sei dahingestellt. Ein Companion ist übrigens auch keinesfalls zwingend erforderlich, um Freeport mit dem persönlichen Lieblingsregelwerk zu nutzen. So gibt es zum Beispiel Gruppen, die Freeport mit dem Arcanissystem oder mit GURPS bespielen, obwohl es für diese Systeme bisher keinerlei direkte Unterstützung gibt.
Da nun also der Pirate's Guide ein reines „Fluff“-Buch ist, findet man auf den 256 eng bedruckten Seiten tatsächlich auch ausschließlich Hintergrundinformationen, was Freeport angesichts seiner vergleichsweise geringen Größe von gerade mal um die zehntausend Einwohnern locker zur detailreichsten Fantasystadt des d20 Systems macht. Gerade über diese Einwohnerzahl kann man sich übrigens sicherlich streiten, denn zumindest für mich sieht die Stadt nach einem Blick auf die Karte auf der Innenseite des vorderen Buchdeckels deutlich größer aus. Verglichen mit Stadtkarten aus den Vergessenen Reichen hätte ich eher auf dreißig- bis vierzigtausend Einwohner getippt. Im Endeffekt handelt es sich bei diesem Wert aber um ein Detail, das sich leicht ändern lässt. Nicht umsonst haben sich ältere Publikationen über die Größe der Stadt bisher vollständig ausgeschwiegen und diese vollständig in die Hände des Spielleiters gelegt.
Das Buch selbst ist in 16 Kapitel und eine einseitige Einleitung gegliedert. Am Ende des Buchs findet man zudem ein sehr nützliches Stichwortregister und eine Übersicht der bisher veröffentlichten Freeport-Produkte. Eine kleine aber feine Kurzgeschichte von Chris „Father of Freeport“ Pramas stimmt einen gleich zu Anfang auf den rauen Seeräuberhafen ein. Im Folgenden werde ich auf den Inhalt der einzelnen Kapitel kurz eingehen, wobei ich hier auf eine kapitelweise Bewertung verzichtet habe, da der Pirate's Guide kein Buch ist, das man kapitelweise nutzen würde. Sicherlich könnte man die eine oder andere Idee „entwenden“ und den Rest links liegen lassen, was ich allerdings für nicht empfehlenswert halte, da Freeport gerade durch seine komplexe politische Landschaft, die vielen unterschiedlichen Fraktionen und die Verflechtung der Stadtviertel mit der Geschichte erst sein volles Potenzial entfalten kann.
Chapter I: A History of Freeport Das erste Kapitel informiert den Leser über die wechselhafte Geschichte Freeports – von seinen Anfängen als Zwischenstopp auf den großen Handelsrouten, wo vorbeikommende Schiffe ihre Vorräte wieder auffüllten, über das goldene Zeitalter der Piraterie und dessen Ende durch die Thronbesteigung des ersten Sea Lords geht es stetig durch die Jahrzehnte bis in die Gegenwart. Wichtig an der Geschichte ist hauptsächlich, dass sie in Freeport nicht einfach nur Ereignisse wiedergibt, die sich irgendwann einmal ereignet haben. Stattdessen ist die Stadt um diese Geschichte herum konstruiert und so findet man schon hier allerhand Aufhänger für Abenteuer aller Art. Tatsächlich hat das Mega-Abenteuer „Black Sails of Freeport“ seinen Ursprung in Ereignissen, die sich zweihundert Jahre vor der Freeporter Gegenwart ereignet haben. Zusammenfassend kann man die Geschichte Freeports als ausführlich genug bezeichnen, wobei auch genug weiße Flecken auf der Zeittafel übrig bleiben, die der Spielleiter mit eigenen Ideen ausfüllen kann. Wer zudem die verschiedenen Kaufabenteuer kennt, wird feststellen, dass diese inzwischen zum Kanon erhoben wurden. Im Klartext bedeutet das, dass der Metaplot des Settings durch die Spieler geschrieben wird, was ich für einen der größten Pluspunkte des Settings halte: Hier sind es nicht irgendwelche mächtigen NSC, deren in Romanen beschriebene Heldentaten in die Geschichtsschreibung der Welt eingehen – es sind die Abenteuer, die die SC bestehen, was zum Beispiel neben der allmächtigen Timeline der Vergessenen Reiche als augenscheinlich ganz neue Qualität erscheint. Tatsächlich ist dies Teil der Design-Philosophie von Green Ronin und keineswegs neu. Im Podcast des Verlags erfährt man zum Beispiel, dass Chris Pramas ein Fan des gygax'schen Design-Ansatzes ist, der darin besteht, eine Spielwelt nur teilweise auszuarbeiten und genug Freiraum zu lassen, damit tatsächlich die Spieler die Geschichte ihrer Helden erzählen können – und nicht etwa als mittelmäßig einflussreiches Anhängsel eines unglaublich mächtigen Erzmagiers mit rotem Hut und ewig qualmender Pfeife zu Statisten zu verkommen. Oder anders formuliert: In vielen anderen Settings können die SC an der lebendigen großen Geschichte teilhaben – in Freeport sind es die SC, die diese Geschichte schreiben.
