Links zur Rezension Inhalt:Frankreich im Jahre 1666. Während am Hofe des Sonnenkönigs, Louis XIV., Dekadenz und Maßlosigkeit herrschen, versucht der Tagelöhner Alphonse, sein tristes Dasein im Alkohol zu ersäufen. Nach einer dieser durchzechten Nächte ist er froh, dass er Ware für das Gut des Ritters Henry von Beaumont auszuliefern hat und seiner beständig nörgelnden Frau und seinen Kindern entfliehen kann, denn ihn erwartet zumindest die Aussicht, sich einen flüchtigen Augenblick am Antlitz der bezaubernden Tochter des Ritters zu erfreuen.
Doch die Dinge sollen sich an diesem Morgen anders entwickeln als sonst: Angekommen auf dem Gut des Ritters muss Alphonse in seinem verkaterten Zustand beobachten, wie drei unbekannte Männer den Ritter und seine beiden Kinder gefangen halten und bedrohen, um ihnen den Verbleib eines geheimen Dokuments zu verraten. Fassungslos wird Alphonse aus seinem Versteck Zeuge, wie die Situation urplötzlich eskaliert und die Männer sowohl die Tochter als auch Henry von Beaumont töten.
Kurzentschlossen (und wahrscheinlich noch unter Nachwirkung seines enormen Alkoholpegels der Nacht) entschließt sich Alphonse, den jungen Sohn, Bernard von Beaumont, zu schnappen und ihn vor den Unbekannten in Sicherheit zu bringen. Es folgt eine wilde Verfolgungsjagd, bei der sich Alphonse nebst Bernard nur mit einem beherzten Sprung von einer Brücke in Sicherheit bringen kann.
Nachdem er mit dem Kind in den Fluss gestürzt ist, halten ihn seine unbekannten Häscher für tot und brechen die Verfolgung ab. Doch Alphonse scheint Glück im Unglück zu haben, da er von Zigeunern am Flussufer aufgelesen wird, die sich seiner und Bernards annehmen. Doch, wieder leidlich nüchtern und klar im Kopf, scheint für Alphonse der Weg zurück ins normale Leben vorbei, da der Anführer der drei Unbekannten, Moplai, nunmehr weiß, wer den jungen Edelmann gerettet hat und seine Spur bis zu seiner Familie zurück verfolgt hat.
Eigentlich könnte Alphonse sein altes Leben nun hinter sich lassen und mit den Zigeunern ziehen, doch auch diese Zuflucht scheint nicht mehr sicher, da Moplai etwas von seinem Versteck und dem Aufenthaltsort von Bernard zu ahnen scheint und unversehens im Lager der Zigeuner auftaucht. Und so macht sich Alphonse mit Bernard weiter auf den Weg in ein anderes neues Leben voller Abenteuer, verfolgt von Moplai, der ihm weiterhin auf der Spur ist.
Schreibstil & Artwork:Simon Andriveau wurde 1978 in Reims geboren und studierte Kunst und Animation an der renommierten École Emile Cohl in Lyon sowie an der École des Gobelins in Paris. Nach seinem Abschluss arbeitete er zunächst bei einer Firma, die sich auf Spezialeffekte für Film- und Fernsehproduktionen spezialisiert hatte, doch entdeckte Andriveau glücklicherweise letztlich das Medium des Comics für sich und seine Ideen und es trieb ihn an den Zeichentisch. Seine Serie „Das Goldene Jahrhundert“, bei der er sich gleichzeitig als Autor und Zeichner betätigt, erschien als Erstlingswerk ab 2006 bei dem französischen Verlag Delcourt. Simon Andriveau ist mit Vitalie Taittinger, Tochter von Pierre-Emmanuel Taittinger, Eigentümer des gleichnamigen Champagnerunternehmes, verheiratet und lebt mit ihr in Reims.
Bei der Suche nach dem Verbleib eines geheimen Dokumentes handelt es sich um die Suche nach einem Autopsiebericht. Hier nimmt sich Andriveau eines überaus interessanten geschichtlichen Aspektes für seine Story an: Mit der Geburt von Ludwigs XIV. am 05.09.1638 im Schloss Saint-Germain-en-Laye wurde die lange Zeit befürchtete Thronfolge von Gaston d'Orléans ausgeschlossen, nachdem die Ehe von Ludwig XIII. und Anna von Österreich 23 Jahre lang ohne Nachkommen geblieben ist. Es ist also nicht verwunderlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt das Gerücht kursierte, Ludwig XIII sei zeugungsunfähig, welches dann auch durch die Geburt seines Sohnes nicht gänzlich aus der Welt geschafft werden konnte. Unabhängig von der Umsetzung der historischen Fakten im Comic schien sich wohl bei der Autopsie des verstorbenen Ludwig XIII. tatsächlich eine Zeugungsunfähigkeit herausgestellt zu haben, welche die vermeintlich rechtmäßige Thronfolge von Ludwig XIV. im Nachhinein in Abrede stellt. Wie dem letztlich auch sei, neuere historische Forschungen belegen zumindest mit etlichen Indizien, , dass Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“, bei weitem kein leibliches Kind seiner Eltern, sondern ein aus politischen Gründen untergeschobenes Kind war.
