Links zur Rezension „Dies ist die Geschichte des letzten Krieges, des Untergangs des britischen Königshauses, der Vernichtung unserer Welt. Sie werden Serienkillern begegnen, die sich wie Schuljungen kleiden. Männern mit Fischköpfen, mörderischen Rockmusikern, körperlosen Agentinnen. Und Henry, der gerade einen neuen Job angefangen hat und der uns alle retten wird … Doch vertrauen Sie ihm nicht! Denn Henry ist ein Lügner. Er verdreht die Wahrheit, wie es ihm beliebt. Er hat Blut an den Händen – das Blut der ganzen Welt.“
Bereits auf dem Klappentext begegnet uns der Autor Jonathan Barnes in Form des „Unzuverlässigen Erzählers“ und öffnet uns auf recht mysteriöse Art und Weise den Vorhang zu seinem Roman „Das Königshaus der Monster“, so wie er es bereits schon in „Das Albtraumreich des Edward Moon“ in ähnlicher Form getan hat. Doch der Klappentext findet seine Fortsetzung: So gibt es noch einige Hinweise des Herausgebers auf den Fund des ihm vorliegenden Manuskriptes und einen Prolog des Protagonisten Henry Lamb, in dem dieser sich zu seinen Aufzeichnungen auslässt. Barnes scheint sich gerne dieser speziellen Form der Narration zu bedienen, in der die Zuverlässigkeit der Erzähleraussagen über die erzählte Welt in Frage zu stellen sind. Und erneut scheinen wir es mit einer Erzählerfigur zu tun zu haben, die sogar Teil dieser erzählten Welt ist. Doch genug von meinen theoretischen Ausschweifungen und ab zu dem, was den Leser erwartet.
InhaltDer Roman „Das Königshaus der Mörder“ knüpft lose an das Ende von „Das Albtraumreich des Edward Moon“ an, da es zum Teil ein Wiedersehen mit einigen bereits bekannten Charakteren gibt als auch der Ort der Handlung der gleiche ist, auch wenn man den zeitlichen Rahmen geändert und das spätviktorianische London in das moderne und zeitgenössische London ausgetauscht wurde.
Bevor ich mich den Protagonisten dieses Romans widme, erst einmal einige klärende Worte zu dem Hintergrund der Geschichte: Im Jahre 1857 ging Königin Viktoria einen unseligen Pakt mit einer Macht namens Leviathan ein, um ihr Königreich zu schützen und nicht zuletzt auch die Machtstellung der Windsors zu sichern. Der Pakt wurde geschlossen und dieser hatte auch seinen Preis – nichts geringeres als London wurde als Gabe für den Beistand des Leviathans ausgehandelt. Doch der Abschluss dieses Paktes stieß nicht überall auf Zuspruch und so war es ein Berater der Königin namens Dedlock, der das Direktorium gründete, eine Organisation, deren einziger Zweck es war, die Einlösung des Paktes zu verhindern. Glücklicherweise gelang es dem Direktorium bisher London vor seinem sicheren Untergang zu bewahren und so wurde der letzte große Kampf gegen den Leviathan Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts vorerst gewonnen, als man diesen im Körper einer Frau fangen konnte. Doch die Ruhe ist trügerisch, da sich die endgültige Rückkehr Leviathans abzeichnet und es diesmal so aussieht, als ob der damalige Handel nunmehr erfolgreich abgeschlossen werden kann.
Und hier taucht er endlich auf – Henry Lamb, einer der Protagonisten in diesem großen und überaus seltsamen Kampf um London, der eigentlich nur seinen Großvater im Krankenhaus besuchen will und noch nicht ahnt, das dieser einer der Spitzenagenten des Direktoriums ist (bzw. war), der sich hier überaus komatös mit den Folgen eines Schlaganfalles plagen muss.
Henry Lamb wird mehr oder weniger unfreiwillig durch die bisherige Tätigkeit seines Großvaters mitten in den jahrzehntelangen Kampf hineingezogen, doch ist Henry bei weitem kein strahlender Held, als vielmehr ein normaler Durchschnittsmensch, der es höchstens Kinder-Fernsehstar zu einigem vergänglichen Ruhm gebracht hat und der nunmehr mit Mitte Dreißig als Angestellter in der staatlichen Archivverwaltung einem leidlich langweiligen Leben nachhängt. Einzig seine schmachtende und bislang unerwiderte Liebe zu seiner Mitbewohnerin Abbey spendet ihm etwas Trost.
Doch einige unerwartete und seltsame Ereignisse bringen das bislang recht eintönige Leben von Henry Lamb schlagartig durcheinander und die Geschehnisse überstürzen sich in rasender Geschwindigkeit. Bei einem Besuch seines Großvaters im Krankenhaus stürzt ein Fensterputzer aus dem fünften Stock direkt vor Henry Lamb und überbringt ihm eine mysteriöse Botschaft. Er wird von seinem bisherigen Job im Archiv zum Direktorium versetzt und macht Bekanntschaft mit seinem neuen Vorgesetzten, Dedlock, der seit vielen Jahren in einem Wassertank in einer Gondel des London Eye, dem gigantischen Riesenrad inmitten der City, lebt und von hier aus die Geschicke des Direktoriums leitet.