Chapter II: The City of Adventure Das einzige vollfarbige Kapitel des Pirate's Guide stellt die „Stadt der Abenteuer“ auf allgemeine Weise vor: Welcher Menschenschlag lebt hier, was ist die typische Geisteshaltung eines waschechten Freeporters? Wer herrscht über die Stadt und wer kontrolliert ihre Unterwelt? Welche sind die einflussreichsten Händler- und Adelshäuser und welche Rolle spielen die Religionen? Wie findet man sich als Fremder in der Stadt zurecht und welche Münzen werden in ihren zahlreichen Läden und Märkten akzeptiert? All diese Fragen werden in diesem sehr informativen Kapitel kurz und prägnant beantwortet, wodurch man einen Vorgeschmack dessen bekommt, was da noch kommen mag.
Chapters III – XI: Beschreibung der einzelnen Stadtviertel Wie bereits erwähnt hat man jedem der neun Stadtviertel Freeports ein eigenes Kapitel eingeräumt. Diese Kapitel folgen einem einheitlichen Aufbau, bestehend aus einem groben Überblick über das jeweilige Viertel, in dem beschrieben wird, welche sozialen Schichten hier leben und arbeiten und was charakteristisch ist für das Viertel und seine Bewohner. Nach der Lektüre dieser einleitenden Absätze hat man als Leser einen recht guten Überblick darüber, was das Thema des jeweiligen Viertels ist und wie man es als Spielleiter beschreiben könnte, um den Spielern die allgemeine Atmosphäre des Stadtteils zu vermitteln. Anschließend werden für jedes Viertel einige interessante Orte beschrieben, komplett mit Geschichte und wichtigen NSC, die man dort antreffen kann. Außerdem findet man am Ende jedes dieser Einträge eine Handvoll Abenteuerideen. Bei insgesamt 71 (!) ausführlich beschriebenen Orten ist man als SL allein dadurch mit genug Ideen für die nächsten Jahre versorgt. Wer schon das Vorgängerbuch kannte, wird feststellen, dass viele der beschriebenen Örtlichkeiten schon aus diesem Werk bekannt sind. Dies fand ich auf den ersten Blick auch recht enttäuschend, da man die tatsächlich neuen Orte bequem an zwei Händen abzählen kann. Wenn man aber das Buch nicht nur überfliegt, sondern die einzelnen Einträge tatsächlich liest, stellt man fest, dass sich bei fast allen beschriebenen Orten etwas geändert hat. Bei vielen wurden die Ereignisse aus den verschiedenen Kaufabenteuern eingearbeitet, bei anderen haben die Designer die Geschichte der jeweiligen Einrichtung und ihrer Bewohner unabhängig davon weiterentwickelt. Und gerade hier stößt man auf den Punkt, der Freeport von einem guten Setting zu einem hervorragenden macht: Die Taten der SC schlagen sich nicht nur in der großen und schlecht greifbaren Zeitlinie nieder – auch im kleinen werden die Helden nun immer wieder den Konsequenzen ihrer eigenen Abenteuer begegnen. Ein Eintrag in der offiziellen Zeittafel des Settings ist zwar sicherlich eine schöne Sache für einen Abenteurer, viel greifbarer und relevanter ist es aber, wenn in Tavernen, Lagerhäusern, Gildenhauptquartieren, Theatern und anderen Einrichtungen auf NSC treffen, der persönliches Schicksal durch die Taten der SC in der Vergangenheit beeinflusst wurde. Dadurch wird die Stadt unheimlich lebendig und glaubwürdig. Die Taten der SC spielen sich nicht in einer Blase ab, die keine Bedeutung für den Metaplot hat. Die Handlungen der SC sind der Metaplot, wodurch die Spieler das Gefühl bekommen, dass ihre Taten tatsächlich etwas bewirken und großen Einfluss auf die Welt haben, in der sie sich bewegen. Um nun aber auch all denen einen Vorgeschmack auf die einzelnen Stadtviertel zu verschaffen, die Freeport bisher noch nicht selbst erkunden konnten, möchte ich die einzelnen Viertel kurz und bündig vorstellen:
Die Docks bilden – wie der Name schon sagt – das wichtigste Hafenviertel von Freeport. Hier legt ein Großteil der ankommenden Schiffe an. Das Viertel ist nicht unbedingt das sicherste, allerdings gibt es auch deutlich schlimmere. Die Einrichtungen in diesem Teil der Stadt richten sich hauptsächlich an Seeleute.
