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An Interpretationen von James Matthew Barries legendären Kinderbuchklassiker „Peter Pan“ gab es seit seinem Erscheinen bzw. seit seiner Premiere als Theaterstück noch nie einen Mangel und so schließt sich auch der Autor und Zeichner Régis Loisel diesem Reigen an, wobei er sich allerdings für seine Interpretation in einer kurzen Widmung bei der klassischen Disney-Verfilmung des Jahres 1953 bedankt und seine Adaption als lediglich „Frei inspiriert“ durch die Charaktere des schottischen Autors Sir James Matthew Barrie bezeichnet.
Doch was Régis Loisel in diesem ersten, auf sechs Bände angelegten Comicadaption, zeigt, ist eine gänzlich neue und andere Version der Geschichte, als man sie aus den bislang erschienenen Büchern, Verfilmungen und Theateradaptionen kennt: Mit der Fassung von Loisel bekommt der Leser den Auftakt für ein mal poetisches, mal trauriges, aber in jeder Hinsicht epochales Comic-Kunstwerk in die Hände gelegt.
Inhalt (Achtung: Spoiler!):Als Peter nach seinem nächtlichen Flug von London aus wach wird, findet er sich unversehens in der Kajüte von Kapitän Hook wieder und natürlich sind die Piraten – allen voran Hook – erstaunt über das Erscheinen des Jungen, der ihnen versichert, er sei zur Insel geflogen. Der verzweifelte Versuch den erbosten Piraten seine Flugkünste vorzuführen endet allerdings beinahe in einem Fiasko und nur mit knapper Not kann ihn Glöckchen mit Feenstaub vor dem Absturz retten. Nach diesem Auftritt ist Hook begeistert von dem Jungen und bietet ihm an, sich den Piraten anzuschließen, was Peter geradezu euphorisch auch annimmt.
Glöckchen ist über diese Entwicklung sehr erbost und fliegt zur Insel, um Pan und den anderen Bewohnern davon zu berichten. Pan und die anderen schmieden einen Plan, wie sie Peter aus der Hand der Piraten retten können, doch scheitert diese Idee kläglich und Pan wird höchstselbst von Peter gefangen genommen. Festgebunden an einen Mast, an Bord des Schiffes der Piraten, gelingt es Pan allerdings Peter davon zu überzeugen, dass er Feenstaub zum fliegen braucht – wahrscheinlich sehr zum Missfallen von Hook, der Peter gerade wegen dieser Fähigkeit in die Riege seiner Piraten aufgenommen hat. Pan gelingt es mit sanften Druck Peter für sich einzunehmen und gemeinsam entwickeln sie eine List, mit der sie Hook und die Piraten auf die Insel locken können. Noch in der gleichen Nacht unterrichtet Pan Glöckchen von dem Plan und bittet sie, die anderen Inselbewohner entsprechende Vorkehrungen treffen zu lassen.
Sie schlagen Kapitän Hook vor, Indianer zu fangen und diese dem Krokodil, das den Schatz bewacht als Futter vorzuwerfen, damit die Piraten in der Zwischenzeit unbesorgt nach dem vor der Küste verborgenen Schatz tauchen können. Hook zeigt sich für diese Idee durchaus empfänglich und so macht sich die Mannschaft nebst Peter und Pan auf den Weg zur Insel. Nach einem langen Marsch quer über die Insel stoßen die Piraten endlich auf Indianer: Sie entdecken Tigerlilly und zwei weitere Indianer auf einer Lichtung. Peter soll mit seinen Flugkünsten die Indianer ablenken – doch ohne Feenstaub ist ihm dies nicht möglich. In ihrer Verärgerung stoßen ihn die Piraten einen Abhang hinunter und Peter bleibt ohnmächtig am Boden liegen.
