Links zur Rezension Inhalt:Nachdem ein englisches Schiff Isa, Hoel und Major de Saint-Quentin gegen Ende des ersten Bandes in der Karibik aufgelesen hat, werden sie nach Portsmouth gebracht. Isa, die als junges Mädchen offensichtlich nicht am Krieg teilgenommen hat, wird sofort von den britischen Behörden freigelassen und erhält eine Aufenthaltsgenehmigung. Leider haben ihre beiden Gefährten weniger Glück – sie werden zu den bereits rund 900 Kriegsgefangenen, die auf den Planken eines verrotteten Kasernenschiffs in einem Schlammloch auf offener See vor Chatham leben, gebracht, wo sie unter erbärmlichen Zuständen vegetieren müssen.
Dank ihrer Aufenthaltsgenehmigung konnte Isa eine Anstellung bei dem reichen Londoner Kaufmann Hereford erhalten, um als Repetitor die französische Sprache seiner Tochter Mary zu verbessern. Doch ist es nicht nur die Anstellung als solches – das Anwesen der Herefords liegt nur wenige Meilen von Chatham entfernt, so dass Isa den beiden Inhaftierten nahe sein kann und Hoel Briefe zukommen lässt. Sehr zu ihrem Erstaunen muss Isa feststellen, dass Mary Hereford schwanger ist. Vater des Kindes ist Leutnant John Smolett, der als Offizier auf dem Gefangenenschiff eingesetzt wird. Doch an eine Heirat von Mary und John ist nicht zu denken, da diese bei weitem nicht standesgemäß für die wohlhabende Tochter wäre. Gemeinsam mit John plant Mary die Flucht aus England, um mit ihm eine gemeinsame Zukunft irgendwo in Europa aufzubauen. Sie bietet Isa an, ihr bei der Flucht ihrer beiden Freunde zu helfen, damit diese ihr dann, im Gegenzug, zur Flucht nach Frankreich hilft.
Der sadistische und korrupte Kommandant des Gefangenenschiffs plant eine ausstehende Meinungsverschiedenheit unter Gefangenen, die diese in einem Duell regeln wollen, als Vorwand zu nutzen, um ungeniert auf die vermeintlichen „Aufständischen“ schießen zu lassen. Leutnant Smolett erfährt von diesem Vorhaben und will die Gelegenheit für die Flucht von Hoel und Major de Saint-Quentin nutzen. Sie sollen den Platz mit Verstorbenen in den Holzsärgen tauschen – später könnte man sie dann aus ihrer misslichen Lage befreien. Der Plan scheint aufzugehen, doch leider gelingt zunächst nur Major de Saint-Quentin die Flucht. Der Sarg von Hoel Tragan wurde vertauscht und die Gefährten müssen sich beeilen, da dieser – gemeinsam mit den anderen Särgen - auf dem Festland eingeäschert werden soll. Nur mit weiblicher List und Tücke gelingt es Isa, Mary und de Saint-Quentin Hoel vor dem Verbrennen zu retten.
Doch die Flucht nach Frankreich scheint nicht einfach zu sein, da das hierfür vorgesehene Schiff auf ein Riff aufgelaufen ist und erst wieder repariert werden muss. Die Zeit drängt, da die Schwangerschaft von Mary sich nicht viel länger verbergen lässt. Glücklicherweise findet sich noch ein anderes Schiff, doch auch hier scheint in letzter Minute alles in Gefahr zu geraten. Nur Dank eines Bettlermädchens namens Frosch, das die Wachposten am Kanal ablenkt, gelangen die Fünf zum Schiff, welches die Gefährten sicher in die Bretagne bringen soll. Auf dem Schiff wird die Tochter von Mary und John geboren – Enora.
Angekommen in Frankreich, kümmert sich Major de Saint-Quentin darum, einige Informationen einzuholen. Das Ergebnis ist nicht sonderlich beruhigend: Der Tod von Kapitän de Roselande wäre eigentlich längst vergessen, hätte der Vater des Kapitäns nicht alles daran gesetzt, den Mörder zu finden. Aber auch die Flucht von Mary nach Frankreich ist nicht unproblematisch, da ihr Vater in England mehrere bedeutende Fabriken für die Produktion von Kriegswaffen besitzt und somit ein gutes Druckmittel in Händen hält, um selbst in Frankreich nach Mary suchen zu lassen.