Doch nicht nur das Direktorium tritt auf, auch die königliche Familie der Windsors findet in Form des Prinzen Arthur Windsor Eingang in die Geschichte. Die königliche Mutter, die sich seit einigen Jahren in die Tiefen des Palastes vergraben hat, schickt einen seltsamen Menschen namens Streaton zu ihrem Sohn, dem Prinzen, der nicht zuletzt durch den massiven Einsatz der Droge Ampersand auf seine zukünftige Aufgabe vorbereiten soll und sich ganz nebenbei mit seiner untreuen Gattin herumplagen muss.
Und dann wären da noch die beiden Domino-Männer namens Hawker und Boon, die es aus ihrem Gefängnis tief unter der Downing Street Nr. 10 wieder mitten in das Geschehen von London schaffen und für mehr als nur ein wenig Unheil und Verderben sorgen und noch viele andere skurrile und absonderliche Charaktere, die diesen Roman bevölkern.
Die vom Autor aufgebauten Handlungsebenen von Lamb und Prinz Arthur verschmelzen allmählich und so erfährt der Leser immer wieder durch den Blickwinkel des jeweils anderen einiges über die Hintergründe des großen Kampfes um London und nicht zuletzt auch um die geheimnisvolle Estella, in deren Körper seinerzeit der Geist des Leviathan gefangen, dann allerdings von Henrys Großvater vor allen versteckt wurde und die beide Parteien natürlich verzweifelt suchen.
Über den AutorJonathan Barnes graduierte in Oxford in englischer Literatur und arbeitet als freier Kolumnist für mehrere britische Tageszeitungen und Magazine, darunter auch das renommierte „The Times Literary Supplement“. Sein Roman „Das Albtraumreich des Edward Moon“ avancierte in England zur literarischen Sensation, an das er mit Band „Das Königshaus der Monster“ lose anknüpft. Normalerweise schreibe ich an dieser Stelle gerne etwas mehr über den Autor, doch scheint es, als sei Jonathan Barnes nach wie vor in den Medien ein unbeschriebenes Blatt und gebe nur sehr wenig von sich preis.
FazitBarnes gelingt mit seinem neuen Roman wiederum ein auf sprachlich sehr hohem Niveau angesiedeltes Feuerwerk von Ideen abzufeuern, wie man sie zum Teil bereits aus „Das Albtraumreich des Edward Moon“ kennt, ohne allerdings dessen Komplexität zu erreichen.
Die Geschichte von Henry Lamb beginnt erst etwas behäbig, doch nimmt sie sehr rasch an Geschwindigkeit auf und als Leser wird man fast taumelnd von einem Einfall zum nächsten geschubst, bis sich schließlich auch noch die überaus humorvoll gezeichnete Figur des Prinzen Arthur hinzugesellt.
Wobei genau diese besagte Geschwindigkeit für manchem sicherlich auch ein Stück weit das Problem dieses Romans sein könnte: Barnes schöpft einfach immer wieder aus dem Vollen und gönnt seinem Leser keine Minute Ruhe, sondern meint immer noch ein wenig mehr nachlegen zu müssen, um noch ausgefallenere und noch exotischere Charaktere mit noch abstruseren Geschehnissen zu beschreiben. Dies macht er zwar sehr wortgewandt und mit durchaus eindrucksvollen Darstellungen, doch die rechte Spannung mag sich nicht hierbei nicht unbedingt einstellen – Geschwindigkeit ist eben nicht alles.
Und so wartet das Buch mit seiner Achterbahnfahrt immer wieder mit neuen (und nicht immer sonderlich logischen) unerwarteten Wendungen auf, die dem Leser nach und nach die Detail des großen Plans enthüllen, um dann aber leider auf ein nicht sonderlich furioses Finale zu präsentieren.
Eins möchte ich an dieser Stelle aber noch anmerken: Ich war etwas erstaunt über den deutschen Titel der Ausgabe, da dieser in England unter dem Namen „The Domino Man“ erschien. Hier wäre es mir persönlich lieber in der Übersetzung etwas näher am Original zu bleiben, als reißerische Titel für die Verkaufsstände ins Leben zu rufen.
Insgesamt hat mir persönlich die Lektüre von „Das Königshaus der Monster“ großen Spaß gemacht, auch wenn es sicherlich einige Schwächen und Ungereimtheiten auf dieser Achterbahnfahrt durch London gibt. Allerdings sei an dieser Stelle der Leser gewarnt, der begierig auf eine adäquate Fortsetzung des Romans „Das Albtraumreich des Edward Moon“ hofft. Er könnte unter Umständen ein wenig enttäuscht sein, da dieser Roman es nicht ganz mit dem düsteren, mysteriösen und spätviktorianischen London und seinen skurrilen und schrägen Charaktere aufnehmen kann. Dennoch für mich eine absolute Kaufempfehlung an Freunde der skurrilen Phantastik!
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