Scurvytown ist das, was man sich unter einem wirklich heruntergekommenen Ghetto vorstellen würde. Bis vor Kurzem war es das gefährlichste und schmutzigste Viertel der Stadt, das von Piraten und Kriminellen beherrscht wurde und dessen Bewohner von Armut geplagt nie sicher sein konnten, ob sie den nächsten Tag noch erleben würden. Daran hat sich grundsätzlich auch nichts geändert, aber...
Bloodsalt ist ein neues Viertel im Osten der Stadt, das als Ghetto für humanoide Arbeitskräfte dient, die von der Magiergilde angeheuert wurden, um die durch eine magische Katastrophe entstandenen Schäden zu beheben. Während Scurvytown sicherlich ein mieses Viertel ist, hat Bloodsalt noch nicht einmal den Namen Viertel wirklich verdient und ist tatsächlich eher ein Lager, das von autonomen humanoiden Milizen „beherrscht“ wird. Um es politisch etwas unkorrekt auszudrücken: Bloodsalt ist so etwas wie der Gazastreifen von Freeport.
Der Eastern District ist das Viertel mittelständischer Kaufleute und Handwerker, die es geschafft haben, der Schicht des darbenden Proletariats durch (mehr oder weniger) ehrliche Arbeit und den Ehrgeiz der weniger Privilegierten entwachsen sind und nun hier einen halbwegs ansehnlichen Lebensstandard pflegen. Dennoch ist jedem Bewohner Freeports bekannt, dass das Viertel in Wahrheit von dem Halbling und Verbrecherfürsten Finn und seinem Syndikat beherrscht wird.
Die Old City bildet den alten Stadtkern von Freeport und ist als einziges Viertel von hohen Mauern umgeben. Hier befinden sich sämtliche Regierungseinrichtungen sowie der Gerichtshof und die Garnison der Wache. Die Altstadt beherbergt zahlreiche Gasthäuser und Läden und gehört zu den sichersten Vierteln der Stadt. Sie ist der Ort an dem sich die große Politik der Stadt abspielt.
Drac's End ist ein weiteres armes Viertel, dessen Bewohner allerdings nicht über die kriminelle Energie von Scurvytown verfügen. Stattdessen residiert hier die weitgehend ehrliche Unterschicht, zu der auch die Studenten des „Freeport Institute“, der Universität der Stadt gehören. Entsprechend sind auch die Tavernen und Gasthäuser des Viertels an die selten prall gefüllten Beutel seiner Bewohner angepasst.
Der Temple District bildet das religiöse Zentrum der Stadt. Religion hat in Freeport eine nicht zu verachtende Bedeutung, da viele Seeleute in der Stadt leben, die seit jeher für ihren Aberglauben bekannt sind. In diesem Viertel gibt es vier große Tempel und eine Reihe kleinerer Schreine. Auch die Wohnungen der Geistlichen befinden sich zu großen Teilen hier.
Der Merchant District ist das reichste Viertel Freeports. Wo andere Viertel oft heruntergekommen, schmutzig, hässlich und lebensgefährlich sind, bildet dieser Teil Freeports eine beeindruckende Konzentration von offen zur Schau gestelltem Reichtum und scheinbar grenzenloser Verschwendungssucht. In gewisser Weise ist der Merchant District das „verheißene Land“, das jeder Bewohner der Stadt zu erreichen versucht – was aber nur den allerwenigsten gelingt.