Die einzige Möglichkeit, den Gefahren in Frankreich zu entgehen, liegt letztlich darin, das Land zu verlassen. Auf dem Schiff „Marie-Caroline“ unter dem Kommando von Kapitän Boisboeuf sollen die Gefährten nach Saint-Domingue zu den französischen Kolonien in der Karibik reisen, um sich dort zu verstecken, während de Saint-Quentin in Frankreich zwischenzeitlich versuchen wird, einige Dinge vielleicht zu richten.
Doch die Reise an Bord der „Marie-Caroline“ führt die Gefährten nicht direkt in die Karibik, sondern zunächst an die Küste Afrikas, wo das Schiff seine „Schwarze Fracht“ aufnehmen soll.
Schreibstil & Artwork:Der französische Comiczeichner François Bourgeon wurde am 05.07.1945 in Paris geboren und durchlief eine Ausbildung zum Glasmaler an der Pariser „Ecole des Métiers d'Art“. Bereits 1971 musste er allerdings seinen Beruf aufgeben, da die allgemein schlechte Auftragslage in seinem Metier nicht für seinen Lebensunterhalt reichte. Anfang der 70er Jahre gelangte er, eher zufällig, in Kontakt mit der Jugendzeitschrift „Lisette“, für die er 1972 die Serie „L´Ennemie vient de la mer“ erschuf, die mit ihren stark schematisierten Zeichenformen noch deutlich Bourgeons Prägung durch die Glasmalerei erkennen lässt. Nach dem Konkurs von „Lisette“ folgten weitere kleinere Arbeiten für Magazine wie „Fripunet“, „J2“ und „Pif Gadget“.
Einen ersten, wenngleich auch kurzen, Ausflug ins Mittelalter unternimmt Bourgeon bereits 1973 mit dem Comic „Brunelle et Colin“ (dt. „Britta und Colin“, Carlsen). Die von Robert Génin für das Comicmagazin „Djinn“ geschriebene Serie um eine tollkühne Prinzessin und ihren Pagen gibt er allerdings bereits nach zwei Bänden wieder auf, die Génin dann aber ab 1982 mit dem Zeichner Didier Convard fortsetzt.
Im Jahr 1979 gelingt Bourgeon mit dem historischen Zyklus „Reisende im Wind“ der Durchbruch in der frankobelgischen Comicszene. Dies allerdings nicht unbedingt durch seinen Zeichenstil, sondern vielmehr durch seine Neuerungen auf dem Gebiet der Bilddramaturgie des Comics.
Als Bourgeon Anfang der 70er Jahre die Comic-Szene betrat, war die Seitenaufteilung des Mediums noch weitgehend klassisch und konventionell geprägt: Die einzelnen Panels folgten linear aufeinander und bildeten ein starres Gerüst. Bourgeon hob diese Beschränkung einfach auf und wechselte die Panelgröße je nach Verlauf und Absicht seiner Erzählung. So fügt er beispielsweise kleinere Detailbilder in größere Panoramen ein und erzielt so mitunter Effekte, wie sie der Leser aus der Erzählsprache der Filmkunst kennt. Doch nicht nur die visuelle Erzählweise von Bourgeon war für die damalige Comic-Kultur wegweisend, sondern auch die Entwicklung der Charaktere innerhalb einer Comic-Reihe wie in „Reisende im Wind“, die man bislang in dieser Form nicht kannte.
Bourgeon pflegt in „Reisende im Wind“ einen insgesamt sehr realistischen und detaillierten Zeichenstil, wobei er nach eigener Aussage oft auf der Grundlage von historischen Studien, Landschaften, Technik und Bauwerken arbeitet. Seine nie geschönten oder idealisierten Figuren basieren auf anatomisch genauen Vorgaben, ohne dabei allerdings ins Photorealistische überzugehen.
Doch besticht nicht nur der Zeichenstil, sondern auch die historische Genauigkeit, die Bourgeon in der Reihe an den Tag legt: Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, der in der Zeit von 1775 bis 1783 zwischen den 13 nordamerikanischen Kolonien einerseits und der britischen Kolonialmacht tobte, wurde nicht zuletzt durch den verdeckten französischen Beistand für die Kolonien und ab 1778 durch das aktive Eingreifen Frankreichs zugunsten der Kolonisten wesentlich beeinflusst, da Frankreich letztlich sogar die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten förmlich anerkannte und darüber hinaus sogar im Jahr 1778 ein Bündnis mit den Vereinigten Staaten abschloß. Dadurch entstand nun ein neuer Krieg zwischen Frankreich und England.