Die Indianer sind rasch von der Meute der Piraten überwältigt, bis sich allerdings die vorgewarnten Inselbewohner mutig in das Geschehen stürzen und es schaffen die Piraten in die Flucht jagen. Doch die Freude währt nur kurz, da es zwei Piraten gelungen ist, die gefangenen Indianer als auch den bewusstlosen Peter zu verschleppen und in Richtung des Ortes „Opikanoba“ zu verschwinden, einem schrecklichen und verwunschenen Ort, der von allen Bewohnern der Insel tunlichst gemieden wird. Zwei der Indianer, als auch die beiden Piraten sterben in diesem seltsamen Nebel, wobei Tigerlilly mehr Glück hat, da sie von einem der Piraten bewusstlos geschlagen wird und somit der „Nebel“ ihrem Geist – ebenso wie dem des bewusstlosen Peter - nichts anhaben kann.
Pan wagt indessen das Unmögliche. Geradezu meditativ leert er seinen Geist und macht sich auf die Suche nach Peter und den verschwundenen Indianern im Nebel. Glücklicherweise findet er Peter und Tigerlilly, die er aus dem Nebel herauszuschleppen versucht – doch Peter erlangt sein Bewusstsein wieder und bekommt grässliche Visionen. Er sieht seine Mutter vor sich, doch statt der erhofften Küsse entfaltet sich vor seinem geistigen Auge ein wahrhaft grausiger Alptraum. Nur durch seinen unbändigen Hass schafft es Peter dem Opikanoba zu widerstehen, bis Pan es gelingt, ihn erneut bewusstlos zu schlagen. Nicht zuletzt durch die Hilfe von Glöckchen, die Pan in sicherer Entfernung den Weg aus dem Nebel leitet, gelangen sie in Sicherheit und werden von den anderen Inselbewohnern freudig begrüßt.
Der gesundheitliche angeschlagene Peter wird von Tiger-Lilly gepflegt und als er wieder bei Kräften ist zum Kriegshäuptling der Insel ernannt. Schließlich hatte es seinen Grund, dass ausgerechnet er unter den Kindern auf Londons Straßen auserwählt wurde, um auf die Insel zu gelangen.
Schreibstil & Artwork:Der schottische Schriftsteller Sir James Matthew Barrie hat mit der Figur des Peter Pan einen Mythos erschaffen, die innerhalb kürzester Zeit nicht nur in der Literatur, sondern auch auf der Bühne oder in ihrer filmischen Umsetzung zum allgemeinen und internationalen Kulturgut avancierte. Dabei stand allerdings zumeist eine durchaus kindgerechte Fassung eines modernen Märchens im Vordergrund, die von einem Jungen berichtete, der nie erwachsen werden wollte.
Der Bretone Régis Loisel wurde 1951 in Saint-Maixent, Frankreich, geboren. 1972 erschien seine erste Veröffentlichung „Les Pieds Nickelés Magazine“. Im folgenden Jahr besuchte er an der Universität Vincennes Comiczeichenkurse, die insbesondere durch Jean-Claude Mézières („Valerian und Veronique") animiert wurden. Größere Bekanntheit erreichte er Mitte der 80er Jahre mit dem Zyklus „Die Suche nach dem Vogel der Zeit“ nach einem Szenario von Segre Le Tendre, der in der Folgezeit für einige frankobelgische Fantasyreihen stilbildend wurde. Er illustrierte aber auch die sexuellen Fantasien des Autors Le Guirec im Comic „Freudenfeste“. 1991 erschien der erste Band seiner Adaption von „Peter Pan“, für das er unter anderem 1992 den „Max-und-Moritz-Preis“ der Stadt Erlangen erhielt. Erst im Jahr 2005 erschien der sechste und letzte Band der Reihe.
Die Comic-Adaption von Loisel ist sicherlich nicht für Kinderhände bzw. -augen bestimmt, auch wenn dies der Titel auf den ersten Blick zu vermitteln scheint. Grausame Szenen und deprimierende Zustände wechseln mit Romantik, Naturaufnahmen und dem Wunsch nach Schönheit und sind in ihrem manchmal harten Wechsel sicherlich nichts für schwache Gemüter.