Der Warehouse District ist schließlich ein Stadtteil, in dem die vielen Handelswaren in großen Lagerhäusern untergebracht werden, die Freeport in seiner Rolle als wichtiger Handelshafen passieren. Das Viertel ist weitgehend sicher und wird vom Handel dominiert. Gleichzeitig bildet es aber auch den Bereich der Stadt, in welchem die „Canting Crew“ der Verbrecherfürsten „Mr. Wednesday“ am aktivsten ist. Die Canting Crew ist neben Finns Syndikat die zweitwichtigste Kriminelle Organisation in Freeport.
Chapter XII: The Underside Freeport hat schon über der Erde einiges zu bieten, doch auch unter Tage bietet die Stadt unzählige Gelegenheiten für Abenteuer. In diesem Kapitel wird der unterirdische Teil der Piratenstadt beschrieben, der sich aus der Kanalisation einerseits und einem weitläufigen Höhlensystem andererseits zusammensetzt. In den Höhlen lebt eine Spezies, die schon mehrfach in den Kaufabenteuern eine Rolle spielte: Die überlebenden Schlangenmenschen aus dem vor Jahrhunderten untergegangenen Imperium von Valossa kriechen hier durch dunkle Tunnel und verehren ihre urzeitlichen Götter, zu denen einerseits der unberechenbare Yig gehört, der zu Zeiten des Imperiums von Valossa die wichtigste Gottheit darstellte. Während Yig zwar fremdartig und launisch sein kann, ist er immerhin nicht böse. Ganz anders verhält es sich mit dem „Unaussprechlichen“, einem schrecklichen Gott, dessen Kult das antike Valossa vernichtete und der auch heute noch eine schreckliche Bedrohung für die Region um Freeport darstellt. Sein Kult, die „Bruderschaft des Gelben Zeichens“, bildete die Opposition der Spielercharaktere in der klassischen Freeport Trilogie. Insgesamt hätte ich mir ein etwas umfangreicheres Kapitel zu diesem Thema gewünscht, denn nach Karten oder ausführlich beschriebenen Orten sucht man hier leider vergeblich. So bleibt dieses Kapitel eine Sammlung von Anregungen, die der Spielleiter durch eigene Arbeit zum Leben erwecken muss.
Chapter XIII: Denizens of Freeport In diesem Kapitel werden einige der wichtigsten Bewohner von Freeport beschrieben. Zu ihnen gehören einerseits politische Machthaber wie Sea Lord Marilise Maeorgan und andererseits Verbrecher wie Finn oder Mr. Wednesday. Jeder dieser NSC wird mit einer Hintergrundgeschichte, Zielen und Motivationen sowie abermals mit einigen Abenteuerideen vorgestellt. Alles in allem taucht hier jeder auf, der in Freeport etwas zu sagen hat – ob nun auf legalen oder illegalen Kanälen. Darüber hinaus werden hier aber auch eine Reihe weniger einflussreicher und nichtsdestotrotz sehr interessanter NSC vorgestellt, die der Spielleiter in seinen Abenteuern verwenden kann.
Chapter XIV: The Serpent's Teeth Freeport befindet sich auf der größten Insel eines Archipels, das als die „Serpent's Teeth“ bekannt ist. Diese Inselgruppe besteht insgesamt aus drei kleinen Eilanden, die in diesem Kapitel beschrieben werden, denn nicht nur in Freeport selbst, sondern auch in der Umgebung lauert das Abenteuer hinter jeder Ecke. Das Kapitel stellt die vier Inseln des Archipels und weitere Orte für potenzielle Abenteuer wie die schwimmenden Gefängnisse der „Hulks“ oder das auf einem einsamen Felsen erbauten Krematorium kurz vor – wobei man auch hier wieder eine Reihe von NSC und die unvermeidlichen Abenteuervorschläge findet. So findet man hier zum Beispiel Informationen über die Siedlung „Libertyville“, die auf der Insel Leeward von einer Gruppe von Händlern aus Freeport gegründet wurde, die genug hatten von der Korruption, die in Freeport das politische Tagesgeschäft beherrscht. Diesen Siedlern hat sich nun ein Pirat angeschlossen, dessen Name Kennern des Settings bekannt vorkommen dürfte: Masson Francisco. Für die Landratten unter den Lesern dieser Rezension: Francisco war der Name eines mächtigen Kapitäns, der vor zweihundert Jahren von seinem Kollegen Drac verraten wurde, wobei die Dynastie des Zweitgenannten vom Zeitpunkt dieses Verrats bis zum Ende der „Freeport Trilogy“ mehr oder weniger ununterbrochen über den Piratenhafen herrschte. Alles in allem ein weiteres informatives Kapitel, das jede Menge Material für eigene Abenteuer bietet, wobei auch hier die Ereignisse aus verschiedenen Kaufabenteuern ihre Spuren hinterlassen haben.