Während dieses Krieges kamen Tausende französische Soldaten und Seeleute als Kriegsgefangene nach England. Da nicht genügend Gefängnisse vorhanden waren, wurden seit Beginn des Krieges viele von ihnen auf Schiffen eingekerkert. Die Gefängnisschiffe, die in Flussmündungen und Küstenhäfen (wie auch das Gefangenenschiff des Comics in der Nähe der Stadt Chatham in der Grafschaft Kent) lagen, waren ausgemusterte große Kriegsschiffe, auf denen man alle Masten, die Takelage, die Segel sowie sämtliche Verzierungen entfernt hatte. Auf diesen sogenannten „Hulks“ herrschten unmenschliche Zustände und die Todesraten waren sehr hoch.
Solche und andere historisch belegbare Tatsachen in beeindruckenden Bildern dem Leser näher zu bringen und nicht zuletzt auch durch die pointierten Dialoge ein Gespür für „Freiheit“ zu geben, machen diese Reihe so bewundernswert.
François Bourgeon lebt heute in Cornouaille (Bretagne).
Qualität & Übersetzung:Beim Splitter Verlag eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Solide Fadenheftung in gediegener Hardcover-Qualität. Allerdings hat sich das Titelbild im Gegensatz zur Erstausgabe verändert, was jedoch zu verschmerzen ist, da es das ehemalige Cover der Erstausgabe als „Zugabe“ in Form eines qualitativ hochwertigen und herausnehmbaren Druckes im Band gibt. Zudem plant der Verlag für die Gesamtausgabe der insgesamt 7 Bände der Reihe einen passenden Schuber. Natürlich hat sich auch in Sachen Drucktechnik seit den 80er Jahren einiges getan und so sehen die Farben, meines Erachtens nach, frischer und irgendwie freundlicher aus. Zudem hat Bourgeon dem Projekt seine eigens dafür digitalisierte Handschrift für ein modernes Computer-Lettering zur Verfügung gestellt, die die gelungene Übersetzung von Delia Wüllner-Schulz umso lesenswerter macht. Vielleicht hätte man sich gerne noch das eine oder andere Extra für diese neue Auflage gewünscht, doch hier wird der Leser leider auf Band 3 der Reihe vertröstet, in dem es einige Hintergrundinformationen um das Hauptwerk von François Bourgeon geben soll.
Fazit:In meinem Fazit muss ich mich fast schon gezwungenermaßen wiederholen, da die Neuauflage der Reihe „Reisende im Wind“ durch den Splitter-Verlag schlicht und ergreifend großes Lob verdient, da nun, nach vielen Jahren, nicht nur eine vollständige Edition des Zyklus „Reisende im Wind“ vorgelegt wird, sondern sogar noch mit zwei weiteren neuen Bänden (die sich mit dem weiteren Leben der Protagonisten beschäftigen) ein mehr als würdiger Abschluss gefunden wird.
Bei aller Begeisterung müssen die Zeichnungen von François Bourgeon allerdings im Kontext ihrer Entstehungszeit in den frühen 80er Jahre gesehen werden – insofern mag es heute vielleicht den einen oder anderen Leser erstaunen, mit welchem Lob ich die manchmal etwas altmodische Darstellung der Figuren und in ihrer Ausführung, für heutige Verhältnisse, zum Teil sogar etwas holprig wirkenden Mimik lobe, doch versprühen diese ungebrochen einen enormen Charme, an dem sich manch glatt und perfekt inszenierte Figur der Neuzeit eine gehörige Scheibe abschneiden könnte.
Bevor man sich als neugieriger Leser wundert, was letztlich den Ruhm dieser Reihe ausmacht, möchte ich noch auf folgendes hinweisen: Wie bereits ausgeführt, war der vollkommen neuartige Umgang mit den Panels im Bildaufbau geradezu bahnbrechend, auch wenn Bourgeon sicherlich nicht der einzige Zeichner war, der zu dieser Zeit mit dem Layout von Comics experimentierte, und sein Zeichenstil alleine sich nicht unbedingt als absolut überragend hervorhebt. Zudem gelang Bourgeon mit „Reisende im Wind" ein weiteres Kunststück – der Schaffung eines bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht (in dieser Form) bekannten Comicgenres, dem des historischen Erwachsenencomics.
Wer „Reisende im Wind“ noch nicht kennt, sollte sich diese überaus beeindruckende Geschichte nicht entgehen lassen und einen „echten Klassiker“ des Historien-Comics für sich entdecken. Ein echter Leckerbissen für einen ausgedehnten und ruhigen Leseabend!
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