Links zur Rezension Inhalt:Der texanische Prediger Jesse Custer verschmilzt durch einige überaus dumme Zufälle mit einer spirituellen Macht namens Genesis, die ihm besondere Kräfte und allumfassendes Wissen beschert. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, macht sich Custer auf die Suche nach Gott, der scheinbar seine Schöpfung im Stich gelassen hat und auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist, um diesem hierfür „kräftig in den Arsch zu treten“. Auf seiner recht absonderlichen und oftmals auch gewalttätigen Odyssee wird er von der schießfreudigen Tulip sowie dem versoffenen irischen Vampir Cassidy begleitet.
Aber es ist gar nicht so leicht, den Herrn aufzuspüren, selbst dann nicht, wenn die eigene Seele mit einem fast omnipotenten, übernatürlichen Wesen wie Genesis verschmolzen ist. Um bei seiner Suche weiterzukommen, muss Jesse in seinen eigenen Kopf vordringen und ein „Gespräch“ mit dem ungebetenen Gast führen. Nach dem nicht sonderlich erfolgreichen Voodoo-Ritual in New Orleans hat Custer eine neue Idee: Wie wäre es mit einer Handvoll Peyote unter dem weiten Himmel von Arizona?
Bevor es allerdings mit Custer weitergeht, gibt es erst einmal einen Einblick in die Geschichte und Entwicklung des Charakters von Starr, der nach dem Massaker in Massada mittlerweile zum neuen Allvater aufgestiegen ist. Starr begann seine Laufbahn in Deutschland als Mitglied der Spezialeinheit GSG-9. Rasch erkannte die Gemeinschaft von „Gral“ seine Vorzüge und so bot man ihm eine Mitgliedschaft an, die Starr auch willig annahm. Wer schon immer mehr über die Lebensgeschichte und die bislang zum Teil verborgenen Beweggründe von Starr (nebst seinen sexuellen Präferenzen) wissen wollte, dürfte hier hervorragend aufgehoben sein.
Doch weiter mit Custer, Tulip und Cassidy, die zwischenzeitlich am Monument Valley in Arizona angekommen sind. Custer macht sich auf die Suche nach einem Indianer, der ihm die gewünschten Drogen verkaufen kann, um dann vielleicht in der Weite der Wüste und restlos in Trance mit Genesis Kontakt aufzunehmen. Doch das Trio ist nicht alleine – Mr. Starr, der zwischenzeitlich zum neuen Allvater aufgestiegen ist, hat sich ebenfalls auf den Weg in die Wüste gemacht. Er möchte Custer gefangen nehmen und ihn wegen seiner Fähigkeiten zum neuen Messias seiner Bewegung machen. Da er um die Gefährlichkeit seines Unternehmens weiß, schafft er es, Teile der Armee von einem nahe gelegenen Stützpunkt auf seine Seite zu ziehen, die mit einem Großaufgebot an Soldaten und Panzern großräumig das Areal, in dem sich Custer befindet, absperren.
Eigentlich sollte das Kidnapping funktionieren, doch hat Mr. Starr seine Rechnung ohne den „Heiligen der Killer“ gemacht, der unerwartet in das Geschehen eingreift und die Truppen von Mr. Starr in einer gewaltigen Schlacht gnadenlos dezimiert. Mr. Starr sieht in diesem ungleichen Kampf nur noch eine Lösung, um an sein Ziel zu gelangen: der Einsatz eines nuklearen Gefechtskopfes gegen den „Heiligen der Killer“.
Und tatsächlich geschieht das Unglaubliche: Ein Stealth-Bomber feuert einen Gefechtskopf in das Monument Valley. Sowohl Custer und seinen Freunden als auch Mr. Starr gelingt in letzter Sekunde die Flucht vor diesem drohenden Inferno. Doch Custer hat einige Probleme, da die Druckwelle der Atombombe ihn aus dem Flugzeug schleudert und Cassidy den freien Fall seines Freundes nicht verhindern kann.