Chapter XV: Beyond Freeport Eine weitere größere Neuerung neben der Abkehr von einem spezifischen Regelsystem, auf die man im Pirate's Guide trifft, ist die Tatsache, das in dem Buch erstmals die Welt vorgestellt wird, in der sich Freeport befindet. Dies sollte man nun keinesfalls falsch verstehen: Freeport war und ist ein Minisetting, das man in nahezu jede beliebige Welt integrieren kann. Die hier vorgestellte World of Freeport ist deshalb auch nur ein Vorschlag für eine solche Spielwelt und tatsächlich wird hier auch nur ein Teil dieser Welt vorgestellt, nämlich der ominöse „Kontinent“, der keinen deskriptiveren Namen als eben diesen besitzt. Auf diesem Kontinent findet man eine Reihe von Nationen wie zum Beispiel das elfische Königreich von Rolland, die von Humanoiden Stämmen dominierten „Bone Lands“, das barbarische Inselreich Druzhdin, das zwergische Bergkönigreich Vorizar oder das Imperium von Hexworth. All diese Länder werden nur sehr grob umrissen und können am ehesten als Spielwiese für den Spielleiter betrachtet werden, da die Beschreibungen so generisch sind, dass der SL sich zwingend selbst um die Details kümmern muss, wenn er diese Welt benutzen will. Die Beschreibungen der Länder sind jedenfalls recht solide und Potenzial hat diese Welt allemal. Was ihr aber fehlt, sind die innovativen Ideen und die Liebe zum Detail, die Freeport selbst ja gerade auszeichnet. Dies ist zwar von den Designern ausdrücklich so gewollt, jedoch taugt die Welt in dieser Form wohl leider nur dazu, als der ferne und unbekannte Kontinent zu dienen, mit dem die SC nur dahingehend Kontakt haben werden, dass sie NSC begegnen, die von dort kommen, oder dass man eben Neuigkeiten vom Festland erfährt. Wenn man als SL plant, eine Kampagne ausschließlich in Freeport und der näheren Umgebung anzusiedeln, dann ist diese Welt sicherlich ein ausreichender Rahmen, in den man Freeport „implantieren“ kann. Für Abenteuer auf dem Kontinent reichen die Beschreibungen allerdings nicht aus. Hier wird man als SL sehr viel Eigenarbeit investieren müssen, gerade wenn man den Spielern eine ähnlich intensive Immersion in eine lebendige Umgebung bieten will, wie sie das zu diesem Zeitpunkt von Freeport selbst kennen dürften.
Chapter XVI: Using Freeport Das sechzehnte und damit letzte Kapitel des Pirate's Guide trägt den schlichten Namen „Using Freeport“ und gehört zu den meiner Meinung nach nützlichsten Kapiteln des ganzen Buches (und dieser Superlativ will angesichts der insgesamt sehr überzeugenden Qualität so einiges heißen). Hier findet man z.B. Tipps, wie man Freeport an die eigene Kampagnenwelt und den persönlichen Geschmack anpassen kann. Das Kapitel geht dabei auf Welten mit mehr oder weniger Magie, kleinerer oder größerer Vielfalt fantastischer Wesen, mehr oder weniger weit entwickelter Technologie und ähnliche Fragen dieser Art ein. Außerdem findet man hier Bodenpläne typischer Wohnhäuser und Ladengeschäfte, Tipps für den Aufbau eigener Kampagnen in und um Freeport und schließlich noch eine Reihe von „Campaign Threads“, also Ideen für vollständige Kampagnen in um Freeport. Diese Vorschläge sind zwar nur grobe Skizzen, die aber schon mit einer kompletten Rahmenhandlung zu verschiedenen Themen aufwarten. Bei diesen Themen handelt es sich um Piraterie (Avast, me hearties!), Verbrechen (Fear and Loathing), Spionage (Dredging up Secrets), Horror (Swords against the Brotherhood) und politische Intrige (Something Rotten in the State). Wo andere Kampagnensettings oft mit halbgaren Miniabenteuern aufwarten, findet man im Pirate's Guide zwar nur Plotskizzen, die man jedoch tatsächlich zu kompletten Kampagnen ausdehnen kann. Da ich persönlich die Miniszenarien, wie man sie z.B. aus Büchern von WotC kennt in den meisten Fällen für reine Platzverschwendung bzw. Lückenfüller halte, fand ich diese Campaign Threads eine geniale Idee. Bei fast allen könnte ich persönlich mir vorstellen, den skizzierten Plot zu einer Kampagne auszubauen. Arbeit mag das verursachen, aber diese Variante ist mir allemal lieber, als nutzlose Szenarien, die noch nicht einmal dazu taugen würden, einen vollkommenen Neuling ans Rollenspiel heranzuführen.