Der Wechsel von Stimmungen der Charaktere ist bei Loisel oftmals ohnehin auf sehr drastische und bedrückende Weise dargestellt. Als sich beispielsweise Kapitän Hook in den Finger schneidet und darüber laut zu jammern beginnt, wird seine Mannschaft etwas skeptisch gegenüber einem solchen Anführer. Kurzerhand schneidet Hook dem Anführer dieser kleinen Gruppe von Renegaten die Kehle durch und beendet damit die Diskussion um seine Anführerschaft.
Doch gibt es auch andere Momente, als Peter beispielsweise geradezu euphorisch darüber ist, sich an Bord eines Piratenschiffes zu befinden und letztlich sogar als echter Pirat aufgenommen zu werden. Solche Szenen sind es wiederum, in denen viel über die ursprüngliche Intention von Peter Pan zu spüren ist, da diese Geschichte letztlich von einem Kind handelt, das nicht erwachsen werden will und dabei eine Unschuld und Sorglosigkeit der Kindheit lebt, die einfach Lust an imaginären und oft gewalttätigen Abenteuern hat, ohne Sorge oder Verständnis für echte Gefahren und echtes Leid aufzubringen.
Mit seinen detailverliebten und erdverbundenen Zeichnungen erschafft Loisel die Insel und ihre Bewohner in hellen und leuchtenden Farben. Überzeugend sind aber ebenso die Charakterzüge der zahlreichen Inselbewohner, seien es Nixen, Feen, Elfen, Satyrn, Zentauren, Zwerge und Korrigans. Insbesondere bei der überaus üppig zur Schau getragenen Sexualität der Nixen wird deutlich, wie wenig man einen Comic für Kinder in Händen hält.
Qualität, Ausstattung & ÜbersetzungBedauerlicherweise erscheint die Neuauflage nur als einfaches Softcover in der Ehapa-Comic-Collection. Bei einem visuell bahnbrechenden Werk hätte ich mir eine etwas gediegenere Hardcoverausgabe mit einigen zusätzlichen Informationen über den Autor, die Entstehung oder den Hintergrund der Reihe gewünscht. Hier hat man unter Umständen seitens des Verlages eine große Chance vertan, um Sammler oder Liebhaber dieses Comics diese Neuauflage ans Herz zu legen. Dennoch ist die Reihe insgesamt qualitativ absolut in Ordnung, zumal vielleicht auch für Neugierige der Preis der Softcover-Ausgabe erschwinglicher ist. Die Übersetzung aus dem französischen oblag wiederum Eckart Sackmann.
Fazit:Die Interpretation des „Peter Pan“ von Régis Loisels ist und bleibt eigenwillig und wirkt vielleicht auch in manchen Szenen verstörend, so auch im „Opikanoba“, einem Synonym für einen düsteren Flecken auf der ansonsten idyllischen Insel, der gänzlich von Nebel eingehüllt und als Ort des Wahnsinns, aus dem der Tod der einzige Ausweg ist, gilt.
Trotz einiger neuer Interpretationen bleibt Loisel allerdings immer wieder dem Original verpflichtet. Ebenso wie bei Barrie befinden sich die Bewohner der Insel mit den Piraten im Zwist und mit der Gruppe der Indianer gibt es ein Wiedersehen mit einer weiteren auf der Insel vertretenen Gruppierung.
Ein Werk zwischen äußerst brutaler Grausamkeit und grenzenloser Fantasie, das dennoch detailverliebt mit seinen Farben, Charakteren und Perspektiven deutlich beweist, das Loisel zurecht als einer der wichtigsten und beliebtesten zeitgenössischen Autoren und Zeichner gilt. Für mich persönlich ist die Neuauflage trotz der spärlichen Ausstattung eine absolute Kaufempfehlung, da es nur selten einen Comic gibt, der so viel Platz für Interpretationsmöglichkeiten lässt (selbst wenn man die Bücher von Barrie nicht kennt) und den Leser dabei von der ersten bis zur letzten Seite auf ganz besondere Art und Weise fesselt.
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