Doch Custer überlebt den Sturz und büßt dafür „nur“ ein Auge ein. Ziemlich orientierungslos macht er sich auf den Weg hinaus aus der Wüste, um seine Gefährten zu treffen und schließt unterwegs eine neue Freundschaft. Doch auch Starr überlebt den selbst inszenierten Atomschlag in einem stillgelegten Minenschacht inmitten einer Horde von durchgeknallten Kannibalen, die ihn als willkommene Bereicherung ihres Speiseplans ansehen und bereits sein Bein gegessen haben. Aber letztlich ist es Starr, der sich durchaus seiner Haut zu wehren weiß, seine Peiniger umbringt und sich (mit nur noch einem Bein) auf dem Weg quer durch die Wüste macht. Und bevor ich es ganz vergesse, gibt es gegen Ende des Bandes auch noch ein Wiedersehen mit Arschgesicht, der es mittlerweile zum gefeierten Rockstar gebracht hat und zu guter Letzt eine ganz besondere Überraschung für Custer, die diesem wahrlich den Boden unter den Füßen wegzieht.
Schreibstil & Artwork:Der Nordire Garth Ennis wurde am 16.01.1970 in Hollywood geboren. Eigentlich wollte er studieren, doch nach nur 3 Monaten warf er alles hin und begann, mit dem festen Vorsatz Comic-Autor zu werden, 1989 seine Karriere mit der Serie „Troubled Souls“, die von McCrea gezeichnet wurde und in der kurzlebigen Anthologien-Reihe „Crisis“ erschien und sogar eine Fortsetzung erhielt. Eine weitere Serie für „Crisis“ sollte folgen: „True Faith“, eine Satire auf Religion, die allerdings durch Proteste religiöser Verbände recht schnell wieder eingestellt wurde.
Seit 1991 verfasste er, neben einigen kürzeren Erzählungen, einige Episoden für die US-amerikanischen Comic-Serie „Hellblazer" und erhielt letztlich sogar seine eigene Serie: „Hitman". Regelmäßig arbeitet er mit den Zeichnern Steve Dillon, Glen Fabry und John McCrea zusammen. Als Comic-Autor erlangte er aber vor allem durch seine DC-Vertigo Comic-Serie „Preacher" großen Bekanntheitsgrad. Gemeinsam mit Steve Dillon, den er während der Arbeit an „Hellblazer“ kennen und schätzen lernte, schufen sie gemeinsam die Serie „Preacher“. Diese Reihe brachte es beim DC Label Vertigo auf 66 Ausgaben und erzählt die Geschichte eines desillusionierten Predigers Jesse Custer mit übernatürlichen Kräften, der auf der Suche nach Gott ist, der seine Schöpfung im Stich gelassen hat.
Zum Grundton von „Preacher“ gehört ein ätzend-böser schwarzer Humor, den Ennis seit Beginn der Reihe pflegt, und auch der Einsatz von exzessiver Gewalt als Stilmittel, wobei der Autor keinen Halt vor Minderheiten, Blasphemie und anderen, zum Teil abgrundtief kranken Einfällen macht. Aber selbst während dieser wüsten und brutalen Suche nach Gott gibt es immer wieder auch stille Momente, in denen die Charaktere auch eine „menschliche“ Seite zeigen, egal ob es sich um Custer, Tulip oder Cassidy handelt. Selbst ein Ekelpaket wie Starr kann durchaus in seinen seltenen stillen Momenten überzeugen.
Der Zeichner Steve Dillon, geboren 1962, hatte mit Garth Ennis bereits im britischen Comic-Bereich zusammengearbeitet, bevor dieser ihn für „Preacher" engagierte. Zum Verlauf der Geschichte soll Ennis nur eine Forderung an Dillon gestellt haben: „Überrasch mich!" Auf den ersten Blick wirken die Zeichnungen von Dillon recht unscheinbar und wenig spektakulär – vielmehr hat man sogar manchmal den Eindruck, als seien einige Bilder geradezu eilig geschaffen worden, um die Deadline zu schaffen. Doch gerade dieser Stil macht ein großes Stück der Atmosphäre von „Preacher“ aus, da er den rotzigen Grundton der Charaktere eigentlich hervorragend unterstreicht.