Fazit: Der Pirate's Guide ist ein grandioses Rollenspielprodukt. Ausrufezeichen! Das Buch hat einige Schwächen – so hätte ich persönlich mir zum Beispiel herausnehmbare Posterkarten gewünscht. Die Karten von Freeport, den Serpent's Teeth und des Kontinents befinden sich nämlich auf der Innenseite der Buchdeckel und sind wirklich wunderschön gestaltet aber leider recht klein – so klein, dass es teilweise nicht ganz einfach ist, den Text zu lesen. Die „World of Freeport“ ist eine nette Dreingabe, wird aber nicht für jedermann geeignet sein – im Gegenteil, die meisten werden Freeport wohl doch in die Spielwelt ihrer Wahl integrieren. Darüber hinaus ist der Pirate's Guide meiner Meinung nach kein Selbstbedienungsladen für einzelne Ideen. Man kann sicherlich das eine oder andere losgelöst von Freeport als Setting nutzen, doch das Potzenzial des Buchs steckt in den komplexen Verflechtungen und den vielfältigen Beziehungen zwischen einzelnen NSC und Organisationen, die Freeport zu einem sehr dynamischen Ort machen – was für Freeport-Neulinge und unerfahrene Spielleiter unter Umständen auch in Überforderung resultieren könnte. Von diesen Mängeln abgesehen bin ich aber vollkommen begeistert von dem, was Green Ronin hier abgeliefert hat. Die Abenteuerideen springen einem von jeder einzelnen Seite geradezu entgegen und noch wichtiger ist für mich die Tatsache, dass die Handlung der Kaufabenteuer so konsequent und durchgängig in die Beschreibungen von Orten, NSC und Organisationen eingearbeitet wurde. Dadurch werden die Taten der SC zum Metaplot des Settings, wodurch dieses unglaublich lebendig wirkt und den Spielern wirklich dass Gefühl vermittelt, dass die Handlungen ihrer Charaktere etwas bewirken – und zwar im Großen (Timeline) wie im Kleinen (Auswirkungen auf viele NSC, Locations etc.). Mit Freeport erhält man ein lebendiges, vielfältiges, spannendes und komplexes Minisetting, das grundsätzlich für jeden Spielstil von politischer Intrige bis zu Kick-In-The-Door-Dungeon-Crawling und allen Schattierungen dazwischen jede Menge Potenzial bietet – und der Pirate's Guide ist ohne Zweifel der beste Quellenband, der für dieses Setting bisher erschienen ist. Das Buch bietet alles, was man aus „Freeport – The City of Adventure“ schon kennt – und noch viel mehr. Trotzdem ist dieses Buch sicherlich nicht für jede Gruppe geeignet, denn nicht jeder mag das eher beschwingte Grundthema, das trotz der Elemente cthulhoiden Horrors niemals wirklich finster wird. Freeport ist kein Ort, um seine Spieler das Fürchten zu lehren, aber dafür ein Ort, an dem man eine Menge Spaß haben kann – und zwar so konsequent und detailverliebt und dabei trotzdem offen genug für die Kreativität des Spielleiters und der Spieler, wie man dies in keinem anderen mir bekannten Setting vorfindet. Aus diesen Gründen erhält der Pirate's Guide von mir (fast) die Höchstnote, ausgehend davon, dass man sich mit dem Setting an sich anfreunden kann.
Hinweis: Wer den Pirate's Guide wirklich vollständig ausnutzen will, sollte unbedingt vorher mit seiner Gruppe die „Freeport Trilogy“ sowie evtl. „Crisis in Freeport“ durchspielen, da die Ereignisse in diesen Abenteuern Freeport zu genau dem Punkt seiner Geschichte geführt haben, an dem sich die Stadt momentan befindet. Rezensionen zu diesen Abenteuern findet man ebenfalls hier im Gate.
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