Die Erzählstruktur des Comic ist überaus geradlinig und begleitet mit den Augen von Alphonse fast die gesamte Geschichte. Dabei ist sie – mit mancher Brutalität und derber Wortwahl – immer sehr bodenständig und gleitet nie ins Sentimentale oder Betuliche ab. Dieser Struktur folgt auch die Bildaufteilung, die geradezu klassisch ist und fast ausschließlich aus Bilderzeilen besteht, die nur selten durch Ganz- oder halbseitige Bilder unterbrochen werden und sehr sorgfältig in ihrem Ablauf komponiert wurden.
Das Artwork ist dunkel, dreckig und verkommen und Andriveau tobt sich mit seinem Können hierin geradezu aus: Von feinen und filigranen Strichen bis hin zu kratzigen und schweren Linienführungen zieht er mit großem künstlerischen Geschick sämtliche Register. Bei der Gestaltung seiner Protagonisten, sei es Moplai mit seinen Schergen oder aber auch die neuen Freunde im Lager der Zigeuner, zeichnet Andriveau starke Charaktere, die sich zwar zum Teil etwas klischeehaft daher kommen, aber dennoch immer schön ausgearbeitet sind. Einzig die Mimik der Figuren ist manchmal etwas zu übertrieben und der häufige Einsatz von erstaunten, verblüfften oder erschreckten Gesichtern ist dann doch auf Dauer etwas zu viel. Doch dürfte dies auch der einzige Kritikpunkt an den sonst hervorragend gezeichneten und ausgestalteten Charakteren in diesem Comic sein.
In seiner farblichen Aufmachung hält es Andriveau überwiegend mit gedeckten und erdigen Farben, die hervorragend zum ohnehin eher dunklen Grundton dieser Geschichte passen. Dabei gelingt ihm immer wieder das Kunststück, fast beiläufig wunderschöne und aufwändige Szenen zu kreieren, denen man die Liebe zum Detail nicht nur anmerkt sondern ansieht.
Qualität, Ausstattung & ÜbersetzungIn Sachen Qualität gibt es an dem großformatigen Album nichts auszusetzen, da sowohl der Druck als auch die Bindung tadellos sind, ebenso ist an der gewohnt guten und eleganten Übersetzung von Tanja Krämling nichts zu bemäkeln. In Sachen Ausstattung sei angemerkt, dass die deutsche Ausgabe ein vollständig neues Cover ziert, welches Simon Andriveau exklusiv nach den Vorstellungen des Splitter-Verlags gefertigt hat. Ein unerwarteter Erfolg, denn das neue Cover gefiel dem französischen Verlagshaus Delcourt so gut, dass es mittlerweile die französische Zweitauflage ziert.
Fazit:Der Klappentext selbst spricht zwar von einer Geschichte in bester Mantel- und Degenmanier, wie man sie von ihrem Stil bei den Abenteuerklassikern aus der Feder des Schriftstellers Alexandre Dumas kennt, doch schafft Andriveau mit seiner Figur des Alphonse meines Erachtens weitaus mehr. Alphonse ist bei weitem kein Held – ganz im Gegenteil. Der Charakter des Alphonse gehört zu den Verlierern in einer Gesellschaft, die von einer kleinen privilegierten Oberschicht beherrscht wird und der in seinem tristen Leben nicht mehr viel erwarten kann. Und ausgerechnet dieser Anti-Held wird innerhalb des Bruchteils einer Sekunde durch sein unüberlegtes Handeln aus seiner Bahn in eine gänzlich neue Welt geschleudert aus der es für ihn kein Zurück mehr gibt. Den Leser nimmt Andriveau auf diese abenteuerliche Reise mit und lässt ihn den Blickwinkel auf die Welt einnehmen, den sein Protagonist hat. Und so begeben sich beide durch sämtliche Geschehnisse und Wendungen dieser kräftigen und lebendigen Geschichte und stehen mit einigen Fragen und Problemen vor einigen Rätseln.
Was Simon Andriveau hier als Debüt vorlegt, kann sich absolut sehen lassen: Eine packende und spannende Geschichte, die mit eindrucksvollen Bildern und ihrer Entwicklung des Protagonisten den Leser in den Bann zieht. Mir hat dieser erste Band, der insgesamt auf fünf Bände ausgelegten Reihe, bis auf einige kleine logische Schnitzer in der Geschichte ausnahmslos gut gefallen und ich kann ihn nur Wärmstens weiter empfehlen.
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