Aus der Feder von Dänemarks Horrorcomic-Spezialist Peter Snejbjerg, der auch schon mit Neil Gaiman gearbeitet hat und für Reihen wie „The Mighty“ oder „The Boys“ als Zeichner tätig war, stammt das Preacher-Special „Der Ein-Mann-Krieg“ um den überaus exzentrischen Charakter Starr. Hierbei schafft es Snejbjerg sich hervorragend in den Stil von Dillon einzupassen, ohne allerdings dessen leichte Schludrigkeit zu übernehmen. Vielmehr besticht er durch überaus klar und präzise gezeichnete Charaktere.
Die Aufteilung der Bilder insgesamt ist von beiden Zeichnern im Wesentlichen geradezu klassisch und so gibt es nur wenige Bildfolgen in unterschiedlichen Formaten, wechselnde Umrandungen oder großflächige Bildkompositionen, in denen die einzelnen Panels ineinander übergehen.
Von ihrem Einfallsreichtum (und der Ausgestaltung) dürften weder die Zeichnungen von Dillon noch die von Snejbjerg etwas für schwache Gemüter oder friedliebende Zeitgenossen sein, da mit zahllosen und zum Teil äußerst brutalen Details die gewalttätigen, düsteren Ideen des Autors in Szene gesetzt werden. Nicht nur bei Auseinandersetzungen, sondern oft auch bei „normalen“ Dialogen herrscht eine derbe Wortwahl, die in ihrer Art aber nie aufgesetzt wirkt, sondern die Figuren authentisch erscheinen lässt.
Qualität & ÜbersetzungBei Panini Comics erscheint nunmehr Band 6 der auf neun Bände angelegten Gesamtedition. Der vorliegende Sammelband beinhaltet dabei sowohl das Preacher Special „One Man’s War“ („Der Ein-Mann-Krieg“) als auch die Hefte 34 bis 40. In Sachen Qualität kann dieser schwere Hardcover-Band mit seinen 252 Seiten auf jeden Fall überzeugen. Man erhält nicht nur die Einzelhefte in gebundener Form, sondern auch die Nachdrucke der Cover der Einzelausgaben (die man fast schon als Gemälde bezeichnen müsste) nebst einigen Entwurfszeichnungen des famosen Glenn Fabry, die ebenfalls Einzug in den Sammelband hielten. Einzig die Fadenheftung macht es manchmal etwas schwierig, auch Texte nah am Innenrand zu lesen, ohne den Band dafür gehörig aufzuknicken – aber das ist bei Sammelbänden von ursprünglichen Heftproduktionen nichts Neues und auch hier weiterhin zu verschmerzen. Die Übersetzung der Texte stammt von Claudia Fliege, die es auch weiterhin schafft, den oftmals nicht ganz einfachen Umgangston der Akteure (wozu sicherlich auch die unverständlichen Äußerungen von Arschgesicht zählen) ins Deutsche zu Übersetzen. An dieser Stelle sei auch das Lettering von Alessandro Benedetti lobend erwähnt, da sowohl die Optik als auch der Lesefluss einfach passt!
Fazit:Die „Preacher“-Reihe dürfte sicherlich alle Vorurteile bestätigen, die von konservativer Seite modernen Comics entgegengebracht werden: Sie seien primitiv, brutal, zynisch und verderben die Jugend bis auf die Knochen. Und dennoch möchte ich an dieser Stelle lieber die New York Daily News zitieren, die es meines Erachtens nach sehr gut auf den Punkt gebracht hat: „Preacher gibt einem den Glauben an gute Comics zurück“.
Nach dem eher etwas schwachen Band 5 gibt es im vorliegenden Band 6 einige neue und drastische Wendungen – sowohl für Custer als auch einige andere Charaktere der „Preacher“-Reihe - die sich mit viel Aktion von der ersten bis zur letzten Seite durchziehen.
Trotz aller Härte und plakativer Boshaftigkeit weiß die Reihe von „Preacher“ schlicht und ergreifend zu überzeugen. Die blutige und teilweise blasphemische Story um Custers Suche nach Gott mit ihrer schieren Fülle an abgefahrenen (aber durchdachten) Charakteren hat eine unglaublich fesselnde Wirkung, die durch die immer wieder neuen Ideen gekonnt abstruse Wendungen annimmt, dass einem der Atem stockt. Nicht zu Unrecht dürfte deshalb die Reihe „Preacher“ in den 90er Jahren einen Kultstatus erlangt haben, der nach wie vor gilt und schwierig zu übertreffen ist.
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